Entscheidungsstichwort (Thema)
Lehrer. Teilzeitbeschäftigung. mittelbare Diskriminierung. Mehrarbeit. Mehrarbeitsvergütung. Vollzeitbeschäftigung
Leitsatz (amtlich)
Leisten teilzeitbeschäftigte Lehrerinnen vergütungspflichtige Mehrarbeit, so gebietet das Diskriminierungsverbot des Art. 141 EG, jedenfalls diejenige Mehrarbeit wie reguläre Stunden zu vergüten, die die Arbeitszeit vollzeitbeschäftigter Lehrer nicht übersteigt.
Normenkette
EG Art. 141 Abs. 1-2; BBesG § 6 Abs. 1, § 48 Abs. 1; MVergV §§ 2, 4, 5 Abs. 2 Nr. 1; LBG BE § 35 Abs. 2
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Februar 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Klägerin steht als Lehrerin im Beamtenverhältnis zum Beklagten. Für die Zeit vom 15. Juli 1999 bis zum 29. Mai 2000 war ihr Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 23 Unterrichtsstunden pro Woche bewilligt worden. Das Unterrichtsdeputat eines vollzeitbeschäftigten Lehrers betrug damals 26,5 Unterrichtsstunden. Zwischen dem 11. Januar und dem 23. Mai 2000 leistete die Klägerin in jedem Monat zwischen vier und sechs, insgesamt 27 Unterrichtsstunden Mehrarbeit. Ihren Antrag, ihr für diese 27 Unterrichtsstunden statt der gesetzlich vorgesehenen Mehrarbeitsvergütung nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung die höhere zeitanteilige Besoldung im Verhältnis von X : 26,5 zu gewähren, lehnte der Beklagte ab.
Die Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Das Gericht hat ausgeführt: Ein Anspruch der Klägerin auf Mehrarbeitsvergütung in Höhe der anteiligen Besoldung entsprechend ihrer Besoldungsgruppe A 13 BBesO ergebe sich unmittelbar aus Art. 141 Abs. 1 EG i.V.m. Art. 1 der Richtlinie 75/117 EG des Rates vom 10. Februar 1975. Knüpfe der Besoldungsgesetzgeber, wie bei Teilzeitbeschäftigten durch § 6 BBesG geschehen, die Besoldung abweichend vom Grundsatz der beamtenrechtlichen Alimentation an die Arbeitszeit, müsse die Mehrarbeit der Teilzeitbeschäftigten als weitere Arbeitszeit gewertet werden, sodass der Teilzeitbeschäftigte dafür den Betrag erhalten müsse, der bei einem Vollzeitbeschäftigten auf den entsprechenden Teil seiner regulären Arbeitszeit entfalle. Die demgegenüber geringere Vergütung der Mehrarbeit nach Maßgabe der Mehrarbeitsvergütungsverordnung sei eine mittelbare Diskriminierung der weiblichen Beschäftigten, denn von der Schlechterstellung seien ungleich mehr Frauen als Männer betroffen. Etwa 88 vom Hundert der Teilzeitbeschäftigten im Lehrerdienst des Beklagten seien im Frühjahr 2000 weiblichen Geschlechts gewesen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Sprungrevision des Beklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Er beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. Februar 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Sprungrevision des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Beklagten zu Recht verpflichtet, der Klägerin für die geleistete Mehrarbeit zusätzlich den Unterschiedsbetrag zwischen der Vergütung nach der Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte und der anteiligen Besoldung aus der Besoldungsgruppe A 13 BBesO zu zahlen.
1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf eine Vergütung für die Dienstleistung, die sie in der Zeit zwischen dem 11. Januar und dem 23. Mai 2000 über ihr Teilzeitdeputat hinaus erbracht hat. Dieser Anspruch ergibt sich aus dem gemeinschaftsrechtlichen Verbot bei der Vergütung Männer und Frauen zu diskriminieren (Art. 141 Abs. 1 und Abs. 2 EG).
