Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitnehmerüberlassung, Pflicht zur Beschäftigung Schwerbehinderter bei –. Verleiher als Arbeitgeber der Leiharbeitnehmer. – Schuldner der Ausgleichsabgabe nach dem Schwerbehindertengesetz. Ausgleichsabgabe nach dem Schwerbehindertengesetz, Verleiher von Leiharbeitnehmern als Schuldner der –. Arbeitgeber, Verleiher als – der Leiharbeitnehmer. Leiharbeitnehmer, Verleiher als Arbeitgeber der –. – als Beschäftigte des Verleihers. Schwerbehindertenbeschäftigungspflicht bei Arbeitnehmerüberlassung
Leitsatz (amtlich)
Die Verpflichtung zur Zahlung der Ausgleichsabgabe nach § 11 SchwbG F. 1986 trifft bei der Arbeitnehmerüberlassung den Verleiher als Vertragsarbeitgeber der Leiharbeitnehmer.
Normenkette
AÜG §§ 1, 3 Abs. 1, §§ 9, 10 Abs. 1, §§ 11, 13 (gültig bis zum 31. März 1997), § 14; BetrVerfG § 7 S. 2 Fassung 2001-07-23; EGVtr Art. 49; GG Art. 3 Abs. 1; SchwbG 1986 § 5 Abs. 1, § 7 Abs. 1, §§ 9, 11; SGB IV § 28e Abs. 1 S. 1, Abs. 2; SGB VII § 150 Abs. 1 S. 1, Abs. 3
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Entscheidung vom 13.03.2001; Aktenzeichen 12 B 98.1813) |
VG Ansbach (Entscheidung vom 07.05.1998; Aktenzeichen AN 26 K 98.151) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 13. März 2001 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
I.
Die klagende GmbH – eine Zeitarbeitsfirma – wendet sich dagegen, dass die zuständige Hauptfürsorgestelle des Beklagten sie für das Jahr 1996 in Höhe von 5 200 DM zu einer Ausgleichsabgabe nach § 11 SchwbG wegen Nichterfüllung der Beschäftigungspflicht nach § 5 SchwbG herangezogen hat (Bescheid vom 5. August 1997).
Die Klägerin, die gewerbsmäßig Dritten Leiharbeitnehmer zur Arbeitsleistung in deren Betrieb überlässt, hält nicht sich, sondern den Entleiher für beschäftigungspflichtig i.S. des § 5 SchwbG.
Widerspruch und Klage gegen den Bescheid vom 5. August 1997 hatten keinen Erfolg. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung zurückgewiesen und dies im Wesentlichen wie folgt begründet (AuA 2001, 230):
Die Leiharbeitnehmer seien auf Stellen der Klägerin beschäftigt. Denn das Arbeitsverhältnis bestehe nach § 1 Abs. 1 AÜG zwischen der Klägerin und den Leiharbeitnehmern, nicht hingegen zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer. Damit treffe sie und nicht den Entleiher die Beschäftigungspflicht nach § 5 SchwbG. Der Arbeitsplatz i.S.v. § 7 Abs. 1 SchwbG sei, entgegen der Auffassung der Klägerin, nicht funktional im Sinne der konkreten räumlich-örtlichen Arbeitsstätte zu verstehen.
Auch den weiteren Bedenken der Klägerin könne nicht Rechnung getragen werden. Die Beschäftigungspflicht nach dem Schwerbehindertengesetz sei eine öffentlich-rechtliche Beschäftigungspflicht, die auch die privaten Arbeitgeber in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise treffe. Die sich aus der Unterschreitung der Beschäftigungsquote ergebende Abgabepflicht sei verschuldensunabhängig. Es komme nicht darauf an, ob der Arbeitgeber Schwerbehinderte nicht beschäftigen wolle oder könne. Die Ausgleichsabgabe solle die Vorteile abschöpfen, die der Arbeitgeber gegenüber den Unternehmern erlange, die Schwerbehinderte beschäftigten. Auch § 21 Abs. 7 BErzGG zwinge nicht zu einer anderen Auslegung des Begriffs „Arbeitsplatz”. Die Regelung verfolge den Zweck, die organisatorische Belastung der Betriebe dadurch auszuräumen, dass der Abschluss befristeter Arbeitsverträge mit Ersatzkräften für die Zeit der Elternzeit und die Zeit des Beschäftigungsverbots der Mutter sowie für die notwendige Zeit der Einarbeitung zugelassen werde.
