Leitsatz (amtlich)
Die Satzung eines Wasser- und Bodenverbandes, dessen Mitglieder ausschließlich Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, muss keine feststehende Personenzahl bestimmen, sondern nur die Mindest- und Höchstzahl der Vorstandsmitglieder.
Verfahrensgang
VG Gießen (Urteil vom 07.02.2023; Aktenzeichen 8 K 3317/21.GI) |
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 7. Februar 2023 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens trägt der Beklagte.
Tatbestand
Rz. 1
Die Kläger sind Wasser- und Bodenverbände im Sinne des Wasserverbandsgesetzes. Ihre Verbandsmitglieder sind Kreise, Städte und Gemeinden. Nach den geltenden Satzungen besteht der Vorstand des Klägers zu 1 aus 9 Personen und der Vorstand des Klägers zu 2 aus 14 Personen. Die Verbandsversammlungen der Kläger beschlossen im März 2021 Satzungsänderungen, wonach sich die Vorstände jeweils aus dem Verbandsvorsteher, dessen Stellvertreter sowie mindestens einem weiteren Mitglied zusammensetzen. Als Höchstzahl der Vorstandsmitglieder ist vorgesehen, dass jedes Verbandsmitglied maximal ein Vorstandsmitglied und dessen persönlichen Vertreter vorschlagen kann.
Rz. 2
Der Beklagte lehnte die Genehmigungen dieser Satzungsänderungen ab. Die beschlossenen Neuregelungen erfüllten nicht die Anforderungen des Bestimmtheitsgrundsatzes. Die Regelgröße des Vorstands sei in der Satzung festzulegen und dürfe nicht variieren. Die mögliche Vergrößerung der Vorstände sei zudem mit ihrer gesetzlich bestimmten Funktion als Leitungsgremium nicht vereinbar. Die Vorstände würden hierdurch zu einer zweiten Kammer der Verbandsversammlungen.
Rz. 3
Die zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verpflichtungsklagen auf Erteilung der Genehmigungen hatten vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Das Gebot der Normenbestimmtheit und -klarheit sei gewahrt, da die Größe der Vorstände durch die Festlegung einer Mindest- und Höchstgrenze in den Satzungsänderungen hinreichend bestimmbar sei. Die Wasser- und Bodenverbände dürften sich grundsätzlich frei zwischen einer Leitung durch einen Ein-Personen-Vorstand und einem mehrköpfigen Vorstand entscheiden. Ihre Motive seien als Zweckmäßigkeitserwägungen der Rechtsaufsicht entzogen. Beeinträchtigungen der Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Vorstände seien nicht zu befürchten. Auch die Kompetenzordnung zwischen den Verbandsversammlungen und den Verbandsvorständen bleibe unberührt.
Rz. 4
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner vom Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision. Aus der Wasserverbandssatzung müsse klar und eindeutig erkennbar sein, aus wie vielen Mitgliedern sich der Vorstand zusammensetzt. Der Gesetzgeber habe bei einem mehrgliedrigen Vorstand eine Besetzung mit wenigen Personen vorausgesetzt. Bei der hier in Rede stehenden Größenordnung seien die Arbeitsfähigkeit und Funktion des Vorstands grundsätzlich in Frage gestellt.
Rz. 5
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen vom 7. Februar 2023 zu ändern und die Klagen abzuweisen.
Rz. 6
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Rz. 7
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
Rz. 8
Die Vertreterin des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren und unterstützt die Rechtsauffassung der Kläger.
Entscheidungsgründe
Rz. 9
Die zulässige Sprungrevision des Beklagten ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Urteil des Verwaltungsgerichts steht in Einklang mit Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Kläger haben Anspruch auf Erteilung der Genehmigungen nach § 58 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über Wasser- und Bodenverbände (Wasserverbandsgesetz - WVG) vom 12. Februar 1991 (BGBl. I S. 405), geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 15. Mai 2002 (BGBl. I S. 1578).