Nach der durch das Gesetz vom 22. Juli 1999 (GVBl BE S. 422) nicht entscheidungserheblich geänderten Vorschrift des § 35 Abs. 2 Landesbeamtengesetz (LBG BE) i.d. Neufassung vom 20. Februar 1979 (GVBl BE S. 368) ist der Beamte verpflichtet, ohne Vergütung über die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus Dienst zu tun, wenn zwingende dienstliche Verhältnisse dies erfordern und die Mehrarbeit sich auf Ausnahmefälle beschränkt. Wird er durch eine dienstlich angeordnete oder genehmigte Mehrarbeit mehr als fünf Stunden im Monat über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus beansprucht, so ist ihm innerhalb von drei Monaten hierfür entsprechende Dienstbefreiung zu gewähren. Ist die Dienstbefreiung aus zwingenden dienstlichen Gründen nicht möglich, können an ihrer Stelle Beamte in Besoldungsgruppen mit aufsteigenden Gehältern für einen Zeitraum bis zu 480 Stunden im Jahr eine Vergütung erhalten, § 35 Abs. 2 Satz 3 LBG BE. Wegen der Vergütung verweist die zuletzt genannte Vorschrift auf § 48 BBesG. Diese Bestimmung ermächtigt die Bundesregierung, durch Rechtsverordnung die Gewährung der Mehrarbeitsvergütung für Beamte zu regeln, soweit die Mehrarbeit nicht durch Dienstbefreiung ausgeglichen wird. Diese Regelung ist durch die Verordnung über die Gewährung von Mehrarbeitsvergütung für Beamte (MVergV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 3. Dezember 1998 (BGBl I S. 3494) getroffen worden. In § 4 MVergV ist pro Stunde Mehrarbeit eine nach der Besoldungsgruppe des Mehrarbeit Leistenden gestaffelte Vergütung festgesetzt. § 5 Abs. 2 Nr. 1 MVergV bestimmt, dass bei Mehrarbeit im Schuldienst drei Unterrichtsstunden als fünf volle (Zeit)Stunden gelten.
Alle gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf Mehrarbeitsvergütung sind erfüllt.
Die Klägerin gehört als Beamtin mit Dienstbezügen nach der Besoldungsgruppe A 13 BBesO, die als Lehrerin im Schuldienst tätig ist, zum Kreis der Beamten, denen nach § 2 MVergV eine Mehrarbeitsvergütung gewährt werden kann. Die Mehrarbeit der Klägerin ist vom zuständigen Schulrat genehmigt worden. Die zusätzlichen Unterrichtsstunden, in Mehrarbeitsstunden umgerechnet, übersteigen in jedem Kalendermonat zwischen Januar und Mai 2000 die Zahl der Mehrarbeitsstunden, die ohne Vergütung geleistet werden müssen. Die Klägerin hat in jedem Kalendermonat umgerechnet auf Zeitstunden nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung zwischen knapp sieben und zehn Stunden Mehrarbeit geleistet. Das ist deutlich mehr, als sie nach § 35 Abs. 2 Satz 2 LBG BE in der bei Teilzeitbeschäftigung gebotenen Auslegung (vgl. EuGH, Urteil vom 27. Mai 2004 Rs C-285/02 Slg. 2004, I 5861 = NVwZ 2004, 1103) vergütungsfrei zu leisten hat. Freizeitausgleich konnte ihr nicht gewährt werden.
2. Die Vergütung in Höhe von insgesamt 1 075,14 DM, die der Klägerin nach den Vorschriften der Mehrarbeitsvergütungsverordnung zusteht, ist geringer als der Teilbetrag der Dienstbezüge, der bei einem vollzeitbeschäftigten Lehrer auf eine entsprechende Zahl der im Rahmen seines Vollzeitdeputats geleisteten Arbeitsstunden entfiel. Dieser Betrag belief sich im Frühjahr 2000 auf 1 616,15 DM. Dies bedeutet, dass das Arbeitspensum, das die Klägerin zwischen Januar und Mai 2000 insgesamt und während dieser Zeit in jedem einzelnen Kalendermonat erbracht hat, aufgrund der Aufspaltung ihrer Rechtsposition in den Anspruch auf Teilzeitbesoldung nach § 6 Abs. 1 BBesG und in den Anspruch auf Mehrarbeitsvergütung nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung schlechter entgolten worden ist als das gleichgroße Arbeitspensum eines vollzeitbeschäftigten Lehrers, bei dem die der Klägerin als Mehrarbeit vergüteten Unterrichtsstunden Teil seines Vollzeitdeputats waren.
Die niedrigere Vergütung der Dienststunden, die teilzeitbeschäftigte Lehrer als Mehrarbeitsstunden leisten, im Vergleich zu der anteiligen Besoldung, die vollzeitbeschäftigte Lehrer für die gleiche Zeit von Dienststunden innerhalb ihrer regulären Arbeitszeit erhalten, ist eine nach Gemeinschaftsrecht unzulässige mittelbare Diskriminierung der weiblichen Lehrer.