Ebenso wenig liege ein Verstoß gegen das Verbot der Behinderung des Dienstleistungsverkehrs nach Art. 59 EG-Vertrag a.F. vor, wenn nur in Deutschland und in den Niederlanden die gewerbsmäßige Überlassung von Leiharbeitnehmern einer Beschäftigungspflicht für Schwerbehinderte und damit einer Ausgleichsabgabe unterfalle. Denn darin liege keine Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit bzw. aufgrund des Sitzes einer Gesellschaft in einem Mitgliedstaat.
Mit ihrer gegen diesen Beschluss gerichteten Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Sie trägt vor:
Der Begriff „Arbeitsplatz” im Sinne des § 7 Abs. 1 SchwbG könne nicht rein arbeitsrechtlich ausgelegt werden. Der im Gesetz verwendete Begriff der „Stellen” verdeutliche auch, dass nicht die vertragliche Begründung eines Arbeitsplatzes, sondern der Ort der tatsächlichen Beschäftigung entscheidend sei. Dies belegten auch zahlreiche andere gesetzliche Regelungen wie z.B. § 7 Abs. 2 Nr. 7 SchwbG, § 21 Abs. 7 BErzGG und § 49 Abs. 1 SchwbG. § 14 Abs. 3 AÜG zeige, dass der Leiharbeitnehmer nicht beim Verleiher-, sondern beim Entleiherbetrieb eingegliedert sei. Das vom Gesetzgeber mit dem Schwerbehindertengesetz verfolgte Ziel der dauerhaften Eingliederung Schwerbehinderter in das Berufsleben lasse sich nur erreichen, wenn die Leiharbeitnehmer dem Entleiherbetrieb zugeordnet würden. Deshalb und aus praktischen Überlegungen sei der Begriff der „Stelle” i.S. des § 7 SchwbG örtlich-funktional zu verstehen. Nur so könnten Dauerarbeitsplätze für Schwerbehinderte geschaffen werden. Es sei auch systemkonform, den Leiharbeitnehmer dem Entleiherbetrieb zuzurechnen, da dieser und nicht der Verleiher insbesondere für die Sozialversicherungsbeiträge hafte. Die Ausgleichsabgabe nach dem SchwbG verstoße gegen die Art. 39, 49, 50 EGV, da nur in Deutschland eine entsprechende Abgabe verlangt werde, in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union hingegen nicht. Folge man der Auffassung des Berufungsgerichts, dann müsste eine nicht deutsche Entleiherfirma bei einem Einsatz eines Leiharbeitnehmers in Deutschland zur Ausgleichsabgabe im Ausland herangezogen werden.
Der Beklagte verteidigt den angefochtenen Beschluss.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht hält die Entscheidung des Berufungsgerichts für richtig, insbesondere für vereinbar mit dem Recht der Europäischen Gemeinschaft.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO), ist unbegründet, sodass sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das angegriffene Urteil verletzt Bundesrecht nicht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zu Recht hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass die Klägerin zur Entrichtung der Ausgleichsabgabe und der Säumniszuschläge nach § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Schwerbehindertengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl I S. 1421, ber. S. 1550) – SchwbG F. 1986 – (vgl. ab 1. Juli 2001 § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) verpflichtet ist, weil sie ihrer Pflicht nach § 5 Abs. 1 SchwbG F. 1986, Schwerbehinderte zu beschäftigen, nicht nachgekommen ist und die deshalb geschuldete Ausgleichsabgabe nicht bis zum 31. März 1998 entrichtet hat.
