Verfahrensgang
VG Köln (Urteil vom 11.07.2003; Aktenzeichen 11 K 2220/02) |
Nachgehend
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 11. Juli 2003 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Klägerin bietet Telekommunikationsdienstleistungen für die Öffentlichkeit an. Für die Erteilung einer Telekommunikationslizenz der Klasse 3 wurde sie durch Bescheid der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post der Beklagten (Regulierungsbehörde) vom 14. Juni 2000 zu einer Gebühr in Höhe von 10 600 000 DM (entspricht 5 419 693,94 €) herangezogen. Die Klägerin focht den Gebührenbescheid nicht an und leistete die Gebühr. Mit Urteil vom 19. September 2001 – BVerwG 6 C 13.00 – (BVerwGE 115, 125 ff.) bestätigte der Senat die Aufhebung eines fristgerecht angefochtenen Lizenzgebührenbescheides mit der Begründung, die dem Bescheid zugrunde liegende Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung sei mit höherrangigem Recht unvereinbar. Daraufhin verlangte die Klägerin die Erstattung der geleisteten Lizenzgebühren. Nach Ablehnung dieses Antrages durch die Regulierungsbehörde hat die Klägerin Klage erhoben, die das Verwaltungsgericht im Wesentlichen mit folgender Begründung abgewiesen hat: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Erstattung der Lizenzgebühren. Der bestandskräftige Gebührenbescheid sei Rechtsgrundlage für die Gebührenerhebung. Ein Anspruch auf Wideraufgreifen des bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG bestehe nicht. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides nach § 48 Abs. 1 VwVfG.
Mit ihrer vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision begehrt die Klägerin im Kern die Erstattung der aufgrund des Bescheides vom 14. Juni 2000 geleisteten Gebühr. Sie trägt zur Begründung im Wesentlichen vor: Das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, der Gebührenbescheid sei nicht nach § 48 Abs. 1 VwVfG zurückzunehmen. Das Rücknahmeermessen sei vielmehr aus einfachrechtlichen und verfassungsrechtlichen Gründen auf Null reduziert. Eine Ermessensreduzierung ergebe sich auch aus Europäischem Gemeinschaftsrecht. Die nach nationalem Recht eingetretene Bestandskraft stehe dem nicht entgegen. Die geleistete Gebühr sei auch aus Billigkeitsgründen zu erstatten.
Die Beklagte tritt der Revision unter Verteidigung des angefochtenen Urteils entgegen.
Der Senat hat mit Beschluss vom 7. Juli 2004 (BVerwGE 21, 226 ff.) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften gemäß Art. 234 Abs. 1 Buchst. a und b und Abs. 3 EG zwei Fragen zur Auslegung von Art. 10 EG und Art. 11 der Lizenzierungsrichtlinie gestellt. Auf die Begründung des Beschlusses wird Bezug genommen.
Mit Urteil vom 19. September 2006 (Rs. C-392/04 und C-422/04) hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Vorlage wie folgt beschieden:
“1. Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. April 1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste steht der Erhebung einer Gebühr für Einzelgenehmigungen entgegen, bei deren Berechnung die Kosten des allgemeinen Verwaltungsaufwands berücksichtigt werden, die der Regulierungsbehörde im Zusammenhang mit der Erteilung dieser Genehmigungen über einen Zeitraum von 30 Jahren entstehen.
2. Artikel 10 EG in Verbindung mit Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 97/13 gebietet es, dass das nationale Gericht beurteilt, ob eine mit dem Gemeinschaftsrecht klar unvereinbare Regelung, wie jene, die den in den Ausgangsverfahren streitigen Gebührenbescheiden zugrunde liegt, offensichtlich rechtswidrig im Sinne des betreffenden nationalen Rechts ist. Ist dies der Fall, hat das nationale Gericht daraus alle sich nach seinem nationalen Recht in Bezug auf die Rücknahme dieser Bescheide ergebenden Konsequenzen zu ziehen.”
Entscheidungsgründe
II
Der Rechtsstreit ist fortzusetzen, nachdem der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften über die Vorlage des Senats entschieden hat. Die Revision ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat weder einen Anspruch auf Erstattung der Gebühren (1.) noch auf erneute Bescheidung (2.).
