Leitsatz (amtlich)
Weder das Grundrecht auf Glaubensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) noch das Verbot der Diskriminierung wegen des Glaubens und der Weltanschauung (Art. 3 Abs. 3 GG) in Verbindung mit dem Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität des Staates gewährleisten einen Anspruch einer Weltanschauungsgemeinschaft auf Entfernung von Kreuzen, die im Eingangsbereich staatlicher Behörden als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung angebracht sind.
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 01.06.2022; Aktenzeichen 5 B 22.674) |
VG München (Urteil vom 17.09.2020; Aktenzeichen M 30 K 20.2325) |
Tenor
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens jeweils zur Hälfte.
Tatbestand
Rz. 1
Die Kläger sind als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasste Weltanschauungsgemeinschaften. Sie begehren unter anderem die Entfernung der in Befolgung des sogenannten Kreuzerlasses der Bayerischen Staatsregierung angebrachten Kreuze im Eingangsbereich von Dienstgebäuden.
Rz. 2
Im April 2018 beschloss die Bayerische Staatsregierung unter Änderung von § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung (AGO) für die Behörden des beklagten Freistaats, dass im Eingangsbereich eines jeden Dienstgebäudes als Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns ein Kreuz gut sichtbar anzubringen sei. Ferner empfiehlt § 36 AGO Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, nach dieser Geschäftsordnung zu verfahren. Die Änderung wurde im Gesetz- und Verordnungsblatt bekannt gemacht und trat zum 1. Juni 2018 in Kraft.
Rz. 3
Hiergegen erhoben die Kläger sowie 25 Privatpersonen Klagen zum Verwaltungsgericht und begehrten die Verpflichtung des Beklagten, § 28 AGO aufzuheben, den sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, die in Befolgung von § 36 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen, sowie hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, die in seinen Dienststellen gemäß § 28 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen.
Rz. 4
Den Klageantrag, § 28 AGO aufzuheben, hat das Verwaltungsgericht abgetrennt und als Normenkontrollantrag an den Verwaltungsgerichtshof verwiesen (5 N 20.1331). Der Verwaltungsgerichtshof wies die Klagen der 25 Privatpersonen mangels einer Klagebefugnis als unzulässig ab und ließ die Revision nicht zu; die diesbezüglichen Nichtzulassungsbeschwerden sind vor dem Bundesverwaltungsgericht ohne Erfolg geblieben (Beschluss vom 9. Juni 2023 - BVerwG 10 B 13.22 -). Die Klagen auf Aufhebung des § 28 AGO hat der Verwaltungsgerichtshof als zulässig, aber unbegründet abgewiesen und die Revision zugelassen. Auf das Urteil des Senats in dem erfolglosen Revisionsverfahren BVerwG 10 C 3.22 wird Bezug genommen.
Rz. 5
Die Klagen auf Entfernung der Kreuze sind vor dem Verwaltungsgericht ohne Erfolg geblieben. Die Berufungen hat der Verwaltungsgerichtshof unter Zulassung der Revision zurückgewiesen. Die Klagen seien zulässig. Eine Verletzung des Grundrechts der Religions- und Weltanschauungsfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG sowie des Rechts der Kläger auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG erscheine möglich. Die Klagen seien aber unbegründet. Die durch § 28 AGO veranlasste Aufhängung von Kreuzen begründe einen Verstoß gegen die objektiv-rechtliche Verpflichtung des Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Das christliche Kreuz könne zwar auch als rein säkulares Symbol aufgefasst werden. Maßgeblich sei jedoch, dass das Kreuz ebenso ausschließlich als religiöses Symbol gedeutet werden könne. Ein Eingriff in die Grundrechte der Kläger aus Art. 4 und Art. 3 GG liege aber nicht vor. Der Antrag auf Empfehlung gegenüber sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die angebrachten Kreuze zu entfernen, sei unzulässig. Diese entschieden autonom, ob sie der staatlichen Empfehlung Folge leisteten. Außerdem komme einer solchen Empfehlung keine rechtlich verpflichtende Wirkung zu.
