Entscheidungsstichwort (Thema)
Fälligkeit eines Erschließungsbeitrags. Zahlungsverjährung. Festsetzungsverjährung. Zweitbescheid. Grundsatz der Einmaligkeit der Beitragspflicht. Eigentumsübergang nach Zustellung eines Beitragsbescheids. Rücknahme des Beitragsbescheids. Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit. Auslegung eines Verwaltungsakts
Leitsatz (amtlich)
Bundesrecht steht einer landesrechtlichen Regelung nicht entgegen, nach der die Zahlungsverjährung mit der Bekanntgabe des Erschließungsbeitragsbescheids ohne Rücksicht auf die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht beginnt.
Die Festlegung der Beitragspflicht auf den Eigentümer des Grundstücks im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheids nach § 134 Abs. 1 Satz 1 BauGB steht der Heranziehung eines späteren Eigentümers nicht entgegen, wenn der Beitragsbescheid rechtswidrig war und deswegen im Rechtsbehelfsverfahren rückwirkend aufgehoben worden ist.
Normenkette
BauGB § 134 Abs. 1, § 135 Abs. 1; BGB § 133
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 10.04.2000; Aktenzeichen 2 S 2019/99) |
VG Karlsruhe (Urteil vom 07.05.1998; Aktenzeichen 9 K 2771/96) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10. April 2000 wird aufgehoben, soweit der Verwaltungsgerichtshof der Berufung des Klägers zu 2 stattgegeben hat. Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Kläger wenden sich gegen ihre Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag für das mit einem Wohn- und Geschäftshaus mit Garage bebaute Grundstück Flst. Nr. 4674/12. Dieses Grundstück grenzt an einen Weg an, der von der beklagten Gemeinde in den Jahren 1976 und 1977 ausgebaut wurde.
Durch vorläufigen Bescheid über einen Erschließungsbeitrag vom 28. Dezember 1982 zog die Beklagte die Klägerin zu 1 als damalige Alleineigentümerin zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 3 219,29 DM heran. In dem Bescheid war ausgeführt, der Erschließungsbeitrag werde einen Monat nach Zustellung dieses Bescheids zur Zahlung fällig. Ein endgültiger Bescheid werde nach Abschluss des Grunderwerbs einschließlich der Eigentumsübertragung zum Ausbau des Wegs ergehen. Die Klägerin zu 1 erhob hiergegen mit Schreiben vom 17. Januar 1983 Widerspruch, über den in der Folgezeit nicht entschieden wurde. Zahlungen auf den vorläufigen Beitragsbescheid wurden nicht geleistet.
Nach Angaben der Kläger im Revisionsverfahren wurde das Eigentum an den in Rede stehenden Grundstücksflächen im Jahre 1984 in drei Miteigentumsanteile so geteilt, dass mit jedem Anteil das Sondereigentum an bestimmten Räumen in den auf diesen Flächen errichteten Gebäuden verbunden ist. Davon wurde gleichzeitig ein Anteil von 343/1000, zu dem u.a. die Wohnung im Obergeschoss gehörte, zur Hälfte, ein weiterer Anteil von 269/1000, zu dem u.a. die gewerblich genutzten Räume im Dachgeschoss gehörten, zur Gänze an den Kläger zu 2 übereignet.
Im Juli 1986 trat eine neue Satzung der Beklagten über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen in Kraft. Nachdem das Landratsamt der Beklagten im August 1989 nachträglich gemäß § 125 Abs. 2 Satz 1 BauGB a.F. die Zustimmung zum Ausbau des Wegs erteilt hatte, hob die Beklagte den vorläufigen Bescheid von 1982 mit Bescheid vom 27. Dezember 1990 auf und setzte mit einem weiteren Bescheid vom selben Tage den von den Klägern als Gesamtschuldnern für die Erschließungsanlage zu entrichtenden Erschließungsbeitrag auf 3 206,65 DM fest.