1. Ein Anspruch auf Erstattung der mit Bescheid vom 14. Juni 2000 festgesetzten und von der Klägerin geleisteten Gebühr folgt nicht aus § 21 Abs. 1 des Verwaltungskostengesetzes (VwKostG) vom 23. Juni 1970 (BGBl I S. 821), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).
a) Die Klägerin kann die Erstattung der Gebühr nicht nach § 21 Abs. 1 Halbs. 1 VwKostG beanspruchen. Nach dieser Bestimmung sind u.a. zu Unrecht erhobene Kosten zu erstatten, soweit eine Kostenentscheidung noch nicht unanfechtbar ist. Sie findet auch dann Anwendung, wenn der Gebührenbescheid nach Eintritt seiner Bestandskraft aufgehoben wird. Da der Gebührenbescheid vom 14. Juni 2000 bestandskräftig ist, kann die Klägerin die Erstattung der von ihr gezahlten Gebühr auf der Grundlage des § 21 Abs. 1 Halbs. 1 VwKostG nur unter der Voraussetzung erreichen, dass sie einen Anspruch auf Aufhebung des unanfechtbaren Bescheides hat. Ein solcher Anspruch steht ihr auch bei Berücksichtigung des Europäischen Gemeinschaftsrechts nicht zu.
Die Klägerin, die aus den Gründen des Beschlusses vom 7. Juli 2004 (a.a.O. S. 228 f.) keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 Abs. 1 VwVfG hat, kann auch nicht die Rücknahme des Gebührenbescheides nach § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG beanspruchen. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder zum Teil mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Zwar erweist sich der Gebührenbescheid als rechtswidrig. Gleichwohl hat die Klägerin keinen Anspruch auf Rücknahme.
aa) Der Bescheid vom 14. Juni 2000 ist rechtswidrig, weil er zum hier maßgeblichen Zeitpunkt seines Erlasses einer Rechtsgrundlage entbehrte. Dies beruht zum einen darauf, dass die dem Gebührenbescheid zugrunde liegende Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung vom 28. Juli 1997 (BGBl I S. 1936) nicht mit nationalem höherrangigem Recht vereinbar war (vgl. Urteil vom 19. September 2001 a.a.O. S. 128 ff.). Zum anderen ist der Gebührenbescheid rechtswidrig, weil er nicht mit Art. 11 Abs. 1 der Richtlinie 97/13/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. April 1997 über einen gemeinsamen Rahmen für Allgemein- und Einzelgenehmigungen für Telekommunikationsdienste – Lizenzierungsrichtlinie – (ABl EG Nr. L 117 S. 15) im Einklang steht, wie der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in dem auf den Vorlagebeschluss des Senats vom 7. Juli 2004 ergangenen Urteil vom 19. September 2006 (a.a.O. Rn. 22 ff.) dargelegt hat.
bb) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Gebührenbescheides, weil keine Umstände vorliegen, nach denen sich das der Regulierungsbehörde von § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG eingeräumte Ermessen dahin verdichtet hat, dass nur die Rücknahme des Bescheides ermessensfehlerfrei wäre.
Der Senat hat in seinem Beschluss vom 7. Juli 2004 (a.a.O. S. 229 ff. m.w.N.) aufgezeigt, dass bei der Ausübung des Rücknahmeermessens in Rechnung zu stellen ist, dass dem Grundsatz der materiellen Gerechtigkeit prinzipiell kein größeres Gewicht zukommt als dem Grundsatz der Rechtssicherheit, sofern dem anzuwendenden Recht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besteht mit Blick auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit ausnahmsweise dann ein Anspruch auf Rücknahme eines bestandskräftigen Verwaltungsakts, wenn dessen Aufrechterhaltung “schlechthin unerträglich” ist, was von den Umständen des Einzelfalles und einer Gewichtung der einschlägigen Gesichtspunkte abhängt. Allein die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründet keinen Anspruch auf Rücknahme, da der Rechtsverstoß lediglich die Voraussetzung einer Ermessensentscheidung der Behörde ist. Das Festhalten an dem Verwaltungsakt ist insbesondere dann “schlechthin unerträglich”, wenn die Behörde durch unterschiedliche Ausübung der Rücknahmebefugnis in gleichen oder ähnlich gelagerten Fällen gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstößt oder wenn Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder Treu und Glauben erscheinen lassen. Die offensichtliche Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, dessen Rücknahme begehrt wird, kann ebenfalls die Annahme rechtfertigen, seine Aufrechterhaltung sei schlechthin unerträglich. Ferner kann in dem einschlägigen Fachrecht eine bestimmte Richtung der zu treffenden Entscheidung in der Weise vorgegeben sein, dass das Ermessen im Regelfall nur durch die Entscheidung für die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtmäßig ausgeübt werden kann, so dass sich das Ermessen in diesem Sinne als intendiert erweist. Nach diesen Grundsätzen gebietet das nationale Recht nicht die Rücknahme des Gebührenbescheides.
