Entscheidungsstichwort (Thema)
Befähigungsvoraussetzungen. Erwerb der – teilweise im bisherigen Bundesgebiet und im Beitrittsgebiet
Leitsatz (amtlich)
Die Befähigungsvoraussetzungen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 der 2. BesÜV sind auch dann im bisherigen Bundesgebiet erworben worden, wenn die im bisherigen Bundesgebiet absolvierten Teile der Ausbildung zeitlich mindestens die Hälfte der Gesamtausbildung ausmachen.
(Wie Urteil vom heutigen Tage BVerwG 2 C 14.05)
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; 2. BesÜV § 4
Verfahrensgang
VG Greifswald (Urteil vom 03.03.2005; Aktenzeichen 6 A 1882/04) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 3. März 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Der Kläger ist Steueramtmann im Dienste des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Mit Wirkung vom 1. September 1991 wurde er unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zum Finanzanwärter des Landes Mecklenburg-Vorpommern ernannt. Die gesamte fachtheoretische Studienzeit des von September 1991 bis Oktober 1994 dauernden Vorbereitungsdienstes für die Laufbahn des gehobenen Dienstes der Finanzverwaltung leistete er an der Verwaltungsfachhochschule in Altenholz/Schleswig-Holstein; den überwiegenden Teil der fachpraktischen Ausbildung absolvierte er ebenfalls in Schleswig-Holstein. Vom 6. Juli bis 28. August 1992 war er im Praktikum bei dem Finanzamt Stralsund. Die Prüfungsvorbereitung absolvierte er in der Zeit vom 18. Juli bis 5. August 1994 sowie vom 5. September bis 10. Oktober 1994 ebenfalls im Beitrittsgebiet. Die schriftliche Laufbahnprüfung legte er in Schleswig-Holstein, die mündliche Laufbahnprüfung in Neustrelitz ab.
Mit Wirkung vom 12. Oktober 1994 wurde der Kläger unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Steuerinspektor z.A. beim Land Mecklenburg-Vorpommern ernannt. Seitdem erhält er abgesenkte Dienstbezüge gemäß § 73 BBesG i.V.m. §§ 1, 2 der 2. BesÜV. Den im Dezember 1999 gestellten Antrag, rückwirkend ungekürzte Bezüge, hilfsweise einen ruhegehaltfähigen Zuschuss gemäß § 4 der 2. BesÜV zu zahlen, lehnte der Beklagte ab.
Bereits vor Entscheidung über den Widerspruch hat der Kläger Klage erhoben, der das Verwaltungsgericht stattgegeben hat. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
Ein Beamter sei dann aufgrund der im bisherigen Bundesgebiet erlangten Befähigungsvoraussetzungen ernannt worden, wenn er einen beachtlichen Teil der Ausbildung im bisherigen Bundesgebiet durchlaufen habe. Der Kläger habe seine gesamte Fachstudienzeit im Geschäftsbereich des Finanzministeriums des Landes Schleswig-Holstein absolviert. Dies gelte – bis auf das achtwöchige Praktikum beim Finanzamt Stralsund – auch für die berufspraktischen Ausbildungsabschnitte. Dass der Kläger die mündliche Laufbahnprüfung in Neustrelitz abgelegt habe, habe keine entscheidende Bedeutung.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision des Beklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 3. März 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Vertreterin des Bundesinteresses trägt vor, es müsse im Einzelfall entschieden werden, inwieweit Zeiten, die im Rahmen des Erwerbs der Befähigungsvoraussetzungen für die jeweilige Laufbahn im Beitrittsgebiet abgeleistet worden seien, dem Zweck der Zuschussregelung entgegenstünden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat Anspruch auf den begehrten ruhegehaltfähigen Zuschuss zur Ergänzung der Dienstbezüge gemäß § 4 Abs. 1 der Zweiten Verordnung über besoldungsrechtliche Übergangsregelungen nach Herstellung der Einheit Deutschlands (Zweite Besoldungs-Übergangsverordnung – 2. BesÜV –) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 779) und mit Wirkung ab dem 1. Juli 1991, ergänzt durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der Lehrerbesoldung vom 23. August 1994 (BGBl I S. 2186). Zwar ist § 4 durch Art. 1 Nr. 1 der zum 25. November 1997 in Kraft getretenen Vierten Besoldungsübergangs-Änderungsverordnung vom 17. November 1997 (BGBl I S. 2713) geändert und der Zuschuss – nunmehr als Ermessensleistung – an strengere Voraussetzungen gebunden worden. Gemäß § 12 der 2. BesÜV in der Fassung des Art. 1 Nr. 6 der Vierten Besoldungsübergangs-Änderungsverordnung ist § 4 allerdings noch in der bis zum 24. November 1997 geltenden Fassung auf Beamte, Richter und Soldaten weiter anzuwenden, die – wie der Kläger – bis zu diesem Tage ernannt worden sind.
