Entscheidungsstichwort (Thema)
Politische Verfolgung durch staatsähnliche Organisation. quasi-staatliche Verfolgung. Flüchtlingsbegriff. Flüchtlingseigenschaft. Streitgegenstand im Asylverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Die erleichterten Anforderungen an die Qualifizierung von Verfolgungsmaßnahmen in einem noch andauernden Bürgerkrieg als quasi-staatliche, politische Verfolgung gelten nicht nur für die Asylgewährung nach Art. 16 a GG, sondern auch für § 51 Abs. 1 AuslG und die Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft nach Art. 1 A Nr. 2 GFK (im Anschluss an das gleichzeitig ergangene Urteil vom 20. Februar 2001 – BVerwG 9 C 20.00 –).
2. Die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG kann nicht kumulativ begehrt werden.
Normenkette
GG Art. 16a; AsylVfG § 25; AuslG § 51 Abs. 1, § 53; GFK Art. 1 A, 33; VwGO § 44
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 23.07.1997; Aktenzeichen 11 A 10570/97) |
VG Koblenz (Entscheidung vom 19.08.1996; Aktenzeichen 8 K 1446 und 1447/96.KO) |
Tenor
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 23. Juli 1997 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die 1942 und 1948 in Kabul geborenen Kläger zu 1 und 2 sind afghanische Staatsangehörige. Sie sind seit 1968 miteinander verheiratet; die Kläger zu 3 bis 6 sind ihre zwischen 1979 und 1987 in Kabul geborenen Kinder. Die Kläger verließen ihr Heimatland Mitte Oktober 1995 und gelangten nach ihren Angaben über Tadschikistan mit dem Zug nach Kiew und sodann Ende Oktober 1995 mit dem Flugzeug nach Berlin. Anfang November beantragten sie in Trier Asyl. Der Kläger zu 1 gab an, er sei seit Oktober 1970 Mitglied der Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA/Parcham-Flügel) gewesen und habe von September 1981 bis zu dessen Auflösung im September 1986 dem Revolutionsrat der Demokratischen Republik Afghanistan angehört. Seit 1980 sei er Kommandant der Militärakademie und seit 1981 stellvertretender Verteidigungsminister mit Zuständigkeit für Bewaffnung und technische Ausrüstung gewesen. Diese Position habe er – im Range eines Generalleutnants – auch noch in den ersten Monaten nach der Machtübernahme durch die Mudjaheddin innegehabt. Nach einer Warnung, dass seine Verhaftung bevorstehe, sei er Anfang September 1992 mit seiner Familie aus der Stadt geflüchtet und habe sich in der Provinz Baghlan und später in der Provinz Kunduz in Sicherheit gebracht. Nachdem sie auch in Kunduz nicht mehr sicher gewesen seien, hätten sie Afghanistan verlassen. Die Klägerin zu 2 gab an, sie sei seit 1968 Mitglied der kommunistischen Partei gewesen und habe als Lehrerin, in der Schulverwaltung und von 1989 bis Juni 1992 als Direktorin eines Gymnasiums in Kabul gearbeitet.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte zwar die Asylanträge ab, stellte aber fest, dass ein Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 4 AuslG hinsichtlich Afghanistans vorliegt. Zur Begründung führte es aus, den Klägern drohe keine politische Verfolgung, da in Afghanistan weiterhin Bürgerkrieg herrsche. Hingegen lägen die Voraussetzungen des § 53 Abs. 4 AuslG vor, weil den Klägern bei Rückkehr nach Afghanistan aufgrund der früheren exponierten Stellung des Klägers zu 1 als stellvertretender Verteidigungsminister an jedem Ort schwerste Übergriffe aller Bürgerkriegsparteien drohten.
Mit ihrer Klage haben die Kläger ihr Asylbegehren weiter verfolgt und zusätzlich die Verpflichtung der Beklagten beantragt, über § 53 Abs. 4 AuslG hinausgehende Abschiebungshindernisse nach § 53 Abs. 1, 2 und 6 Satz 1 AuslG hinsichtlich Afghanistans festzustellen. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte unter Abänderung von Nr. 3 des Bundesamtsbescheids verpflichtet, das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 1 AuslG festzustellen, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Der getrennt geführten Klage des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) gegen die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 4 AuslG hat das Verwaltungsgericht stattgegeben, weil es an einer staatlichen oder quasi-staatlichen Urheberschaft der drohenden unmenschlichen Behandlung fehle.
