Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 11.01.2011; Aktenzeichen 19 A 3547/07.A) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. Januar 2011, soweit es der Berufung des Klägers stattgegeben hat, aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Kläger, ein pakistanischer Staatsangehöriger, begehrt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft sowie hilfsweise die Feststellung von Abschiebungsschutz in Bezug auf Pakistan.
Rz. 2
Der 1981 in Pakistan geborene Kläger gehört seit seiner Geburt der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft an. Er stammt aus einem Dorf im pakistanischen Teil des Punjab. Nach eigenen Angaben reiste er im Mai 2006 nach Deutschland ein und beantragte hier Asyl. Seinen Antrag begründete er damit, er habe sein Heimatland verlassen, weil ihm die Beteiligung an einer Entführung vorgeworfen worden sei. Sein Cousin habe eine Beziehung zu einem Mädchen gehabt, die keine Angehörige der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) gewesen sei. Die beiden seien im August 2005 durchgebrannt. Man habe noch im gleichen Monat Anzeige gegen ihn wegen Entführung des Mädchens erstattet. Mittlerweile seien sein Cousin und die Frau verheiratet. Zwar habe das Mädchen bei Gericht zu Protokoll gegeben, dass sie freiwillig mitgegangen sei. Auch sei das auf der Anzeige beruhende Verfahren gegen ihn nach einem Monat eingestellt worden. Die Familie des Mädchens wolle ihn aber töten, weil sie davon ausgehe, er sei bei der Flucht des Mädchens mit seinem Cousin behilflich gewesen. Kurz nach Einstellung des Verfahrens habe er einen Schuss gehört, als er im Dunkeln mit dem Fahrrad auf dem Weg zu den Feldern gewesen sei. Er gehe davon aus, dass der Schuss ihm gegolten habe. Ansonsten habe er keine Feindschaften im Dorf gehabt. Ahmadis würden in Pakistan diskriminiert, die Mullahs würden zum Töten aufrufen, sein Leben sei dort in Gefahr.
Rz. 3
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – Bundesamt – lehnte mit Bescheid vom 30. Juni 2006 den Asylantrag des Klägers ab, stellte fest, dass weder die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG noch Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG vorliegen und drohte dem Kläger die Abschiebung nach Pakistan an. Das Bundesamt begründete dies im Wesentlichen damit, dass das Vorbringen des Klägers unglaubhaft sei, Pakistan aus begründeter Furcht vor Verfolgung durch die Familie der Frau seines Cousins sowie wegen seiner Diskriminierung als Ahmadi verlassen zu haben. Ihm drohe auch derzeit in Pakistan keine Gefahr wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft.
Rz. 4
Das Verwaltungsgericht hat die hiergegen gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen. Dem Kläger drohe keine asylerhebliche Verfolgung. Das Vorbringen des Klägers zu seinem Verfolgungsschicksal sei widersprüchlich und unglaubhaft. Auch Abschiebungshindernisse nach § 60 AufenthG lägen nicht vor.
Rz. 5
Das Oberverwaltungsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 11. Januar 2011 unter Aufhebung der Nr. 2 bis 4 des Bescheids des Bundesamtes verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG zuzuerkennen. Zugleich hat es das Verfahren eingestellt, soweit die Klage auf Anerkennung als Asylberechtigter im Berufungsverfahren zurückgenommen worden war. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Es könne offenbleiben, ob der Kläger vor seiner Ausreise aus Pakistan bereits Verfolgungsmaßnahmen erlitten habe oder von Verfolgung bedroht gewesen sei. Denn zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass der Kläger derzeit mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit mit schwerwiegenden staatlichen Menschenrechtsverletzungen rechnen müsse, die an seine Religion anknüpften. Diese beachtlich wahrscheinliche Gefährdung ergebe sich aus einer Kumulierung unterschiedlicher staatlicher Maßnahmen im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG. Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft seien von schwerwiegenden Einschränkungen in ihrer Religionsausübung betroffen, insbesondere von den in den Sec. 298 B, 298 C und 295 C Pakistan Penal Code normierten strafrechtlichen Verboten, bei ihrer Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam zu benutzen, ihren Glauben öffentlich zu bekennen und für ihn zu werben. Zudem würden von religiösen Extremisten in auffälligem Maß Gewalttaten gegen Ahmadis verübt, die der pakistanische Staat tatenlos hinnehme. Die systematische Einschränkung der Religionsfreiheit habe für Ahmadis den Charakter eines Verfolgungsprogramms. Für den Kläger sei davon auszugehen, dass er im Fall einer Rückkehr seinen Glauben in Pakistan praktizieren werde, und zwar auch in der Öffentlichkeit. Er sei seit seiner Geburt Mitglied der Glaubensgemeinschaft. Er sei in Pakistan ein Lehrer (Kayt) für die Kinder der Glaubensgemeinschaft gewesen, habe sie zum Gebet abgeholt und ihnen seinen Glauben vermittelt. Seine religiöse Prägung habe der Kläger nach seiner Einreise in das Bundesgebiet beibehalten. Er sei ein einfaches, aber gläubiges Mitglied seiner Glaubensgemeinschaft.
Rz. 6
Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision. Mit Beschluss vom 30. August 2011 hat der Senat das Verfahren bis zur Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union über die Vorabentscheidungsersuchen vom 9. Dezember 2010 – BVerwG 10 C 19.09 und BVerwG 10 C 21.09 – über verschiedene Fragen zur Auslegung von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a und zu Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/83/EG ausgesetzt. Der Gerichtshof hat die Vorlagefragen mit Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 – NVwZ 2012, 1612) beantwortet.