Gemäß § 4 Abs. 1 der 2. BesÜV in der hier noch maßgeblichen Fassung erhalten Beamte mit Anspruch auf Besoldung nach § 2 der 2. BesÜV einen ruhegehaltfähigen Zuschuss in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den Bezügen nach § 2 und den bei gleichem Amt für das bisherige Bundesgebiet geltenden Dienstbezügen, wenn sie aufgrund der im bisherigen Bundesgebiet oder im Ausland erworbenen Befähigungsvoraussetzungen ernannt werden.
Der Kläger hatte seit seiner Ernennung zum Beamten auf Probe zum 12. Oktober 1994 Anspruch auf Besoldung. Er stand zwar bereits während seines Vorbereitungsdienstes in einem Dienstverhältnis zu dem Land Mecklenburg-Vorpommern. Als Beamter auf Widerruf erhielt er jedoch keine Dienstbezüge, sondern sonstige Bezüge (vgl. § 59 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 Nr. 1 BBesG). Seit dem 12. Oktober 1994 gehört der Kläger zu dem in § 1 und § 2 Abs. 1 der 2. BesÜV bestimmten Personenkreis und erhält abgesenkte Dienstbezüge gemäß § 73 BBesG i.V.m. §§ 1, 2 der 2. BesÜV, die gegenwärtig noch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2003 – 2 BvR 709/99 – BVerfGE 107, 257 ≪268 f.≫ unter Hinweis auf den Beschluss vom 12. Februar 2003 – 2 BvL 3/00 – BVerfGE 107, 218 ff.; Kammerbeschluss vom 13. November 2003 – 2 BvR 1883/99 – ZBR 2004, 100; BVerwG, Urteile vom 25. April 1996 – BVerwG 2 C 27.95 – BVerwGE 101, 116 ≪120 ff.≫ und vom 11. März 1999 – BVerwG 2 C 24.98 – Buchholz 240 § 73 BBesG Nr. 3 S. 6).
Den Begriff “Befähigungsvoraussetzungen” definieren weder die Zweite Besoldungs-Übergangsverordnung noch sonstige besoldungsrechtliche Vorschriften. Er entstammt dem Laufbahnrecht und umfasst sämtliche Vor- und Ausbildungsvoraussetzungen, die die spezifisch fachbezogene Vorbildung für die Wahrnehmung der Amtsaufgaben der jeweiligen Laufbahn vermitteln (vgl. Urteile vom 25. April 1996 a.a.O. S. 118, vom 27. Februar 2001 – BVerwG 2 C 5.00 – Buchholz 240 § 73 BBesG Nr. 8 S. 17, vom 25. Mai 2004 – BVerwG 2 C 69.03 – ZBR 2005, 39, vom 25. Mai 2004 – BVerwG 2 C 70.03 – LKV 2005, 68). Allerdings gehören nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts allgemeine Schul- und Bildungsabschlüsse aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zu der geforderten dienstrechtlichen Vorbildung, weil die fachliche Qualifikation, auf die es insofern maßgeblich ankomme, regelmäßig durch den Vorbereitungsdienst und – soweit vorgeschrieben – die Laufbahnprüfung erworben werde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2003 a.a.O. S. 272, Kammerbeschlüsse vom 13. November 2003 a.a.O. und vom 19. November 2003 – 2 BvR 538/00 – ZBR 2004, 169, 171). Dadurch werden dem Anwendungsbereich des § 4 der 2. BesÜV auch Beamte zugeordnet, die ihre Kindheit und Jugend bis zum Abitur im Beitrittsgebiet verbracht haben und sich nur vorübergehend und unter Beibehaltung ihres Lebensmittelpunktes im Beitrittsgebiet zur Ausbildung in das bisherige Bundesgebiet begeben haben. Der Senat ist der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefolgt.