Auf die – nur zu Art. 16 a GG, § 51 Abs. 1 und § 53 Abs. 2 und 4 AuslG zugelassene – Berufung der Kläger hat das Oberverwaltungsgericht die erstinstanzlichen Entscheidungen teilweise geändert und die Beklagte zur Anerkennung der Kläger als Asylberechtigte nach Art. 16 a GG sowie hinsichtlich des Klägers zu 1 auch zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG verpflichtet. Im Übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es in dem Beschluss vom 23. Juli 1997 ausgeführt, die Kläger hätten Anspruch auf Asyl, das ihnen nicht mit der Begründung versagt werden könne, es gäbe in ihrer Heimat keine Staatsgewalt. Der Kläger zu 1 habe wegen seiner herausgehobenen Stellung in der Administration und Armee des früheren kommunistischen Regimes mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung durch die Taliban (Taleban) zu erwarten, deren Macht den Anforderungen an eine staatliche oder staatsähnliche Gewalt im Sinne des Asylrechts entspreche. Dem Kläger zu 1 drohten auch in den übrigen Gebieten Afghanistans mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgungsmaßnahmen von asylerheblicher Intensität, sodass er, sofern dort weitere quasi-staatliche Herrschaften bestehen sollten, auch dort politisch verfolgt werden würde und ansonsten keine zumutbare Zuflucht finden könnte. Der Kläger zu 1 erfülle deshalb auch die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, könne aber als Asylberechtigter nicht außerdem die Feststellung weiterer Abschiebungshindernisse beanspruchen. Die Kläger zu 2 bis 6 seien familienasylberechtigt; die Feststellung von Abschiebungshindernissen für sie scheide aus.
Weite Teile Afghanistans würden mittlerweile von den Taliban beherrscht, die jedenfalls im Kerngebiet ihres Machtbereichs inzwischen eine staatsähnliche Herrschaftsmacht etabliert und effektiv durchgesetzt sowie auch eine übergreifende Friedensordnung errichtet hätten. In den bis Ende 1996 eroberten Gebieten herrschten die Taliban noch nicht überall unangefochten und ohne Rücksicht auf „Regionalfürsten” nehmen zu müssen. Einige Kommandaten herrschten ohne nennenswerte Einmischung durch die Taliban. Sonst aber brauchten sie die Macht in ihren Gebieten mit niemandem zu teilen und hätten mithin so etwas wie ein Machtmonopol inne.
Auf die dagegen gerichteten Revisionen der Beklagten und des Bundesbeauftragten hat das Bundesverwaltungsgericht den Beschluss des Berufungsgerichts aufgehoben, soweit darin der Berufung der Kläger stattgegeben worden war. Es hat ausgeführt, das Berufungsgericht gehe zwar zutreffend davon aus, dass ein Anspruch auf Asyl nach Art. 16 a GG und auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG nur bestehe, wenn der Ausländer von politischer, d.h. staatlicher oder quasi-staatlicher Verfolgung bedroht sei. Die rechtlichen Ausführungen und Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts dazu, dass die zum Zeitpunkt seiner Entscheidung über etwa drei Viertel der Fläche des handlungsunfähig gewordenen Gesamtstaats Afghanistan herrschenden Taliban in ihrem Herrschaftgebiet quasi-staatliche Gewalt ausübten, stünden aber mit den bundesrechtlichen Anforderungen an die Qualifizierung von staatsähnlichen Machtgebilden in einem fortdauernden Bürgerkrieg nicht in vollem Umfang in Einklang.
