Entscheidungsstichwort (Thema)
Bindungswirkung der Tatsachenfeststellungen eines ausländischen Strafurteils im Disziplinarverfahren
Leitsatz (amtlich)
§ 57 Abs. 1 BDG erfasst grundsätzlich auch ausländische rechtskräftige Strafurteile. Die Bindungswirkung entfällt auch hier nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG, wenn die strafgerichtlichen Feststellungen offenkundig unrichtig sind. Dies kann dann der Fall sein, wenn im Strafverfahren rechtsstaatliche Mindeststandards nicht eingehalten worden sind. Verfassungs-, Unions- und Konventionsrecht stehen dieser Auslegung nicht entgegen.
Normenkette
BDG §§ 13-14, 23, 57 Abs. 1, § 60 Abs. 2, § 65 Abs. 1, §§ 69-70; EUGrdRCh Art. 50; MRK Art. 6; SchÜbkDÜbk Art. 54; StGB § 176a; VwGO §§ 137, 144
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 15.12.2015; Aktenzeichen DB 13 S 1634/15) |
VG Freiburg i. Br. (Urteil vom 22.03.2013; Aktenzeichen DB 8 K 1252/12) |
Tatbestand
Rz. 1
Gegenstand des Verfahrens ist die disziplinarrechtliche Ahndung des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, der durch ein ausländisches Strafgericht abgeurteilt worden ist.
Rz. 2
Der 1951 geborene Beklagte stand bis zu seiner Versetzung in den vorzeitigen Ruhestand im Jahr 2000 im Dienst der Klägerin und wurde bei der D. verwendet.
Rz. 3
Mit im Jahr 2006 rechtskräftig gewordenem Urteil eines slowakischen Bezirksgerichts wurde der Beklagte wegen des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen im Jahr 1999 zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das Strafurteil wurde zunächst in der Slowakischen Republik und sodann im Bundesgebiet vollstreckt.
Rz. 4
Im sachgleichen Disziplinarverfahren hat das Verwaltungsgericht dem Beklagten das Ruhegehalt aberkannt. Die dagegen gerichtete Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof insbesondere mit der Begründung zurückgewiesen, dass das rechtskräftige Strafurteil eines ausländischen Strafgerichts, das im Bundesgebiet zu einem Strafklageverbrauch führe, im Disziplinarverfahren grundsätzlich Bindungswirkung entfalte. Es könne regelmäßig davon ausgegangen werden, dass die Strafnormen und Prozessschutzregeln eines EU-Mitgliedstaates rechtsstaatlichen Mindestanforderungen genügten. Das hier zugrundeliegende ausländische Strafurteil sei weder offenkundig unrichtig noch unter Verletzung rechtsstaatlicher Mindeststandards zustande gekommen.
Rz. 5
Mit der vom Senat zugelassenen Revision beantragt der Beklagte,
die Urteile des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 15. Dezember 2015 und des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 22. März 2013 aufzuheben und die Disziplinarklage abzuweisen.
Rz. 6
Die Klägerin verteidigt das angegriffene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Rz. 7
Die Revision des Beklagten ist unbegründet (§ 144 Abs. 2 VwGO und § 70 Abs. 2 BDG). Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO und § 69 BDG). Die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs, dass auch die tatsächlichen Feststellungen rechtskräftiger Strafurteile ausländischer Gerichte im Disziplinarverfahren Bindungswirkung i.S.v. § 57 Abs. 1 BDG auslösen, sofern diese Feststellungen nicht offenkundig unrichtig und in dem Strafverfahren rechtsstaatliche Mindeststandards eingehalten worden sind, ist nicht zu beanstanden. Das noch während des aktiven Dienstes im Jahr 1999 begangene außerdienstliche Dienstvergehen ist nach Maßgabe von § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. März 1999 (BGBl. I S. 675 - BBG a.F.) disziplinarwürdig. Die Bemessungsentscheidung führt nach Maßgabe des § 13 Abs. 2 BDG dazu, dass dem mittlerweile in den Ruhestand versetzten Beklagten das Ruhegehalt abzuerkennen ist (§ 5 Abs. 2 Nr. 2 und § 12 BDG).
Rz. 8
§ 57 Abs. 1 BDG erfasst grundsätzlich auch ausländische rechtskräftige Strafurteile (1.). § 57 Abs. 1 BDG steht in dieser Auslegung im Einklang mit Verfassungs-, Unions- und Konventionsrecht (2.). Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Grundsätze bei der Anwendung von § 57 Abs. 1 BDG im Fall des Klägers, insbesondere bei der Entscheidung über eine etwaige Lösung von den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils, in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise beachtet (3.).
Rz. 9
1. Die in § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG angeordnete Bindungswirkung tatsächlicher Feststellungen erstreckt sich auch auf Strafurteile ausländischer Gerichte.
Rz. 10
a) Dem Wortlaut von § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG lässt sich eine Beschränkung der Bindungswirkung tatsächlicher Feststellungen auf deutsche Strafurteile nicht entnehmen. Anders als in § 41 Abs. 1 Satz 1 BBG, § 24 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG und § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG hat der Gesetzgeber in § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG die Bindungswirkung tatsächlicher Feststellungen nicht auf rechtskräftige Strafurteile eines deutschen Gerichts beschränkt. Vielmehr hat er diese Bindungswirkung allein von den tatsächlichen Feststellungen eines rechtskräftigen Urteils im Straf-, Bußgeld- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahren abhängig gemacht. Dem Wortlaut nach erfasst § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG danach ausländische Strafurteile ebenso wie solche deutscher Gerichte.
