Leitsatz (amtlich)
Bei einer bloßen Gelegenheitsursache fehlt der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen dem Dienst, dem Ereignis und dem Körperschaden, um einen Körperschaden als Folge eines Dienstunfalls anzuerkennen (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).
Tatbestand
Rz. 1
Gegenstand des Verfahrens sind die vom Kläger geltend gemachten weiteren Körperschäden als Folgen eines bereits anerkannten Dienstunfalls.
Rz. 2
Der 1971 geborene Kläger steht als Amtsinspektor (Besoldungsgruppe A 9m BBesO) im Dienst der Beklagten und wird seit Anfang September 1988 beim Bundesnachrichtendienst (BND) verwendet.
Rz. 3
In seiner Unfallmeldung vom 6. Februar 2017 gab der Kläger an, am 22. Dezember 2016 während eines dienstlichen Einsatzes einen Unfall erlitten zu haben. Er sei auf einem Gehweg gestolpert und auf die rechte Schulter gefallen. Bei der vom BND veranlassten Untersuchung des Klägers beim Gesundheitsamt der Stadt München am 23. Mai 2017 kam der Arzt zu dem Ergebnis, dass der Sturz des Klägers lediglich zu einer Prellung der rechten Schulter geführt habe. Dieser dienstunfallbedingte Körperschaden sei zum Zeitpunkt der Untersuchung aber vollständig ausgeheilt gewesen. Es hätten keine Vorschädigungen bestanden, die die Entstehung dieses dienstunfallbedingten Körperschadens wesentlich begünstigt oder mit verursacht hätten. Die jetzt noch vom Kläger angegebenen Beschwerden seien ursächlich auf vorbestehende degenerative Veränderungen zurückzuführen.
Rz. 4
Im Bescheid vom 24. August 2017 erkannte der BND den am 22. Dezember 2016 während einer Dienstreise erlittenen Sturz als Dienstunfall an, bei dem sich der Kläger laut dem amtsärztlichen Gutachten eine Prellung an der rechten Schulter zugezogen habe.
Rz. 5
Am 12. September 2017 erhob der Kläger mit der Begründung Widerspruch, der Unfall vom 22. Dezember 2016 habe bei ihm auch zu einer Läsion der Supraspinatus-Sehne in der rechten Schulter geführt. Zu diesem Vorbringen des Klägers führte der Arzt des Gesundheitsamts der Stadt München unter dem 26. Oktober 2017 aus, aufgrund des MRT-Befundes müsse davon ausgegangen werden, dass die Supraspinatus-Sehne in der rechten Schulter des Klägers bereits vorgeschädigt gewesen sei. Denn der Riss dieser Sehne sei bei der vom Kläger beschriebenen Unfallsituation ausgesprochen untypisch. Bei einem Riss sei eine Sehne gespannt, dies sei aber bei einem Sturz auf die Schulter gerade nicht der Fall. Die MRT-Untersuchung zeige zudem eine Engstelle im Bereich des AC-Gelenks, die mit der Zeit zu einer Ausdünnung der Sehne führe. Unerheblich sei das Alter des Klägers, weil sich im MRT auch eine deutliche Arthrose im AC-Gelenk zeige.
Rz. 6
Am 25. Oktober 2017 wurde beim Kläger eine operative Sehnenrefixation - Wiederanheftung der Sehne - durchgeführt. In seiner weiteren Stellungnahme vom 10. April 2018 führte der Arzt des Gesundheitsamts der Stadt München aus, dass nach dem Operationsbericht beim Kläger eine Engstelle im Tunnel unter dem Schulterdach beseitigt worden sei. Dies spreche für eine Vorschädigung der Sehne. Zudem seien durch die beim Gesundheitsamt durchgeführte radiologische Diagnostik Veränderungen mit Sklerosierungen unter dem Schulterdach oder dem Schultereckgelenk belegt.
Rz. 7
Den Widerspruch des Klägers wies der BND mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2018 mit der Begründung zurück, bei dem Sturz handele sich um eine Gelegenheitsursache, die eine bereits anlagebedingte degenerative Vorschädigung angesprochen habe. Aus den Stellungnahmen des Amtsarztes ergebe sich überzeugend, dass das rechte Schultergelenk des Klägers degenerativ vorgeschädigt gewesen sei. Zum Zeitpunkt des Unfallereignisses sei die betreffende Sehne in der rechten Schulter des Klägers bereits stark ausgedünnt gewesen. Auch führe ein bloßer Sturz regelmäßig nicht zu einem Riss dieser Sehne. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 4. Juli 2018 ausgehändigt.