Die Kläger haben gegen diesen Bescheid nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Anfechtungsklage erhoben und zur Begründung ausgeführt, der Erschließungsbeitragsanspruch sei durch Zahlungsverjährung mit dem 31. Dezember 1988 erloschen. Dem stehe nicht entgegen, dass möglicherweise die sachliche Beitragspflicht für das Grundstück erst später entstanden sei. Die Beklagte hat demgegenüber geltend gemacht, der Beitrag habe frühestens im September 1989 zur Zahlung fällig werden können, da die Beitragsschuld vor Erteilung der Zustimmung des Landratsamts nicht habe entstehen können. Danach sei am 27. Dezember 1990 noch keine Zahlungsverjährung eingetreten gewesen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 7. Mai 1998 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, solange die sachliche Erschließungsbeitragspflicht noch nicht entstanden sei, könne sich die Frage der Verjährung nicht stellen. Die sachliche Beitragspflicht sei erst mit dem Zugang der Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde im August 1989 entstanden. Erst einen Monat danach sei der Beitrag fällig geworden. Eine Zahlungsverjährung bezüglich des Bescheids von 1982 scheide damit aus.
Die Kläger haben hiergegen Berufung eingelegt und zusätzlich zu ihrem bisherigen Vorbringen ausgeführt, die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde nach § 125 Abs. 2 BauGB a.F. sei entbehrlich gewesen. Der Verlauf der Erschließungsanlage und ihre Ausgestaltung hätten aufgrund der gegebenen Umstände derart festgelegen, dass auch ein Bebauungsplan daran nichts hätte ändern können.
Mit Urteil vom 10. April 2000 hat der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Das Recht zur Festsetzung des Erschließungsbeitrags sei bei Erlass des angefochtenen Erschließungsbeitragsbescheids vom Dezember 1990 noch nicht verjährt gewesen. Vor In-Kraft-Treten der neuen Erschließungsbeitragssatzung im Juli 1986 habe die Festsetzungsverjährungsfrist noch nicht beginnen können, da die bis dahin geltende Erschließungsbeitragssatzung keine wirksame Verteilungsregelung enthalten habe. Ob die sachliche Erschließungsbeitragspflicht dann im Juli 1986 oder erst aufgrund der Zustimmung des Landratsamts im August 1989 entstanden sei, könne offen bleiben.
Der Anspruch der Beklagten aus dem Erschließungsbeitragsschuldverhältnis sei jedoch durch Zahlungsverjährung aufgrund des Beitragsbescheids vom Dezember 1982 erloschen. Dieser Beitragsbescheid sei konstitutiver Rechtsgrund für die Verwirklichung des Anspruchs aus dem Beitragsschuldverhältnis, soweit er abweichend von der materiellen Rechtslage einen Beitrag festsetze. Seine Wirksamkeit und Vollziehbarkeit seien unabhängig davon, ob ihm eine nach materiellem Recht entstandene Erschließungsbeitragsforderung zugrunde liege. Deshalb hätte der festgesetzte Beitrag zum angegebenen Fälligkeitstermin bezahlt werden müssen. Die Zahlungsverjährung knüpfe ausschließlich an diese Fälligkeit an. Auch die Aufhebung des Bescheids von 1982 durch den Aufhebungsbescheid vom 27. Dezember 1990 stehe dem Erlöschen der Beitragsforderung durch Zahlungsverjährung nicht entgegen. Denn die Aufhebung sei erst nach Eintritt der Zahlungsverjährung und zudem nur mit Wirkung ex nunc erfolgt.