Rz. 11
b) Historisch und entstehungsgeschichtlich wird die Frage, ob es sich bei einem Urteil i.S.v. § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG um das Urteil eines deutschen Gerichts handeln muss, nicht thematisiert. Schon der Vorgängernorm von § 57 Abs. 1 BDG, dem bis zum 31. Dezember 2001 geltenden § 18 Abs. 1 BDO (BGBl. 1967 I S. 750), lässt sich zur Frage der Herkunft des Strafurteils nichts entnehmen. Zur Begründung der im weiteren Gesetzgebungsverfahren nicht mehr diskutierten Neufassung von § 57 BDG heißt es im Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuordnung des Bundesdisziplinarrechts vom 18. August 2000 (BR-Drs. 467/00, S. 124) nur: "Die Vorschrift erhält bezüglich der Bindungswirkung der tatsächlichen Feststellungen bestimmter gerichtlicher Entscheidungen für das gerichtliche Disziplinarverfahren eine entsprechende Regelung zu der für das behördliche Disziplinarverfahren geltenden Regelung des § 21. Wie § 18 BDO sieht § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG für das Verwaltungsgericht die Möglichkeit vor, sich von den Feststellungen zu lösen. Deren Voraussetzungen werden nunmehr jedoch im Gesetz präzise gefasst, um vor allem dem betroffenen Beamten im Hinblick auf die vorausgegangene Entscheidung die notwendige Rechtssicherheit zu vermitteln."
Rz. 12
c) Aus Gründen der Systematik sind die tatsächlichen Feststellungen deutscher wie ausländischer Strafurteile von der Bindungswirkung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG als erfasst zu betrachten. Dafür spricht der bereits gezogene Vergleich zu den abweichenden Formulierungen in § 41 Abs. 1 Satz 1 BBG, § 24 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG und § 59 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG. § 57 BDG erstreckt die disziplinaren Folgen eines Strafurteils - anders als die vorgenannten Bestimmungen - auch nicht automatisch auf das gerichtliche Disziplinarverfahren, sondern hat (wenn überhaupt) eine Disziplinarmaßnahme zur Folge, deren Schwere vom Einzelfall abhängt. Die Bindung an ein Strafurteil nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG kann nur dann Grundlage für eine Disziplinarmaßnahme sein, wenn das Disziplinargericht keine erneute Prüfung nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG beschließt, weil die strafgerichtlichen Feststellungen nicht offenkundig unrichtig sind. An einem solchen Korrektiv fehlt es in den Fällen der § 41 BBG, § 24 BeamtStG und § 59 BeamtVG.
Rz. 13
Dies bestätigt auch die Zusammenschau von § 57 Abs. 1 BDG und § 14 BDG. Während das Disziplinargericht nach § 57 Abs. 1 BDG an die tatsächlichen Feststellungen im Strafurteil gebunden ist, betrifft die - für den betreffenden Beamten stets vorteilhafte - Bindung der Disziplinarbehörden nach § 14 BDG die Rechtsfolgen, die aus den tatsächlichen Feststellungen im Strafverfahren gezogen wurden und im Disziplinarverfahren noch zu ziehen sind. Auch die aus § 14 BDG folgende Bindung hinsichtlich der Rechtsfolgen der Tat besteht unabhängig davon, ob es sich um ein deutsches oder ein ausländisches Straf- oder Bußgeldverfahren handelt (BVerwG, Urteil vom 1. September 1981 - 1 D 90.80 - BVerwGE 73, 252 ≪256≫ zum inhaltsgleichen § 14 BDO).
Rz. 14
d) Zweck der grundsätzlichen Bindung an die tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils im Disziplinarverfahren ist es in erster Linie, zu verhindern, dass zu ein- und demselben Sachverhalt unterschiedliche Tatsachenfeststellungen getroffen werden (stRspr, etwa BVerwG, Urteil vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 13). Damit dient sie der Rechtssicherheit, gewährleistet Vertrauensschutz und vermeidet divergierende Feststellungen zu demselben Sachverhalt. Dieselben Ziele werden auch bei einer Bindungswirkung von Strafurteilen ausländischer Gerichte erreicht.
Rz. 15
Ein weiterer Zweck von § 57 Abs. 1 BDG besteht darin, im Disziplinarverfahren der erhöhten Richtigkeitsgewähr der Ergebnisse des Strafprozesses mit seinen besonderen rechtsstaatlichen Sicherungen Rechnung zu tragen (BVerwG, Beschlüsse vom 9. Oktober 2014 - 2 B 60.14 - NVwZ-RR 2015, 50 Rn. 10 und vom 18. September 2017 - 2 B 14.17 - Buchholz 235.1 § 57 BDG Nr. 10 Rn. 8). Dies gilt ohne Unterschied gleichermaßen für deutsche wie für ausländische Strafprozesse, solange diese rechtsstaatliche Mindeststandards einhalten und die in den Strafurteilen getroffenen tatsächlichen Feststellungen nicht offenkundig unrichtig sind. Mögliche justizielle Defizite erfordern es nicht, die Bindung nach § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG generell auf Urteile deutscher Gerichte zu beschränken, sondern sind im Einzelfall nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG zu korrigieren. Im Hinblick auf Strafurteile eines Gerichts eines Mitgliedstaats der Europäischen Union ist regelmäßig davon auszugehen, dass diese rechtsstaatlichen Mindeststandards genügen (s. auch unten, 2.b). Soweit im Einzelfall Verfahrensgarantien verletzt sein sollten, kann dies der beschriebenen Korrektur nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG unterfallen.
Rz. 16
Der dagegen erhobene Einwand, dass es im Einzelfall kaum möglich sei, die rechtsstaatlichen Standards ausländischer Strafverfahren in Theorie und Praxis hinreichend zu überprüfen und ihre Vergleichbarkeit mit den Standards deutscher Strafverfahren verlässlich zu bewerten (vgl. z.B. zu § 23 BDG, Gansen in: ders., Disziplinarrecht in Bund und Ländern, Stand Juli 2017, § 23 BDG, Rn. 11), ist im Hinblick auf vergleichbare Prüfprogramme der Verwaltungsgerichte etwa in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren sachlich unbegründet. Die Wahrung auch der besonderen rechtsstaatlichen Mindeststandards im ausländischen Strafverfahren lässt sich anhand der einschlägigen ausländischen Normen und der ausländischen Strafakten regelmäßig im Bundesgebiet überprüfen. Zudem ist dies mit weniger Unsicherheiten behaftet, als sämtliche erheblichen Tatumstände vom Bundesgebiet aus im Ausland aufzuklären.
