Entscheidungsstichwort (Thema)
Betriebsuntersagungen anlässlich der Corona-Pandemie
Leitsatz (amtlich)
Zu Voraussetzungen und Grenzen möglicher Ausnahmen von der Bindung des Revisionsgerichts an die Auslegung einer Landesverordnung durch die Vorinstanz (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO) und zu den bundesverfassungsrechtlichen Anforderungen an die Bestimmtheit einer bußgeldbewehrten Betriebsuntersagung anlässlich der Corona-Pandemie (Art. 20 Abs. 3 GG).
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 06.10.2022; Aktenzeichen 20 N 20.1023) |
Tenor
Die Revision des Antragsgegners gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 6. Oktober 2022 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
Rz. 1
Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Normenkontrollantrag gegen § 2 Abs. 1 der Zweiten Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung (2. BayIfSMV) vom 16. April 2020 (BayMBl. Nr. 205).
Rz. 2
Die Vorschrift hatte folgenden Wortlaut:
§ 2
Betriebsuntersagungen
(1) 1Untersagt ist der Betrieb sämtlicher Einrichtungen, die nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens, sondern der Freizeitgestaltung dienen. 2Hierzu zählen insbesondere Sauna- und Badeanstalten, Kinos, Tagungs- und Veranstaltungsräume, Clubs, Bars und Diskotheken, Spielhallen, Theater, Vereinsräume, Bordellbetriebe, Museen, Stadtführungen, Sporthallen, Sport- und Spielplätze, Fitnessstudios, Bibliotheken, Wellnesszentren, Thermen, Tanzschulen, Tierparks, Vergnügungsstätten, Wettannahmestellen, Fort- und Weiterbildungsstätten, Volkshochschulen, Musikschulen und Jugendhäuser, Jugendherbergen und Schullandheime. 3Untersagt werden ferner Reisebusreisen.
Rz. 3
Sie galt vom 20. April bis 3. Mai 2020 (§ 10 Satz 1 2. BayIfSMV).
Rz. 4
Die Antragstellerin betreibt in Bayern eine Golfanlage. Sie hat den Normenkontrollantrag am 2. Mai 2020 gestellt. Nach dem Außerkrafttreten der Verordnung hat sie beantragt, festzustellen, dass § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV unwirksam gewesen ist.
Rz. 5
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch Urteil vom 6. Oktober 2022 festgestellt, dass § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV unwirksam war. Zur Begründung hat er ausgeführt: Der Normenkontrollantrag sei zulässig und begründet. § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV verstoße gegen das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verankerte verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot. Das Gebot der hinreichenden Bestimmtheit und Klarheit der Norm fordere, dass der Normgeber Regelungen widerspruchsfrei und so genau fasse, dass die Normadressaten die Rechtslage in zumutbarer Weise erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten könnten. Wenn - wie hier - eine bußgeldbewehrte Vorschrift in Streit stehe, müsse sie sich zudem an den strengeren Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG messen lassen.
Rz. 6
§ 2 Abs. 1 2. BayIfSMV werde den Anforderungen an die Bestimmtheit nicht gerecht. Strukturell umfasse die Norm eine abstrakte Umschreibung des Verbots (Satz 1) und eine nicht abschließende Aufzählung von Regelbeispielen (Satz 2). Satz 1 beschreibe die Einrichtungen, deren Betrieb insgesamt - d. h. nicht nur im Hinblick auf bestimmte Nutzungszwecke - untersagt werde, durch ein negatives und ein positives Begriffsmerkmal, die kumulativ erfüllt sein müssten: Die betroffenen Einrichtungen dürften einerseits nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens dienen; sie müssten andererseits der Freizeitgestaltung dienen. Aus dem positiven Merkmal ergebe sich eine deutliche Verengung bzw. Konkretisierung des Anwendungsbereichs. Der Freizeitgestaltung dienten Einrichtungen nicht schon, wenn sie lediglich keine schlechthin lebensnotwendigen Leistungen anböten, sondern nur, wenn sie ihrer Zwecksetzung entsprechend zumindest überwiegend in der freien Zeit ihrer Nutzer aufgesucht würden. Zur "Freizeit" gehöre nach herkömmlichem Begriffsverständnis die Zeit, die dem einzelnen zur freien Verfügung stehe und daher nicht den Zeiten zuzuordnen sei, die der Bildung und/oder der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienten. Nicht alle Regelbeispiele des Satzes 2 dienten vollständig oder zumindest überwiegend der Freizeitgestaltung ihrer Nutzer. Insoweit stünden sie in einem offenen Widerspruch zum Wortlaut des Satzes 1. Jedenfalls bei Fort- und Weiterbildungsstätten fehle jedweder Freizeitbezug. Auch Museen und Bibliotheken erfüllten zum ganz überwiegenden Teil - jedenfalls nach ihrer jeweiligen Widmung - in erster Linie eine bildungs- und berufsbezogene Funktion. Ähnliches gelte für Volkshochschulen, Tagungs- und Veranstaltungsräume, Badeanstalten sowie Sporthallen und Sportplätze. Angesichts der Heterogenität der Regelbeispiele des Satzes 2 und in Ermangelung eines verbindenden Elements lasse sich aus ihnen auch kein eigenständiger, den Widerspruch zu Satz 1 auflösender Freizeitbegriff ableiten. Insgesamt blieben der Inhalt des Begriffs der Freizeitgestaltung und der Anwendungsbereich der Norm damit unbestimmt.