Mit ihrer vom Bundesverwaltungsgericht zugelassenen Revision macht die Beklagte geltend, das Urteil sei mit § 133 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 132 BauGB nicht vereinbar. Danach sei dem Landesgesetzgeber eine Regelung verwehrt, wie sie der Verwaltungsgerichtshof den im konkreten Fall einschlägigen Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes i.V.m. der Abgabenordnung entnehme, dass die Verjährung allein aufgrund des Erlasses eines Beitragsbescheids unabhängig vom sachlichen Entstehen der Beitragspflicht möglich sein solle. Das Bundesverwaltungsgericht habe zwar anerkannt, dass sich die Frage, ob eine Erschließungsbeitragsforderung verjährt sei, nach Landesrecht richte. Zugleich habe es aber ausgesprochen, dass das Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht bundesrechtlich Voraussetzung für den Beginn einer landesrechtlich bestimmten Verjährungsfrist sei. Dabei habe das Bundesverwaltungsgericht auch nicht zwischen der Festsetzungs- und der Zahlungsverjährung unterschieden.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 10. April 2000 die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 7. Mai 1998 zurückzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Sie erwidern, § 135 Abs. 1 BauGB regele die Fälligkeit des Erschließungsbeitragsanspruchs unabhängig vom Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht. Hieran habe der Landesgesetzgeber Verjährungsfristen in rechtlich zulässiger Weise angeknüpft. Damit könne ein nach § 135 Abs. 1 BauGB fällig gewordener Anspruch (zahlungs-)verjähren, auch wenn die sachliche Beitragspflicht noch nicht entstanden sein sollte.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision hat nur teilweise Erfolg. Soweit das angefochtene Urteil der Berufung der Klägerin zu 1 stattgegeben und ihrem Klagebegehren entsprochen hat, ist es revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden (1.). Soweit es auch der Berufung des Klägers zu 2 stattgegeben hat, beruht es dagegen auf der Verletzung von Bundesrecht; insoweit ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen, da es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen bedarf (2.).
1. a) Das angefochtene Urteil beruht tragend auf der vom Verwaltungsgerichtshof vertretenen Auffassung, dass die Fälligkeit des Erschließungsbeitrags, an die die landesrechtliche Regelung des § 3 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a des Kommunalabgabengesetzes – KAG – i.V.m. § 229 Abs. 1 Satz 1 der Abgabenordnung – AO – den Beginn der Zahlungsverjährung knüpft, gemäß § 135 Abs. 1 BauGB allein an den formalen Akt der Bekanntgabe des Beitragsbescheids anknüpfe, ohne dass es auf die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht ankomme. Dieser Auffassung steht das Bundesrecht nicht entgegen.
Wie das Bundesverwaltungsgericht in ständiger Rechtsprechung bestätigt hat, finden auf die Verjährung von Erschließungsbeiträgen die landesrechtlichen Vorschriften für Kommunalabgaben Anwendung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 1968 – BVerwG 4 B 128.68 – Buchholz 406.11 § 135 BBauG Nr. 1; Urteile vom 21. Januar 1977 – BVerwG 4 C 84-92.74 – Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 20 S. 25 und vom 26. Januar 1996 – BVerwG 8 C 14.94 – Buchholz 406.11 § 133 BauGB Nr. 125 S. 21). Das gilt auch, wenn der Landesgesetzgeber für die Regelung der Verjährung auf Bestimmungen der Abgabenordnung verwiesen hat. Diese Bestimmungen sind dann nicht als Bundesrecht, sondern als Landesrecht in den landesrechtlichen Bereich übernommen und deshalb irrevisibel (vgl. BVerwGE 39, 257 ≪259≫; Urteil vom 3. Juni 1977 – BVerwG 7 C 12.76 – Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 86 m.w.N.). Nach Landesrecht und nicht nach Bundesrecht bestimmt sich deshalb auch, welches Ereignis die Verjährungsfrist in Lauf setzt (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1977 a.a.O.).
Zwar ist das Bundesverwaltungsgericht in Fällen, in denen eine Festsetzungsverjährung in Betracht kam, ohne nähere Begründung davon ausgegangen, dass die Verjährungsfrist nicht vor der Entstehung der Beitragspflicht beginnen konnte (Urteile vom 13. Dezember 1974 – BVerwG 4 C 26.73 – Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 50 S. 52 und vom 21. Januar 1977 a.a.O.). Dies deutet jedoch nicht zwangsläufig auf die Annahme eines entsprechenden bundesrechtlichen Rechtssatzes. Denn die einschlägigen landesrechtlichen Bestimmungen lassen die Festsetzungsverjährung regelmäßig mit Ablauf des Jahres beginnen, in dem die sachliche Beitragspflicht entstanden ist (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c KAG BW, § 12 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b KAG NW, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b BayKAG, jeweils i.V.m. § 170 Abs. 1 AO). In einem späteren Fall dieser Art hat das Bundesverwaltungsgericht sich demgemäß auf die Aussage beschränkt, dass die Anwendung einer solchen Bestimmung aus bundesrechtlicher Sicht keinen Bedenken begegnete (Urteil vom 13. Dezember 1985 – BVerwG 8 C 66.84 – NVwZ 1986, S. 925 ≪927≫). Geprüft und ggf. beanstandet wurde in der Folgezeit jeweils nur, ob das jeweilige Tatsachengericht den nach den irrevisiblen landesrechtlichen Vorschriften maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB zutreffend erkannt hatte oder nicht (vgl. Urteile vom 10. Februar 1978 – BVerwG 4 C 4.75 – UA S. 10, vom 1. Oktober 1986 – BVerwG 8 C 68.85 – Buchholz 406.11 § 133 BBauG Nr. 98, vom 22. April 1994 – BVerwG 8 C 18.92 – Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 91 S. 3 f. und vom 26. Januar 1996 a.a.O.). Da es im vorliegenden Fall nicht um die Festsetzungsverjährung geht, kann indes offen bleiben, ob und ggf. mit welcher Begründung es auch von Bundesrechts wegen ausgeschlossen sein könnte, diese Verjährung zu einem früheren Zeitpunkt als dem Entstehen der sachlichen Beitragspflicht beginnen zu lassen.