Rz. 8
Zur Begründung der am 1. August 2018 erhobenen Klage trägt der Kläger vor, aus den von ihm vorgelegten ärztlichen Stellungnahmen ergebe sich, dass die Rotatorenmanschettenteilruptur und die damit verbundene Teilläsion der Supraspinatus-Sehne Folgen des Unfalls vom 22. Dezember 2016 seien.
Rz. 9
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, die Rotatorenmanschettenteilruptur nebst der damit verbundenen Teilläsion der Supraspinatus-Sehne als weitere Folge des Dienstunfalls vom 22. Dezember 2016 anzuerkennen sowie den Bescheid des Bundesnachrichtendienstes vom 24. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. Juni 2018 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Rz. 10
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Rz. 11
Wegen der erheblichen Vorschädigung der rechten Schulter des Klägers sei von einer bloßen Gelegenheitsursache auszugehen, sodass der Kläger keinen Anspruch auf die begehrte Anerkennung habe.
Rz. 12
In der mündlichen Verhandlung hat der Senat Dr. W., zur mündlichen Erläuterung seines gegenüber dem BND erstatteten schriftlichen Gutachtens als Sachverständigen angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung Bezug genommen.
Rz. 13
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten sowie auf den Verwaltungsvorgang des BND verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.
Entscheidungsgründe
Rz. 14
Die Klage, für die das Bundesverwaltungsgericht nach § 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO in erster und letzter Instanz zuständig ist, ist zulässig, aber nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte die Rotatorenmanschettenteilruptur und die damit verbundene Teilläsion der Supraspinatus-Sehne als weitere Folgen des Dienstunfalls vom 22. Dezember 2016 anerkennt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Rz. 15
Die dienstunfallrechtliche Behandlung eines Ereignisses beurteilt sich nach demjenigen Recht, das in dem Zeitpunkt galt, in dem sich der Unfall ereignete, sofern sich eine Neuregelung nicht ausdrücklich - in der Regel den Beamten begünstigende - Rückwirkung beimisst (BVerwG, Urteile vom 16. Mai 1963 - 2 C 27.60 - BVerwGE 16, 103 ≪104≫ und - 2 C 153.60 - Buchholz 237.7 § 142 LBG NRW Nr. 2 S. 5, vom 29. August 2013 - 2 C 1.12 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 25 Rn. 8, vom 17. November 2016 - 2 C 17.16 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 30 Rn. 12 und vom 30. August 2018 - 2 C 18.17 - BVerwGE 163, 49 Rn. 9).
Rz. 16
Für die rechtliche Beurteilung des vom BND bereits als Dienstunfall anerkannten Ereignisses vom 22. Dezember 2016 ist somit § 31 Abs. 1 BeamtVG in der Fassung vom 24. Februar 2010 (BGBl I S. 150) maßgeblich. Ein Dienstunfall ist danach ein auf äußerer Einwirkung beruhendes, plötzliches, örtlich und zeitlich bestimmbares, einen Körperschaden verursachendes Ereignis, das in Ausübung oder infolge des Dienstes eingetreten ist.
Rz. 17
Das Merkmal "einen Körperschaden verursachendes Ereignis" setzt einen mehrfachen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Dienst, dem Ereignis und dem Körperschaden voraus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist - wie im Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung und der Kriegsopferversorgung - die Theorie der wesentlich mitwirkenden Ursache maßgeblich. Diese Auffassung dient in erster Linie der Differenzierung zwischen mehreren Ursachen, die zu einem Unfall adäquat kausal geführt haben. Die Dienstunfallfürsorge soll nicht dazu führen, dass dem Beamten jedes irgendwie denkbare, in keiner Weise aus dem Dienst ableitbare Risiko abgenommen und dem Dienstherrn aufgebürdet wird. Vielmehr soll der Dienstherr mit der Unfallfürsorge nur die spezifischen Gefahren der Beamtentätigkeit oder die nach der Lebenserfahrung auf die Beamtentätigkeit rückführbaren, für den Schaden wesentlichen Risiken übernehmen. Der Kausalzusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis und dem Körperschaden besteht dann nicht mehr, wenn für den Erfolg eine weitere Bedingung ausschlaggebende Bedeutung hatte. Mitursächlich sind nur solche für den eingetretenen Schaden kausalen Bedingungen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Liegen mehrere Ursachen vor, ist jede von ihnen als wesentliche (Mit-)Ursache anzusehen, wenn sie annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Erfolgs hat.
