Entscheidungsstichwort (Thema)
Bau- und Bodenrecht, einschließlich der immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen für Windkraftanlagen, sofern der Schwerpunkt der Sache im Bau- und Bodenrecht liegt. Normenkontrolle. Antragsfrist. Bekanntmachung. Ausfertigungsmangel. ergänzendes Verfahren. Eigentümerwechsel
Leitsatz (amtlich)
Wird ein Bebauungsplan nach Behebung eines Ausfertigungsmangels im ergänzenden Verfahren ein weiteres Mal bekannt gemacht, dann löst diese Bekanntmachung die Antragsfrist nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erneut aus.
Normenkette
VwGO § 47 Abs. 2 S. 1, § 137 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 3 S. 1 Nr. 2, Abs. 4; BauGB § 214 Abs. 4, § 215 Abs. 1; ZPO § 265
Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 20.03.2014; Aktenzeichen 1 C 11/10) |
Tenor
Auf die Revision des Antragstellers wird das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. März 2014 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Sächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Rz. 1
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit eines am 21. Juni 2006 beschlossenen und am 1. Juli 2006 und nach Behebung eines Ausfertigungsmangels am 1. Juni 2009 erneut bekannt gemachten Bebauungsplans.
Rz. 2
Der Antragsteller war bis August 2012 Eigentümer eines im Plangebiet liegenden Grundstücks. Der Bebauungsplan enthält Festsetzungen, welche die bauliche Nutzung des Grundstücks einschränken.
Rz. 3
Den vom Antragsteller erhobenen Normenkontrollantrag lehnte das Oberverwaltungsgericht ab. Der Antrag sei unzulässig. Die Bekanntmachung, die die Frist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO für den Normenkontrollantrag ausgelöst habe, sei nicht erst am 1. Juni 2009, sondern bereits am 1. Juli 2006 erfolgt, so dass der am 28. Mai 2010 gestellte Normenkontrollantrag verfristet sei. Dem Fristbeginn mit der Bekanntmachung am 1. Juli 2006 stehe der Ausfertigungsmangel, der damals vorgelegen habe, nicht entgegen. Er sei zwar erst im ergänzenden Verfahren behoben worden. Der am 21. Juni 2006 beschlossene Bebauungsplan sei aber nicht verändert worden. Die erneute Bekanntmachung, mit der lediglich ein ergänzendes Verfahren abgeschlossen werde, das nur auf die Behebung des Ausfertigungsmangels gerichtet sei und sich im Übrigen auf die inhaltsgleiche Wiederholung des bereits bekanntgemachten Bebauungsplans beschränke, setze die Frist für einen Normenkontrollantrag nicht mehr in Lauf. Das folge aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere aus dem Beschluss vom 20. September 2007 – 4 BN 20.07 – (BRS 71 Nr. 47).
Rz. 4
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Antragstellers hat der Senat die Revision zugelassen. Der Antragsteller hat von dem zugelassenen Rechtsmittel Gebrauch gemacht. Die Antragsgegnerin verteidigt das angefochtene Urteil.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 5
Die zulässige Revision des Antragstellers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 101 Abs. 2 i.V.m. §§ 141, 125 Abs. 1 Satz 1 VwGO), ist begründet. Das Oberverwaltungsgericht ist unter Verstoß gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) zu dem Ergebnis gelangt, dass der Normenkontrollantrag des Antragstellers verfristet und damit unzulässig ist.
Rz. 6
1. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der seit 1. Januar 2007 geltenden Fassung können Normenkontrollanträge gegen Bebauungspläne (§ 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO i.V.m. § 10 Abs. 1 BauGB) nur innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung des Plans gestellt werden. Im Fall einer mehrfachen Bekanntmachung beginnt allerdings nicht mit jeder Bekanntmachung die Antragsfrist von neuem. Davon ist das Oberverwaltungsgericht zutreffend ausgegangen. Zu Unrecht hat es sich aber auf den Standpunkt gestellt, dass die erneute Bekanntmachung nach Abschluss eines ergänzenden Verfahrens zur Behebung eines Ausfertigungsmangels die Frist für einen Normenkontrollantrag nicht mehr in Lauf setzt, wenn der Plan inhaltlich unverändert bleibt (UA Rn. 22).