Die Berufungsentscheidung könne danach keinen Bestand haben, soweit die Beklagte zur Anerkennung des Klägers zu 1 als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG und zur Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG verpflichtet worden sei. Damit fehle es zugleich an der Grundlage für Asylansprüche der Kläger zu 2 bis 6, ohne dass der Senat zu den mit der Revision der Beklagten vorgebrachten weiteren Einwänden besonders gegen die Zuerkennung von Familienasyl Stellung nehmen müsse. Es komme auch nicht mehr darauf an, ob der Kläger zu 1 – wie das Berufungsgericht unter der Prämisse drohender politischer Verfolgung durch die Taliban bei seiner Rückkehr geprüft habe – wegen der Subsidiarität des deutschen Asylrechts darauf verwiesen werden könne, in andere – wenn auch ebenfalls vom Bürgerkrieg heimgesuchte – Landesteile des handlungsunfähigen, aber fortbestehenden Gesamtstaats Afghanistan auszuweichen.
Da in Afghanistan wegen des andauernden Bürgerkriegs keine staatliche und staatsähnliche Gebietsgewalt bestehe, könnten sich die Kläger gegenüber dem Bundesamt nur auf ein Abschiebungsverbot nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG berufen. Für die Kläger sei indessen rechtskräftig entschieden, dass sie Anspruch auf die Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 1 AuslG hätten und deshalb, solange ihnen dort die vom Verwaltungsgericht festgetellte Foltergefahr drohe und ein Widerruf nach § 73 Abs. 3 AsylVfG ausgeschlossen sei, nicht nach Afghanistan abgeschoben werden dürften. Die Feststellung weiterer Abschiebungshindernisse könnten sie daneben nicht erreichen.
Auf die Verfassungsbeschwerde der Kläger hat das Bundesverfassungsgericht (1. Kammer des Zweiten Senats) das Verfahren – mit Ausnahme der rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 1 AuslG – zur erneuten Entscheidung an das Bundesverwaltungsgericht zurückverwiesen (Beschluss vom 10. August 2000 – 2 BvR 260/98 und 1353/98 –). Das Bundesverfassungsgericht hat die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an staatsähnliche Herrschaftsorganisationen in einem andauernden Bürgerkrieg als zu eng beanstandet. Das Bundesverwaltungsgericht habe dem Erfordernis einer dauerhaft stabilisierten Herrschaftsmacht „nach außen” – zwischen den Bürgerkriegsparteien – zu viel Gewicht beigemessen. Die Frage, ob nach dem Fortfall der bisherigen Staatsgewalt von einer Bürgerkriegspartei politische Verfolgung ausgehen könne, beurteile sich unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des Asylrechts maßgeblich danach, ob diese „nach innen” zumindest in einem Kernterritorium ein Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität tatsächlich errichtet habe. Es sei nunmehr Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts, die Erscheinungsform der quasi-staatlichen Verfolgung unter Beachtung des Verfassungsrechts begrifflich zu präzisieren. Außerdem sei erneut fachgerichtlich zu beurteilen, ob die Annahme politischer Verfolgung ausgeschlossen sei, weil alle in Afghanistan herrschenden Machthaber zur Aufrechterhaltung ihrer militärischen Herrschaft mehr oder minder auf autonome örtliche Kommandanten angewiesen seien.
Zur ergänzenden Begründung der Revision trägt der Bundesbeauftragte vor, das Bundesverwaltungsgericht habe in der aufgehobenen Entscheidung nicht ausschließlich auf das Andauern des Bürgerkriegs und den Kampf um die Macht in ganz Afghanistan abgestellt. Vielmehr habe es die Zielsetzung der Bürgerkriegsparteien ersichtlich im unmittelbaren Zusammenhang mit der mangelnden Stabilisierung der allgemeinen Situation im gesamten Bürgerkriegsgebiet und der Möglichkeit des jederzeitigen und überall möglichen Aufflackerns von Kämpfen oder des Abfalls mehr oder minder autonomer örtlicher Kommandanten und Clanführer gesehen. Dies sei indes auch nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
Die Beklagte beruft sich auf ihr früheres Revisionsvorbringen und beanstandet insbesondere die Zuerkennung von Asyl nach Art. 16 a GG trotz unzureichender Feststellungen zum Reiseweg der Kläger. Die allgemeinkundige Ausweitung des Machtbereichs der Taliban könne mangels Offenkundigkeit der sich daraus ergebenden Folgen im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden.