Rz. 17
2. Das einfach-rechtlich festgestellte Auslegungsergebnis zur Bindungswirkung der tatsächlichen Feststellungen von deutschen wie ausländischen Strafurteilen im Disziplinarverfahren gemäß § 57 Abs. 1 BDG steht mit Verfassungs- (a), Unions- (b) und Konventionsrecht (c) in Einklang.
Rz. 18
a) Verfassungsrecht gebietet es nicht, § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG verfassungskonform einschränkend auszulegen. Das Grundgesetz enthält kein Verbot, die tatsächlichen Feststellungen ausländischer Urteile im Disziplinarverfahren grundsätzlich als bindend anzuerkennen. Weder der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes noch verfassungsrechtliche Prozessgarantien erfordern ein solches Verbot.
Rz. 19
§ 57 Abs. 1 Satz 1 BDG genügt dem Vorbehalt des Gesetzes. Die Norm ist eine der Wesentlichkeitslehre entsprechende gesetzliche Grundlage für die Bindung an die tatsächlichen Feststellungen von Urteilen auch ausländischer Strafgerichte. Der vereinzelt gegen die disziplinare Bindungswirkung ausländischer Urteile erhobene Einwand, der Gesetzgeber müsse diese noch (näher) regeln (vgl. Weiß, in: GKÖD, Bd. I Beamtenrecht, Teil 5c, Stand 4/2018, Yt § 34 WDO Rn. 19), ist verfassungsrechtlich nicht begründet. Der Vorbehalt des Gesetzes und die Wesentlichkeitslehre betreffen zwar nicht nur die Frage, ob überhaupt ein bestimmter Gegenstand gesetzlich zu regeln ist, sondern auch die Frage, wie genau diese Regelungen im Einzelnen sein müssen (BVerfG, Beschluss vom 21. April 2015 - 2 BvR 1322/12 u.a. - BVerfGE 139, 19 Rn. 54 m.w.N.). Dies lässt sich nur mit Blick auf den Sachbereich und die Eigenart des Regelungsgegenstandes beurteilen (BVerfG, Beschluss vom 7. März 2017 - 1 BvR 1694/13 u.a. - NVwZ 2017, 1111 Rn. 182 m.w.N.). § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG wird diesen Anforderungen aber gerecht. Die Bindungswirkung tatsächlicher Feststellungen auch ausländischer Urteile ist für die betroffenen Normanwender und für die Normunterworfenen - wie das Ergebnis der einfach-rechtlichen Auslegung zeigt (vgl. oben unter 1.) - hinreichend erkennbar.
Rz. 20
§ 57 Abs. 1 BDG steht des Weiteren im Einklang mit den allgemeinen verfassungsrechtlichen Prozessgarantien. Denn nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG hat das Disziplinargericht die erneute Prüfung solcher Feststellungen zu beschließen, die offenkundig unrichtig sind. Offenkundig unrichtig i.S.v. § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG sind Feststellungen insbesondere dann, wenn das daran gebundene Disziplinargericht sehenden Auges auf der Grundlage eines aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbaren Sachverhalts entscheiden müsste, etwa weil die Feststellungen in einem entscheidungserheblichen Punkt unter offenkundiger Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften zustande gekommen sind (BVerwG, Beschluss vom 7. November 2014 - 2 B 45.14 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr. 91 Rn.13 ≪zu § 56 Abs. 1 LDG NRW≫ m.w.N.; Urteil vom 29. November 2000 - 1 D 13.99 - BVerwGE 112, 243 ≪245≫ und Beschluss vom 28. September 2011 - 2 WD 18.10 - Buchholz 450.2 § 84 WDO 2002 Nr. 5 Rn. 33 ≪zu den von § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG leicht abweichenden Regelungen in § 18 Abs. 1 Satz 2 BDO und § 84 Abs. 1 Satz 2 WDO≫).
Rz. 21
Tatsächliche Feststellungen in Urteilen, die in ausländischen Strafverfahren ergangen sind, sind danach nicht generell aus rechtsstaatlichen Gründen unverwertbar. Entscheidend kommt es vielmehr insbesondere darauf an, ob dem ausländischen Strafurteil eine genügende richterliche Sachaufklärung vorausgegangen ist. Dafür ist wesentlich, dass der Streitgegenstand wenigstens einmal in einem mit rechtsstaatlichen Garantien ausgestatteten gerichtlichen Verfahren zur Prüfung gestellt worden ist, gleich wo dieses Strafverfahren stattgefunden hat, ob im Bundesgebiet oder im Ausland (vgl. BVerwG, Urteil vom 6. Juni 1975 - 4 C 15.73 - BVerwGE 48, 271 ___LT_e˘_GT___ bzgl. der Voraussetzungen einer materiellen Bindungswirkung).
Rz. 22
Des Weiteren muss dem Beamten im ausländischen Strafverfahren rechtliches Gehör gewährt worden sein. Soweit der Beamte in zurechenbarer Weise davon abgesehen hat, sich im ausländischen Strafverfahren Gehör zu verschaffen, obwohl er hinreichend Gelegenheit dazu hatte, ist sein Anspruch auf rechtliches Gehör "ausgeschöpft" oder verbraucht. Soweit der Beamte keine Möglichkeit hatte, sich im ausländischen Strafverfahren Gehör zu verschaffen, muss das Disziplinargericht dem Beklagten rechtliches Gehör zur Sache gewähren. Und soweit unklar ist, ob der Beamte in zurechenbarer Weise davon abgesehen hat, sich im ausländischen Strafverfahren Gehör zu verschaffen, muss das Disziplinargericht das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Lösungsbeschluss nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG aufklären (vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. September 2011 - 2 WD 18.10 - Buchholz 450.2 § 84 WDO 2002 Nr. 5 S. 12 ≪zu §§ 84 Abs. 1 Satz 2 und 106 Abs. 1 WDO≫) und dem Beamten hierzu rechtliches Gehör gewähren. Ferner muss das ausländische Strafurteil in einem Verfahren ergangen sein, das dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch des Beamten, d.h. dem Zugang zu einem gerichtlichen Verfahren, gerecht geworden ist.