Rz. 7
Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision trägt der Antragsgegner vor: Der Normenkontrollantrag sei unzulässig. Die Antragstellerin habe nicht das erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der außer Kraft getretenen Verordnungsregelung; ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte der Antragstellerin liege nicht vor. Der Antrag sei auch unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof habe die Anforderungen des bundesrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatzes an § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV überspannt. Die Auslegung, dass Satz 1 zwei voneinander unabhängige Voraussetzungen enthalte, sei unhaltbar; jede Einrichtung, die nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens diene, sei eine Einrichtung der Freizeitgestaltung im Sinne der Vorschrift. Die Auslegung des Verwaltungsgerichtshofs verletze zudem den Grundsatz der verfassungskonformen Auslegung und das Willkürverbot. Das Urteil beruhe auf Verfahrensmängeln. Das Gericht habe bei der Auslegung des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV seinen Vortrag zur systematischen und teleologischen Auslegung der Norm, insbesondere des Begriffs der Freizeitgestaltung, nicht ernsthaft in Erwägung gezogen und dadurch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Es habe außerdem Erfahrungssätze zum Freizeitbezug der in Satz 2 genannten Einrichtungen aufgestellt, die tatsächlich nicht bestünden; das verletze den Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Schließlich sei es unter Verstoß gegen § 88 VwGO über das Begehren der Antragstellerin hinausgegangen, indem es die Unwirksamkeit von § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV einschließlich des Satzes 3 festgestellt habe. Die Untersagung von Reisebusreisen stehe nicht in einem untrennbaren Zusammenhang mit der Untersagung des Betriebs von Einrichtungen.
Rz. 8
Die Antragstellerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die zulässige Revision des Antragsgegners ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der Normenkontrollantrag ist zulässig (1.) und begründet. Die Feststellung, dass § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV unwirksam war, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. An die Auslegung der Vorschrift durch den Verwaltungsgerichtshof ist der Senat gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO gebunden (2.). Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor (3.). Die Auslegung verstößt auch nicht gegen Bundesrecht (4.). In der Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof genügen die Betriebsuntersagungen in § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 2. BayIfSMV - wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend erkannt hat - nicht den Anforderungen des Art. 20 Abs. 3 GG an die Bestimmtheit von Normen (5.). Die Feststellung der Unwirksamkeit des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV verstößt schließlich nicht gegen das Gebot verfassungskonformer Auslegung (6.) und, soweit sie die Untersagung von Reisebusreisen in Satz 3 einschließt, auch nicht gegen § 88 VwGO (7.).
Rz. 10
1. Der gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO statthafte Normenkontrollantrag ist zulässig. Die Antragstellerin hat - was insoweit allein streitig ist - das erforderliche berechtigte Interesse an der Feststellung, dass § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV unwirksam war. Ist die angegriffene Norm - wie hier - während der Anhängigkeit des Normenkontrollantrags außer Kraft getreten, besteht ein Rechtsschutzbedürfnis trotz Erledigung des ursprünglichen Rechtsschutzziels unter anderem dann fort, wenn ein gewichtiger Grundrechtseingriff von solcher Art geltend gemacht wird, dass gerichtlicher Rechtsschutz dagegen typischerweise nicht vor Erledigungseintritt erlangt werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Mai 2023 - 3 CN 5.22 - NVwZ 2023, 1846 Rn. 15 und vom 21. Juni 2023 - 3 CN 1.22 - NVwZ 2023, 1840 Rn. 13, jeweils m. w. N.). Das ist hier der Fall. Innerhalb der Geltungsdauer der Verordnung war Rechtsschutz in einem Hauptsacheverfahren nicht zu erlangen. Der von der Antragstellerin geltend gemachte Eingriff in ihre durch Art. 12 Abs. 1 i. V. m. Art. 19 Abs. 3 GG gewährleistete Berufsfreiheit hatte ein Gewicht, das die nachträgliche Klärung der Rechtmäßigkeit der angegriffenen Rechtsvorschrift rechtfertigt. Aufgrund der Vorschrift und der gleichlautenden Vorgängervorschrift (vgl. § 2 Abs. 1, § 5 Abs. 1 der Bayerischen Verordnung über Infektionsschutzmaßnahmen anlässlich der Corona-Pandemie vom 27. März 2020, Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung - BayIfSMV, BayMBl. Nr. 158) durfte sie ihre Golfanlage fast fünf Wochen lang (31. März bis 3. Mai 2020) nicht betreiben. Dass sie in der Rechtsform einer Personengesellschaft (GmbH & Co. KG) beruflich tätig ist, führt nicht zu einer anderen Bewertung (vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Mai 2023 - 3 CN 4.22 - juris Rn. 18 ≪Gesellschaft bürgerlichen Rechts≫ und - 3 CN 6.22 - NVwZ 2023, 1830 Rn. 16 ≪GmbH≫; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 23. März 2022 - 1 BvR 1295/21 - NJW 2022, 1672 Rn. 25 ≪GmbH≫).