Rz. 10
1. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass § 12 Abs. 1 der Satzungen in der Fassung der von den Verbandsversammlungen der Kläger beschlossenen Änderungen, den Bestimmtheitsanforderungen genügt, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden. Die Satzung eines Wasser- und Bodenverbandes, dessen Mitglieder ausschließlich Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, muss keine feststehende Personenzahl, sondern nur die Mindest- und Höchstzahl der Vorstandsmitglieder derart regeln, dass die Größe des Vorstands in hinreichender Weise bestimmbar ist. Dies ist hier der Fall.
Rz. 11
a) Dem Wasserverbandsgesetz lassen sich unmittelbar keine Anforderungen an die Regelgröße des Vorstands und deren Festlegung in der Satzung entnehmen. § 6 Abs. 2 Nr. 7 WVG regelt lediglich, dass die Satzung mindestens Bestimmungen über Bildung und Aufgaben der Verbandsorgane enthalten muss. Verbandsorgane sind die Versammlung der Verbandsmitglieder (Verbandsversammlung) und der Vorstand (§ 46 Abs. 1 Satz 1 WVG). Gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 1 WVG hat die Verbandsversammlung die Aufgabe der Wahl der Vorstandsmitglieder sowie ihrer Stellvertreter. § 52 Abs. 1 Satz 1 WVG bestimmt nur, dass der Vorstand aus einer Person oder aus mehreren Personen bestehen kann. Besteht der Vorstand aus einer Person, so ist diese Verbandsvorsteher, besteht er - wie hier - aus mehreren Personen, so ist der Vorstandsvorsitzende Verbandsvorsteher (§ 52 Abs. 1 Satz 2 WVG). Werden mehrere Personen zu Vorstandsmitgliedern bestellt, wählt die Verbandsversammlung auch den Vorstandsvorsitzenden (§ 53 Abs. 1 Satz 2 WVG).
Rz. 12
b) Die beschlossenen Satzungsänderungen genügen dem im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnden Bestimmtheitsgebot (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2023 - 10 C 1.23 - NVwZ 2023, 1414 Rn. 13). Danach ist ein Wasser- und Bodenverband als Körperschaft des öffentlichen Rechts (§ 1 Abs. 1 Halbs. 1 WVG), die sich im Rahmen der Gesetze selbst verwaltet (§ 1 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 WVG), gehalten, Vorschriften so bestimmt zu fassen, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Die Betroffenen müssen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können (vgl. BVerfG, Urteil vom 29. November 2023 - 2 BvF 1/21 - NVwZ-Beilage 2024, 28 Rn. 80 m. w. N.).
Rz. 13
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes hat das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen, dass in Fallkonstellationen, in denen - wie hier - ein Grundrechtsbezug fehlt, weil Bürger nicht Adressaten der streitgegenständlichen Satzungsänderungen sind, lediglich niedrige Anforderungen an die Normenbestimmtheit und Normenklarheit zu stellen sind. Verbandsmitglieder der Kläger sind nach § 3 der jeweiligen Satzung ausschließlich Gebietskörperschaften, nämlich Kreise, Städte und Gemeinden, deren Vertretern das Vorschlagsrecht für die Vorstandsmitglieder zusteht und die von der Aufgabenerfüllung durch den Vorstand betroffen sind. Ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot wird nicht dadurch begründet, dass § 12 Abs. 1 der Verbandssatzungen n. F. keine feststehende Zahl der Vorstandsmitglieder mehr festlegt und deren Höchstzahl von der Wahrnehmung des Vorschlagsrechts der Verbandsmitglieder abhängt. Es genügt, dass deren Mindest- und variable Höchstzahl aufgrund der beschlossenen Satzungsänderungen für die Verbandsmitglieder bestimmbar sind. Davon geht das Verwaltungsgericht hier zutreffend aus.