Rz. 23
b) Die in § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG verankerte Bindung an die tatsächlichen Feststellungen ausländischer Strafurteile im gerichtlichen Disziplinarverfahren ist unionsrechtskonform. Dem unionsrechtlichen Strafklageverbrauch nach Art. 54 Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) vom 22. September 1990 (ABl. EU Nr. L 239, 1) und Art. 50 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) vom 12. Dezember 2007 (ABl. EU Nr. C 303, 1) kommen in diesem Zusammenhang keine Bedeutung zu. Die Bindungswirkung entspricht indes den unionsrechtlichen Grundsätzen des "gegenseitigen Vertrauens" und der "gegenseitigen Anerkennung".
Rz. 24
Gemäß Art. 50 GRC darf niemand wegen einer Straftat, deretwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden. Nach Art. 54 SDÜ darf derjenige, der durch eine Vertragspartei des Übereinkommens rechtskräftig abgeurteilt worden ist, durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, wenn im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann. Aus Art. 54 SDÜ und Art. 50 GRC ergibt sich indes nicht, dass ein ausländisches Strafurteil disziplinarrechtlich an die Stelle eines entsprechenden deutschen Strafurteils tritt. Insbesondere folgt aus Art. 54 SDÜ und Art. 50 GRC nicht, dass die in einem ausländischen Strafurteil getroffenen Tatsachenfeststellungen in einem zusätzlich zulässigen Disziplinarverfahren wegen derselben Sache bindend sein müssen (Weiß, in: GKÖD, Bd. II DiszR, Teil 4, Stand 4/2018, M § 23 BDG Rn. 22, M § 57 BDG Rn. 8).
Rz. 25
Der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens ist in den Art. 2 und 3 EUV sowie Art. 67 Abs. 1 und 82 Abs. 1 AEUV normiert. Als Rechtssatz verlangt der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens namentlich in Bezug auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts von jedem Mitgliedstaat, dass dieser, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass die anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die dort anerkannten Grundrechte beachten (EuGH, Urteile vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU - NJW 2016, 1709 Rn. 78, 82 und vom 10. November 2016 - C-452/16 PPU - juris Rn. 25 f.).
Rz. 26
Der Grundsatz gegenseitiger Anerkennung ausländischer Strafurteile wird vom Gerichtshof der Union als primärrechtlich festgeschriebenes Rechtsprinzip aus Art. 67 Abs. 3 und Art. 82 Abs. 1 AEUV hergeleitet. Gemäß Art. 67 Abs. 3 AEUV wirkt die Union auch durch die gegenseitige Anerkennung strafrechtlicher Entscheidungen darauf hin, ein hohes Maß an Sicherheit zu gewährleisten. Nach Art. 82 Abs. 1 AEUV beruht die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen in der Union gerade auch auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Urteile und Entscheidungen. Der Gerichtshof der Union stützt den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung zudem auf den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens (vgl. etwa EuGH, Urteile vom 30. Mai 2013 - C-168/13 PPU - EuGRZ 2013, 417 Rn. 50, vom 5. April 2016 - C-404/15 und C-659/15 PPU - NJW 2016, 1709 Rn. 77 und vom 1. Juni 2016 - C-241/15 - NJW 2017, 49 Rn. 33).
Rz. 27
Die Grundsätze des gegenseitigen Vertrauens und der gegenseitigen Anerkennung schreiben zwar unionsrechtlich eine disziplinarrechtliche Bindung i.S.v. § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG an die tatsächlichen Feststellungen rechtskräftiger Urteile der Strafgerichte anderer Mitgliedstaaten nicht ausdrücklich vor. Insoweit fehlt es bezüglich des Disziplinarrechts an einer sekundärrechtlichen Regelung im Unionsrecht. Sie stehen einer solchen Bindungswirkung aber nicht nur nicht entgegen, sondern legen sie im Gegenteil grundsätzlich und vorbehaltlich der Einhaltung rechtsstaatlicher Mindeststandards nahe.
Rz. 28
c) Schließlich ist die Bindungswirkung an die tatsächlichen Feststellungen ausländischer Strafurteile im deutschen Disziplinarverfahren nach § 57 Abs. 1 BDG mit Konventionsrecht (Art. 6 EMRK) vereinbar.
Rz. 29
Aus Art. 6 Abs. 1 EMRK folgt ein allgemeiner Justizgewährungsanspruch, ein Recht auf faires Verfahren, das ein Recht auf Gehör einschließt, sowie die Gewährleistung des gesetzlichen Richters. Darüber hinaus gewährt Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK dem Angeklagten in einem Strafverfahren das Recht, innerhalb möglichst kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache in allen Einzelheiten über Art und Grund der gegen ihn erhobenen Beschuldigung unterrichtet zu werden. Umfangreiche schriftliche Übersetzungen sind dafür grundsätzlich nicht nötig (vgl. EGMR, Urteil vom 19. Dezember 1989 - 9783/82 - EGMR-E 4, 450 Rn. 79 - 81). Der Anspruch nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. a EMRK beinhaltet grundsätzlich die Übersendung einer Übersetzung der Anklageschrift in einer für den Angeklagten verständlichen Sprache. Dies hat in aller Regel schon vor der Hauptverhandlung zu geschehen (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2017 - 3 StR 262/14 - NStZ 2014, 725 ≪726≫ und Urteil vom 23. Dezember 2015 - 2 StR 457/14 - NStZ 2017, 63). Weiter gewährt Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK dem Angeklagten das Recht, unentgeltliche Unterstützung durch einen Dolmetscher zu erhalten, wenn er die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht. Dies gilt nicht nur bezüglich mündlicher Erklärungen, sondern bezieht sich auf alles, was Gegenstand des Verfahrens ist, soweit Übersetzungen für die Verteidigung in einem fairen Verfahren nötig sind. Insbesondere muss der Angeklagte in die Lage versetzt werden, die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu verstehen und dem Gericht seine Sicht des Sachverhalts darzustellen (vgl. EGMR, Urteil vom 19. Dezember 1989 - 9783/82 - EGMR-E 4, 450 Rn. 74).