Rz. 11
2. Der Verwaltungsgerichtshof hat § 2 Abs. 1 Satz 1 2. BayIfSMV dahin ausgelegt, dass Einrichtungen von der Betriebsuntersagung nicht bereits dann erfasst würden, wenn sie nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens dienten, sondern nur, wenn sie ihrer Zwecksetzung entsprechend zumindest überwiegend in der freien Zeit ihrer Nutzer aufgesucht würden; zur Freizeit gehöre nur die Zeit, die dem Einzelnen zur freien Verfügung stehe und daher nicht den der Bildung und/oder den zur Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dienenden und grundrechtlich besonders geschützten Zeiten zuzuordnen sei (UA Rn. 38 f.). Die in Satz 2 aufgelisteten Regelbeispiele dienten nicht alle vollständig oder zumindest überwiegend der Freizeitgestaltung ihrer Nutzer; insoweit stünden sie in einem offenen Widerspruch zum Wortlaut des Satzes 1 (UA Rn. 43). Ein anderer, den Widerspruch auflösender Begriff der Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung dienten, lasse sich aus den Regelbeispielen nicht ableiten (UA Rn. 47).
Rz. 12
Die Revision kann gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nur darauf gestützt werden, dass das angefochtene Urteil auf der Verletzung von Bundesrecht beruht. § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV ist eine Vorschrift nicht des Bundes-, sondern des Landesrechts; sie ist auch nicht gemäß § 137 Abs. 1 Nr. 2 VwGO oder aufgrund einer anderen gesetzlichen Vorschrift revisibel. Gemäß § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO ist die Entscheidung des Berufungsgerichts über das Bestehen und den Inhalt von Gesetzen, auf deren Verletzung die Revision nicht gestützt werden kann, für die auf die Revision ergehende Entscheidung maßgebend. Hiernach ist der Senat an die Auslegung des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV durch den Verwaltungsgerichtshof vorbehaltlich eines Verfahrensmangels, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann, oder einer Verletzung revisiblen Rechts gebunden. Der Vortrag des Antragsgegners, der Verwaltungsgerichtshof habe § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV nicht methodengerecht ausgelegt, den Wortlaut der gesamten Norm, die Systematik sowie Sinn und Zweck habe er nicht bzw. im Ergebnis nur unzureichend berücksichtigt, ist nicht geeignet, eine Verletzung von Bundesrecht aufzuzeigen. Auslegungsregeln und allgemeine Rechtsgrundsätze über die Auslegung von Rechtsvorschriften sind Teil des gemäß § 137 Abs. 1 VwGO revisionsgerichtlicher Prüfung grundsätzlich nicht unterliegenden Landesrechts, wenn und soweit es sich - wie hier - um ihre Anwendung im Rahmen von Landesrecht handelt (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 3. Juni 2008 - 9 BN 3.08 - juris Rn. 11 und vom 28. Januar 2010 - 9 BN 5.09 - Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 40 Rn. 4 m. w. N.).
Rz. 13
3. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
Rz. 14
a) Dass der Verwaltungsgerichtshof die Ausführungen des Antragsgegners zur Auslegung des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV im Schriftsatz vom 22. September 2022 nicht zur Kenntnis genommen oder nicht in Erwägung gezogen und dadurch den Anspruch des Antragsgegners auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt habe, trifft nicht zu. Der Verwaltungsgerichtshof hatte die Beteiligten mit Schreiben vom 7. September 2022 darauf hingewiesen, dass in § 2 Abs. 1 Satz 2 2. BayIfSMV verschiedene Einrichtungen benannt würden, die möglicherweise nicht oder nur zu einem Teil ihrer Nutzung der Freizeitgestaltung dienten. Der Antragsgegner hat sein Vorbringen daraufhin mit Schriftsatz vom 22. September 2022 ergänzt. Der Verwaltungsgerichtshof hat das Vorbringen zur Kenntnis genommen; er hat es im Tatbestand der Urteile vom selben Tag zur inhaltsgleichen Vorgängervorschrift (20 N 20.783 - BVerwG 3 CN 17.22) und zur hier angegriffenen Vorschrift (20 N 20.853 - BVerwG 3 CN 18.22) zutreffend wiedergegeben (dort jeweils UA Rn. 14). Er hat es auch in Erwägung gezogen. In den Entscheidungsgründen hat er dargelegt, das Verständnis des Begriffs der Freizeiteinrichtungen in einem weiten, "akut pandemischen" Sinne finde im Wortlaut der Verordnung keine Stütze. Der Antragsgegner orientiere sich ausschließlich am Merkmal der "notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens" und erkläre das Merkmal "... sondern der Freizeitgestaltung dienen" für obsolet, ohne zu erläutern, inwiefern dies aus der Sicht eines Normadressaten erkennbar sein könnte (UA Rn. 40). Der Verwaltungsgerichtshof ist mit diesen Erwägungen inhaltlich auf das Vorbringen zum angestrebten Umfang der Kontaktreduzierung am Beginn der Pandemie durch die angegriffene Verordnung eingegangen. Dass er seinem Verständnis des Wortlauts von § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV ein größeres Gewicht beigemessen hat als den Erwägungen des Antragsgegners zu Sinn und Zweck sowie Systematik der Verordnung, begründet keinen Gehörsverstoß.