Die Kläger machen noch geltend: Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dürfe die Funktion des Asylrechts nicht unberücksichtigt bleiben, politisch Verfolgten Schutz zu gewähren. Daher stehe anders als in der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Fähigkeit der Herrschaftssicherung nach innen und damit die asylrechtlich entscheidende Beziehung zwischen dem Verfolgten und dem Verfolger am Ausgangspunkt der Dogmatik. Einer asylrechtlich bedeutsamen Verfolgung sei der Kläger zu 1 nach der Berufungsentscheidung zwar nicht auf gesamtstaatlicher, aber doch auf regionaler Ebene ausgesetzt. Dabei sei auf die aktuelle Lage und die Herrschaft der Taliban abzustellen. Für eine Berücksichtigung der nachträglichen Entwicklung im Revisionsverfahren als Ausnahme von der Bindung des Revisionsgerichts nach § 137 Abs. 2 VwGO sprächen Gründe der Prozessökonomie. Von den Taliban werde quasi-staatliche Herrschaftsgewalt ausgeübt. An die erforderliche Stabilität nach innen dürften im Hinblick auf die Schutzbedürftigkeit des von der Verfolgung Betroffenen nicht zu hohe Anforderungen gestellt werden. Wenn die Machthaber zur Aufrechterhaltung ihrer militärischen Herrschaft mehr oder minder auf autonome örtliche Kommandanten angewiesen seien, schließe dies allerdings auch nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts politische Verfolgung aus. Die vom Bundesverfassungsgericht entworfene Konzeption der übergreifenden Friedensordnung beruhe auf dem Begriff der effizienten Herrschaftsausübung. Eine inhaltliche Bestimmung dieses Begriffs sei rechtlich kaum möglich. Dem hierfür maßgeblichen Völkerrecht komme es primär auf die Durchsetzungsfähigkeit einer Herrschaftsorganisation an. Entscheidend sei insoweit, ob eine Organisation in der Lage sei, nach innen Anordnungen und Regeln durchzusetzen. Für die Bestimmung der für einen Quasi-Staat erforderlichen gewissen Stabilität in einem Kernterritorium sei daher der Begriff der völkerrechtlichen Deliktsfähigkeit ein geeignetes Abgrenzungskriterium. Gemessen an diesen Grundsätzen halte die Berufungsentscheidung einer revisionsgerichtlichen Überprüfung stand. Das ergebe sich aus den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts, dass die Taliban jedenfalls im Kerngebiet ihres Machtbereichs eine staatsähnliche Herrschaftsmacht etabliert, effektiv durchgesetzt und eine übergreifende Friedensordnung errichtet hätten. Das werde im Übrigen bestätigt durch die neueren Lageberichte des Auswärtigen Amts seit März 1999 und den Bericht einer Delegation des Deutschen Bundestags, die im Mai 2000 Afghanistan besucht habe.
Entscheidungsgründe
II.
Nach der Zurückverweisung des Verfahrens durch das Bundesverfassungsgericht ist über die Revisionen der Beklagten und des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragter) erneut zu entscheiden. Nicht mehr Gegenstand des Verfahrens ist die rechtskräftige, aber auflösend bedingte Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 1 AuslG (vgl. das erste Revisionsurteil vom 19. Mai 1998 – BVerwG 9 C 5.98 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 198). In dem anhängigen Umfang sind die Revisionen begründet. Die Berufungsentscheidung steht mit Bundesrecht nach wie vor nicht in Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Der Senat kann auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend selbst entscheiden, ob den Klägern ein Anspruch auf Asyl nach Art. 16 a Abs. 1 GG und auf Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG zusteht. Die Sache ist deshalb an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).