Rz. 30
Die Übersetzungs- und Sprachmittlerrechte eines im ausländischen Strafprozess angeklagten deutschen Beamten werden durch § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG ebenso wenig berührt wie sein Zugang zum Strafgericht, sein Anspruch auf ein faires Verfahren und sein Gehörsrecht.
Rz. 31
Des Weiteren hat der Angeklagte im Strafprozess gemäß Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK das Recht, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken, wie sie für Belastungszeugen gelten. Zum Recht, Zeugen zu befragen, gehört auch, dies in Anwesenheit der Richter zu tun, die über die Sache entscheiden. Änderungen des Spruchkörpers erfordern grundsätzlich eine erneute Zeugenbefragung (EGMR, Urteil vom 10. Februar 2005 - 10075/02 - StV 2005, 475 Rn. 38). Letzteres gebietet auch der Grundsatz der Unmittelbarkeit, der ein wichtiger Teil der Garantie eines fairen Verfahrens ist, weil der unmittelbare Eindruck des Richters von einem Zeugen für die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von besonderer Bedeutung ist (Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 6 Rn. 152 m.w.N.). Auch eine Beschränkung der Möglichkeit des Angeklagten zur Zeugenbefragung ist mit Art. 6 EMRK nur vereinbar, wenn sie aus sachlichen Gründen gerechtfertigt ist, das Verfahren insgesamt fair war und dabei die Rechte der Verteidigung berücksichtigt wurden (Grabenwarter/Pabel, in: Dörr/Grote/Marauhn, EMRK/GG Konkordanzkommentar, 2. Aufl. 2013, Kap. 14 Rn. 158 m.w.N.). Auch diese Rechte des Angeklagten werden durch die hier streitgegenständliche Norm des Disziplinarrechts - § 57 Abs. 1 Satz 1 BDG - abstrakt weder eingeschränkt oder auch nur berührt.
Rz. 32
3. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs, im Fall des Beklagten hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen des rechtskräftigen slowakischen Strafurteils von der Lösungsmöglichkeit nach § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG keinen Gebrauch zu machen, ist nicht zu beanstanden. Denn diese Feststellungen sind nicht unter Verletzung rechtsstaatlichen Mindeststandards zustande gekommen. Insbesondere ist der Verwaltungsgerichtshof im gerichtlichen Disziplinarverfahren seiner diesbezüglichen Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung gerecht geworden. Ebenso wenig sind die strafgerichtlichen Feststellungen aus anderen Gründen offenkundig unrichtig. Dies ergibt sich aus folgenden für den Fall des Beklagten maßgeblichen einzelfallbezogenen Erwägungen, denen der Senat nicht den Charakter einer abstrakt gezogenen Untergrenze rechtsstaatlicher Mindeststandards beimisst.
Rz. 33
a) Im Strafverfahren des Klägers, in dem das rechtskräftig gewordene Urteil des slowakischen Bezirksgerichts ergangen ist, sind die rechtsstaatlichen Mindestanforderungen eingehalten worden. Substanzielle Anhaltspunkte dafür, dass dem Urteil zugrundeliegende tatsächliche Feststellungen offenkundig unrichtig sind, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Der Beklagte hat im slowakischen Strafverfahren hinreichend Gelegenheit gehabt, sich zur Sache zu äußern (Gehörsrecht). Seine Äußerungen sind dort zur Kenntnis genommen und berücksichtigt worden, wie sich aus den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs zum slowakischen Strafverfahren und insbesondere aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung des Bezirksgerichts vom 24. Oktober 2005 ergibt. Der Beklagte hat im Übrigen auch im disziplinargerichtlichen Verfahren vor dem Verwaltungsgericht davon abgesehen, sich zu äußern und in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichtshofs erklärt, dass er sich zwar äußern wolle, aber nicht zu den abgeurteilten Taten, auf die sich die bindenden tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts beziehen.
Rz. 34
Gegen das Urteil des slowakischen Bezirksgerichts hat dem Beklagten effektiver Rechtsschutz zur Verfügung gestanden. Dies zeigt sich u.a. daran, dass er vor dem Kreisgericht dagegen ein erfolgreiches und ein weiteres, dann erfolgloses, Rechtsmittelverfahren geführt hat. Der Bindung an die tatsächlichen Feststellungen des Bezirksgerichts im späteren Disziplinarverfahren steht auch nicht entgegen, dass sie dem Beklagten nicht erkennbar gewesen wäre. Die Erkennbarkeit der Aufspaltung des Rechtswegs und der Anfechtungslast gegenüber der Vorentscheidung muss (nur) gewährleisten, dass ein Beamter geschützt wird, der nicht um die Tragweite der Vorentscheidung auch für ein Disziplinarverfahren weiß, sie für rechtswidrig, aber weniger bedeutend hält und deswegen akzeptiert (BVerwG, Urteil vom 21. April 2016 - 2 C 13.15 - BVerwGE 155, 35 Rn. 24 f.).