Rz. 6
Mit ihren vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revisionen verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter: Das Gebot staatlicher Neutralität werde verfehlt, wenn im Eingangsbereich von Behörden das zentrale Symbol der christlichen Glaubensgemeinschaften gut sichtbar prange und dem Eintretenden dadurch Parteilichkeit vermittelt werde. Es sei allgemeinkundig, dass die Anbringung des Kreuzes Werbeeffekte für christliche Glaubensgemeinschaften entfalte. Die im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen angebrachten Kreuze hätten eine den christlichen Glauben fördernde und damit die Weltanschauungsfreiheit der Kläger beeinträchtigende Wirkung. Die Wahrnehmung des Kreuzes im Eingangsbereich sei nicht lediglich flüchtig. Der Eingangsbereich sei häufig ein Wartebereich. Manchmal genügten überdies Augenblicke, um wirksam beeindruckt zu sein.
Rz. 7
Die Abweisung der Klagen auf Abgabe einer Empfehlung an die sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts, angebrachte Kreuze wieder zu entfernen, verstoße gegen Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1 und Art. 33 Abs. 1 und 3 GG. Es sei davon auszugehen, dass die juristischen Personen der Empfehlung gemäß § 36 AGO gefolgt seien.
Rz. 8
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 1. Juni 2022 und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 17. September 2020 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen,
1. die in seinen Dienststellen in Befolgung von § 28 der Allgemeinen Geschäftsordnung für die Behörden des Freistaates Bayern (AGO) im Eingangsbereich der Dienstgebäude angebrachten Kreuze zu entfernen,
2. den Gemeinden, Landkreisen, Bezirken und sonstigen juristischen Personen des öffentlichen Rechts zu empfehlen, die in Befolgung von § 36 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen.
Rz. 9
Der Beklagte beantragt,
die Revisionen zurückzuweisen.
Rz. 10
Aufgrund der tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs liege in der Anbringung von Kreuzen im Eingangsbereich staatlicher Dienststellen keine Verletzung des dem Staat obliegenden Gebots weltanschaulich-religiöser Neutralität. Jedenfalls seien die Kläger keinem Grundrechtseingriff ausgesetzt.
Entscheidungsgründe
Rz. 11
Die Revisionen sind zulässig, aber nicht begründet. Im Einklang mit Bundesrecht hat der Verwaltungsgerichtshof die Klagen auf Entfernung der Kreuze für zulässig und im Ergebnis zu Recht für unbegründet erachtet (1.). Die Klagen auf Verpflichtung zur Abgabe einer Empfehlung, angebrachte Kreuze zu entfernen, sind unzulässig (2.).
Rz. 12
1.a) Die Leistungsklagen sind zulässig. Die Kläger sind klagebefugt (vgl. § 42 Abs. 2 VwGO analog).
Rz. 13
Auf die Religions- und Weltanschauungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) sowie auf das grundrechtliche Diskriminierungsverbot wegen des Glaubens (Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG) können sich nach Art. 19 Abs. 3 GG auch inländische juristische Personen und Religionsgemeinschaften, die Personen des öffentlichen Rechts sind, berufen (BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - BVerfGE 125, 39 ≪73 f.≫). Hiervon ausgehend ist nicht von vornherein ausgeschlossen, dass aufgrund der Anbringung der Kreuze zulasten der Weltanschauung der Kläger eine Bevorzugung und staatliche Identifikation mit dem christlichen Glauben verbunden ist. Dies vermag die Klagebefugnis der Kläger zu begründen.
Rz. 14
b) Im Ergebnis zu Recht hat der Verwaltungsgerichtshof die Verurteilung zur Entfernung der Kreuze abgelehnt. Die Voraussetzungen eines öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs, der einzigen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, sind nicht gegeben. Nach diesem in den Grundrechten und dem rechtsstaatlichen Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung wurzelnden Anspruch kann jemand, der durch öffentlich-rechtliches Handeln der vollziehenden Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, verlangen, dass die Verwaltung andauernde unmittelbare Folgen ihres rechtswidrigen Vorgehens rückgängig macht (BVerwG, Urteile vom 19. Juli 1984 - 3 C 81.82 - BVerwGE 69, 366 ≪371 ff.≫ und vom 29. Juni 2022 - 6 C 11.20 - BVerwGE 176, 19 Rn. 16).
Rz. 15
aa) Die Kreuze verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG. Ihre Anbringung berührt schon nicht den Schutzbereich dieses Grundrechts der Kläger.