In seinem Beschluss vom 7. Juli 2004 (a.a.O. S. 231 ff. und S. 237) hat der Senat dargelegt, dass die Aufrechterhaltung des Bescheides nicht deshalb “schlechthin unerträglich” wäre, weil diese gegen die guten Sitten, Treu und Glauben oder den allgemeinen Gleichheitssatz verstoßen würde, und dass das einschlägige Fachrecht keine Rücknahme verlangt. Daran hält der Senat fest.
Der Verstoß gegen das nationale Recht erweist sich auch nicht als offensichtlich. Eine offensichtliche Rechtswidrigkeit in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn an dem Verstoß der streitigen Maßnahme gegen formelles oder materielles Recht vernünftigerweise kein Zweifel besteht und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängt. Anders als bei der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nach § 44 Abs.1 VwVfG ist es im vorliegenden Zusammenhang nicht erforderlich, dass der Verwaltungsakt an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtswidrig erweist, ist in der Regel – und so auch hier – der Zeitpunkt des Erlasses des Verwaltungsakts. Die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts möglicherweise gebietende Offensichtlichkeit fehlt, wenn die Evidenz des Rechtsfehlers erst später ersichtlich wird. Daran gemessen kann der Verstoß der dem Gebührenbescheid zugrunde liegenden Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung gegen höherrangiges nationales Recht nicht als evident angesehen werden. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob es für die Frage der Offensichtlichkeit auf das Erkenntnisvermögen des mit den in Betracht kommenden Umständen vertrauten, verständigen Durchschnittsbürgers ankommt oder ob insoweit auf einen rechtskundigen Betrachter abzustellen ist. Auch im zuletzt genannten Fall liegt eine Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes aus den Gründen des Beschlusses des Senats vom 7. Juli 2004 (a.a.O. S. 236 f.) nicht vor.
Das Europäische Gemeinschaftsrecht verleiht ebenfalls keinen Anspruch auf Rücknahme des Gebührenbescheides. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften verlangt das Gemeinschaftsrecht mit Blick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit nicht, dass eine Verwaltungsbehörde grundsätzlich verpflichtet ist, eine Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen, die nach Ablauf angemessener Fristen oder durch Erschöpfung des Rechtswegs bestandskräftig geworden ist (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 51; Urteil vom 13. Januar 2004 – Rs. C-453/00, Kühne & Heitz – Slg. 2004, I-837 Rn. 24). Sieht das nationale Recht – wie hier – vor, dass ein nach innerstaatlichem Recht rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar ist, zurückzunehmen ist, sofern seine Aufrechterhaltung “schlechterdings unerträglich” wäre, muss die gleiche Verpflichtung zur Rücknahme unter den gleichen Voraussetzungen im Fall eines Verwaltungsakts gelten, der gegen Gemeinschaftsrecht verstößt (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 63). Der Europäische Gerichtshof hat in seinem Urteil vom 19. September 2006 (a.a.O. Rn. 65 ff.) dargelegt, dass der Gebührenbescheid mit Blick auf seine Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nicht deshalb zurückgenommen werden muss, weil ansonsten die Grundsätze der Gleichbehandlung, der guten Sitten, von Treu und Glauben oder der Billigkeit beeinträchtigt wären.