Für die im vorliegenden Fall entscheidungserhebliche Frage der Zahlungsverjährung bestimmt das Landesrecht, wie der Verwaltungsgerichtshof bindend festgestellt hat, den Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist, als Beginn der Verjährungsfrist (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG i.V.m. § 229 Abs. 1 Satz 1 AO). Damit knüpft es für Erschließungsbeiträge an die bundesrechtliche Regelung des § 135 Abs. 1 BauGB an, wonach der Beitrag einen Monat nach der Bekanntgabe (bis 30. Juni 1986: nach der Zustellung) des Beitragsbescheids fällig wird. Im Hinblick auf diese besondere Regelung ist, wie der Verwaltungsgerichtshof ebenfalls bindend festgestellt hat, die auf die Entstehung des materiellrechtlichen Anspruchs abstellende subsidiäre Vorschrift des § 220 Abs. 2 Satz 1 AO nicht anwendbar.
Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der nachträglichen Heilung rechtswidriger Erschließungsbeitragsbescheide mehrfach ausgeführt, dass die Fälligkeit des Beitrags nicht nur – formell – die Bekanntgabe des Beitragsbescheids, sondern auch – materiell – die Beitragspflicht voraussetze. Entstehe die Beitragspflicht erst nach der Bekanntgabe des – bis dahin rechtswidrigen, nunmehr jedoch rechtmäßigen – Beitragsbescheids, sei § 135 Abs. 1 BauGB “sinnentsprechend dahin auszulegen”, dass der Beitrag erst einen Monat nach der Entstehung der Beitragspflicht fällig werde (BVerwGE 64, 218 ≪222≫; Urteile vom 18. September 1981 – BVerwG 8 C 26.81 – Buchholz 406.11 § 125 BBauG Nr. 15 S. 13 und vom 27. September 1982 – BVerwG 8 C 145.81 – Buchholz 406.11 § 130 BBauG Nr. 26 S. 4). Dieser Sichtweise, die das Bundesverwaltungsgericht nicht näher begründet hat, mag Bedeutung für etwaige Ansprüche aus einer Amtspflichtverletzung zukommen, wenn der durch verfrühte Fälligstellung und Zahlung bzw. Beitreibung entstandene Schaden durch Vergleich mit dem Ablauf zu errechnen ist, der bei rechtmäßigem Handeln der Behörde eingetreten wäre (vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 5. Aufl. 1999, § 24 Rn. 42). Sie kann jedoch auf Fälle der vorliegenden Art, in denen es um die Fälligkeit als Anknüpfungspunkt für die Zahlungsverjährung geht, nicht übertragen werden.