Rz. 16
Wie bereits ausgeführt, können sich die Kläger als Weltanschauungsgemeinschaften auf die Religions- und Weltanschauungsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 19 Abs. 3 GG berufen (vgl. BVerfG, Urteil vom 1. Dezember 2009 - 1 BvR 2857, 2858/07 - BVerfGE 125, 39 ≪73 f.≫). Obwohl Vereinigungen nicht in derselben Weise wie der einzelne Mensch religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen, also ein forum internum, haben können (vgl. Kokott, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 4 Rn. 11), ist doch in Religion und Weltanschauung eine überindividuelle Dimension der Gemeinschaft im Glauben, Bekennen und Handeln angelegt. Auf Vereinigungen, deren Zweck auf diese überindividuelle Dimension der Religion oder Weltanschauung gerichtet ist, kann die Religions- und Weltanschauungsfreiheit im forum externum daher ihrem Wesen nach im Sinne des Art. 19 Abs. 3 GG angewendet werden (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 4. Oktober 1965 - 1 BvR 498/62 - BVerfGE 19, 129 ≪132≫, vom 13. Oktober 1998 - 2 BvR 1275/96 - BVerfGE 99, 100 ≪118≫ und vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - BVerfGE 105, 279 ≪293≫).
Rz. 17
Es liegt aber kein Eingriff in die Religions- und Weltanschauungsfreiheit der Kläger vor. Die Anbringung der Kreuze verkürzt keine in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG enthaltene Freiheitsgewährleistung zulasten der Kläger. Ihnen bleibt es auch bei der Ausstattung des Eingangsbereiches staatlicher Behörden mit einem Kreuz unbenommen, sich als weltanschaulicher Zusammenschluss zu betätigen, ihre Weltanschauung zu verbreiten, sie zu pflegen und zu fördern und für sie zu werben (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - BVerfGE 105, 279 ≪293 f.≫.
Rz. 18
Die Kläger genießen als kollektive Grundrechtsträger zudem keinen aus der negativen Religions- und Weltanschauungsfreiheit folgenden Schutz vor unausweichlicher Konfrontation gegenüber angebrachten Kreuzen, da sie als Vereinigung nicht in eine vom Staat geschaffene Lage geraten können, in der der Einzelne ohne Ausweichmöglichkeiten dem Einfluss eines bestimmten Symbols ausgesetzt ist (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471, 1181/10 - BVerfGE 138, 296 Rn. 104). Grundrechte ihrer Mitglieder können sie - wie sie selbst klargestellt haben - nicht geltend machen.
Rz. 19
bb) Auch das grundrechtliche Diskriminierungsverbot wegen des Glaubens gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates wird durch die Anbringung der Kreuze nicht verletzt.
Rz. 20
(1) Nach Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG darf niemand wegen seines Glaubens und seiner religiösen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.
Rz. 21
Art. 3 Abs. 3 GG ist ein individuelles Grundrecht mit spezifisch kollektivem Bezug. Geschützt sind Einzelne davor, Nachteile als Angehörige einer Gruppe zu erfahren, der sie aufgrund eines tatsächlich oder vermeintlich vorliegenden Merkmals zugeordnet werden. Verboten ist jede Bevorzugung und Benachteiligung infolge einer rechtlichen Unterscheidung. Die Vorschrift ist spezieller als der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Sie verbürgt subjektive Abwehrrechte (Langenfeld, in: Dürig/Herzog/Scholz, Grundgesetz, Stand Mai 2023, Art. 3 Abs. 3 Rn. 14; Nußberger, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 3 Rn. 233). Nach Maßgabe des Art. 19 Abs. 3 GG ist das Grundrecht auf juristische Personen und sonstige Personenvereinigungen anwendbar, wenn deren Zusammenschluss und Betätigung gerade auf den Merkmalen des Art. 3 Abs. 3 GG beruht. Dies ist für Vereinigungen anerkannt, die einen Glauben oder eine politische Überzeugung vertreten (Baer/Markard, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, 7. Aufl. 2018, Art. 3 Rn. 411 ff.). Der Schutzgehalt des Diskriminierungsverbots aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG hat damit einen personalen Bezug zu Einzelnen oder Vereinigungen, welche es vor Benachteiligungen infolge ihrer religiösen Anschauungen schützt und deren Bevorzugung wegen jenen Überzeugungen es verbietet. Entscheidend ist demnach die Wirkung einer Maßnahme auf die geschützten einzelnen Personen oder kollektiven Vereinigungen. Daran fehlt es hier.