Rz. 7
Indem § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auf die Bekanntmachung abstellt, knüpft er die Antragsfrist an den Zeitpunkt an, zu dem der Bebauungsplan mit formellem Geltungsanspruch veröffentlicht worden ist, d.h. zu dem nach dem Willen des Plangebers der Plan als Satzung entstehen soll. Ob die Bekanntmachung ordnungsgemäß ist, ist ohne Belang. Ausreichend ist eine Handlung des Plangebers, die potenziell Antragsbefugten die Möglichkeit der Kenntnisnahme vom Geltungsanspruch des Plans verschafft (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 25. Februar 1997 – 4 NB 40.96 – Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 9 S. 18 und vom 19. Oktober 2006 – 9 B 7.06 – juris Rn. 5). Erkennt der Plangeber nach einer fristauslösenden Bekanntmachung oder geht er – auch irrtümlich – davon aus, dass die Bekanntmachung nicht den gesetzlichen Anforderungen entspricht oder der Plan mit anderen formellen Fehlern behaftet ist, darf er den Geltungsanspruch nach Fehlerbehebung durch eine weitere Bekanntmachung des inhaltlich unverändert gebliebenen Plans erneuern und das Ziel verfolgen, einen tatsächlich oder vermeintlich unwirksamen Bebauungsplan durch einen wirksamen Bebauungsplan zu ersetzen (BVerwG, Beschluss vom 8. März 2010 – 4 BN 42.09 – Buchholz 406.11 § 4a BauGB Nr. 1 Rn. 8).
Rz. 8
Der Beschluss des Senats vom 20. September 2007 – 4 BN 20.07 – (BRS 71 Nr. 47), rechtfertigt nicht die Schlüsse, die das Oberverwaltungsgericht aus ihm zieht. Der Senat hat insoweit (a.a.O. Rn. 10) lediglich entschieden, dass eine der Heilung eines möglichen Ausfertigungsmangels dienende erneute Bekanntmachung des Bebauungsplans die Frist für einen gegen den Bebauungsplan insgesamt gerichteten Normenkontrollantrag dann nicht erneut in Lauf setzen kann, wenn der (mögliche) Ausfertigungsmangel nur eine gegenüber dem ursprünglichen Bebauungsplan geänderte Festsetzung betrifft, durch die der Antragsteller offensichtlich nicht beschwert sein kann. Die Frist für den gegen den Bebauungsplan insgesamt gerichteten Normenkontrollantrag begann deshalb nicht erneut, weil der Geltungsanspruch, den der Plangeber mit der zweiten Bekanntmachung des Bebauungsplans verfolgte, sich nicht auf den gesamten Plan bezog, sondern nur auf die Änderung. Die erneute Bekanntmachung auch der unverändert gebliebenen Festsetzungen bei Gelegenheit der Bekanntmachung der Änderung setzte die Frist nicht insgesamt erneut in Lauf, weil die nicht geänderten Festsetzungen nach Ansicht des Plangebers bereits „bestehendes” Recht waren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. November 2000 – 1 BvR 630/93 – NJW 2001, 3402).
Rz. 9
Welche Mängel innerhalb der neuen Frist geltend gemacht werden können, ist eine Frage der Begründetheit. Der Senat weist vorsorglich auf Folgendes hin: Beim ergänzenden Verfahren setzt die Gemeinde das von ihr ursprünglich ein geleitete Verfahren an der Stelle fort, an der ihr der zu korrigierende Fehler unterlaufen ist. Die bisherigen Verfahrensschritte bleiben unberührt. Sind hierauf bezogene Rügemöglichkeiten nach § 215 Abs. 1 BauGB bereits verfristet, werden sie durch die erneute Bekanntmachung des Plans nicht neu eröffnet (BVerwG, Beschluss vom 25. Februar 1997 – 4 NB 40.96 – Buchholz 406.11§ 215 BauGB Nr. 9 S. 18).
Rz. 10
2. Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Der Normenkontrollantrag ist insgesamt zulässig.
Rz. 11
Der Antragsteller war im Zeitpunkt der Erhebung des Normenkontrollantrages Eigentümer eines im Plangebiet belegenen Grundstücks, dessen bauliche Nutzbarkeit durch den angefochtenen Bebauungsplan erheblich eingeschränkt wird. Er ist damit antragsbefugt (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Dass er zwischenzeitlich das Eigentum an dem Grundstück aufgegeben hat, ändert hieran nichts, da der Rechtsnachfolger das Verfahren nicht übernommen hat (BVerwG, Beschluss vom 1. August 2001 – 4 BN 43.01 – Buchholz 303 § 265 ZPO Nr. 6).
Rz. 12
Auch § 47 Abs. 2a VwGO steht dem Normenkontrollantrag nicht entgegen, weil diese Norm während des Bebauungsplanaufstellungsverfahrens (Satzungsbeschluss am 21. Juni 2006) noch nicht galt; sie trat erst am 1. Januar 2007 in Kraft.
Rz. 13
3. Das Oberverwaltungsgericht hat – aus seiner Sicht folgerichtig – keine Feststellungen zur Begründetheit des Normenkontrollantrages getroffen. Das zwingt zur Zurückverweisung (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Petz, Dr. Decker, Dr. Külpmann
Fundstellen
BVerwGE 2016, 379 |
BauR 2015, 1981 |
VR 2016, 72 |
ZfBR 2015, 780 |
DVBl. 2021, 1290 |
KommJur 2015, 472 |
UPR 2016, 67 |
BBB 2015, 68 |
FSt 2016, 761 |
FuBW 2016, 594 |
FuHe 2016, 534 |
FuNds 2016, 508 |