In Übereinstimmung mit dem Bundesrecht beruft sich der Verwaltungsgerichtshof für seine Auffassung, der Beginn der Zahlungsverjährung knüpfe allein an den formalen Akt der Bekanntgabe des Beitragsbescheids an, ohne dass es auf seine materielle Rechtmäßigkeit ankomme, in erster Linie auf die Systematik des einschlägigen Verwaltungsverfahrens- und -vollstreckungsrechts. Dieses gehe nämlich davon aus, dass – unbeschadet der Möglichkeit, die vorgesehenen Rechtsbehelfe einzulegen – durch den Beitragsbescheid der Abgabenanspruch verbindlich festgesetzt wird (§ 3 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG i.V.m. § 218 Abs. 1 AO) und damit im Wege sofortiger Vollziehung dieses Bescheids (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) auch verwirklicht werden kann. Das bedeutet, dass durch den Erlass eines wirksamen (vgl. § 124 AO) Beitragsbescheids eine rechtlich verbindliche Zahlungspflicht begründet und durchgesetzt werden kann, auch wenn noch keine sachliche Beitragspflicht entstanden war und ein Beitrag somit nach der materiellen Rechtslage noch nicht hätte erhoben werden dürfen (vgl. Driehaus, a.a.O., § 24 Rn. 42 f.). Aus der Sicht des Bundesrechts ist hiergegen nichts zu erinnern.
Überzeugend führt der Verwaltungsgerichtshof weiter aus, dass die Zugrundelegung eines formellen Fälligkeitsbegriffs auch nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung des Beitragsgläubigers führt. Treten die für ihn günstigen Rechtsfolgen der Fälligkeit aufgrund der sofortigen Vollziehbarkeit des Beitragsbescheids unabhängig von der materiellen Rechtslage mit dem im Bescheid genannten Fälligkeitstermin ein, so ist es nicht unbillig, auch den Beginn der Zahlungsverjährung als für ihn nachteilige Rechtsfolge der Fälligkeit an denselben Termin anknüpfen zu lassen. Außerdem weist der Verwaltungsgerichtshof zutreffend darauf hin, dass die Gemeinde der Zahlungsverjährung aufgrund eines vor Entstehung der sachlichen Beitragspflicht erlassenen Beitragsbescheids ohne weiteres dadurch entgehen kann, dass sie diesen Bescheid, wenn sie ihn noch nicht vollstrecken will, entweder rechtzeitig aufhebt oder verjährungsunterbrechende Maßnahmen nach § 231 Abs. 1 AO ergreift. Richtig ist auch die Überlegung des Verwaltungsgerichtshofs, dass der Beitragsschuldner bei einem rechtswidrigen, aber vollziehbaren (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO) Bescheid kein geringeres Interesse am Ablauf der Verjährung hat als im Fall eines rechtmäßigen Bescheids.
b) Mit dem Bundesrecht vereinbar ist auch die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass die aufgrund des Bescheids vom 28. Dezember 1982 Ende 1988 eingetretene Zahlungsverjährung trotz der Aufhebung dieses Bescheids durch den Aufhebungsbescheid der Beklagten vom 27. Dezember 1990 das Erlöschen der Erschließungsbeitragsforderung gegen die Klägerin zu 1 und deshalb insoweit die Rechtswidrigkeit der angefochtenen neuen Beitragsfestsetzung vom 27. Dezember 1990 zur Folge hat.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bindend festgestellt hat, führt die Zahlungsverjährung nach § 47 und § 232 AO zum Erlöschen des Anspruchs aus dem Beitragsschuldverhältnis. Dabei ist er davon ausgegangen, dass nicht nur der durch den rechtswidrigen Bescheid von 1982 begründete, gleichsam abstrakte Zahlungsanspruch der Beklagten, sondern auch das durch den Bescheid konkretisierte Beitragsschuldverhältnis selbst gegenüber dem in Anspruch genommenen Schuldner in der festgesetzten Höhe erloschen ist. Auch insoweit kann er sich ohne Verstoß gegen Bundesrecht auf die bereits erwähnte Systematik des einschlägigen Verwaltungsverfahrensrechts stützen. Der Bescheid von 1982 enthielt nach seinem Wortlaut und Sinn nicht nur ein abstraktes Zahlungsgebot an die Klägerin zu 1, sondern auch die Feststellung, dass damit deren sich aus den §§ 127 bis 135 BBauG ergebende Beitragspflicht in der festgesetzten Höhe entstanden ist. Die Auffassung, dass auch diese Feststellung – unbeschadet der Möglichkeit, die vorgesehenen Rechtsbehelfe einzulegen – an der rechtlichen Verbindlichkeit der in jenem wirksamen Verwaltungsakt getroffenen Regelungen teilhatte, ohne dass es auf deren Rechtmäßigkeit ankam, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden.