Ein Anspruch auf Rücknahme des Gebührenbescheides besteht auch nicht etwa deshalb, weil die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit offensichtlich wäre. Ist die Behörde – wie hier – nach nationalem Recht verpflichtet, eine bestandskräftige Verwaltungsentscheidung zurückzunehmen, wenn diese offensichtlich mit innerstaatlichem Recht unvereinbar ist, so muss im Fall offensichtlicher Unvereinbarkeit dieser Entscheidung mit Gemeinschaftsrecht die gleiche Verpflichtung bestehen (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 69). Der Europäische Gerichtshof hat hervorgehoben, dass es Sache des nationalen Gerichts ist zu beurteilen, ob angesichts der aufgezeigten Grundsätze der angefochtene Gebührenbescheid offensichtlich rechtswidrig im Sinne des betreffenden nationalen Rechts ist (EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 71). Das ist nicht der Fall. Es kann nicht angenommen werden, dass zum hier maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens des Gebührenbescheides an seiner Rechtswidrigkeit vernünftigerweise keine Zweifel bestanden haben und sich deshalb die Rechtswidrigkeit aufdrängte. Der Senat hat in seinem Vorlagebeschluss vom 7. Juli 2004 (a.a.O. S. 240 ff.) die Gründe dargestellt, die dafür sprechen, dass die Vorauserhebung von Kosten des allgemeinen Verwaltungsaufwandes für einen Zeitraum von 30 Jahren mit dem Gemeinschaftsrecht nicht im Einklang steht. In seinem Urteil vom 19. September 2006 (a.a.O. Rn. 22 ff.) hat der Europäische Gerichtshof dargelegt, dass der Gebührenbescheid Gemeinschaftsrecht verletzt. Der Gerichtshof hat aufgezeigt, dass es Art. 11 Abs. 1 der Lizenzierungsrichtlinie zuwiderläuft, dass bei der Bemessung der Gebühr Kosten des allgemeinen Verwaltungsaufwandes berücksichtigt wurden, die sich nicht auf die in der Bestimmung genannten Tätigkeiten beziehen, und dass Kosten berücksichtigt wurden, die über einen Zeitraum von 30 Jahren entstehen. Diese Erwägungen entsprechen im Kern denjenigen, die aus Sicht des Senats Zweifel an der Gemeinschaftsrechtskonformität begründeten. Sie beruhen auf einer näheren Auslegung des Art. 11 der Lizenzierungsrichtlinie, dem der Europäische Gerichtshof die für die Gebührenbemessung maßgeblichen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit, der Transparenz und der Nichtdiskriminierung entnommen hat. Diese Grundsätze hat der Gerichtshof erstmals in seinem Urteil vom 18. September 2003 – Rs. C-292/01 und C-293/02, Albacom und Infostrada (Slg. 2003, I-9449 Rn. 25) entwickelt, wobei dort freilich anstelle des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – in der Sache nicht wesentlich abweichend – der Grundsatz der Objektivität genannt ist. In seinem auf den Vorlagebeschluss des Senats im vorliegenden Rechtsstreit ergangenen Urteil vom 19. September 2006 hat der Gerichtshof den in Art. 11 Abs. 1 der Lizenzierungsrichtlinie verwendeten Begriff der Verwaltungskosten dahin präzisiert, dass er zwar “allgemeine” Verwaltungskosten umfasse, diese Kosten sich jedoch auf die vier in der Bestimmung ausdrücklich genannten Tätigkeiten der Ausstellung, Verwaltung, Kontrolle und Durchsetzung der Einzelgenehmigungen beziehen müssten, was auf die zu Lasten der Klägerin mitveranschlagten Kosten der allgemeinen Überwachungstätigkeit der Regulierungsbehörde und der Kontrolle von Missbräuchen nicht zutreffe; ferner hat er anhand der genannten Gebührenbemessungsgrundsätze die Gemeinschaftsrechtskonformität einer Vorauserhebung von Kosten für einen Zeitraum von 30 Jahren überprüft und für eine Gebührenregelung wie die hier in Rede stehende unter mehreren Gesichtspunkten verneint. Die Komplexität dieser Erwägungen des Europäischen Gerichtshofs verbietet die Annahme, dass die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit zum hier maßgeblichen Zeitpunkt offensichtlich im Sinne des nationalen Rechts war. In diesem Zusammenhang ist auch in Rechnung zu stellen – ähnlich wie der Senat es in seinem Beschluss vom 7. Juli 2004 (a.a.O.) bei der Prüfung der Offensichtlichkeit des Verstoßes gegen das nationale Recht getan hat –, dass das Oberverwaltungsgericht Münster in einem im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangenen Beschluss vom 27. Oktober 1999 – 13 B 843/99 – (MMR 2000, 115) die Gebührenregelung in der Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung aufgrund einer zwar nicht abschließenden, aber ins Einzelne gehenden Rechtsprüfung als gemeinschaftsrechtskonform beurteilt hat. Das bestätigt, dass Art. 11 der Lizenzierungsrichtlinie nicht ein solches Maß an Klarheit und Präzision aufweist, dass sich der Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht von vornherein aufdrängte, sondern dass er die für die Rechtsanwendung erforderliche Klarheit erst aufgrund der Auslegung erlangt hat, die ihm der Europäische Gerichtshof in seinen beiden Entscheidungen vom 18. September 2003 und vom 19. September 2006 gegeben hat.
Auch im Zusammenhang mit der Frage der Offensichtlichkeit des Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht ist nicht entscheidend, ob auf das Erkenntnisvermögen eines verständigen Bürgers oder auf dasjenige eines juristisch kundigen Betrachters abgestellt wird. Die Evidenz des Rechtsverstoßes kann bei beiden Betrachtungsweisen nicht festgestellt werden.