Nach § 5 Abs. 1 SchwbG F. 1986 haben private Arbeitgeber, die über mindestens 16 Arbeitsplätze i.S.v. § 7 Abs. 1 SchwbG F. 1986 verfügen, auf wenigstens 6 vom Hundert der Arbeitsplätze Schwerbehinderte zu beschäftigen. Die Klägerin überließ als gewerbsmäßiger Verleiher Dritten (Entleihern) im Jahre 1998 monatlich weit über 100 Arbeitnehmer zur Arbeitsleistung. Arbeitgeber derartiger Leiharbeitnehmer ist nach dem Willen des Gesetzgebers, der den Verleiher als „Arbeitgeber” und den Entleiher als „Dritten” bezeichnet (s. § 1 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zur Regelung der gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung ≪Arbeitnehmerüberlassungsgesetz – AÜG≫ i.d.F. der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995 ≪BGBl I S. 158≫), allein der Verleiher (vgl. BGHSt 31, 32 ≪35 f.≫). Er schließt den Arbeitsvertrag mit dem Leiharbeitnehmer; das Arbeitsverhältnis kommt nur zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher zustande (vgl. §§ 9, 11 AÜG). Ihn treffen die üblichen Arbeitgeberpflichten (wie etwa die Pflicht zur Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer, zur Zahlung des Lohns, des Gesamtsozialversicherungsbeitrags ≪§ 28 e Abs. 1 Satz 1 SGB IV≫ und des Beitrags zur gesetzlichen Unfallversicherung ≪§ 150 Abs. 1 Satz 1 SGB VII≫) sowie das Arbeitgeberrisiko (s. § 1 Abs. 2, § 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 AÜG). Die Arbeitnehmerüberlassung i.S. des § 1 Abs. 1 AÜG ist also durch das Fehlen einer arbeitsvertraglichen Beziehung zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher gekennzeichnet (vgl. BAGE 87, 186 ≪189≫; BAG, Urteil vom 25. Oktober 2000 – 7 AZR 487/99 – ≪NZA 2001, 259, 260≫). Nur für den Fall der Unwirksamkeit des Leiharbeitsverhältnisses wegen fehlender Erlaubnis (§ 9 Nr. 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 AÜG) fingiert § 10 Abs. 1 AÜG aus Gründen des Leiharbeitnehmerschutzes (vgl. die Amtl. Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks VI/2303 S. 13, sowie BGHSt 31, 32 ≪35≫ und BGH, Urteil vom 18. Juli 2000 – X ZR 62/98 – ≪NJW 2000, 3492, 3495≫) ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Entleiher und dem Leiharbeitnehmer (zu ähnlichen Ergebnissen führte die Vermutung des § 1 Abs. 2 AÜG i.V.m. dem bis zum 31. März 1997 geltenden § 13 AÜG bei Verstoß gegen das staatliche Arbeitsvermittlungsmonopol; vgl. BAGE 77, 52 ≪57≫; 87, 186 ≪193≫; 91, 200 ≪204 f.≫).
Allerdings führt die Arbeitnehmerüberlassung zu einer tatsächlichen Eingliederung des Leiharbeitnehmers in den Betrieb des Entleihers, der den Leiharbeitnehmer seinen Vorstellungen und Zielen gemäß innerhalb seiner Betriebsorganisation wie einen eigenen Arbeitnehmer zur Förderung seiner Betriebszwecke einsetzt und ihm gegenüber hinsichtlich der konkreten Arbeitsausführung weisungsbefugt ist (vgl. BAGE 61, 7 ≪21≫; 77, 52 ≪58≫; BAG, Urteile vom 6. August 1997 – 7 AZR 663/96 – ≪EzAÜG § 631 BGB Werkvertrag Nr. 39≫ und vom 28. Juni 2000 – 7 AZR 45/99 – ≪BB 2001, 98, 99≫). Dadurch kommt es bei einem Leiharbeitsverhältnis zu einer gewissen Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen zwischen dem Verleiher als dem Vertragsarbeitgeber und dem Entleiher als „faktischem Arbeitgeber” (vgl. BAGE 61, 7 ≪13≫; BAG, Beschluss vom 22. März 2000 – 7 ABR 34/98 – ≪NZA 2000, 1119, 1120≫). Dieser Besonderheit und dem daraus folgenden erhöhten Schutzbedürfnis des Leiharbeitnehmers trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, dass er den Entleiher als faktischen Arbeitgeber neben dem Vertragsarbeitgeber bezüglich der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften in die Pflicht nimmt (§ 11 Abs. 6 AÜG) und ihn als selbstschuldnerischen Bürgen für die Erfüllung der sozialversicherungsrechtlichen Beitragspflichten haften lässt (vgl. § 28 e Abs. 2 SGB IV, § 150 Abs. 3 SGB VII). Die schutzwürdigen Belange des Entleihers andererseits berücksichtigt das Gesetz dadurch, dass es ihn als Arbeitgeber i.S. des Gesetzes über Arbeitnehmererfindungen bestimmt, wenn der Leiharbeitnehmer während der Dauer seiner Tätigkeit bei dem Entleiher eine Erfindung oder einen technischen Verbesserungsvorschlag macht (§ 11 Abs. 7 AÜG). Mit Rücksicht auf die tatsächliche Eingliederung des Leiharbeitnehmers im Betrieb des Entleihers schließlich billigt § 14 Abs. 2 Satz 2 und 3 AÜG Leiharbeitnehmern einzelne betriebsverfassungsrechtliche Rechte im Entleiherbetrieb zu (vgl. BAGE 61,7 ≪13 f.≫).