Rz. 15
b) Der Verwaltungsgerichtshof hat mit seinen Annahmen zu den Zwecken in § 2 Abs. 1 Satz 2 2. BayIfSMV genannter Einrichtungen - wie etwa "'Fort- und Weiterbildungsstätten' fehlt... jedweder Freizeitbezug" oder "'Museen' und 'Bibliotheken' erfüllen... in erster Linie eine bildungs- und/oder berufsbezogene Funktion" - keine allgemeinen Erfahrungssätze aufgestellt und dadurch, weil es entsprechende Erfahrungssätze nicht gibt, gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung verstoßen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO; vgl. hierzu Kraft, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 108 Rn. 32 und § 137 Rn. 76). Erfahrungssätze sind jedermann zugängliche Sätze, die nach der allgemeinen Erfahrung unzweifelhaft gelten und durch keine Ausnahme durchbrochen sind (vgl. BVerwG, Urteile vom 22. März 1983 - 9 C 860.82 - BVerwGE 67, 83 ≪84≫ und vom 26. September 1996 - 7 C 7.95 - Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 37 S. 87 f.). Anhaltspunkte dafür, dass der Verwaltungsgerichtshof seiner Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 2 2. BayIfSMV Erfahrungssätze in diesem Sinne zum Zweck der Einrichtungen zugrunde gelegt und damit Raum für eine gegebenenfalls abweichende Feststellung und Würdigung der Nutzung der von der Vorschrift erfassten Einrichtungen verneint haben könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Mit Blick auf den Hinweis des Gerichts vom 7. September 2022 dürften die tatsächlichen Annahmen des Verwaltungsgerichtshofs zur Nutzung der Einrichtungen auch nicht überraschend gewesen sein. Tatsachen, die insoweit eine Gehörsverletzung (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) ergeben könnten, hat der Antragsgegner in der Revisionsbegründung im Übrigen nicht - wie gemäß § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO erforderlich - angegeben.
Rz. 16
4. Die Auslegung des § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 2. BayIfSMV durch den Verwaltungsgerichtshof verstößt nicht gegen Bundesrecht.
Rz. 17
a) Dass der Verwaltungsgerichtshof dem Begriff der Fortbildungsstätten in § 2 Abs. 1 Satz 2 2. BayIfSMV "aufgrund von § 1 Abs. 4 BBiG" einen ausschließlich berufsbezogenen Inhalt gegeben hat, ist keine Verletzung von Bundesrecht. § 1 Abs. 4 des Berufsbildungsgesetzes - BBiG - in der Fassung der Bekanntmachung vom 4. Mai 2020 (BGBl. I S. 920) regelt nur die Zwecke beruflicher Fortbildung und auch dies nicht für den Infektionsschutz in Fortbildungsstätten. Ausgehend hiervon spricht Überwiegendes dafür, dass der Verwaltungsgerichtshof die Norm in der Landesverordnung dahingehend ausgelegt hat, dass sie an den Begriff der beruflichen Fortbildung im Sinne des Berufsbildungsgesetzes anknüpft; eine Verletzung von Bundesrecht liegt darin nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Februar 2013 - 7 C 4.12 - Buchholz 406.27 § 149 BBergG Nr. 3 Rn. 14 zur Verschränkung von Bundes- und Landesrecht durch Bezugnahmen). Im Übrigen würde das Urteil angesichts der weiteren in § 2 Abs. 1 Satz 2 2. BayIfSMV genannten Einrichtungen, die nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht oder nicht überwiegend der Freizeitgestaltung im dargelegten Sinne dienen, auf einem Verstoß gegen § 1 Abs. 4 BBiG jedenfalls nicht beruhen.