Rz. 14
Aus § 12 Abs. 1 Satz 1 der Verbandssatzungen n. F., wonach der Verbandsvorstand aus dem Verbandsvorsteher, dessen Stellvertreter sowie mindestens einem weiteren Mitglied besteht, ergibt sich für beide Verbände ohne Weiteres eine Mindestzahl von jeweils drei Vorstandsmitgliedern. § 12 Abs. 1 Satz 3 der Verbandssatzungen n. F., der regelt, dass jedes Verbandsmitglied durch seinen Vertreter maximal ein Vorstandsmitglied und dessen persönlichen Vertreter vorschlagen kann, ist eindeutig die der Anzahl der Verbandsmitglieder entsprechende (potentielle) Höchstzahl von 16 Vorstandsmitgliedern für den Kläger zu 1 und von 18 Vorstandsmitgliedern für den Kläger zu 2 zu entnehmen. Soweit das Verwaltungsgericht demgegenüber von einer Höchstzahl von 17 Vorstandsmitgliedern für den Kläger zu 1 und von 19 Vorstandsmitgliedern für den Kläger zu 2 ausgeht, hat es offenbar übersehen, dass der Verbandsvorsteher nicht zusätzlich zu den Vorstandsmitgliedern vorzuschlagen und zu wählen, sondern Teil des aus mehreren Personen bestehenden Vorstands ist. Der unverändert gebliebene § 13 Abs. 1 der Verbandssatzungen regelt lediglich, dass der Verbandsvorsteher von der Verbandsversammlung direkt gewählt wird, wie dies auch § 53 Abs. 1 Satz 2 WVG zwingend vorgibt, und nicht etwa nur mittelbar von den gewählten Vorstandsmitgliedern. Insbesondere aus der Zusammenschau der gesetzlichen Direktwahlregelung mit § 52 Abs. 1 Satz 2 WVG, wonach im mehrköpfigen Vorstand der Vorstandsvorsitzende Verbandsvorsteher ist, ergibt sich, dass der Verbandsvorsteher als Mitglied des Vorstands nicht zur Höchstzahl der Vorstandsmitglieder hinzukommt. Die Bezifferung der Höchstzahl durch die Vorinstanz ist indes nicht entscheidungstragend. Sie ändert nichts daran, dass für die Adressaten der beschlossenen Satzungsänderungen, die Vertreter der Verbandsmitglieder, namentlich Bürgermeister, Oberbürgermeister und Landräte, auch die Höchstzahl der Vorstandsmitglieder hinreichend bestimmt ist. Ob die mögliche Höchstzahl überhaupt erreicht wird, hängt von der Ausübung des Vorschlagsrechts durch die Verbandsmitglieder ("vorschlagen kann") und dem Wahlverhalten der Verbandsversammlungen ab. Damit steht die maximale Größe des Vorstands, wie von der Revision verlangt, vor jeder Wahl fest und ist für die Vertreter der Mitglieder eindeutig kalkulierbar. Angesichts dessen ist entgegen der Auffassung der Revision auch die Satzungsautonomie der Kläger als Träger funktionaler Selbstverwaltung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2002 - 2 BvL 5/98 u. a. - juris Rn. 143 ff.), die in § 1 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 WVG einfachgesetzlich normiert ist, durch die Regelungen in § 12 Abs. 1 der Verbandssatzungen n. F. nicht überschritten.
Rz. 15
2. Das Verwaltungsgericht hat auch zu Recht angenommen, dass die beschlossenen Neufassungen des § 12 Abs. 1 der Verbandssatzungen nicht gegen §§ 52 ff. WVG verstoßen und mit dem gesetzlichen Leitbild des Verbandsvorstands vereinbar sind. Die Revision räumt ausdrücklich ein, dass der Gesetzgeber des Wasserverbandsgesetzes in § 52 Abs. 1 WVG den mehrgliedrigen Vorstand als gleichberechtigte Alternative neben dem Einzelvorstand zugelassen hat. Dem entsprechen auch die Regelungen in §§ 53 ff. WVG. Auf dieser gesetzlichen Grundlage geht die Vorinstanz zutreffend davon aus, dass es der Gesetzgeber der demokratischen Selbstverwaltung der Wasser- und Bodenverbände überlassen hat, ob die Verbandsversammlung lediglich einen Verbandsvorsteher oder einen aus mehreren Personen bestehenden Vorstand wählt.