Soweit das Berufungsgericht die Beklagte verpflichtet hat, dem Kläger zu 1 Asyl nach Art. 16 a GG und den Klägern zu 2 bis 6 die Rechtsstellung von Asylberechtigten im Wege des Familienasyls nach § 26 AsylVfG zu gewähren, steht dem – wie auch die Kläger nicht verkennen – schon entgegen, dass die Berufungsentscheidung keine Feststellungen zum Einreiseweg der Kläger (vgl. Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG) enthält. Die Erwähnung des entsprechenden Sachvortrags der Kläger im Tatbestand der Berufungsentscheidung (Einreise auf dem Luftweg von Kiew nach Berlin) reicht hierfür nicht aus, zumal sich – von ihrem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig – weder das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) noch das Verwaltungsgericht mit dieser Frage befasst haben (vgl. zur Beweislast das Urteil vom 29. Juni 1999 – BVerwG 9 C 36.98 – BVerwGE 109, 174). Das beanstandet die Revision zu Recht. Auch der weitere Einwand der Beklagten ist berechtigt, das Berufungsgericht hätte den Klägern zu 2 bis 6 nach der Neufassung des § 26 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG (i.d.F. von Art. 2 Nr. 4 des Gesetzes zur Änderung ausländer- und asylverfahrensrechtlicher Vorschriften vom 29. Oktober 1997, BGBl I S. 2584) Familienasyl mangels Unanfechtbarkeit der Anerkennung des stammberechtigten Klägers zu 1 nicht zusprechen dürfen (vgl. Urteil vom 29. September 1998 – BVerwG 9 C 31.97 – BVerwGE 107, 231). Die Vorinstanzen haben bisher auch nicht geprüft, ob die Kläger zu 2 bis 6 eigene Asylgründe haben. Der Senat kann mithin über einen Asylanspruch aller Kläger nach Art. 16 a GG nicht selbst befinden; insoweit muss die Sache schon deshalb an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen werden. Bisher nicht geprüft wurde ferner, ob die Kläger in Kiew, d.h. in der Ukraine als sonstigem Drittstaat, vor etwaiger politischer Verfolgung sicher waren und ggf. auch deshalb keinen Asylanspruch haben (§ 27 Abs. 1 und 3 AsylVfG).
Soweit das Berufungsgericht dem Kläger zu 1 Abschiebungsschutz wegen politischer Verfolgung nach § 51 Abs. 1 AuslG zugesprochen hat, verletzt die Entscheidung ebenfalls Bundesrecht und erweist sich – entgegen der Ansicht der Kläger – nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Es bedarf vielmehr auch insoweit weiterer tatrichterlicher Aufklärung.
Die in der Berufungsentscheidung zur Frage einer quasi-staatlichen Verfolgung zugrunde gelegten Maßstäbe und Schlussfolgerungen des Berufungsgerichts entsprechen nicht in vollem Umfang dem Bundesrecht; das gilt auch unter Beachtung der zurückverweisenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die sich unmittelbar nur auf Art. 16 a GG bezieht (Beschluss vom 10. August 2000 – 2 BvR 260/98 und 1353/98 – NVwZ 2000, 1165 = DVBl 2000, 1518). Allerdings ist der Begriff der politischen Verfolgung in § 51 Abs. 1 AuslG nicht anders auszulegen als in Art. 16 a GG. Im Ergebnis gelten nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die gleichen Grundsätze für die nähere Bestimmung des in den Schutzbereich des § 51 AuslG einbezogenen Personenkreises der Flüchtlinge und Verfolgten im Sinne von Art. 1 A Nr. 2, Art. 33 Nr. 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (BGBl 1953 II S. 559, Genfer Flüchtlingskonvention – GFK –; stRspr, vgl. zuletzt Urteil vom 15. April 1997 – BVerwG 9 C 15.96 – BVerwGE 104, 254, 256 f. m.w.N.). Die erleichterten Anforderungen an die Qualifizierung von Verfolgungsmaßnahmen durch Bürgerkriegsparteien in einem noch andauernden Bürgerkrieg als quasi-staatliche, politische Verfolgung sind daher auf die – in entsprechender Anwendung der Grundsätze aus Art. 31 der Wiener Vertragsrechtskonvention (BGBl 1985 II S. 926) gewonnene – Auslegung des Flüchtlingsbegriffs in Art. 1 A Nr. 2 GFK und dessen Anwendung zu übertragen.