Rz. 18
b) Die Auslegung verstößt auch nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip oder das Willkürverbot. Das Rechtsstaatsprinzip, insbesondere der Vorrang des Gesetzes und die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG), und das im allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verankerte Willkürverbot stellen eine unübersteigbare bundesrechtliche Grenze jeder Art des Verwaltungshandelns und der Rechtsprechung dar. Im Revisionsverfahren kann deshalb geprüft werden, ob sich das Instanzgericht bei der Anwendung und Auslegung irrevisiblen Rechts so weit vom zugrunde liegenden Gesetz entfernt hat, dass der Zusammenhang mit dem Gesetz nicht mehr hinreichend erkennbar und unter keinem denkbaren Gesichtspunkt - auch nicht als richterliche Rechtsfortbildung - verständlich ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. September 1994 - 6 C 42.92 - BVerwGE 96, 350 ≪352≫ und vom 5. April 2017 - 8 C 16.16 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 304 Rn. 18; Beschluss vom 7. Januar 2008 - 9 B 81.07 - Buchholz 401.0 § 171 AO Nr. 1 Rn. 8). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Rz. 19
Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, § 2 Abs. 1 Satz 1 2. BayIfSMV untersage den Betrieb nur von Einrichtungen, die nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens und zusätzlich der Freizeitgestaltung dienten, wobei nicht alle nicht notwendigen Verrichtungen zur Freizeitgestaltung gehörten, überschreitet die Wortlautgrenze nicht. Aus der Verknüpfung der beiden Satzteile mit "sondern" ergibt sich nicht - wie der Antragsgegner meint -, dass Freizeitgestaltung ausschließlich ein bloßer Gegenbegriff zu den notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens sein kann, also alle nicht notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens umfassen muss. Mit "sondern" werden auch sonst nicht nur reine Gegenbegriffe verknüpft. Soweit der Verwaltungsgerichtshof "nach herkömmlichem Begriffsverständnis" Freizeit von Bildung und Beruf abgrenzt (UA Rn. 39), hat seine Auslegung mit dem Begriff der Freizeitgestaltung einen Anknüpfungspunkt in der Norm. Gleiches gilt, soweit er den in § 2 Abs. 1 Satz 2 2. BayIfSMV genannten Einrichtungen bestimmte Zwecke zuschreibt. Dass der Verwaltungsgerichtshof bei der Auslegung Sinn und Zweck der Vorschrift vollständig außer Betracht gelassen habe, trifft - wie dargelegt - nicht zu. Ob dies für ein Übersteigen der bundesrechtlichen Auslegungsgrenze ausreichen würde, kann offen bleiben.
Rz. 20
5. In dieser Auslegung genügt die Regelung der Betriebsuntersagungen in § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 2. BayIfSMV - wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend erkannt hat - nicht den Anforderungen des Art. 20 Abs. 3 GG an die Bestimmtheit von Normen.
Rz. 21
a) Nach Art. 20 Abs. 3 GG muss eine Norm, die - wie § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 2. BayIfSMV - in Grundrechte eingreift, allgemeinen Anforderungen an ihre Bestimmtheit und Klarheit genügen. Der Grad der gebotenen Bestimmtheit hängt von den Besonderheiten des in Rede stehenden Sachbereichs und von den Umständen ab, die zu der Regelung geführt haben. Dabei sind die Bedeutung des Regelungsgegenstandes und die Intensität der durch die Regelung erfolgenden Grundrechtseingriffe ebenso zu berücksichtigen wie der Kreis der Anwender und Betroffenen der Norm sowie deren konkretes Bedürfnis, sich auf die Normanwendung einstellen zu können. Es reicht aus, wenn sich im Wege der Auslegung der einschlägigen Bestimmung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln feststellen lässt, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm ausgesprochene Rechtsfolge vorliegen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 - BVerfGE 161, 299 Rn. 142 m. w. N.).
Rz. 22
Der Verwaltungsgerichtshof ist insoweit nicht von einem abweichenden Maßstab ausgegangen. Seine Annahme, Regelungen müssten grundsätzlich widerspruchsfrei sein (UA Rn. 34), steht mit dem dargelegten Maßstab in Einklang. Ist eine Norm widersprüchlich, können sich die Betroffenen in der Regel nicht auf die Normanwendung einstellen.
Rz. 23
b) Die Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG dürften für die Bestimmtheit des § 2 Abs. 1 Satz 1 und 2 2. BayIfSMV hingegen nicht maßgebend sein. Nach dieser Vorschrift kann eine Tat nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Sie enthält für die Gesetzgebung ein striktes Bestimmtheitsgebot und für die Rechtsprechung ein Verbot strafbegründender Analogie. Der Normadressat muss im Regelfall bereits anhand des Wortlauts der gesetzlichen Vorschrift voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist oder nicht. Sie verbietet aber nicht die Verwendung unbestimmter, konkretisierungsbedürftiger Begriffe bis hin zu Generalklauseln, soweit gewährleistet ist, dass mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln und unter Berücksichtigung gefestigter Rechtsprechung eine zuverlässige Grundlage für die Auslegung und Anwendung der Norm gewonnen werden kann. Art. 103 Abs. 2 GG ist auch auf Ordnungswidrigkeitentatbestände anwendbar. Die Bestimmtheitsanforderungen an bußgeldbewehrte Vorschriften erreichen regelmäßig aber nicht das Niveau für den besonders grundrechtssensiblen Bereich des materiellen Strafrechts (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. November 2021 - 1 BvR 781/21 u. a. - BVerfGE 159, 223 Rn. 154 - 156, 159 und vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 - BVerfGE 161, 299 Rn. 272 f.).