All dies lässt aber die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers unberührt, dass das entscheidende Gewicht auf den arbeitsvertraglichen Grundlagen zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer liegt und deshalb der Verleiher Arbeitgeber des Leiharbeitnehmers ist. Deshalb bestimmt § 14 Abs. 1 AÜG, dass Leiharbeitnehmer auch während der Zeit ihrer Arbeitsleistung bei dem Entleiher Angehörige des entsendenden Betriebes des Verleihers bleiben, und versagte ihnen § 14 Abs. 2 Satz 1 AÜG das aktive wie das passive Wahlrecht zu den betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmervertretungen im Entleiherbetrieb. Letzteres hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 28. Juli 2001 zwar insoweit korrigiert, als er Leiharbeitnehmern im Entleiherbetrieb nunmehr das aktive Wahlrecht einräumt, wenn sie dort länger als drei Monate eingesetzt werden (§ 7 Satz 2 BetrVerfG und § 14 Abs. 2 Satz 1 AÜG i.d.F. des Art. 1 Nr. 7 und Art. 2 BetrVerf-Reformgesetz vom 23. Juli 2001 ≪BGBl I S. 1852≫). In der Begründung zu dieser Neuregelung ist aber ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass damit Leiharbeitnehmer lediglich „betriebsverfassungsrechtlich aus der Randbelegschaft an die Stammbelegschaft herangeführt werden” sollen, „ohne sie in rechtlich unzutreffender Weise als Arbeitnehmer des Entleiherbetriebes einzustufen” (Begründung zum Regierungsentwurf, BTDrucks 14/5741 S. 28).
Aus den oben genannten Gründen hat der erkennende Senat bereits in seinem nicht veröffentlichten Beschluss vom 1. Februar 1985 – BVerwG 5 B 155.83 – (Beschlussabdruck S. 3 f.) in Übereinstimmung mit der Berufungsentscheidung (OVG Münster, Urteil vom 27. September 1983 – OVG 8 A 2352/82 – ≪Urteilsabdruck S. 9 ff.≫) den Verleiher als Arbeitgeber im Sinne der gleich lautenden Vorgängervorschrift des § 5 Abs. 1 SchwbG F. 1986 (§ 4 Abs. 1 SchwbG i.d.F. der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1979 ≪BGBl I S. 1649≫) angesehen. Auch daran, was in diesem Beschluss zum zweiten Tatbestandsmerkmal des § 4 Abs. 1 SchwbG F. 1979 gesagt worden ist, hält der erkennende Senat zu § 5 Abs. 1 SchwbG F. 1986 fest: Leiharbeitnehmer sind auf Arbeitsplätzen untergebracht, über die der Verleiher verfügt. Im Einzelnen hat der Senat ausgeführt:
„Nach der Begriffsbestimmung in § 6 Abs. 1 SchwbG (F. 1979 = § 7 Abs. 1 F. 1986; vgl. jetzt § 73 Abs. 1 SGB IX) sind Arbeitsplätze im Sinne dieses Gesetzes ‚alle Stellen, auf denen Arbeiter, Angestellte, Beamte, Richter sowie Auszubildende und andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden’. Ausschlaggebend ist damit die Tatsache der Beschäftigung, nicht jedoch Art und Ort der Beschäftigung. Für die Frage, welchem Arbeitgeber der Arbeitsplatz zuzurechnen ist, ist allein das Arbeitsverhältnis von Bedeutung. Für die Arbeitnehmerüberlassung, die die Klägerin betreibt, ist nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts davon auszugehen, dass die Leiharbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis allein zur Klägerin stehen, nicht aber zu den Entleihern, in deren Betrieb sie ihre Arbeit verrichten. Für den Bereich des Schwerbehindertengesetzes ist der Leiharbeitnehmer daher auf einem Arbeitsplatz des Verleihers (hier der Klägerin) untergebracht. Über diesen Arbeitsplatz verfügt auch allein die Klägerin. Nur sie entscheidet darüber, ob und in welchem Umfang der Leiharbeitnehmer im Betrieb des Entleihers tätig wird. Dass der Leiharbeitnehmer im Rahmen seiner Tätigkeit möglicherweise Aufgaben wahrnimmt, die einem im Betrieb des Entleihers bereits eingerichteten Arbeitsplatz zugeordnet sind, ist für die hier zu entscheidende Frage ohne Bedeutung. Dieser Umstand ändert nichts daran, dass der Leiharbeitnehmer aufgrund seines Arbeitsverhältnisses mit dem Verleiher nur in dessen Weisungsbereich tätig wird.”