Rz. 22
Das Kreuz kann nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs als zentrales Symbol des christlichen Glaubens aufgefasst werden. Er hat das Kreuz unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dahingehend gewürdigt, dass es Symbol einer bestimmten religiösen Überzeugung und nicht nur Ausdruck der vom Christentum mitgeprägten abendländischen Kultur ist (BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 ≪19≫; diff. Bayerischer Verfassungsgerichtshof, Entscheidung vom 1. August 1997 - 6-VII-96 u. a. - NJW 1997, 3157 f.). Auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte sieht in einem Kruzifix ein religiöses, wenn auch "ein wesentlich passives Symbol" (EGMR ≪Große Kammer≫, Urteil vom 18. März 2011 - 30814/06 - NVwZ 2011, 737 Rn. 66 und 72). An die dieser Würdigung zugrundeliegenden tatrichterlichen Feststellungen ist der Senat mangels Verfahrensrügen gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).
Rz. 23
Nach den weiteren Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist die Wahrnehmung der Kreuze im Eingangsbereich zudem flüchtig. Daraus hat der Verwaltungsgerichtshof geschlossen, dass den dort angebrachten Kreuzen keine den christlichen Glauben fördernde und die Weltanschauungsfreiheit möglicherweise beeinträchtigende Wirkung zukommt. Ein Werbeeffekt für die christlichen Kirchen sei nicht gegeben. Das Kreuz an der Wand sei ein im Wesentlichen passives Symbol ohne missionierende oder indoktrinierende Wirkung. Einen möglichen Einfluss auf Besucher der Dienststellen hätten die Kläger nicht nachvollziehbar aufgezeigt. An diese nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatrichterlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs ist das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 137 Abs. 2 VwGO gebunden.
Rz. 24
(2) Schließlich ergibt sich nichts anderes, wenn man das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG im Lichte des Grundsatzes weltanschaulich-religiöser Neutralität auslegt. Einen Verstoß gegen diesen Grundsatz hat der Verwaltungsgerichtshof bundesrechtswidrig bejaht.
Rz. 25
(a) Das Grundgesetz begründet für den Staat als Heimstatt aller Staatsbürger in Art. 4 Abs. 1, Art. 3 Abs. 3 Satz 1, Art. 33 Abs. 3 GG sowie durch Art. 136 Abs. 1 und 4 und Art. 137 Abs. 1 WRV in Verbindung mit Art. 140 GG die Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität. Es verwehrt die Einführung staatskirchlicher Rechtsformen und untersagt die Privilegierung bestimmter Bekenntnisse ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 11. April 1972 - 2 BvR 75/71 - BVerfGE 33, 23 ≪28≫ und vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 ≪17≫). Der Staat hat auf eine am Gleichheitssatz orientierte Behandlung der verschiedenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zu achten (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 28. April 1965 - 1 BvR 346/61 - BVerfGE 19, 1 ≪8≫ und vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 ≪17≫) und darf sich nicht mit einer bestimmten Religionsgemeinschaft identifizieren (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 - 2 BvR 1436/02 - BVerfGE 108, 282 ≪300≫ und Beschluss vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471, 1181/10 - BVerfGE 138, 296 Rn. 109). Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist gekennzeichnet von Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen und gründet dies auf ein Menschenbild, das von der Würde des Menschen und der freien Entfaltung der Persönlichkeit in Selbstbestimmung und Eigenverantwortung geprägt ist (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. Januar 2015 - 1 BvR 471, 1181/10 - BVerfGE 138, 296 Rn. 109 und vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 1333/17 - BVerfGE 153, 1 Rn. 87).
Rz. 26
Die dem Staat gebotene weltanschaulich-religiöse Neutralität ist indessen nicht als eine distanzierende im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche zu verstehen, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung. Art. 4 Abs. 1 und 2 GG gebietet auch im positiven Sinn, den Raum für die aktive Betätigung der Glaubensüberzeugung und die Verwirklichung der autonomen Persönlichkeit auf weltanschaulich-religiösem Gebiet zu sichern (vgl. BVerfG, Beschluss vom 16. Mai 1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfGE 93, 1 ≪16≫). Der Staat darf lediglich keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben oder sich durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in einer Gesellschaft von sich aus gefährden. Auch verwehrt es der Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität dem Staat, Glauben und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. Januar 2020 - 2 BvR 1333/17 - BVerfGE 153, 1 Rn. 86 ff.).