Rz. 24
Ist - wie hier - nicht die Bestimmtheit eines Bußgeldtatbestands, sondern eines verwaltungsrechtlichen Verbots zu beurteilen, dürften, auch wenn das Verbot bußgeldbewehrt ist, allein die allgemeinen Anforderungen des Art. 20 Abs. 3 GG maßgebend sein (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. April 2022 - 1 BvR 2649/21 - BVerfGE 161, 299 Rn. 141 ff. ≪zu § 20a IfSG≫ und Rn. 267 ff., insbesondere Rn. 277 ff. ≪zu § 73 Abs. 1a Nr. 7e bis 7h i. V. m. § 20a IfSG≫; Kammerbeschlüsse vom 5. April 2006 - 1 BvR 2780/04 - juris Rn. 23 und vom 19. Juni 2007 - 1 BvR 1290/05 - juris Rn. 28; BVerwG, Urteile vom 22. April 2009 - 8 C 2.09 - BVerwGE 133, 358 Rn. 56 und vom 23. Februar 2011 - 8 C 51.09 - NVwZ 2011, 1142 Rn. 50; anders BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. April 2020 - 1 BvR 829/20 - juris Rn. 10). In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Bestimmtheit bußgeldbewehrter verwaltungsrechtlicher Ge- oder Verbote allerdings wiederholt auch am Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG geprüft worden (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. April 2010 - 7 C 9.09 - juris Rn. 34 f., vom 29. Februar 2012 - 9 C 8.11 - BVerwGE 142, 84 Rn. 12 ff., vom 7. März 2016 - 6 C 60.14 - Buchholz 402.5 WaffG Nr. 109 Rn. 19 und vom 7. Juli 2021 - 8 C 28.20 - BVerwGE 173, 108 Rn. 18 f.). Dessen Anwendbarkeit war aber nicht entscheidungstragend; die zu prüfenden Vorschriften genügten jeweils den Anforderungen nicht nur des Art. 20 Abs. 3 GG, sondern auch des Art. 103 Abs. 2 GG. Grund für die besonderen Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG an die Bestimmtheit bußgeldbewehrter Vorschriften ist der über das Ge- oder Verbot hinausgehende Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen durch die Bußgeldbewehrung. Das verwaltungsrechtliche Ge- oder Verbot kann in aller Regel auch ohne Bußgeldbewehrung bestehen. Für die hier in Rede stehende Verordnung hat der Verwaltungsgerichtshof Abweichendes nicht dargelegt. Es gibt hierfür auch keinen Anhaltspunkt. Die vorhergehende Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 27. März 2020 enthielt in ihrem § 2 Abs. 1 eine inhaltsgleiche Betriebsuntersagung; sie trat zunächst ohne Bußgeldtatbestand in Kraft. Wer entgegen § 2 Abs. 1 BayIfSMV vom 27. März 2020 Einrichtungen betrieb oder Reisebusreisen durchführte, handelte erst seit Inkrafttreten von § 5 Nr. 2 der Verordnung zur Änderung der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 31. März 2020 (BayMBl. Nr. 162, GVBl. S. 194) ordnungswidrig im Sinne des § 73 Abs. 1a Nr. 24 des Infektionsschutzgesetzes vom 20. Juli 2000 (BGBl. I S. 1045) i. d. F. des Gesetzes vom 27. März 2020 (BGBl. I S. 587). Die Bußgeldvorschrift sollte am 1. April 2020, also einen Tag nach der Betriebsuntersagung, in Kraft treten (§ 2 Satz 1 der Änderungsverordnung); nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs im Beschluss vom 4. Oktober 2021 - 20 N 20.767 - (BayVBl. 2022, 158 Rn. 31 ff., nachgehend BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 2.21 - BVerwGE 177, 92) wurde die Änderungsverordnung erst mit Wirkung vom 7. April 2020 ordnungsgemäß bekannt gemacht. Warum die Anforderungen an die Bestimmtheit der Betriebsuntersagung von der Geltung des korrespondierenden Bußgeldtatbestandes abhängen sollten, ist nicht ersichtlich.
