Entscheidungsstichwort (Thema)
Haushaltssicherungskonzept. zwingende dienstliche Gründe. Wiederberufung eines Ruhestandsbeamten. Organisationsermessen
Leitsatz (amtlich)
Die mit der Wiederberufung eines Ruhestandsbeamten in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit regelmäßig verbundenen finanziellen und personalorganisatorischen Auswirkungen sind regelmäßig keine entgegenstehenden zwingenden dienstlichen Gründe, die eine Versagung der Wiederberufung durch den Dienstherrn rechtfertigen könnten.
Normenkette
GG Art. 33 Abs. 5; LBG NW § 48 Abs. 3 S. 1; GO NW § 76 Abs. 2
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 10.11.2006; Aktenzeichen 1 A 777/05) |
VG Düsseldorf (Entscheidung vom 14.01.2005; Aktenzeichen 26 K 7655/03) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. November 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Der 1950 geborene Kläger stand als Beamter im Amt eines Stadtamtsrats (A 12 BBesO) im Dienste der Beklagten, einer kreisangehörigen Stadt mit etwa 62 000 Einwohnern. Er wurde im April 2001 nach einer amtsärztlichen Untersuchung wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzt. In seinem Gutachten empfahl der Amtsarzt eine Nachuntersuchung in eineinhalb Jahren. 2003 wurde im Rahmen der amtsärztlichen Nachuntersuchung festgestellt, dass der Kläger wieder dienstfähig ist.
Der Rat der Beklagten beschloss gemäß § 75 Abs. 4 der Gemeindeordnung Nordrhein-Westfalen – GO NW – im April 2003 für den Zeitraum bis 2009 ein Haushaltssicherungskonzept, in dem – unter anderem – eine Wiederbesetzungssperre von einem Jahr und für zwingende Ausnahmen ein Beschluss des Verwaltungsvorstandes vorgesehen ist.
Den Antrag des Klägers auf erneute Berufung in das Beamtenverhältnis lehnte die Beklagte im August und Oktober 2003 ab. Es stehe weder eine entsprechende Planstelle zur Verfügung noch gebe es ein freies Aufgabengebiet dieser Wertigkeit. Zudem sei wegen der angespannten Haushaltssituation eine einjährige Einstellungssperre verhängt worden; ein weiterer Stellenabbau sei notwendig. Somit stünden der Wiederberufung des Klägers in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit zwingende dienstliche Gründe entgegen.
Die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts hatte Erfolg: Zwingende dienstliche Gründe stünden dem Antrag auf erneute Berufung in das Beamtenverhältnis nicht entgegen. Der Begriff der zwingenden dienstlichen Gründe sei eng auszulegen. Nur solche Gründe könnten als zwingend anerkannt werden, die für die Beklagte aus rechtlichen oder tatsächlichen Vorgaben bindend seien. Sei der Sachzwang hingegen dem Grunde nach steuerbar, müsse das Reaktivierungsverlangen regelmäßig Vorrang haben. Die Befolgung der Grundsätze einer sparsamen Haushaltsführung gehöre zu den steuerbaren Umständen. Im Übrigen habe sich die Stellensituation geändert. Anders als zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung weise der Stellenplan nun zwei unbesetzte Planstellen der Besoldungsgruppe A 12 aus. Die Auffassung, die mit einer erneuten Ernennung verbundene personelle Umstrukturierung im Bereich der Verwaltung könne einem Dienstherrn generell nicht abverlangt werden, sei mit dem auf Art. 33 Abs. 5 GG zu stützenden Anspruch des Beamten auf Reaktivierung unvereinbar. Im Übrigen habe die Beklagte weder substantiiert geltend gemacht noch sei plausibel, dass eine amtsangemessene Beschäftigung des Klägers mangels entsprechenden Aufgabenbereichs unmöglich sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten. Sie rügt, die Auslegung des § 48 Abs. 3 Satz 1 LBG durch das Oberverwaltungsgericht verkenne die Bedeutung ihres Organisationsermessens und beantragt,
das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 10. November 2006 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 14. Januar 2005 zurückzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er teilt die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist unbegründet. Der Wiederberufung des Klägers in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit stehen keine zwingenden dienstlichen Gründe entgegen.