Rz. 35
Der Beklagte hat das erste Urteil des Bezirksgerichts gerade nicht akzeptiert, sondern er hat den dagegen gegebenen Rechtsweg ausgeschöpft. Die Bedeutung des Strafurteils für das Disziplinarverfahren ist vor allem aber auch von vornherein erkennbar gewesen. Ein Beamter muss wegen der vielfältigen gesetzlichen Anknüpfungen an Entscheidungen im Strafverfahren (vgl. §§ 14, 21 Abs. 2, §§ 22, 36, 57, 71 Abs. 1 Nr. 8, § 71 Abs. 2 und § 72 Abs. 1 BDG) wissen, dass diese Auswirkungen auf die disziplinarrechtliche Ahndung von Dienstvergehen haben können und er sich deshalb schon im Strafverfahren angemessen verteidigen muss, um Nachteile im Disziplinarverfahren zu vermeiden (BVerwG, Urteil vom 21. April 2016 - 2 C 13.15 - BVerwGE 155, 35 Rn. 25). Er kann auch nicht davon ausgehen, dass ausländische Strafverfahren disziplinarrechtlich unbedeutend sind. Dies gilt generell, aber jedenfalls bei auch im Ausland begangenen Straftaten, die im Bundesgebiet als Verbrechen (§ 12 Abs. 1 StGB) oder als Qualifikationstaten (§ 12 Abs. 3 Var. 1 StGB) geahndet werden, wie sie Gegenstand des Disziplinarverfahrens gegen den Beklagten sind (hier im deutschen Recht nach § 176a StGB - schwerer sexueller Missbrauch von Kindern).
Rz. 36
Das rechtskräftig gewordene Strafurteil des Bezirksgerichts genügt des Weiteren den Anforderungen, die an ein faires Strafverfahren (Art. 6 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG) zu stellen sind. Dies gilt zunächst für die vom Beklagten aufgeworfene Frage rechtzeitiger und ausreichender Übersetzungen und Dolmetscherleistungen im slowakischen Strafverfahren (Art. 6 Abs. 3 Buchst. e EMRK). Der Beklagte hat gegenüber dem Kreisgericht zwar angegeben, dass er erst aus der erhobenen Klage, die in die deutsche Sprache übersetzt war, erfahren hat, was ihm zur Last gelegt wird (Kreisgericht, Beschluss vom 14. Juni 2005, S. 2 der Übersetzung, S. 513 ≪514≫ der Strafakte). Das Kreisgericht hat diese Angabe des Beklagten aber nachvollziehbar und folgerichtig deshalb als "irreführend" beurteilt, weil ihm schon bei der ersten Vernehmung ein Beschluss über die Beschuldigtenerhebung übersetzt worden war und der Angeklagte damals erklärt hatte: "Die Tat, die mir zur Last gelegt wird und die mir übersetzt wurde, habe ich verstanden." (Kreisgericht Z., Beschluss vom 14. Juni 2005, S. 6 der Übersetzung, S. 513 ≪518≫ der Strafakte).
Rz. 37
Die vom Beklagten im Disziplinarverfahren darüber hinaus geltend gemachten Übersetzungsmängel betrafen im Übrigen nicht seine Unterrichtung über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe, sondern die Übersetzung des von Dr. O. erstatteten Gutachtens in der Hauptverhandlung und ein Explorationsgespräch des Sachverständigen Dr. O. mit ihm. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs im Berufungsurteil ist im Strafverfahren des Beklagten bei Erhebung der Klage zum Gericht ein Dolmetscher bestellt worden. Des Weiteren ist dem Beklagten und seinem Verteidiger jedenfalls im Zeitpunkt der Hauptverhandlung vom 21. März 2005 auch der Inhalt der Gutachten bekannt gewesen, weil die Gutachter Dres. A. und O. in dieser Hauptverhandlung vernommen worden sind und dabei auch auf Fragen des Beklagten und seines Verteidigers geantwortet haben. Der Beklagte hat danach im zweiten Berufungsverfahren beim Kreisgericht auch nicht eine fehlende Übersetzung der Gutachten geltend gemacht, sondern sich zum Teil selbst auf die Gutachten berufen. Am Ende der Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht vom 24. Oktober 2005 haben der Beklagte und sein Verteidiger auch keine weiteren Anträge zur Beweisführung gestellt und insbesondere auch keine Mängel der Übersetzung der bereits ins Verfahren eingeführten Gutachten geltend gemacht (Protokoll der Hauptverhandlung des Bezirksgerichts R. vom 24. Oktober 2005, S. 197 ff. der VGH-Akte).
Rz. 38
Auch bei der Einholung der medizinischen Sachverständigengutachten im slowakischen Strafverfahren lassen sich Verstöße gegen Grundsätze des fairen Verfahrens nicht erkennen. Das Bezirksgericht hat im Strafverfahren gegen den Beklagten Sachverständigenbeweis erhoben. Ausgehend von den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs besteht kein Grund, warum das Bezirksgericht danach noch verpflichtet gewesen sein könnte, weitere Gutachten einzuholen oder das Gutachten von Dr. O. nachbessern zu lassen.
Rz. 39
Dies gilt gerade auch hinsichtlich der vom Beklagten gerügten Dauer seines Explorationsgesprächs mit Dr. O. und der Übersetzung durch die zum Explorationsgespräch hinzugezogene Dolmetscherin. Denn das Bezirksgericht hat festgestellt, dass die im Strafverfahren bestellten Sachverständigen genug Zeit gehabt haben, verantwortlich die Untersuchung des Angeklagten durchzuführen und die vom Ermittler gestellten Fragen zu beantworten (Urteil des Bezirksgerichts vom 13. April 2005, S. 21 der Übersetzung, S. 446 ≪466≫ der Gerichtsakte zum Strafverfahren 1 T 8/05). Dies entspricht der Angabe des Sachverständigen Dr. O., der ausgeführt hat, dass auch in Ansehung des Verlaufs des Gesprächs mit dem Beklagten sich dessen "Persönlichkeit relativ zuverlässig charakterisieren" lasse (Übersetzung des Sachverständigengutachtens 33/2004, S. 257 der VGH-Akte). Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs sind laut Angaben der Gutachter in der Hauptverhandlung des Bezirksgerichts vom 21. März 2005 die Angaben des Beklagten für die Erstellung der Gutachten ausreichend und weitere Untersuchungen sowie ein weiterer Zeitaufwand nicht veranlasst gewesen.
