Entscheidungsstichwort (Thema)
Befähigungsvoraussetzungen. Erwerb der – teilweise im bisherigen Bundesgebiet und im Beitrittsgebiet
Leitsatz (amtlich)
Die Befähigungsvoraussetzungen gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 der 2. BesÜV sind auch dann im bisherigen Bundesgebiet erworben worden, wenn die im bisherigen Bundesgebiet absolvierten Teile der Ausbildung zeitlich mindestens die Hälfte der Gesamtausbildung ausmachen.
(Wie Urteil vom heutigen Tage BVerwG 2 C 14.05)
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1; 2. BesÜV § 4
Verfahrensgang
VG Magdeburg (Urteil vom 19.07.2005; Aktenzeichen 5 A 76/05 MD) |
Tenor
Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 19. Juli 2005 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Klägerin wurde mit Wirkung vom 2. August 1993 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf zur Inspektoranwärterin im gehobenen Justizvollzugsdienst des Landes Sachsen-Anhalt ernannt. Den dreijährigen Vorbereitungsdienst absolvierte sie überwiegend in Dienststellen im Geschäftsbereich der Senatsverwaltung für Justiz in Berlin. Vom 2. bis 15. August 1993 nahm sie an einem Einführungslehrgang in der Justizvollzugsanstalt Volkstedt in Sachsen-Anhalt teil; vom 1. Juli bis 17. September 1996 war sie in der Justizvollzugsanstalt Dessau tätig. Die Laufbahnprüfung legte sie am 16. September 1996 vor dem Prüfungsausschuss für den gehobenen Verwaltungsdienst an Justizvollzugsanstalten bei der Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin ab.
Am 18. September 1996 wurde die Klägerin unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Regierungsinspektorin z.A. des Landes Sachsen-Anhalt ernannt. Seitdem erhält sie abgesenkte Dienstbezüge gemäß § 73 BBesG i.V.m. §§ 1, 2 der 2. BesÜV. Den Antrag von Januar 2004, ihr einen Zuschuss gemäß § 4 der 2. BesÜV rückwirkend ab dem Zeitpunkt ihrer Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zu bewilligen, lehnte der Beklagte ab.
Der nach erfolglosem Widerspruch erhobenen Klage auf Bewilligung des Zuschusses ab dem 1. Januar 2001 hat das Verwaltungsgericht stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Es sei zwar zweifelhaft, inwieweit hinsichtlich Personen aus dem Beitrittsgebiet der mobilitätsfördernde Charakter des Zuschusses im Vordergrund stehe, da diese nicht erst für den Landesdienst im Beitrittsgebiet hätten gewonnen werden müssen. Gleichwohl schließe sich die Kammer der vom Bundesverfassungsgericht zum Erwerb der allgemeinen Schulbildung als Befähigungsvoraussetzung vertretenen Auffassung an. Unerheblich sei, dass die Klägerin unwesentliche Teile der Ausbildung im Beitrittsgebiet absolviert habe. Die im Schnellbrief des Ministeriums der Finanzen vertretene Auffassung, dass bereits aus Praktikabilitätsgründen darauf abzustellen sei, ob sich der Beamte aus örtlicher Sicht ausnahmslos im bisherigen Bundesgebiet aufgehalten habe, sei nicht sachgerecht. Selbst wenn unterstellt werde, dass die im Beitrittsgebiet vorgenommenen Tätigkeiten überhaupt zum Vorbereitungsdienst gehörten, handele es sich dabei – gemessen an der Gesamtzeit des dreijährigen Vorbereitungsdienstes – um einen derart untergeordneten Teil, dass er nicht als für die Ausbildung notwendig und ausbildungsrelevant angesehen werden könne.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision rügt der Beklagte die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 19. Juli 2005 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Vertreterin des Bundesinteresses trägt vor, es müsse im Einzelfall entschieden werden, inwieweit Zeiten, die im Rahmen des Erwerbs der Befähigungsvoraussetzungen für die jeweilige Laufbahn im Beitrittsgebiet abgeleistet worden seien, dem Zweck der Zuschussregelung entgegenstünden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Die Klägerin hat Anspruch auf den begehrten ruhegehaltfähigen Zuschuss zur Ergänzung der Dienstbezüge gemäß § 4 Abs. 1 der Zweiten Verordnung über besoldungsrechtliche Übergangsregelungen nach Herstellung der Einheit Deutschlands (Zweite Besoldungs-Übergangsverordnung – 2. BesÜV –) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 779) und mit Wirkung ab dem 1. Juli 1991, ergänzt durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften der Lehrerbesoldung vom 23. August 1994 (BGBl I S. 2186). Zwar ist § 4 durch Art. 1 Nr. 1 der zum 25. November 1997 in Kraft getretenen Vierten Besoldungsübergangs-Änderungsverordnung vom 17. November 1997 (BGBl I S. 2713) geändert und der Zuschuss – nunmehr als Ermessensleistung – an strengere Voraussetzungen gebunden worden. Gemäß § 12 der 2. BesÜV in der Fassung des Art. 1 Nr. 6 der Vierten Besoldungsübergangs-Änderungsverordnung ist § 4 allerdings noch in der bis zum 24. November 1997 geltenden Fassung auf Beamte, Richter und Soldaten weiter anzuwenden, die – wie die Klägerin – bis zu diesem Tage ernannt worden sind.