Dasselbe gilt für die daraus gezogene Folgerung, dass die Regelung über die Zahlungsverjährung, wenn sie zum Erlöschen der derart konkretisierten Beitragspflicht geführt hat, nicht durch die Aufhebung des die Verjährung auslösenden Beitragsbescheids und den Erlass eines Zweitbescheids (bis zum Eintritt der Festsetzungsverjährung) umgangen werden kann. Wie der Verwaltungsgerichtshof bindend festgestellt hat, beginnt die Zahlungsverjährung nach § 229 Abs. 1 Satz 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Gemäß § 135 Abs. 1 BBauG wurde der Erschließungsbeitrag einen Monat nach der Zustellung des Beitragsbescheids fällig. Der Beitragsbescheid vom 28. Dezember 1982 setzte insoweit nichts Abweichendes fest. Unter diesen Umständen kommt es auf die nachträgliche Aufhebung dieses Bescheids – sei es mit Wirkung ex nunc oder ex tunc – nicht an. Denn nach der genannten Rechtslage knüpft der Eintritt der Zahlungsverjährung ausschließlich an tatsächliche Vorgänge – Zustellung des Beitragsbescheids, Ablauf eines Monats, Ablauf des Kalenderjahres, Ablauf der fünfjährigen Verjährungsfrist – an, die durch spätere Rücknahme oder anderweitige Aufhebung des Beitragsbescheids nicht beseitigt werden (vgl. zum ähnlichen Fall der Rücknahme eines Verwaltungsakts, der zugleich eine die Verjährung unterbrechende Handlung war: BVerwG, Beschluss vom 10. April 1986 – BVerwG 8 B 5.86 – Buchholz 401.0 § 228 AO Nr. 6 S. 3).
2. Als bundesrechtswidrig erweist sich das angefochtene Urteil jedoch insoweit, als der Verwaltungsgerichtshof davon ausgeht, auch gegenüber dem Kläger zu 2 sei aufgrund des Bescheids vom 28. Dezember 1982 Zahlungsverjährung eingetreten.
Zu dieser Schlussfolgerung gelangt der Verwaltungsgerichtshof nicht aus rechtlichen Erwägungen, sondern weil er irrtümlich davon ausgegangen ist, der Beitragsbescheid vom 28. Dezember 1982 sei auch an den Kläger zu 2 adressiert gewesen. In dem angefochtenen Urteil fehlen Ausführungen dazu, weshalb durch diesen Bescheid beide Kläger zur Zahlung des Erschließungsbeitrags herangezogen worden sein sollten, obwohl er nur an die Klägerin zu 1 adressiert war und den Kläger zu 2 auch sonst nicht als Beitragspflichtigen nannte. Damit hat der Verwaltungsgerichtshof aktenwidrig einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde gelegt. Dies stellt einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO dar (vgl. BVerwGE 68, 338) und begründet, worauf es hier ankommt, auch einen Rechtsfehler bei der hieran anknüpfenden Normanwendung (vgl. BVerwGE 71, 93 ≪97≫; 79, 291 ≪297 f.≫). Der Verwaltungsgerichtshof hat die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids gegenüber dem Kläger zu 2 weder in bundes- noch in landesrechtlicher Hinsicht überprüft.