Die Frage, ob in einer Bürgerkriegssituation nach dem Fortfall der bisherigen Staatsgewalt von einer Bürgerkriegspartei politische Verfolgung ausgehen kann, ist danach zu beurteilen, ob diese zumindest in einem Kernterritorium ein Herrschaftsgefüge von gewisser Stabilität – im Sinne einer übergreifenden Friedensordnung – tatsächlich errichtet hat (vgl. im Einzelnen das gleichzeitig ergangene Urteil im Parallelverfahren BVerwG 9 C 20.00 im Anschluss an BVerfG, Beschluss vom 10. August 2000 a.a.O.). Für die in erster Linie maßgebliche Frage nach der Beschaffenheit des Herrschaftsgefüges im Innern des beherrschten Gebietes zwischen dem verfolgenden Machthaber und den ihm unterworfenen Verfolgten bedarf es der Feststellung und Bewertung, ob eine übergreifende Friedensordnung mit einem prinzipiellen Gewaltmonopol existiert, die von einer hinreichend organisierten, effektiven und stabilen Gebietsgewalt in einem abgrenzbaren (Kern-)Territorium getragen wird. Das setzt vor allem eine gewisse Stetigkeit und Dauerhaftigkeit der Herrschaft voraus, verkörpert vorrangig in der Durchsetzungsfähigkeit und Dauerhaftigkeit des geschaffenen Machtapparates. Die anhaltende (äußere) militärische Bedrohung schließt das Bestehen eines staatsähnlichen Herrschaftsgefüges im Innern nicht zwingend aus. Je nach ihrer Stärke kommt einer solchen Bedrohung allerdings erhebliches indizielles Gewicht für eine solche Annahme zu, das aber in dem Maße abnimmt, in dem der Bürgerkrieg ohne entscheidende Veränderung der Machtverhältnisse andauert. Die Tatsachengerichte müssen beachten, dass allein wegen eines andauernden äußeren Bürgerkriegsgeschehens die Annahme politischer Verfolgung nicht praktisch auf unabsehbare Zeit ausgeschlossen sein kann. Entsprechendes gilt für Bedrohungen der Herrschaftsgewalt im Innern, etwa durch lokale Machthaber, autonome Stammes- oder Clanfürsten oder rebellierende Untertanen (vgl. das Urteil im Parallelverfahren BVerwG 9 C 20.00).
Diesen Grundsätzen wird die Berufungsentscheidung nicht voll gerecht. Insbesondere hat das Berufungsgericht die als Indiz zu beachtende Stabilität des von ihm allein als staatsähnlich qualifizerten Herrschaftsgefüges der Taliban „nach außen”, d.h. vor allem im Verhältnis zu den seinerzeit noch agierenden Bürgerkriegsparteien, nicht in den Blick genommen. Das ist bereits im ersten Revisionsurteil als Rechtsfehler beanstandet worden und auch mit dem geänderten Maßstab nicht vereinbar. Insoweit verletzt die Berufungsentscheidung nach wie vor Bundesrecht.
Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat auch deshalb verwehrt, weil es noch der Neubewertung bedarf, ob Bedrohungen der Herrschaft im Innern die Annahme staatsähnlicher Gewalt ausschließen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hierzu im ersten Revisionsurteil vom 19. Mai 1998 (– BVerwG 9 C 5.98 – a.a.O.) ausgeführt: Die Annahme staatsähnlicher Gebietsgewalt der Taliban werde ferner durch die teils detaillierten Feststellungen des Berufungsgerichts dazu ausgeschlossen, dass die Herrschaft der Taliban nach innen, möge sie auch im Übrigen einer staatlichen Friedensordnung ähnlich sein und hinsichtlich der Organisation und der Strukturen der Verwaltung, der Rechtsordnung und der Gerichtsbarkeit sowie der weitreichenden Sicherheitsmaßnahmen gewichtige Indizien quasi-staatlicher Machtapparate erfüllen, noch nicht überall unangefochten und ohne Rücksichtnahme auf Regionalfürsten wirksam sei (vgl. Berufungsentscheidung, BA S. 14 ff. und S. 16). Das Bundesverfassungsgericht ist diesen Erwägungen nicht entgegengetreten; es hat lediglich angemerkt (Beschluss vom 10. August 2000 a.a.O. BA S. 9 = NVwZ 2000, 1165, 1167 = DVBl 2000, 1518, 1519 f.), es bedürfe „erneuter fachgerichtlicher Beurteilung, ob der vom Bundesverwaltungsgericht hervorgehobene Umstand, dass alle derzeit in Afghanistan herrschenden Machthaber zur Aufrechterhaltung ihrer militärischen Herrschaft mehr oder minder auf autonome örtliche Kommandanten angewiesen seien, die Annahme politischer Verfolgung ausschließt”. Auch das erfordert eine – dem Berufungsgericht vorbehaltene – umfassende Neubewertung der tatsächlichen Verhältnisse in Afghanistan anhand des inzwischen präzisierten Maßstabs für die Annahme quasi-staatlicher politischer Verfolgung.