1. § 48 Abs. 3 Satz 1 des Landesbeamtengesetzes Nordrhein-Westfalen – LBG NW – verleiht dem wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand versetzten Beamten einen Anspruch auf erneute Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit, wenn er wieder dienstfähig ist, fristgerecht einen Antrag auf Wiederberufung in das Beamtenverhältnis stellt und zwingende dienstliche Gründe nicht entgegenstehen. Anders als vom Berufungsgericht angenommen, gehört dieser Anspruch allerdings nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG, weil die beamtenrechtlichen Reaktivierungsregelungen erst nach der Gründung der Bundesrepublik eingeführt worden sind (vgl. Sten. BT-Protokolle, 185. Sitzung vom 16. Januar 1952, S. 7843; Plog/Wiedow/Lemhöfer/Bayer, Kommentar, BBG, Stand: August 2007, § 45 BBG Rn. 1). Somit liegt kein längerer, traditionsbildender Zeitraum vor, der mindestens die Zeit der Weimarer Reichsverfassung umfasst und dem Anspruch verfassungsrechtliches Gewicht verleihen könnte (vgl. BVerfG, Urteil vom 27. September 2005 – 2 BvR 1387/02 – BVerfGE 114, 258 ≪281 f.≫). Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 3 LBG NW sind erfüllt. Nach den das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ist der Kläger wieder dienstfähig und hat den Antrag auf erneute Berufung in das Beamtenverhältnis vor Ablauf von fünf Jahren seit Beginn des Ruhestands und mehr als zwei Jahre vor Erreichen der Altersgrenze gestellt. Das Berufungsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass einer Wiederberufung des Klägers in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit keine zwingenden dienstlichen Gründe entgegenstehen.
2. Wie der Senat in seinen Urteilen vom 29. April 2004 – BVerwG 2 C 21.03 – (BVerwGE 120, 382 ≪383 ff.≫) und vom 30. März 2006 – BVerwG 2 C 23.05 – (Buchholz 236.2 § 76c DRiG Nr. 1) dargelegt hat, erschließt sich der Bedeutungsgehalt unbestimmter Rechtsbegriffe wie etwa “dienstlicher Belang”, “öffentliches Interesse” oder “dienstlicher Grund” aus der Zweckbestimmung und Zielsetzung der jeweiligen gesetzlichen Regelung sowie aus dem systematischen Zusammenhang, in den der Begriff hineingestellt ist. Auch wenn dabei die organisatorischen und personalwirtschaftlichen Entscheidungen, die der Dienstherr in Ausübung des ihm zustehenden Organisationsrechts getroffen hat, regelmäßig zu Grunde zu legen sind, handelt es sich um Rechtsbegriffe, die gleichwohl der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Zu den dienstlichen Belangen zählt dabei das engere öffentliche, d.h. das dienstliche Interesse an der sachgemäßen und reibungslosen Aufgabenerfüllung der Verwaltung. Verlangt die maßgebliche Regelung als Versagungsgrund das Vorliegen dienstlicher Gründe dringenden Charakters, vermögen die mit einer Bewilligung der vom Beamten begehrten Maßnahme regelmäßig und generell verbundenen Auswirkungen grundsätzlich keine Versagung zu rechtfertigen. Dies gilt in verstärktem Maße dann, wenn dem Anspruch nur “zwingende” öffentliche Gründe entgegengehalten werden können. Dienstliche Gründe dieser Prioritätsstufe müssen von solchem Gewicht sein, dass die Ablehnung der vom Beamten begehrten Maßnahme unerlässlich ist, um die sachgerechte Wahrnehmung der dienstlichen Aufgaben sicherzustellen; es müssen mit großer Wahrscheinlichkeit schwerwiegende Beeinträchtigungen der Funktionsfähigkeit drohen.
3. Diese Grundsätze gelten auch bei der Auslegung des Rechtsbegriffs “zwingende dienstliche Gründe” i.S.d. § 48 Abs. 3 Satz 1 LBG NW. Dies gilt umso mehr, als die Entscheidung über die Reaktivierung den Status des Ruhestandsbeamten betrifft und damit seine Rechtsstellung in fundamentaler Weise berührt. Die Versetzung in den Ruhestand lockert zwar das rechtliche Band zwischen Dienstherrn und Beamten; es zerschneidet dieses Band jedoch nicht vollständig, wie die zahlreichen beamtenrechtlichen Vorschriften belegen, die sich an den Ruhestandsbeamten richten (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 14. September 2004 – 4 S 1438/03 – ZBR 2005, 136 ≪138≫; Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, 6. Aufl. 2007, S. 591; Battis, Bundesbeamtengesetz, Kommentar, 3. Aufl. 2004, § 6 Rn. 18). Der Ruhestandsbeamte tritt dem Dienstherrn nicht wie ein neuer Einstellungsbewerber entgegen, der dessen Auswahlermessen unterliegt. Der Ruhestandsbeamte ist bei Wiedererlangung der Dienstfähigkeit auf Verlangen des Dienstherrn erneut zur Dienstleistung verpflichtet (§ 48 Abs. 1 LBG NW); weigert er sich, begeht er ein Dienstvergehen (§ 83 Abs. 2 Nr. 4 LBG NW). Zudem können auch andere Verhaltensweisen des Ruhestandsbeamten weiterhin disziplinarisch geahndet werden (§ 83 Abs. 2 LBG NW) und zur Aberkennung oder Kürzung von Versorgungsbezügen führen, die an ihn gerade in Erfüllung der verfassungsrechtlich gebotenen Alimentationspflicht gezahlt werden (BVerfG, Beschluss vom 20. März 2007 – 2 BvL 11/04 – BVerfGE 117, 372 ≪389≫; BVerwG, Urteil vom 19. Februar 2004 – BVerwG 2 C 20.03 – BVerwGE 120, 154 ≪159≫). Mit diesem Pflichtenkanon korrespondiert eine Fürsorgepflicht des Dienstherrn, die – wenn auch abgeschwächt – über die Zeit des aktiven Beamtenverhältnisses fortwirkt (§ 85 Satz 1 LBG NW). Die Auslegung des § 48 Abs. 3 LBG NW hat diesen Zusammenhang zu beachten.