Das der Klage stattgebende Urteil des Verwaltungsgerichtshofs stellt sich hinsichtlich des Klägers zu 2 auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Insbesondere lässt der Umstand, dass gegenüber der Klägerin zu 1 aufgrund des Bescheids vom 28. Dezember 1982 Zahlungsverjährung eingetreten ist, den Beitragsbescheid vom 27. Dezember 1990 hinsichtlich des Klägers zu 2 nicht rechtswidrig werden. Vielmehr kommt es insoweit gemäß § 134 Abs. 1 BauGB auf Art und Umfang des Eigentums des Klägers zu 2 an dem in Rede stehenden Grundstück im Zeitpunkt der Bekanntgabe des neuen Beitragsbescheids an. Da der Verwaltungsgerichtshof hierzu – aufgrund seines Sachverhaltsirrtums folgerichtig – keine näheren Feststellungen getroffen hat, ist die Sache insoweit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Stellt sich bei der nachzuholenden Klärung des diesbezüglichen Sachverhalts heraus, dass – wie die Kläger vortragen – der Kläger zu 2 im Jahre 1984 von der Klägerin zu 1 Teil- bzw. Wohnungseigentum auf dem Grundstück erworben hat und dieses Eigentum auch bei Bekanntgabe des Beitragsbescheids vom 27. Dezember 1990 noch bestand, durfte er nach § 134 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 BauGB nur entsprechend seinem Miteigentumsanteil herangezogen werden. Dieser Heranziehung stand die gegenüber der Klägerin zu 1 eingetretene Zahlungsverjährung nicht entgegen. Diese Zahlungsverjährung knüpfte nämlich tatbestandlich an die Zustellung des Beitragsbescheids von 1982 und daran an, dass die Beklagte die ihr damit eröffnete Vollstreckungsmöglichkeit über mehrere Jahre ungenutzt ließ. Jener Bescheid richtete sich jedoch nicht an den Kläger zu 2 und begründete für ihn auch als Erwerber keine Zahlungspflicht.
Einer Heranziehung des Klägers zu 2 in dem sich aus § 134 Abs. 1 Satz 4 Halbsatz 2 BauGB ergebenden Umfang stand auch nicht gemäß § 134 Abs. 1 Satz 1 BauGB entgegen, dass vor seinem Eigentumserwerb schon die Klägerin zu 1 durch Bescheid vom 28. Dezember 1982 als damalige Alleineigentümerin herangezogen worden war. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann allerdings die persönliche Beitragspflicht, nachdem sie durch einen wirksamen Beitragsbescheid in der Person des Eigentümers entstanden ist, nicht durch spätere Ereignisse wie den Eigentumsübergang und die Bekanntgabe eines weiteren Beitragsbescheids an den neuen Eigentümer nochmals – als eine neue Pflicht des neuen Eigentümers – entstehen (BVerwGE 47, 49 ≪52≫). Hierin kommt der Rechtsgrundsatz der Einmaligkeit der Beitragspflicht zum Ausdruck. Dieser besagt, dass die Beitragspflicht bezogen auf die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage nur einmal entsteht. Das Grundstück ist damit vor einer mehrfachen Belastung geschützt und eine Beitragspflicht, ist sie einmal entstanden, kann nachträglich zu einem anderen Zeitpunkt nicht noch einmal entstehen (vgl. BVerwG 68, 48 ≪53≫; ferner BVerwG, Urteil vom 20. Januar 1978 – BVerwG 4 C 2.75 – Buchholz 406.11 § 132 BBauG Nr. 26 S. 27; Beschluss vom 10. September 1998 – BVerwG 8 B 102.98 – Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 40 S. 11). Jedoch hängt die Festlegung der persönlichen Beitragspflicht auf den in § 134 Abs. 1 Satz 1 BBauG bzw. BauGB bestimmten Eigentümer des Grundstücks nach dieser Rechtsprechung u.a. von der fortdauernden Wirksamkeit des diese Festlegung vornehmenden Beitragsbescheids ab. Sie entfällt danach insbesondere dann, wenn der Beitragsbescheid nicht bestandskräftig geworden ist, sondern auf einen Rechtsbehelf hin mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Zustellung bzw. Bekanntgabe aufgehoben wird, weil in diesem Zeitpunkt eine sachliche Beitragspflicht nicht bestand; in Fällen dieser Art darf die Gemeinde später, wenn die Voraussetzungen für eine Heranziehung erfüllt sind, bei einem zwischenzeitlichen Eigentumswechsel (nur) denjenigen heranziehen, der im Zeitpunkt der Bekanntgabe des neuen Bescheids Eigentümer des Grundstücks ist (BVerwGE 47, 49 ≪55≫).