Rz. 40
Eine weitergehende Exploration des Beklagten ist nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs schon mangels Kooperationsbereitschaft des Beklagten unmöglich gewesen und nicht etwa, weil sich die Gutachter nicht genügend Zeit genommen hätten. Der Sachverständige Dr. O. hat ausgeführt, dass der Beklagte auf viele Fragen, die seine Person, seine frühere Ehe, die Scheidungsgründe, sein Sexualverhalten und seine Tat betrafen, nicht geantwortet habe. Der Beklagte habe sich weitgehend geweigert, Informationen über sich und sein Leben zu geben und er habe über die Straftaten nichts gesagt. Auch in der strafgerichtlichen Berufungsverhandlung hat der Beklagte keine Angaben zu den Tatvorwürfen gemacht.
Rz. 41
Mängel der Übersetzungstätigkeit der Dolmetscherin beim Explorationsgespräch von Dr. O. mit dem Beklagten sind ebenfalls nicht erkennbar. Nachvollziehbar bezweifelt der Verwaltungsgerichtshof den entsprechenden Beklagtenvortrag im disziplinaren Berufungsverfahren. Denn der Beklagte hat die angebliche Inkompetenz der Dolmetscherin weder im slowakischen Strafverfahren noch bislang im Disziplinarverfahren geltend gemacht. Zudem hat der Sachverständige Dr. O. in seinem Gutachten keine verbalen Verständigungsmängel erwähnt und auch anhand der im Gutachten wiedergegebenen Angaben des Beklagten sind keine sprachlichen Verständigungsschwierigkeiten ersichtlich. Die im Gutachten des Sachverständigen Dr. O. dokumentierten Angaben des Beklagten decken sich zudem weitgehend mit denen im Gutachten der Sachverständigen S. und A., für deren Gutachten der Beklagte in deutscher Sprache befragt worden ist.
Rz. 42
Auch das durch Art. 6 Abs. 3 Buchst. d EMRK garantierte Konventionsrecht des Angeklagten, Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung von Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen zu erwirken wie sie für Belastungszeugen gelten, ist im vorliegenden slowakische Strafverfahren gewahrt worden. Der Beklagte hat ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung des Bezirksgerichts selbst Fragen an die Belastungszeugen stellen können und am Ende der Verhandlung keine Ergänzung der durchgeführten Zeugenvernehmungen mehr beantragt.
Rz. 43
Die Zeugenbefragungen in der mündlichen Verhandlung des Bezirksgerichts vom 24. Oktober 2005 haben auch vor den Richtern stattgefunden, die später an dem Strafurteil mitgewirkt haben. Zwar haben die befragten Zeugen zum Teil auf Aussagen verwiesen, die sie in einer früheren Verhandlung des Bezirksgerichts gemacht hatten. Diese frühere Verhandlung hatte das Bezirksgericht aber in derselben Besetzung geführt. Dass die frühere Verhandlung zunächst zu einem ersten Urteil des Bezirksgerichts (vom 13. April 2005) geführt hatte, das zwischenzeitlich (durch Entscheidung vom 14. Juni 2005) vom Kreisgericht aufgehoben worden war, ist im Hinblick auf das Recht auf ein faires Verfahren unerheblich. Der Sinn und Zweck des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und des Rechts, Zeugen vor den Richtern zu befragen, die an dem Urteil mitwirken, ist im Fall des Beklagten erfüllt. Im Strafverfahren des Beklagten ist dies gewährleistet gewesen, denn das Kreisgericht hatte die Sache nach Aufhebung des Urteils vom 13. April 2005 an das Bezirksgerichts zurückverwiesen bei dem dieselben Richter damit befasst waren wie im aufgehobenen Urteil vom 13. April 2005. Zudem haben der Beklagte und sein Verteidiger die Möglichkeit gehabt, die Zeugen auch zum Inhalt von deren früheren Aussagen zu befragen. Am Ende der Verhandlung haben sie schließlich auch keine ergänzende Vernehmung mehr beantragt. Die vom Beklagten vor 1999 begangenen Straftaten, die Gegenstand des Disziplinarverfahrens sind, gehörten nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs nicht zum notwendigen Umfang der Zurückverweisung, weil das Kreisgericht im strafrechtlichen Rechtsmittelverfahren die diesbezüglichen Feststellungen des Bezirksgerichts unbeanstandet gelassen hat.
Rz. 44
In dieser Situation die Aussagen von (Opfer-)Zeugen nicht erneut komplett zu wiederholen, entspricht auch der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wonach Rechtsmittelgerichte grundsätzlich nicht verpflichtet sind, Zeugen erneut zu vernehmen (vgl. Meyer-Ladewig/Harrendorf/König, in: Meyer-Ladewig/Nettesheim/v. Raumer, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 6 Rn. 243 und Paeffgen, ZStW 2006, 275 ≪293 Fn. 57≫, jeweils unter Verweis auf EGMR, Urteil vom 18. Mai 2004 - 56651/00 - Destrehem vs. Frankreich, n.v.). Die Entscheidung über einen (weiteren) Zeugenbeweis ist Sache des nationalen Gerichts, dessen Ermessen insoweit auch durch Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 Buchst. d EMRK nicht beschränkt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 28. Juni 2005 - C-189/02 P u.a.- Slg. 2005, I-5425 Rn. 69 f. m.w.N.). Ist schon ein Rechtsmittelgericht nicht nach Art. 6 EMRK verpflichtet, (Opfer-)Zeugen erneut zu Sachverhalten zu vernehmen, zu denen sie bereits erstinstanzlich ausgesagt haben, sondern hat es diesbezüglich Ermessen, muss dies im Strafverfahren gegen den Beklagten erst recht auch für das als erstinstanzliches Tatsachengericht tätig gewordene Bezirksgericht gelten, das in identischer Besetzung bereits einen eigenen Eindruck von den Zeugen und deren Aussagen gewonnen hatte, auf die die Zeugen in der erneuten Verhandlung (nach Zurückverweisung) lediglich Bezug nahmen, ohne sich umfassend zu wiederholen.