Rz. 16
Gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 WVG ist die staatliche Aufsicht auf die Rechtsaufsicht begrenzt. Der Aufsichtsbehörde steht eine Zweckmäßigkeitskontrolle der Maßnahmen des Verbands deshalb nicht zu. Eine Fachaufsicht würde mit dem Grundsatz der Eigenverantwortlichkeit des Verbands kollidieren (vgl. BT-Drs. 11/6764 S. 34). Die Motive des Verbands für die eine oder andere Festlegung oder die Reduzierung oder Erweiterung des Vorstands unterliegen, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, als reine Zweckmäßigkeitserwägungen nicht der Rechtsaufsicht der Aufsichtsbehörde. Dass die staatliche Aufsicht im Wasserverbandsrecht neben der Rechtsaufsicht auch Ansätze einer Fachaufsicht einschließen kann, wie der Beklagte anführt, ist vorliegend nicht maßgeblich. Fachaufsichtliche Elemente sind zwar im Lippeverbandsgesetz und im Emschergenossenschaftsgesetz geregelt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Dezember 2002 - 2 BvL 5/98 u. a. - juris Rn. 158). Dabei handelt es sich jedoch um sondergesetzliche Bestimmungen, die hier nicht einschlägig sind und deshalb die ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 72 Abs. 1 Satz 1 WVG nicht in Frage stellen.
Rz. 17
Eine Satzungsbestimmung, die die Funktions- und Arbeitsfähigkeit des Verbands beeinträchtigen würde, wäre allerdings, wovon das Verwaltungsgericht ebenfalls zu Recht ausgeht, rechtswidrig. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Dass der Gesetzgeber bei einem mehrgliedrigen Vorstand eine Besetzung mit einigen wenigen Personen selbstverständlich vorausgesetzt habe, wie der Beklagte meint, lässt sich den Gesetzesmaterialien (BT-Drs. 11/6764 S. 31) nicht entnehmen. Das Verwaltungsgericht weist auch zu Recht darauf hin, dass eine allgemeingültige maximale Vorstandsgröße nicht ohne Weiteres festgesetzt werden kann. Diese ist von vielfältigen Faktoren, wie der Größe des Verbands, der Zahl seiner Mitglieder, der Einwohnerzahl seiner Mitglieder, seiner Flächenausdehnung, seinen Aufgaben, seiner Bedeutung oder seiner Struktur, abhängig. Nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, die im Wesentlichen auf einer vom Beklagten mit Schriftsatz vom 5. Januar 2022 vorgelegten Liste beruhen, sind Vorstände, deren Personenanzahl der Mitgliederzahl des Verbands entspricht oder diese sogar übersteigt, nicht unüblich. Vorliegend kommt die Vorinstanz zu dem den Senat nach § 137 Abs. 2 VwGO bindenden Ergebnis, dass - sogar unter Zugrundelegung ihrer irrtümlichen Vorstellung von bis zu 17 bzw. 19 Vorstandsmitgliedern - eine Beeinträchtigung der Arbeits- und Funktionsfähigkeit der jeweiligen Vorstände jedenfalls (noch) nicht zu befürchten sei. Abgesehen davon müssen die Verbandsversammlungen der Kläger ihr Vorschlags- und Wahlrecht nicht bis zur Höchstzahl der Vorstandsmitglieder ausschöpfen. Es ist vielmehr anzunehmen, dass die Verbände Erfahrungen mit den variablen Vorstandsgrößen sammeln und künftig ihnen entsprechend zur Wahrung von Arbeitsfähigkeit und Funktion des Vorstands verfahren werden.
Rz. 18
Durch die (mögliche) Vorstandsgröße wird schließlich auch die Funktion des Vorstands als Leitungsgremium im Sinne des gesetzlichen Leitbildes nicht berührt. Die beanstandete Satzungsänderung betrifft nicht die gesetzliche Kompetenzordnung zwischen Verbandsversammlung und Verbandsvorstand. Der Vorstand wird dadurch nicht zu einer zweiten Kammer der Verbandsversammlung.
Rz. 19
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Fundstellen
Haufe-Index 16322198 |
NVwZ 2024, 1095 |
DÖV 2024, 759 |
GewArch 2024, 322 |
JZ 2024, 362 |
UPR 2024, 310 |