Das Bundessozialgericht und das Schrifttum haben sich dem angeschlossen (vgl. BSGE 74, 176 ≪181≫; Cramer, SchwbG, 5. Auflage 1998, § 7 Rn. 10; Thieler, SchwbG 1987, § 7 Rn. 8; Neumann/Pahlen, SchwbG, 9. Aufl. 1999, § 7 Rn. 23; Weber, SchwbG ≪Stand 77. Erg.Lfg. Mai 2000≫, § 7 Anm. 2 und § 11 Anm. 2; Gröninger/Thomas, SchwbG ≪Stand 25. Erg.Lfg. März 2001≫, § 7 Rn. 4; Großmann, in: GK-SchwbG, 2. Aufl. 2000, § 7 Rn. 53 f.; Wiegand, SchwbG ≪Stand 19. Lfg. Januar 2001, § 7 Rn. 9; Dörner, SchwbG, ≪Stand 15. Mai 2001≫, § 7 Rn. 11). Die von der Klägerin erhobenen Einwände, soweit sie nicht bereits eingangs widerlegt worden sind, rechtfertigen keine andere Beurteilung der Rechtsfrage.
Dass das Ziel des Schwerbehindertengesetzes, Schwerbehinderte dauerhaft in das Arbeits- und Berufsleben einzugliedern, nur erreicht werden könnte, wenn der Begriff des Arbeitsplatzes i.S. des § 7 Abs. 1 SchwbG F. 1986 räumlich-funktional als der Ort der tatsächlichen Verrichtung der Arbeitsleistung ausgelegt würde, trifft nicht zu. Würde der Einsatz von Leiharbeitnehmern nach § 9 SchwbG F. 1986 beim Entleiherbetrieb angerechnet und dort zu einer Ausgleichsabgabepflicht nach § 11 Abs. 1 SchwbG F. 1986 führen, würde beim Verleiherbetrieb jeglicher Anreiz zur Einstellung von schwer behinderten Leiharbeitnehmern entfallen, obwohl dort die Entscheidung über die Einstellung eines Leiharbeitnehmers fällt und dort rechtlich der Dauerarbeitsplatz geschaffen wird. Ob der Ansicht von Großmann (in: GK-SchwbG, § 7 Rn. 55), der Aufspaltung der Arbeitgeberfunktionen auf mehrere Betriebe sei durch eine (Mehrfach-)Anrechnung schwer behinderter Leiharbeitnehmer bei beiden Betrieben Rechnung zu tragen, gefolgt werden kann, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Keinesfalls führt jedoch dieser Gesichtspunkt dazu, die Klägerin als Vertragsarbeitgeber des Leiharbeitnehmers von der Ausgleichsabgabepflicht des § 11 Abs. 1 SchwbG F. 1986 zu befreien.
Schließlich kann auch dem Einwand der Klägerin nicht gefolgt werden, die Schwerbehindertenausgleichsabgabe verstoße gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere die Dienstleistungsfreiheit nach Art. 49 EGV. Die Dienstleistungsfreiheit garantiert nicht die gleichen Bedingungen in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft. Sie schützt lediglich vor unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungen des Leistungserbringers aufgrund seiner Staatsangehörigkeit oder des Umstands, dass er in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ansässig ist, in dem die Dienstleistung erbracht wird (EuGH, Urteil vom 17. Dezember 1981 – 279/80 – ≪Sammlung der Rechtsprechung 1981 S. 3305≫). Nachdem der Anwendungsbereich des Schwerbehindertengesetzes – wie die Klägerin selbst einräumt – nach § 1 SchwbG F. 1986 auf Inlandssachverhalte beschränkt ist, bleiben Beschäftigungsverhältnisse, die nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes begründet wurden, außer Betracht und damit Leiharbeitgeber, die ihren Sitz im europäischen Ausland haben, ihre Leiharbeitnehmer aber im Inland verleihen, ausgleichsabgabefrei. Die von der Klägerin bekämpfte Auslegung der §§ 5, 7 und 9 SchwbG F. 1986 führt also allenfalls zu einer sog. Inländerdiskriminierung, die europarechtlich irrelevant ist. Auch ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht ersichtlich. Zum einen gilt die Beschäftigungspflicht für alle Arbeitgeber im Inland ohne Ansehung ihrer Nationalität. Zum anderen gewährleistet Art. 3 Abs. 1 GG keine Gleichbehandlung von deutschen und ausländischen Arbeitsverhältnissen. Insoweit fehlt es bereits an vergleichbaren Sachverhalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke
Fundstellen
ZfSH/SGB 2002, 343 |
FSt 2002, 720 |