4. Gemessen an diesen Grundsätzen stehen der Wiederberufung des Klägers in das Beamtenverhältnis keine zwingenden dienstlichen Gründe entgegen. Das Bemühen der Beklagten, durch eine Einstellungssperre die Personalkosten zu reduzieren und dadurch ihren Haushalt zu entlasten, um künftig wieder zur Erfüllung ihrer Aufgaben dauerhaft in der Lage zu sein (§ 76 Abs. 2 GO NW), stellt zwar einen dienstlichen Grund dar; er ist jedoch nicht zwingend. Dem Antrag auf Wiederberufung eines Beamten können grundsätzlich nicht solche Gründe entgegengehalten werden, die mit der Wiederberufung typischerweise verbunden sind. Zu diesen zählen die Erhöhung der durch die Wiederberufung verursachten Personalkosten und die dadurch bedingten Erfordernisse einer personalwirtschaftlichen Anpassung. Das Organisationsermessen betrifft die Frage, in welcher Weise diesen Erfordernissen Rechnung getragen wird; der Wiederberufung des Beamten kann es grundsätzlich nicht entgegengehalten werden. Ihnen gleichwohl das Gewicht eines entgegenstehenden zwingenden Grundes beizumessen, widerspräche zudem der Entscheidung des Landesgesetzgebers, in Ausschöpfung des § 29 Abs. 1 Satz 2 BRRG Fristen zu bestimmen, innerhalb derer der Beamte den Antrag auf erneute Berufung in das Beamtenverhältnis stellen muss und jenseits derer ihm dann kein Anspruch auf eine auch nur ermessensfehlerfreie Entscheidung zusteht (vgl. Urteile vom 26. Oktober 2000 – BVerwG 2 C 38.99 – Buchholz 237.7 § 48 NWLBG Nr. 1 S. 1 ff. und vom 4. November 1976 – BVerwG 2 C 40.74 – BVerwGE 51, 264 ≪267 f.≫). Der Gesetzgeber selbst hat damit das Interesse des Beamten an einer erneuten Berufung – einerseits – und das Interesse des Dienstherrn nach Personalplanungs-sowie Personalkostensicherheit – andererseits – bereits weitgehend in einer Weise austariert, die der Verwaltung nur noch für den seltenen Fall Raum belässt, dass gleichwohl mit großer Wahrscheinlichkeit schwerwiegende, vernünftigerweise nicht hinnehmbare Beeinträchtigungen des Dienstbetriebs zu besorgen sind. Das bedeutet für den Dienstherrn, dass er für den Fall eines Antrags auf Wiederberufung “Vorsorge” trifft, z.B. durch Ausweisen einer Leerstelle. Hat er dies versäumt, kann er auch zur Einrichtung einer entsprechenden Planstelle verpflichtet sein.
Dass bei einer Wiederberufung des Klägers derart schwerwiegende Beeinträchtigungen des Dienstbetriebs drohen, ist angesichts der Größe der Beklagten nicht ansatzweise erkennbar. Ihr Stellenplan wies im Jahre 2004 209 Beamtenplanstellen aus, wobei 21 der Bundesbesoldungsgruppe A 12 angehörten. Selbst wenn ausgeblendet bleibt, dass jedenfalls zum Zeitpunkt der Berufungsentscheidung eine entsprechende Planstelle vorhanden war, würde die Aufstockung des Stellenplans um eine weitere Stelle der Bundesbesoldungsgruppe A 12 für die Beklagte finanziell nicht erheblich ins Gewicht fallen, zumal die nach der Stellenobergrenzenverordnung maßgebliche Höchstzahl noch immer unterschritten bliebe. In revisionsrechtlich bindender Weise hat das Berufungsgericht zudem festgestellt, die Beklagte habe weder plausibel noch substantiiert vorgetragen, dass für den Kläger kein Aufgabengebiet mit der Wertigkeit der Bundesbesoldungsgruppe A 12 zur Verfügung stünde. Überdies ist auch hier angesichts der Größe der Beklagten nicht ersichtlich, dass für sie mit der Zuweisung eines – amtsangemessenen – Aufgabenbereichs an den Kläger unüberwindbare Probleme beim Neuzuschnitt anderer Dienstposten aufgeworfen würden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Herbert, Groepper, Dr. Heitz, Thomsen, Dr. Burmeister
Fundstellen
DRiZ 2009, 94 |
ZBR 2009, 93 |
DÖD 2009, 125 |
DÖV 2009, 171 |
PersV 2009, 137 |
VR 2009, 69 |
DVBl. 2008, 1521 |
FSt 2009, 572 |
NWVBl. 2009, 96 |