Rz. 25
c) Die Anwendbarkeit des Art. 103 Abs. 2 GG kann offen bleiben; sie ist nicht entscheidungserheblich. In der Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof ist die Regelung der Betriebsuntersagungen in § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV bereits gemessen an den allgemeinen Anforderungen des Art. 20 Abs. 3 GG nicht hinreichend bestimmt. Davon ist auch der Verwaltungsgerichtshof ausgegangen. Er hat zwar angenommen, § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV müsse sich wegen der Bußgeldbewehrung zusätzlich an den strengeren Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG messen lassen (UA Rn. 34). Die Unwirksamkeit der Vorschrift hat er jedoch festgestellt, weil sie gegen das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) verankerte Bestimmtheitsgebot verstoße (UA Rn. 18, 33 und 48). Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass er § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV anders ausgelegt hätte, wenn er die Bußgeldbewehrung außer Betracht gelassen hätte; für die Auslegung der Verordnung hat er alle zur Verfügung stehenden Auslegungsmethoden angewendet (UA Rn. 36).
Rz. 26
d) Der Verwaltungsgerichtshof hat die aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Anforderungen an die Bestimmtheit des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV nicht überspannt. Er hat dargelegt, in einer Gesamtschau der Sätze 1 und 2 lasse sich kein widerspruchsfreier, in sich schlüssiger Regelungsgehalt der Norm ermitteln. Nicht alle der in Satz 2 aufgelisteten Regelbeispiele dienten vollständig oder zumindest überwiegend der Freizeitgestaltung im Sinne des Satzes 1, die nach herkömmlichem Begriffsverständnis außerhalb der Lebensbereiche Bildung und Beruf anzusiedeln sein müsse (UA Rn. 39, 42 f.). Ein abgrenzbarer, den Widerspruch auflösender Begriff der Einrichtungen, die der Freizeitgestaltung dienten, lasse sich aus den Regelbeispielen nicht ableiten (UA Rn. 47). Insgesamt blieben der Begriff der Freizeitgestaltung und der Anwendungsbereich der Norm damit unbestimmt (UA Rn. 48). Diese bundesrechtliche Bewertung des Ergebnisses der Auslegung des Landesrechts ist nicht zu beanstanden. Wenn sich im Wege der Auslegung nicht feststellen lässt, unter welchen Voraussetzungen eine Einrichtung im Sinne des Satzes 1 der Freizeitgestaltung dient, können die Adressaten der allgemeinen Regel in Satz 1 nicht entnehmen, ob sie ihre Einrichtung betreiben dürfen oder nicht. In der Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof genügt auch Satz 2 nicht, um diese Frage zu beantworten. Der Verwaltungsgerichtshof hat dargelegt, es lasse sich nicht in allen Einzelfällen eindeutig beantworten, ob eine dort genannte Einrichtung vom Verbot erfasst werde, so etwa bei Trainingshallen und -plätzen des Profisports (UA Rn. 49). Ebenso wenig sei mit hinreichender Sicherheit zu ermitteln, ob eine in Satz 2 nicht aufgeführte Einrichtung in den Anwendungsbereich der Vorschrift falle. Das gelte etwa für Botanische Gärten und öffentliche Archive (UA Rn. 49 f.). Nicht aufklärbar sei auch, in welchem Umfang die Ausübung der nicht aufsuchenden Prostitution erfasst sei; der Regelbeispielkatalog nenne nur "Bordellbetriebe" (UA Rn. 51). Ausgehend hiervon bleibt nicht nur in Einzelfällen oder Randbereichen, die im Hinblick auf die Weite des Anwendungsbereichs der Vorschrift und die Bedeutung des Infektionsschutzes hinzunehmen sein könnten, unklar, ob und inwieweit eine Einrichtung betrieben werden darf. Eine Ausnahme von der Betriebsuntersagung für in Satz 2 genannte Einrichtungen kommt nicht nur für Trainingshallen und -plätze des Profisports in Betracht. Wie der Antragsgegner dargelegt hat, könnte z. B. auch der Betrieb von Fort- und Weiterbildungsstätten erlaubt sein, wenn sie der Einweisung in die Bedienung von Beatmungsgeräten dienen. Für in Satz 2 nicht genannte, möglicherweise aber nach Satz 1 zu schließende Einrichtungen nennt der Verwaltungsgerichtshof Botanische Gärten, öffentliche Archive und verschiedene Arten von Prostitutionsstätten ebenfalls nur beispielhaft.