Gemäß § 4 Abs. 1 der 2. BesÜV in der hier noch maßgeblichen Fassung erhalten Beamte mit Anspruch auf Besoldung nach § 2 der 2. BesÜV einen ruhegehaltfähigen Zuschuss in Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen den Bezügen nach § 2 und den bei gleichem Amt für das bisherige Bundesgebiet geltenden Dienstbezügen, wenn sie aufgrund der im bisherigen Bundesgebiet oder im Ausland erworbenen Befähigungsvoraussetzungen ernannt werden.
Die Klägerin hatte seit ihrer Ernennung zur Beamtin auf Probe zum 18. September 1996 Anspruch auf Besoldung. Sie stand zwar bereits während ihres Vorbereitungsdienstes in einem Dienstverhältnis zu dem Land Mecklenburg-Vorpommern. Als Beamtin auf Widerruf erhielt sie jedoch keine Dienstbezüge, sondern sonstige Bezüge (vgl. § 59 Abs. 1 i.V.m. § 1 Abs. 3 Nr. 1 BBesG). Seit dem 18. September 1996 gehört die Klägerin zu dem in § 1 und § 2 Abs. 1 der 2. BesÜV bestimmten Personenkreis und erhält abgesenkte Dienstbezüge gemäß § 73 BBesG i.V.m. §§ 1, 2 der 2. BesÜV, die gegenwärtig noch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2003 – 2 BvR 709/99 – BVerfGE 107, 257 ≪268 f.≫ unter Hinweis auf den Beschluss vom 12. Februar 2003 – 2 BvL 3/00 – BVerfGE 107, 218 ff.; Kammerbeschluss vom 13. November 2003 – 2 BvR 1883/99 – ZBR 2004, 100; BVerwG, Urteile vom 25. April 1996 – BVerwG 2 C 27.95 – BVerwGE 101, 116 ≪120 ff.≫ und vom 11. März 1999 – BVerwG 2 C 24.98 – Buchholz 240 § 73 BBesG Nr. 3 S. 6).
Den Begriff “Befähigungsvoraussetzungen” definieren weder die Zweite Besoldungs-Übergangsverordnung noch sonstige besoldungsrechtliche Vorschriften. Er entstammt dem Laufbahnrecht und umfasst sämtliche Vor- und Ausbildungsvoraussetzungen, die die spezifisch fachbezogene Vorbildung für die Wahrnehmung der Amtsaufgaben der jeweiligen Laufbahn vermitteln (vgl. Urteile vom 25. April 1996 a.a.O. S. 118, vom 27. Februar 2001 – BVerwG 2 C 5.00 – Buchholz 240 § 73 BBesG Nr. 8 S. 17, vom 25. Mai 2004 – BVerwG 2 C 69.03 – ZBR 2005, 39, vom 25. Mai 2004 – BVerwG 2 C 70.03 – LKV 2005, 68). Allerdings gehören nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts allgemeine Schul- und Bildungsabschlüsse aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zu der geforderten dienstrechtlichen Vorbildung, weil die fachliche Qualifikation, auf die es insofern maßgeblich ankomme, regelmäßig durch den Vorbereitungsdienst und – soweit vorgeschrieben – die Laufbahnprüfung erworben werde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 2003 a.a.O. S. 272, Kammerbeschlüsse vom 13. November 2003 a.a.O. und vom 19. November 2003 – 2 BvR 538/00 – ZBR 2004, 169, 171). Dadurch werden dem Anwendungsbereich des § 4 der 2. BesÜV auch Beamte zugeordnet, die ihre Kindheit und Jugend bis zum Abitur im Beitrittsgebiet verbracht haben und sich nur vorübergehend und unter Beibehaltung ihres Lebensmittelpunktes im Beitrittsgebiet zur Ausbildung in das bisherige Bundesgebiet begeben haben. Der Senat ist der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefolgt.