Art. 141 Abs. 2 Satz 2 EG gebietet, dass die Mehrarbeitsstunde, die ein Teilzeitbeschäftigter bis zur geltenden Grenze der Vollzeitbeschäftigung leistet, nicht schlechter vergütet werden darf als der gleichlange Dienst, den ein Vollzeitbeschäftigter im Rahmen seiner regulären Arbeitszeit leistet.
Nach der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 6. Dezember 2007 Rs. C-300/06 (ABl EU 2008, Nr. C 22, 9 = IÖD 2008, 2), den der erkennende Senat im Wege der Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EG angerufen hat, steht Art. 141 EG einer nationalen Regelung wie hier der Regelung des § 4 MVergV entgegen, wenn von allen Beschäftigten, für die diese Regelung gilt, ein erheblich höherer Prozentsatz weiblicher als männlicher Beschäftigter betroffen ist und die Ungleichbehandlung nicht durch Faktoren sachlich gerechtfertigt ist, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
Die Mehrarbeitsvergütung der Teilzeitbeschäftigten nach der Mehrarbeitsvergütungsverordnung ist, ebenso wie die Besoldung, die der vollzeitbeschäftigte Beamte erhält, Entgelt im Sinne des Art. 141 EG (EuGH, Urteil vom 27. Mai 2004 a.a.O. Rn. 14 m.w.N.).
Eine Ungleichbehandlung liegt immer dann vor, wenn bei gleicher Arbeit und gleicher Anzahl Stunden, die aufgrund eines Arbeitsverhältnisses geleistet werden, die Vollzeitbeschäftigten gezahlte Vergütung höher ist als die Teilzeitbeschäftigten gezahlte (EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 a.a.O. Rn. 29). Sie liegt insbesondere dann vor, wenn ein teilzeitbeschäftigter Lehrer, der über seine individuelle Arbeitszeit hinaus Mehrarbeit leistet, für diese Arbeit weniger Vergütung erhält als ein vollzeitbeschäftigter Lehrer für dieselbe Arbeitszeit. Die Ungleichbehandlung endet erst dann, wenn der teilzeitbeschäftigte Lehrer soviel Mehrarbeit leistet, dass deren Umfang auch die reguläre Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Lehrers überschreitet; die über diesen Arbeitszeitrahmen hinausgehende Mehrarbeit wird sowohl bei den teilzeitbeschäftigten als auch bei den vollzeitbeschäftigten Lehrern nach denselben geringeren Mehrarbeitsvergütungssätzen vergütet (vgl. EuGH, Urteil vom 6. Dezember 2007 a.a.O. Rn. 31-37, m.w.N.).
Die Arbeitszeit der Klägerin liegt auch unter Einschluss ihrer Mehrarbeit unterhalb der regulären Arbeitszeit eines vollzeitbeschäftigten Lehrers. Ihre Arbeitszeit war auf 23 Unterrichtsstunden pro Woche festgesetzt worden, während vollzeitbeschäftigte Lehrer 26,5 Unterrichtsstunden zu leisten hatten. Selbst in den Monaten, in denen sie sechs Unterrichtsstunden Mehrarbeit leisten musste (was einer durchschnittlichen wöchentlichen Mehrarbeit von 1,5 Stunden entsprach), blieb die Klägerin daher noch in dem Zeitrahmen der für vollzeitbeschäftigte Lehrer geltenden Arbeitszeit und erreichte nicht den Zeitraum, der auch für vollzeitbeschäftigte Lehrer geringer zu vergütende Mehrarbeit dargestellt hätte. Hieraus ergibt sich, dass sie für ihre Überstunden nicht schlechter bezahlt werden durfte als vollzeitbeschäftigte Lehrer.
Die einschränkenden Voraussetzungen, an die der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften diese Auslegung des Art. 141 EG knüpft, sind erfüllt. Nach den mit zulässigen Rügen nicht angegriffenen und daher für den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts waren von der Schlechterstellung bei der Bezahlung der Unterrichtsstunden, die über das Maß der jeweils gewählten Teilzeitbeschäftigung hinaus geleistet worden sind, erheblich mehr Frauen als Männer betroffen. Von den Lehrern, die in Berlin Dienst als Teilzeitbeschäftigte leisten, waren im Frühjahr 2000 etwa 88 vom Hundert Frauen. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass die niedrigere Vergütung der Mehrarbeitsstunden auf Faktoren beruht, die objektiv gerechtfertigt sind und nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Albers, Prof. Dr. Kugele, Groepper, Dr. Heitz Thomsen
Fundstellen
Haufe-Index 2048967 |
ZBR 2008, 320 |
ZTR 2008, 407 |
RiA 2008, 264 |
VR 2008, 323 |
BayVBl. 2008, 607 |
DVBl. 2008, 870 |