Die Annahme eines offensichtlichen Verstoßes gegen Gemeinschaftsrecht ist nicht deshalb geboten, weil der Europäische Gerichtshof in seinem Urteil vom 19. September 2006 (a.a.O. Rn. 71 f.) davon ausgegangen ist, die dem streitigen Gebührenbescheid zugrunde liegende Regelung erweise sich als mit dem Gemeinschaftsrecht “klar unvereinbar”. In jenem Urteil wird zwischen der offensichtlichen Rechtswidrigkeit im Sinne des nationalen Rechts und der klaren Gemeinschaftsrechtswidrigkeit der Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung unterschieden. Die unterschiedliche Wortwahl spiegelt die unterschiedliche Aufgabenstellung des Europäischen Gerichtshofs und des Bundesverwaltungsgerichts im vorliegenden Rechtsstreit wider: Während der Europäische Gerichtshof auf die Vorlage des Senats über die Auslegung des entscheidungserheblichen Gemeinschaftsrechts abschließend zu entscheiden hatte und darüber – soweit seine Entscheidung die Vereinbarkeit einer Gebührenregelung wie derjenigen in der Telekommunikations-Lizenzgebührenverordnung mit Art. 11 der Lizenzierungsrichtlinie betrifft – mit einem “klaren” Ergebnis entschieden hat, obliegt dem Senat die Entscheidung, ob der gegen die Klägerin ergangene Gebührenbescheid nach nationalem Recht zurückgenommen werden muss, weil seine Aufrechterhaltung im Hinblick auf seine offensichtliche Rechtswidrigkeit (oder aus einem anderen Grund) schlechthin unerträglich wäre. Für diese Entscheidung enthält das Gemeinschaftsrecht in der Auslegung des Europäischen Gerichtshofs lediglich die Vorgabe, dass die Offensichtlichkeit der Verletzung des Gemeinschaftsrechts nach demselben Maßstab zu beurteilen ist wie die Offensichtlichkeit des Verstoßes der Gebührenregelung gegen das nationale Recht. Es achtet also nahezu vollständig die mitgliedstaatliche Verfahrensautonomie. Demgemäß hat der Europäische Gerichtshof zwar einerseits die Klarheit der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit festgestellt, andererseits aber die Prüfung der Offensichtlichkeit dieses Rechtsverstoßes im Sinne des nationalen Rechts ausdrücklich dem Senat vorbehalten. Bei dieser Prüfung ist der Senat durch den Hinweis des Gerichtshofs auf die Klarheit der Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nicht präjudiziert.
Der Senat hat erwogen, ob sich die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit deshalb als offensichtlich darstellt, weil die Lizenzierungsrichtlinie den Zweck verfolgt, im Interesse der Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes den Markteintritt neuer Wettbewerber erheblich zu erleichtern, und weil die Erhebung der hier streitigen Gebühr den Wettbewerb ernsthaft beeinträchtigen kann (vgl. EuGH, Urteil vom 19. September 2006 a.a.O. Rn. 70). Diese Gesichtspunkte streiten – wie der Senat in seinem Vorlagebeschluss vom 7. Juli 2004 dargelegt hat (a.a.O. S. 244) – für die Aufhebung des Gebührenbescheides. Sie begründen hingegen nicht die Annahme, die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit erweise sich als offensichtlich im Sinne des einschlägigen nationalen Rechts. Nichts anderes ergibt sich, wenn die möglichen Auswirkungen der Gebührenregelung auf den Wettbewerb bereits beim Erlass des Gebührenbescheides Anlass zu ernsthaften Zweifeln an dessen Gemeinschaftsrechtskonformität gegeben haben sollten.
b) Die Klägerin kann die Erstattung der Gebühr auch nicht auf der Grundlage des § 21 Abs. 1 Halbs. 2 VwKostG aus Billigkeitsgründen beanspruchen. Der Senat hat in dem Beschluss vom 7. Juli 2004 (a.a.O. S. 237 f.) dargelegt, dass die in die Ermessensausübung einzustellenden wesentlichen Gesichtspunkte sich mit denjenigen decken, die bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Gebührenbescheides zu berücksichtigen sind. Da das Rücknahmeermessen nicht auf Null reduziert ist, scheidet ein Anspruch auf Erstattung nach § 21 Abs. 1 Halbs. 2 VwKostG aus.
2. Aus den Gründen des Beschlusses des Senats vom 7. Juli 2004 (a.a.O. S. 238) hat die Klägerin auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte im Sinne von § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO erneut darüber entscheidet ob der streitige Gebührenbescheid zurückgenommen oder die Gebühr aus Billigkeitsgründen erstattet wird.
3. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Dr. Hahn, Büge, Dr. Graulich, Vormeier
Fundstellen