Rz. 27
6. Die Feststellung der Unwirksamkeit des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV verstößt schließlich nicht gegen das Gebot verfassungskonformer Auslegung. Das Gebot verlangt, von mehreren möglichen Normdeutungen, die teils zu einem verfassungswidrigen, teils zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führen, diejenige vorzuziehen, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht, wenn dadurch nicht das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht wird (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 19. September 2007 - 2 BvF 3/02 - BVerfGE 119, 247 ≪274≫und vom 16. Dezember 2014 - 1 BvR 2142/11 - BVerfGE 138, 64 Rn. 86; BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2019 - 6 C 3.18 - BVerwGE 164, 379 Rn. 24, jeweils m. w. N.). Inwieweit das für Gesetze entwickelte Gebot auch für Rechtsverordnungen gilt - sie stehen im Rang unter dem Gesetz (vgl. Art. 80 Abs. 1 GG) -, braucht nicht vertieft zu werden (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 2.21 - BVerwGE 177, 92 Rn. 18 ≪zu etwaigen Unterschieden zwischen Gesetz und Verordnung im Hinblick auf den Prognosespielraum des Normgebers≫). Ob der vom Antragsgegner angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1987 zu folgen ist, kann unabhängig von den Unterschieden zwischen Gesetz und Verordnung bereits wegen der Besonderheiten des damaligen Falles offen bleiben. Der 4. Revisionssenat hatte dort ein Gesetz des Landes Berlin (West) verfassungskonform ausgelegt, um eine von der Vorinstanz angenommene Unbestimmtheit des Gesetzes zu vermeiden (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Dezember 1987 - 4 C 9.86 - BVerwGE 78, 347 ≪350 ff.≫; im Anschluss hieran Urteil vom 13. Mai 2009 - 9 C 7.08 - Buchholz 406.61 Zweitwohnungssteuer Nr. 28 Rn. 23 ff. ≪verfassungskonforme Auslegung einer Abgabensatzung zur Vermeidung eines Verstoßes gegen Art. 105 Abs. 2a GG≫). Über die Vereinbarkeit des Landesgesetzes mit dem Grundgesetz hatte das Oberverwaltungsgericht Berlin als Vorinstanz - in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG, Beschluss vom 21. Mai 1957 - 2 BvL 6/56 - BVerfGE 7, 1; Pestalozza, Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl. 1982, S. 144) - damals selbst entscheiden können; heute ist eine solche Entscheidung auch für Gesetze des Landes Berlin nach Art. 100 Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten. Jedenfalls wenn die Vorinstanz - wie hier - eine Landesverordnung frei von Verfahrensmängeln und ohne Verletzung des Rechtsstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG), des Willkürverbots (Art. 3 Abs. 1 GG) und sonstigen Bundesverfassungsrechts ausgelegt und auf der Grundlage ihres Auslegungsergebnisses im Einklang mit Bundesrecht wegen fehlender Bestimmtheit (Art. 20 Abs. 3 GG) für unwirksam erklärt bzw. ihre Unwirksamkeit festgestellt hat, kann das Revisionsgericht nicht im Wege der verfassungskonformen Auslegung feststellen, dass eine andere Auslegung möglich und die Landesverordnung in dieser Auslegung hinreichend bestimmt wäre (vgl. BVerfG, Urteil vom 16. Januar 2003 - 2 BvR 716/01 - BVerfGE 107, 104 ≪128≫). Das widerspräche der dargelegten Irrevisibilität des Landesrechts einschließlich der zu seiner Auslegung herangezogenen Auslegungsregeln und allgemeinen Rechtsgrundsätze.
Rz. 28
7. Der Entscheidungsausspruch des angefochtenen Urteils verstößt nicht gegen § 88 VwGO. Nach dieser Vorschrift darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Unwirksamkeit des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV festgestellt, ohne Satz 3, also die Untersagung von Reisebusreisen, hiervon auszunehmen. In Bezug auf die Reisebusreisen hatte die Antragstellerin die Feststellung nicht beantragt. Bei der Normenkontrolle nach § 47 VwGO handelt es sich um ein Antragsverfahren eigener Art; nach Gegenstand und Prüfungsmaßstab ist es als objektives Rechtsbeanstandungsverfahren ausgestaltet, das über das zugleich enthaltene Element des subjektiven Rechtsschutzes hinausgeht (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2020 - 4 CN 9.19 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 222 Rn. 12 m. w. N.). Im Hinblick hierauf darf das Gericht im Normenkontrollverfahren über ein zulässiges Antragsbegehren hinausgehen, wenn der antragsgemäß für unwirksam zu erklärende Teil der Rechtsvorschrift mit einem anderen, nicht angegriffenen Teil in untrennbarem Zusammenhang steht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 1991 - 4 NB 3.91 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 59 S. 85; Hoppe, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 47 Rn. 85). Der Antragsgegner macht geltend, die Regelungen zum Betrieb von Einrichtungen (Satz 1) und zur Durchführung von Reisebusreisen (Satz 3) stünden nicht in einem untrennbaren Zusammenhang. Ob und inwieweit § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV teilbar ist, ist eine Frage des nichtrevisiblen Landesrechts (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. November 2022 - 3 CN 2.21 - BVerwGE 177, 92 Rn. 34). Der Verwaltungsgerichtshof hat einen untrennbaren Zusammenhang zwischen den Regelungen des Satzes 1 und des Satzes 3 nach ihrer systematischen Stellung bejaht (UA Rn. 52). Diese Auslegung des § 2 Abs. 1 2. BayIfSMV ist für das Revisionsverfahren verbindlich (§ 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 560 ZPO). Eine Verletzung von Bundesrecht ist insoweit weder geltend gemacht noch ersichtlich.
Rz. 29
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Fundstellen
NVwZ 2024, 1174 |
JZ 2024, 362 |