Rz. 18
Danach ist der Dienstunfall dann als wesentliche Ursache im Rechtssinne anzuerkennen, wenn er bei natürlicher Betrachtungsweise entweder überragend zum Erfolg (Körperschaden) beigetragen hat oder zumindest annähernd die gleiche Bedeutung für den Eintritt des Schadens hatte wie die anderen Umstände insgesamt (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. April 1967 - 2 C 118.64 - BVerwGE 26, 332 ≪333≫, vom 10. Juli 1968 - 6 C 65.65 - Buchholz 232 § 186 BBG Nr. 6, vom 30. Juni 1988 - 2 C 77.86 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 6 und vom 1. März 2007 - 2 A 9.04 - Schütz BeamtR ES/C II 3.5 Nr. 16 sowie Beschluss vom 23. Oktober 2013 - 2 B 34.12 - DokBer 2014, 69 Rn. 6).
Rz. 19
Nach diesen Vorgaben ist eine sog. Gelegenheitsursache keine Ursache im Rechtssinne. Eine solche Gelegenheitsursache ist gegeben, wenn die Beziehung zum Dienst eine rein zufällige ist und das schädigende Ereignis nach menschlichem Ermessen bei jedem anderen nicht zu vermeidenden Anlass in naher Zukunft ebenfalls eingetreten wäre. Der Zusammenhang zum Dienst ist deshalb nicht anzunehmen, wenn ein anlagebedingtes Leiden durch ein dienstliches Vorkommnis nur rein zufällig ausgelöst worden ist. Dies ist in Fällen anzunehmen, in denen die krankhafte Veranlagung oder das anlagebedingte Leiden des Beamten so leicht aktualisierbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, in ihrer Eigenart unersetzlichen Einwirkungen bedurfte, sondern auch ein anderes alltäglich vorkommendes Ereignis denselben Erfolg herbeigeführt hätte (BVerwG, Urteile vom 15. September 1994 - 2 C 24.92 - Buchholz 237.6 § 227 NdsLBG Nr. 1 S. 3 f., vom 18. April 2002 - 2 C 22.01 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 12 S. 3 und vom 25. Februar 2010 - 2 C 81.08 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 23 Rn. 10; Beschlüsse vom 8. März 2004 - 2 B 54.03 - Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 13 S. 5 und vom 23. Oktober 2013 - 2 B 34.12 - DokBer 2014, 69 Rn. 8).
Rz. 20
Bei Würdigung aller Umstände kommt der Senat zu der Einschätzung, dass der Sturz des Klägers auf seine rechte Schulter vom 22. Dezember 2016 keine wesentlich mitwirkende Ursache für den beim Kläger festgestellten Körperschaden - Rotatorenmanschettenteilruptur und die damit verbundene Teilläsion der Supraspinatus-Sehne - ist und diese Verletzungen damit nicht als weitere Folgen des Dienstunfalls vom 22. Dezember 2016 anzuerkennen sind.