Rz. 27
Dies schließt jedoch die Verwendung religiöser Symbole und eine Teilnahme des Staates und seiner Vertreter an religiösen Gebräuchen nicht schlechthin aus. Schon dem Wortlaut des Grundgesetzes lässt sich in vielfältiger Weise entnehmen, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht als ein laizistischer Staat verfasst ist. Hinzuweisen ist etwa auf die Benennung Gottes in der Präambel des Grundgesetzes und darauf, dass nach Art. 7 Abs. 3 Satz 1 GG der Religionsunterricht in den öffentlichen Schulen, mit Ausnahme der bekenntnisfreien, ordentliches Lehrfach ist (BVerwG, Urteil vom 21. April 1999 - 6 C 18.98 - BVerwGE 109, 40 ≪45 f.≫). Das Neutralitätsprinzip verlangt daher vom Staat keinen vollständigen Verzicht auf religiöse Bezüge im Sinne einer strengen Laizität, sondern verpflichtet ihn zur Offenheit gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen. Der Verzicht des Grundgesetzes auf einen strikten Laizismus und somit die grundsätzliche Zulässigkeit religiöser Bezüge im Agieren des Staates bedingen, dass die Verletzung des Neutralitätsgrundsatzes erst bei einer (gewissen) Intensität in Betracht kommt (vgl. Waldhoff, JuS 2022, 1182 ≪1184≫ sowie EGMR ≪Große Kammer≫, Urteil vom 18. März 2011 - 30814/06 - NVwZ 2011, 737 Rn. 72, der wegen des passiven Charakters des Kruzifixes an der Wand eines Klassenzimmers eine Verletzung des Neutralitätsgebots verneint.)
Rz. 28
(b) Danach kann sich aus dem Grundsatz weltanschaulich-religiöser Neutralität in seiner subjektiv-rechtliche Grundrechtsgewährleistungen ergänzenden und verstärkenden Funktion nichts Weiteres zugunsten der Kläger ergeben. Nach dem Kontext und Zweck der Verwendung des Kreuzessymbols identifiziert sich der Freistaat Bayern durch die Aufhängung von Kreuzen nicht mit christlichen Glaubenssätzen. Schon nach dem Wortlaut der im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlichten Regelung des § 28 AGO soll das Kreuz im Zusammenhang mit seiner Anbringung im Eingangsbereich staatlicher Stellen vielmehr Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns sein. Es dient somit in einem spezifischen Kontext der Darstellung des staatlichen Eigenverständnisses Bayerns, wie es durch die subjektive Zwecksetzung in § 28 AGO seinen Ausdruck gefunden hat. Aufgrund der Veröffentlichung des § 28 AGO im Gesetz- und Verordnungsblatt (GVBl 2018 S. 281) ist dieser über den Symbolgehalt des Kreuzes für den christlichen Glauben hinausgehende besondere Ausdruck der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns auch objektiv hinreichend erkennbar. Eine Werbung für die christlichen Kirchen ist, wie tatrichterlich festgestellt (s. o.), damit nicht verbunden. Die Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs bieten zudem keinerlei Grundlage für die Annahme, dass die Anbringung des Kreuzes der verfassungsrechtlich unabdingbaren Offenheit des Staates gegenüber anderen Bekenntnissen und Weltanschauungen im Wege stünde.
Rz. 29
2. Das Begehren auf Abgabe einer Empfehlung an die sonstigen Personen des öffentlichen Rechts, die in Befolgung von § 36 AGO angebrachten Kreuze zu entfernen, ist mangels Klagebefugnis bereits unzulässig. Ein Anspruch auf Abgabe einer verwaltungsinternen Empfehlung ohne rechtliche Außenwirkung besteht nicht. Die Verurteilung zur begehrten Empfehlung, im Eingangsbereich von Dienststellen angebrachte Kreuze zu entfernen, wäre ebenso wie § 28 AGO i. V. m. § 36 AGO eine Verwaltungsvorschrift (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Juni 2023 - 10 B 13.22 - juris Rn. 14), der keine rechtliche Wirkung nach außen zukommt. Gegen eine solche Verwaltungsvorschrift besteht grundsätzlich kein Rechtsschutz.
Rz. 30
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Fundstellen
Haufe-Index 16241416 |
NVwZ 2024, 673 |
DÖV 2024, 612 |
JZ 2024, 428 |
JZ 2024, 724 |
VR 2024, 216 |
BayVBl. 2024, 681 |
DVBl. 2024, 767 |
FSt 2024, 537 |