Davon ausgehend werden die Befähigungsvoraussetzungen für den gehobenen Dienst gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1, 3 BRRG durch den Vorbereitungsdienst erworben, der mit der Laufbahnprüfung abschließt. Entsprechende landesrechtliche Regelungen enthalten § 18 Abs. 1 BG LSA i.V.m. §§ 4, 21 ff. der Verordnung über die Laufbahnen der Beamten im Land Sachsen-Anhalt vom 15. August 1994 (GVBl LSA 1994, 920). Ob diese Befähigungsvoraussetzungen “im bisherigen Bundesgebiet” erlangt worden sind, ist auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ausschließlich ortsbezogen zu beurteilen. Es kommt maßgeblich darauf an, ob der Beamte, Richter oder Soldat die als Befähigungsvoraussetzungen bestimmten Ausbildungen und Prüfungen an einem Ort im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland außerhalb der Grenzen der in Art. 3 EV genannten Länder und Landesteile oder im Ausland absolviert hat. Denn § 4 der 2. BesÜV enthält sich jeglicher Bewertung der Qualität von Ausbildung, von Vorbildungs- und Ausbildungsabschlüssen sowie der Eignung, Leistung und fachlichen Befähigung des begünstigten Personenkreises. Die Gleichwertigkeit der Vor- und Ausbildungen im bisherigen Bundesgebiet und dem Beitrittsgebiet wird vielmehr ohne weiteres vorausgesetzt (vgl. z.B. §§ 13 ff., 122 BRRG).
Nicht entscheidend ist hingegen die dienstrechtliche Verbindung eines Bediensteten zu einer Behörde oder einem Dienstherrn mit Gebietshoheit (vgl. dazu im Einzelnen Urteil vom 11. März 1999 a.a.O.). Deshalb kommt es nicht darauf an, dass die Klägerin ihren Vorbereitungsdienst und die Laufbahnprüfung statusrechtlich als Beamtin auf Widerruf des Landes Sachsen-Anhalt absolviert hat. Ebenso wenig kommt es darauf an, ob die Klägerin vor Beginn des Vorbereitungsdienstes ihren Hauptwohnsitz im bisherigen Bundesgebiet begründet hatte. § 4 der 2. BesÜV stellt nicht auf den früheren Wohnsitz oder dauernden Aufenthalt ab. Im Übrigen wird der Lebensmittelpunkt in aller Regel im Beitrittsgebiet gelegen haben, wenn dort die allgemeine Schulausbildung abgeschlossen worden ist.
§ 4 der 2. BesÜV enthält keine ausdrückliche Regelung für den Fall, dass die Befähigungsvoraussetzungen sowohl im bisherigen Bundesgebiet als auch im Beitrittsgebiet erworben werden. Namentlich dem Wortlaut lässt sich hierfür nichts entnehmen.
Die Befähigungsvoraussetzungen müssen auch dann als im bisherigen Bundesgebiet oder im Ausland erworben gelten, wenn der dort durchgeführte Teil der fachspezifischen Ausbildung und der Abschlussprüfung zeitlich mindestens die Hälfte der Gesamtausbildung ausmacht. Unter dieser Voraussetzung ist die örtliche Zuordnung der Ausbildung zu dem bisherigen Bundesgebiet von einem solchen Gewicht, dass ihr aus Gründen der Gleichbehandlung Rechnung getragen werden muss. Vor dem Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG wäre es nicht zu rechtfertigen, dass diejenigen, die die Befähigungsvoraussetzungen gänzlich im ehemaligen Bundesgebiet erworben haben, in den Genuss des Zuschusses gelangen, während diejenigen, die Ausbildungs- oder Prüfungsteile von nachrangigem Gewicht im Beitrittsgebiet abgelegt haben, davon ausgeschlossen sind.
Danach erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des § 4 der 2. BesÜV, weil sie ihre Fachausbildung ganz überwiegend im bisherigen Bundesgebiet durchlaufen hat. Das Verwaltungsgericht hat bindend (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt, dass die Klägerin während ihrer Ausbildung überwiegend Dienststellen in Berlin zugeordnet war. Demgegenüber ist von nur untergeordneter Bedeutung, dass die Klägerin im August 1993 an einem Einführungslehrgang von zwei Wochen in der Justizvollzugsanstalt Volkstedt teilgenommen hat und vom 1. Juli bis 17. September 1996 in der Justizvollzugsanstalt Dessau eingesetzt worden ist. Die Laufbahnprüfung hat die Klägerin im September 1996 nach Berliner Landesrecht vor dem Prüfungsausschuss für den gehobenen Verwaltungsdienst an Justizvollzugsanstalten bei der Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin abgelegt.
Die Klägerin hat damit Anspruch auf den von ihr begehrten ruhegehaltfähigen Zuschuss zur Ergänzung ihrer Dienstbezüge gemäß § 4 Abs. 1 der 2. BesÜV und in entsprechender Anwendung der §§ 291, 288 BGB (vgl. Urteil vom 12. Juni 2002 – BVerwG 9 C 6.01 – BVerwGE 116, 312 ≪325≫ m.w.N.) auch auf Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der rückständigen Beträge.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Prof. Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer, Dr. Heitz
Fundstellen