Wie in der Revisionsverhandlung erörtert, können die unzureichenden Feststellungen nicht dadurch vervollständigt werden, dass der Senat neue Tatsachen zur Entwicklung der Lage in Afghanistan seit der Berufungsentscheidung vom Juli 1997 verwertet (vgl. auch dazu im Einzelnen das Urteil im Parallelverfahren BVerwG 9 C 20.00).
Der Senat kann danach im Revisionsverfahren nicht selbst entscheiden, ob in Afghanistan zu politischer Verfolgung im Sinne des Asylrechts (Art. 16 a Abs. 1 GG, § 51 Abs. 1 AuslG) fähige Herrschaftsorganisationen bestanden haben oder bestehen, die den Kläger zu 1 bei einer Rückkehr wegen seiner politischen Vergangenheit in der vom Berufungsgericht festgestellten Art und Weise beachtlich wahrscheinlich verfolgen würden. Dies hat das Berufungsgericht in dem erneuten Berufungsverfahren anhand des geänderten Prüfungsmaßstabs noch einmal zu beurteilen. Anders als der Senat im Revisionsverfahren hat es dabei aktuelle Tatsachen zugrunde zu legen (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG); im Übrigen sind für die tatrichterliche Prognose die allgemeinen Anforderungen des Überzeugungsgrundsatzes zu beachten (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO; vgl. Urteil vom 4. November 1997 – BVerwG 9 C 11.97 – InfAuslR 1998, 242; Urteil vom 5. Juli 1994 – BVerwG 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200, 208 ff.).
Es muss auch im vorliegenden Revisionsverfahren nicht mehr entschieden werden, ob der Kläger zu 1 – wie das Berufungsgericht unter der Prämisse drohender politischer Verfolgung durch die Taliban bei seiner Rückkehr geprüft hat – wegen der Subsidiarität des deutschen Asylrechts bei der damaligen Tatsachengrundlage darauf hätte verwiesen werden können, in andere – wenn auch ebenfalls vom Bürgerkrieg heimgesuchte – Landesteile des handlungsunfähigen, aber fortbestehenden Gesamtstaats Afghanistan auszuweichen (vgl. das Urteil vom 19. Mai 1998 – BVerwG 9 C 5.98 – a.a.O.; inzwischen auch Urteil vom 8. Dezember 1998 – BVerwG 9 C 17.98 – BVerwGE 108, 84, 88 ff.). Auch dies wird ggf. aufgrund der aktuellen Sachlage neu zu beurteilen sein.
Der Senat weist ferner darauf hin, dass das Berufungsgericht – sollte es den Machtbereich der Taliban wiederum als quasi-staatliche Herrschaftsorganisation ansehen – gegebenenfalls zusätzlich prüfen muss, ob den Klägerinnen zu 2 bis 4 und 6 bei einer Rückkehr politische Verfolgung durch die fundamentalistischen Taliban auch wegen ihres Geschlechts droht (vgl. zur Asylerheblichkeit dieses Merkmals das zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehene Urteil des Senats vom 25. Juli 2000 – BVerwG 9 C 28.99 – UA S. 6, NVwZ 2000, 1426).