Rz. 21
Gegen die Annahme, das Ereignis vom 22. Dezember 2016 sei zumindest wesentliche (Mit-)Ursache, spricht der Umstand, dass der Kläger nach seiner vom Senat angeforderten Schilderung auf die rechte Schulter gestürzt ist, ohne sich abzustützen. Nach den Ausführungen des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung führt ein solcher Sturz auf die Schulter bei einer nicht vorgeschädigten Sehne nicht zur Ruptur oder Teilruptur. Denn bei einem Sturz auf die Schulter ist die Supraspinatus-Sehne gerade nicht gespannt. Nur im angespannten Zustand liegt es nahe, dass die Sehne - ungeachtet einer etwaigen Vorschädigung - gerade aufgrund des konkreten (Unfall-)Ereignisses reißt. Dies gilt etwa für einen Unfall, bei dem ein starker Zug auf den betroffenen Arm einwirkt. Zum Beleg konnte der Sachverständige auch auf die Ausführungen im Fachbuch von Thomann, Personenschäden und Unfallverletzungen, 2015, verweisen. Danach reißt die Rotatorenmanschette weder bei einem Sturz auf den ausgestreckten Arm noch bei einer Anspreizung des Arms oder bei einer Stauchung des Oberarmkopfs, bei der dieser an die Unterfläche des Schulterdachs gedrückt wird. Auch direkte Anpralltraumata und die alleinige aktive Kraftanstrengung sind als Unfallmechanismus ungeeignet. Dies deckt sich mit den Ausführungen im Standardwerk "Arbeitsunfall und Berufskrankheit", Mehrtens/Valentin/Schönberger, 9. Aufl. 2017 (S. 429 ff.). Auch hier wird als geeigneter Unfallmechanismus die plötzliche, auf die vorgespannte Muskulatur einwirkende Kraft, wie etwa beim Auffangen einer schweren Last mit gebeugtem und supinierten Unterarm oder bei einem direkten Schlag eines Gegenstandes in die Ellenbeuge beschrieben. Als ungeeigneter Ablauf wird auch hier insbesondere ein direktes Anpralltrauma auf die Schulter genannt.
Rz. 22
Dass die Rotatorenmanschettenteilruptur und die damit verbundene Teilläsion der Supraspinatus-Sehne durch den Sturz im Rahmen des Dienstgangs vom 22. Dezember 2016 nur rein zufällig ausgelöst worden sind, folgt ferner aus dem Umstand, dass diese Sehne des Klägers zum Zeitpunkt des Dienstunfalls bereits erheblich vorgeschädigt war. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, belegt bereits die im Februar 2017 beim Kläger extern durchgeführte MRT-Untersuchung durch die deutlichen Signalanhebungen eine degenerative Veränderung der Supraspinatus-Sehne. Auch die Radiologin des Gesundheitsamts hat eine solche Signalanhebung im Bereich der Schulter festgestellt. Die nach den Feststellungen der beiden Radiologen arthrotisch veränderte rechte Schulter führt gemäß dem Sachverständigen zu dem Schluss, dass im Bereich der betreffenden Sehne eine Engstelle bestanden hatte. Eine solche Engstelle führt zu dauerhaften Entzündungen, die die Sehne stark schwächen. Diese erhebliche Vorschädigung der Sehne ist durch den Sturz auf die Schulter aktiviert worden und hat zur Teilruptur der Sehne geführt.
Rz. 23
Der Sachverständige hat auch die Einwendungen des Klägers überzeugend entkräften können, die dieser unter Berufung auf eine ergänzende Stellungnahme seines Operateurs vom 28. November 2017 erhoben hat. Zunächst hat der Sachverständige dargelegt, dass die arthrotischen Veränderungen des AC-Gelenks unabhängig von der Lage des Betroffenen bei der Radiologie-Aufnahme - stehend oder liegend - festgestellt werden können. Ferner hat der Sachverständige auf den - gerade nicht im Hinblick auf eine Bitte des Patienten nach Unterstützung im Klageverfahren gefertigten - Operationsbericht verweisen können. Dieser belegt nach den Ausführungen des Sachverständigen, dass auch der Operateur selbst von einer erheblichen, die Supraspinatus-Sehne dauerhaft schädigenden Engstelle ausgegangen ist. Denn im Operationsbericht vom 25. Oktober 2017 wird eine deutliche subacromiale Bursitis beschrieben, eine arthroskopische Arcromioplastik wird aufgrund der subacromialen Stenose (Engstelle) als sinnvoll bewertet. Der Umstand, dass der Operateur die Resektion des lateralen Klavikulaendes auf 7 mm beschreibt, belegt nach den Ausführungen des Sachverständigen deutlich, dass auch dieser von einer zu beseitigenden Engstelle ausgegangen ist. Denn dies bedeutet, dass der Operateur nicht nur das Schulterdach etwas abgemeißelt, sondern, um der Sehne wieder etwas mehr Raum zu geben, sogar den äußeren Anteil des Schlüsselbeins entfernt hat.
Rz. 24
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Fundstellen
ZBR 2020, 269 |
DÖV 2020, 530 |
JZ 2020, 460 |
VR 2020, 216 |