So liegen die Dinge auch im hier zu entscheidenden Fall; denn der Beitragsbescheid vom 28. Dezember 1982 hat keine Bestandskraft erlangt, sondern wurde auf den Widerspruch der Klägerin zu 1 hin mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt seiner Zustellung aufgehoben, weil in diesem Zeitpunkt noch keine sachliche Beitragspflicht bestand. Anhaltspunkte dafür, dass diese Aufhebung nur erfolgte, um die Sperrwirkung zu umgehen, die das wirksame Entstehen der persönlichen Beitragspflicht eines Eigentümers gegenüber jeder erneuten Entstehung dieser Beitragspflicht für dasselbe Grundstück hat, liegen unter diesen Umständen nicht vor.
Zwar hat der Verwaltungsgerichtshof den Aufhebungsbescheid vom 27. Dezember 1990 im angefochtenen Urteil abweichend hiervon dahin gehend ausgelegt, dass der Bescheid von 1982 nur mit Wirkung ex nunc aufgehoben worden sei. Dabei handelt es sich jedoch um keine tatsächliche Feststellung, an die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden wäre, sondern um eine rechtliche Würdigung anhand des Auslegungsgrundsatzes des § 133 BGB, den der erkennende Senat im Rahmen der revisionsgerichtlichen Überprüfung nach § 144 Abs. 4 VwGO gemäß § 173 VwGO, § 562 ZPO auch dann anwenden kann, wenn er hier als Ergänzung von Landesrecht an sich nicht revisibel sein sollte (vgl. Urteil vom 1. Oktober 1971 – BVerwG 7 C 10.69 – Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 50).
Die Frage, ob die Aufhebung eines Verwaltungsakts mit Wirkung für die Zukunft oder (auch) für die Vergangenheit erfolgen soll, ist, sofern der Wortlaut des Verwaltungsakts hierüber unmittelbar nichts sagt, im Wege der Auslegung zu beantworten (vgl. BFH, BStBl II 1991, 675 ≪676≫). Nach § 133 BGB, der dabei auch eine für öffentlich-rechtliche Willensbekundungen geltende Auslegungsregel darstellt, ist insoweit entscheidend, wie der Betroffene nach den ihm bekannten Umständen den Inhalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte. Nach den den Klägern bekannten Umständen konnten sie danach den Aufhebungsbescheid vom 27. Dezember 1990 nur so verstehen, dass damit der vorläufige Erschließungsbeitragsbescheid von 1982 mit Wirkung ex tunc aufgehoben werden sollte. Dafür spricht zum einen der Umstand, dass nur so der noch anhängige Widerspruch der Klägerin zu 1 gegen jenen Erschließungsbeitragsbescheid in vollem Umfang erledigt wurde, während er andernfalls teilweise noch hätte beschieden werden müssen. Dafür spricht zum Zweiten der Umstand, dass gleichzeitig gegenüber beiden Klägern der hier angefochtene neue Erschließungsbeitragsbescheid erlassen wurde und dass die von der Beklagten damit eindeutig beabsichtigte Ersetzung des mangels Entstehung der sachlichen Beitragspflicht rechtswidrigen Erstbescheids durch einen rechtmäßigen neuen Bescheid – wie dargelegt – im Wege einer Rücknahme des Erstbescheids nur möglich war, wenn diese sich auch Wirkung für die Vergangenheit beimaß. Anhaltspunkte, die den Klägern zu diesem Zeitpunkt die Annahme hätten nahe legen können, dass die Beklagte dem offensichtlich in vollem Umfang begründeten Widerspruch der Klägerin zu 1 nur teilweise habe abhelfen und die Sperrwirkung des Bescheids von 1982 weiterhin gegen sich habe gelten lassen wollen, sind nicht erkennbar.
Unterschriften
Hien, Dr. Storost, Vallendar, Prof. Dr. Rubel, Dr. Gerhardt
Fundstellen
Haufe-Index 1351537 |
BuW 2001, 875 |
BVerwGE, 1 |
IBR 2001, 333 |
IBR 2001, 334 |
ZKF 2001, 208 |
ZMR 2002, 388 |
ZfIR 2001, 1018 |
DÖV 2001, 605 |
FiWi 2002, 222 |
FiWi 2002, 54 |
BayVBl. 2001, 534 |
DVBl. 2001, 1361 |
FuBW 2002, 49 |
FuBW 2002, 51 |
FuHe 2002, 14 |
FuHe 2002, 268 |
GK/Bay 2001, 441 |
GK 2002, 19 |
VA 2001, 86 |