Rz. 45
b) Macht ein Verfahrensbeteiligter - hier der Beklagte - eine offenkundige Unrichtigkeit bindender Feststellungen i.S.v. § 57 Abs. 1 Satz 2 BDG geltend, so sind die Verwaltungsgerichte erst dann befugt, dem Vorbringen weiter nachzugehen und schließlich über eine Lösung nach dieser Norm zu entscheiden, wenn das Vorbringen hinreichend substanziiert ist. Pauschale Behauptungen oder bloßes Bestreiten genügen nicht. Es müssen tatsächliche Umstände dargetan werden, aus denen sich die offenkundige Unrichtigkeit ergeben kann (BVerwG, Beschlüsse vom 26. August 2010 - 2 B 43.10 - Buchholz 235, 1 § 57 BDG Nr. 3 Rn. 6 und vom 30. August 2017 - 2 B 34.17 - NVwZ-RR 2018, 239 Rn. 15). Der Beklagte hat zwar zu bestimmten Aspekten des slowakischen Strafverfahrens vorgetragen, die seiner Meinung nach offenkundig gegen wesentliche Verfahrensvorschriften verstießen. Der Verwaltungsgerichtshof ist diesem Vorbringen aber - wie ausgeführt - hinreichend nachgegangen.
Rz. 46
Ist das Disziplinargericht an Feststellungen aus einem ausländischen Strafurteil gebunden, muss es insbesondere auch Ermittlungen zum Inhalt des Protokolls der Hauptverhandlung vor dem ausländischen Strafgericht und zum Inhalt des ausländischen Strafprozessrechts anstellen (BVerwG, Beschluss vom 28. September 2011 - 2 WD 18.10 - Buchholz 450.2 § 84 WDO 2002 Nr. 5 S. 19 ≪zu den §§ 84 Abs. 1 Satz 2 und 106 Abs. 1 WDO≫). Der Verwaltungsgerichtshof hat sich dementsprechend mit dem Protokoll der Hauptverhandlung des Bezirksgerichts befasst und auch Ermittlungen zum slowakischen Strafprozessrecht angestellt, soweit dies durch die Rüge des Beklagten hinsichtlich der Zeugenvernehmungen in der Verhandlung vom 24. Oktober 2005 veranlasst gewesen ist. Im Ergebnis hat er keinen offenkundigen Verstoß gegen wesentliche Verfahrensvorschriften festgestellt. Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 47
4. Der Beklagte hat durch den sexuellen Missbrauch von Kindern gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes verstoßen (§ 54 Satz 3 BBG a.F.). Durch die Straftat hat der Beklagte ein außerdienstliches Dienstvergehen begangen. Dieses ist disziplinarwürdig i.S.v. § 77 Abs. 1 Satz 2 BBG a.F., weil es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, Achtung und Vertrauen in einer für sein Amt oder das Ansehen des Beamtentums bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.
Rz. 48
Bei der disziplinarrechtlichen Ahndung von Dienstvergehen hat der Senat die bisherige Kategorie der "Richtschnur" oder der "Regeleinstufung" (vgl. dazu noch BVerwG, Urteil vom 25. März 2010 - 2 C 83.08 - BVerwGE 136, 173 Rn. 18) aufgegeben. Er geht davon aus, dass sich die Disziplinarmaßnahme am gesetzlich bestimmten Strafrahmen zu orientieren hat. Der Senat hat dies zunächst in Fällen der disziplinaren Ahndung des außerdienstlichen Besitzes kinderpornographischer Schriften ausgesprochen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Juni 2015 - 2 C 9.14 - BVerwGE 152, 228 Rn. 31 f.) und sodann zu innerdienstlich begangenen Zugriffsdelikten (BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2015 - 2 C 6.14 - BVerwGE 154, 10 Rn. 19). Dies ist nunmehr der generelle Ansatz der Rechtsprechung des Senats. Die Orientierung des Umfangs des Vertrauensverlustes am gesetzlichen Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarische Ahndung der Dienstvergehen.
Rz. 49
Ausgehend vom Strafrahmen §§ 176 und 176a StGB reicht der Orientierungsrahmen für die mögliche Disziplinarmaßnahme hier bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, d.h. bis zur Aberkennung des Ruhegehalts nach § 12 BDG. Die in Ausfüllung dieses Rahmens zu treffende Bemessungsentscheidung nach Maßgabe des § 13 BDG führt zur Aberkennung des Ruhegehalts, weil der Beklagte durch sein Dienstvergehen das Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren hat (§ 13 Abs. 2 Satz 1 BDG).
Rz. 50
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 2 VwGO.
Rz. 51
Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nicht, weil sich die Höhe der Gerichtsgebühren aus dem gesetzlich bestimmten streitwertunabhängigen Gebührenbetrag ergibt (§ 78 BDG i.V.m. Nr. 11 und 30 des Gebührenverzeichnisses der Anlage zu § 78 BDG).
Fundstellen
Haufe-Index 11935095 |
BVerwGE 2019, 1 |
DÖV 2018, 952 |
JZ 2019, 5 |
PersV 2018, 384 |
RiA 2018, 284 |
BayVBl. 2018, 3 |
DVBl. 2018, 4 |
GV/RP 2018, 587 |
KomVerw/LSA 2019, 84 |
FSt 2019, 293 |
FuBW 2018, 930 |
FuHe 2018, 741 |
FuNds 2019, 3 |
KomVerw/B 2019, 84 |
KomVerw/MV 2019, 87 |
KomVerw/S 2019, 84 |
KomVerw/T 2019, 84 |
ThürVBl. 2020, 89 |