Dagegen muss das Berufungsgericht, sollte es Ansprüche nach Art. 16 a GG und § 51 Abs. 1 AuslG verneinen, über die Hilfsanträge zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG nicht mehr entscheiden, da den Klägern bereits rechtskräftig Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1 AuslG zuerkannt ist. Über diesen Teil des ursprünglichen Streitstoffes ist damit abschließend entschieden. Bei dem Verpflichtungsbegehren auf Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG handelt es sich jedenfalls im Asylverfahren um einen einheitlichen, nicht weiter teilbaren Streitgegenstand. Mit diesem Begehren wird ein und derselbe prozessuale Klageanspruch geltend gemacht, der in den Absätzen 1, 2 und 4 des § 53 AuslG lediglich unterschiedliche rechtliche Anspruchsgrundlagen (Rechtsgründe) findet, die aber jeweils auf dieselbe gleichrangige und gleichartige Rechtsfolge gerichtet sind. Auch der Klagegrund für dieses Abschiebungsschutzbegehren ist ein einheitlicher, gebildet durch die umfassend vorzutragenden Tatsachen, aus denen sich ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis ergeben kann (vgl. etwa § 25 Abs. 2, § 74 Abs. 2 AsylVfG). Daran ändert nichts, dass es jeweils unterschiedliche Sachverhalte aus dem umfassend geschuldeten Vortrag des Asylbewerbers sein können, welche die einzelnen Abschiebungshindernisse begründen. Insoweit ist die prozessuale Lage verfahrens- und materiellrechtlich vorgeprägt (vgl. Rennert, DVBl 2001, 161, 168: streitgegenstandsprägende Wirkung der Anspruchsgrundlage). Dem auf Konzentration und Beschleunigung angelegten Verfahrenszweck zumal des Asylverfahrens entspricht es am ehesten, wenn Doppel–, Mehrfach- oder Parallelprüfungen vermieden werden, die letztlich zu keinem weiter reichenden Schutz für den Einzelnen führen. So verhält es sich bei der Geltendmachung konkurrierender, gleichrangiger Ansprüche auf Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG. Dafür sind ähnliche Erwägungen maßgebend wie für den Ausschluss nachrangigen Abschiebungsschutzes nach § 53 Abs. 6 AuslG im Verhältnis zur Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG. Durch § 73 Abs. 3 AsylVfG ist sichergestellt, dass im Falle eines Widerrufs dem Ausländer etwa ungeprüft gebliebene Schutzansprüche nicht verloren gehen; sie stehen im Widerrufsverfahren uneingeschränkt zur Überprüfung, allerdings nunmehr bezogen auf die aktuelle Tatsachenlage. Auch insoweit gilt übrigens nichts anderes für einen wegen seines Nachrangs unbeschieden gebliebenen Hilfsantrag auf Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG; auch über die damit geltend gemachten zielstaatsbezogenen Einwendungen gegen eine Abschiebung ist ggf. erstmals und unbeschränkt aus Anlass eines Verfahrens über den Widerruf der vorrangigen Schutzposition zu entscheiden. Im Asylrechtsstreit kann mithin die Verpflichtung zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG nicht kumulativ begehrt werden. Ferner ist wegen der Unteilbarkeit des Streitgegenstands in diesem Falle eine auf einzelne Rechtsgründe beschränkte Teilzulassung von Rechtsmitteln unwirksam und eine entsprechend begrenzte Teilprüfung in der Rechtsmittelinstanz unzulässig (vgl. den Beschluss des Senats vom 24. Mai 2000 – BVerwG 9 B 144.00 – ≪juris≫, zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung Buchholz vorgesehen). Daraus folgt für das vorliegende Verfahren, dass das auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 53 Abs. 1, 2 und 4 AuslG gerichtete (Hilfs-)Begehren mit der rechtskräftigen Entscheidung des Verwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 1 AuslG ausgeschöpft und nicht mehr Gegenstand des Berufungsverfahrens geworden ist.
Unterschriften
Dr. Paetow, Hund, Richter, Beck, Dr. Eichberger
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 20.02.2001 durch Battiege Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
BVerwGE, 27 |
NVwZ 2001, 818 |
DÖV 2001, 566 |
InfAuslR 2001, 306 |
AuAS 2001, 131 |
BayVBl. 2001, 571 |
DVBl. 2001, 1000 |
VA 2001, 120 |