Davon ausgehend werden die Befähigungsvoraussetzungen für den gehobenen Dienst gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1, 3 BRRG durch den Vorbereitungsdienst erworben, der mit der Laufbahnprüfung abschließt. Entsprechende landesrechtliche Regelungen enthalten § 23 Abs. 1 Nr. 3, § 17 LBG M-V i.V.m. § 25 Abs. 1, 4 der Landesverordnung über die Laufbahnen der Beamten des Landes Mecklenburg-Vorpommern vom 28. September 1994 (GVOBl M-V 1994, 861). Ob diese Befähigungsvoraussetzungen “im bisherigen Bundesgebiet” erlangt worden sind, ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausschließlich ortsbezogen zu beurteilen. Es kommt maßgeblich darauf an, ob der Beamte, Richter oder Soldat die als Befähigungsvoraussetzungen bestimmten Ausbildungen und Prüfungen an einem Ort im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland außerhalb der Grenzen der in Art. 3 EV genannten Länder und Landesteile oder im Ausland absolviert hat. Denn § 4 der 2. BesÜV enthält sich jeglicher Bewertung der Qualität von Ausbildung, von Vorbildungs- und Ausbildungsabschlüssen sowie der Eignung, Leistung und fachlichen Befähigung des begünstigten Personenkreises. Die Gleichwertigkeit der Vor- und Ausbildungen im bisherigen Bundesgebiet und dem Beitrittsgebiet wird vielmehr ohne weiteres vorausgesetzt (vgl. z.B. §§ 13 ff., 122 BRRG).
Nicht entscheidend ist hingegen die dienstrechtliche Verbindung eines Bediensteten zu einer Behörde oder einem Dienstherrn mit Gebietshoheit (vgl. dazu im Einzelnen Urteil vom 11. März 1999 a.a.O.). Deshalb kommt es nicht darauf an, dass der Kläger seinen Vorbereitungsdienst und die Laufbahnprüfung statusrechtlich als Beamter auf Widerruf des Landes Mecklenburg-Vorpommern absolviert hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob der Kläger vor Beginn des Vorbereitungsdienstes einen Hauptwohnsitz im bisherigen Bundesgebiet begründet hatte. § 4 der 2. BesÜV stellt nicht auf den früheren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt ab. Im Übrigen wird der Lebensmittelpunkt in aller Regel im Beitrittsgebiet gelegen haben, wenn dort die allgemeine Schulausbildung abgeschlossen worden ist.
§ 4 der 2. BesÜV enthält keine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass die Befähigungsvoraussetzungen sowohl im bisherigen Bundesgebiet als auch im Beitrittsgebiet erworben werden. Namentlich dem Wortlaut lässt sich hierfür nichts entnehmen.
Die Befähigungsvoraussetzungen müssen auch dann als im bisherigen Bundesgebiet oder im Ausland erworben gelten, wenn der dort durchgeführte Teil der fachspezifischen Ausbildung und der Abschlussprüfung zeitlich mindestens die Hälfte der Gesamtausbildung ausmacht. Unter dieser Voraussetzung ist die örtliche Zuordnung der Ausbildung zu dem bisherigen Bundesgebiet von einem solchen Gewicht, dass ihr aus Gründen der Gleichbehandlung Rechnung getragen werden muss. Vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG wäre es nicht zu rechtfertigen, dass diejenigen, die die Befähigungsvoraussetzungen gänzlich im ehemaligen Bundesgebiet erworben haben, in den Genuss des Zuschusses gelangen, während diejenigen, die Ausbildungs- oder Prüfungsteile von nachrangigem Gewicht im Beitrittsgebiet abgelegt haben, davon ausgeschlossen sind.
Danach erfüllt der Kläger die Voraussetzungen des § 4 der 2. BesÜV, weil er zeitlich ganz überwiegend seine Fachausbildung im bisherigen Bundesgebiet durchlaufen hat. Das Verwaltungsgericht hat bindend (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt, dass der Kläger seine theoretische Fachstudienzeit wie auch die berufspraktischen Ausbildungsabschnitte – mit Ausnahme des achtwöchigen Praktikums beim Finanzamt Stralsund – im Geschäftsbereich des Finanzministeriums des Landes Schleswig-Holstein absolviert hat. Dort hat er auch den schriftlichen Teil der Laufbahnprüfung abgelegt. Dass der Kläger die mündliche Laufbahnprüfung in Neustrelitz abgelegt hat, stellt nicht den Ortsbezug der Laufbahnprüfung zum Beitrittsgebiet her.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer, Dr. Heitz
Fundstellen