Rz. 7
Die Beklagte begründet ihre Revision damit, das Oberverwaltungsgericht habe keine Feststellungen dazu getroffen, wie der Kläger seinen Glauben nach Rückkehr in Pakistan praktizieren würde. Es genüge nicht, dass er den Willen habe, seinen Glauben in der Öffentlichkeit auszuüben und zu missionieren. Eine begründete Furcht vor Verfolgung könne nur dann bejaht werden, wenn der Glaube nach der Rückkehr in einer Weise praktiziert werde, die den Kläger der Gefahr einer Verfolgung aussetzen würde. Im Übrigen habe das Oberverwaltungsgericht keine hinreichenden Feststellungen zur beachtlichen Wahrscheinlichkeit der dem Kläger drohenden Gefahr getroffen. Wenn es selbst von einer relativ niedrigen Zahl der Verfolgungsfälle ausgehe, hätte es feststellen müssen, ob auch nur eine ganz geringe Zahl von Ahmadis ihren Glauben in der Öffentlichkeit so praktizieren, dass sie sich einer Verfolgungsgefahr aussetzen. Im Übrigen reichten die strafrechtlichen Regelungen der Sec. 298 B, 298 C und 295 C Pakistan Penal Code nicht aus, um hieraus ein gegen Angehörige der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft gerichtetes staatliches Verfolgungsprogramm abzuleiten.
Rz. 8
Der Kläger tritt der Revision entgegen, verteidigt das Urteil des Oberverwaltungsgerichts und sieht die darin vertretene Rechtsansicht durch das Urteil des EuGH vom 5. September 2012 bestätigt.
Rz. 9
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht hat sich an dem Verfahren beteiligt und sich im Wesentlichen der Argumentation der Beklagten angeschlossen.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 10
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Berufungsgericht hat die Beklagte mit einer Begründung, die Bundesrecht verletzt, dazu verpflichtet, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen (1.). Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Senat in der Sache nicht selbst abschließend entscheiden. Der Rechtsstreit ist daher zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zurückzuverweisen (2.).
Rz. 11
Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung des klägerischen Begehrens ist das Asylverfahrensgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 2. September 2008 (BGBl I S. 1798), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex vom 22. November 2011 (BGBl I S. 2258) und das Aufenthaltsgesetz i.d.F. der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162), zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes zur Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer aufenthaltsrechtlicher Vorschriften vom 21. Januar 2013 (BGBl I S. 86). Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind Rechtsänderungen, die nach der Berufungsentscheidung eintreten, vom Revisionsgericht zu berücksichtigen, wenn sie das Berufungsgericht, wenn es jetzt entschiede, zu beachten hätte (vgl. Urteil vom 11. September 2007 – BVerwG 10 C 8.07 – BVerwGE 129, 251 Rn. 19). Da es sich vorliegend um eine asylverfahrensrechtliche Streitigkeit handelt, bei der das Berufungsgericht nach § 77 Abs. 1 AsylVfG regelmäßig auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt seiner letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung abzustellen hat, müsste es, wenn es jetzt entschiede, die neue Rechtslage zugrunde legen. Die hier maßgeblichen Bestimmungen haben sich aber seit der Berufungsverhandlung nicht geändert.
Rz. 12
Unionsrechtlich finden sowohl die Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 als auch die – während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene – Neufassung durch die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 Anwendung. Für die in der Neufassung inhaltlich geänderten Bestimmungen wurde den Mitgliedstaaten eine Umsetzungsfrist bis zum 21. Dezember 2013 eingeräumt (Art. 39 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU), und es bleibt bis zum Ablauf dieser Frist bei der Anwendung der Richtlinie 2004/83/EG (vgl. Art. 41 Abs. 2 i.V.m. Art. 40 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU). Hinsichtlich der unverändert übernommenen Bestimmungen gilt die Neufassung hingegen schon jetzt (vgl. Art. 41 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU).
Rz. 13
1. Gemäß § 3 Abs. 1 und 4 AsylVfG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG ist – unter Berücksichtigung der unionsrechtlichen Vorgaben – einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn seine Furcht begründet ist, dass er in seinem Herkunftsland Bedrohungen seines Lebens, seiner Freiheit oder anderer in Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU (zuvor: Richtlinie 2004/83/EG) – im Folgenden: Richtlinie – geschützter Rechtsgüter wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung ausgesetzt ist. Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d.h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen.
Rz. 14
Nach § 60 Abs. 1 Satz 5 AufenthG sind für die Feststellung, ob eine Verfolgung nach Satz 1 vorliegt, Art. 4 Abs. 4 sowie die Art. 7 bis 10 der Richtlinie ergänzend anzuwenden. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie gelten als Verfolgung im Sinne des Art. 1 A der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) solche Handlungen, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) keine Abweichung zulässig ist. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie kann eine Verfolgungshandlung auch in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie beschriebenen Weise betroffen ist. Nach Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie muss eine Verknüpfung zwischen den Verfolgungsgründen des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie und den Verfolgungshandlungen nach Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie bestehen.
Rz. 15
1.1 Das Berufungsgericht hat die vom Kläger als Mitglied der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft (Ahmadi) geltend gemachte Verfolgungsgefahr zutreffend als Furcht vor einem Eingriff in die Religionsfreiheit gewertet (UA S. 14). Denn Ahmadis drohen die Gefahren einer Inhaftierung und Bestrafung nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schon wegen ihrer Zugehörigkeit zur Glaubensgemeinschaft als solcher. Die Verwirklichung der Gefahren hängt vielmehr von einer willensgesteuerten Handlung des einzelnen Glaubensangehörigen ab: der Ausübung seiner Religion mit Wirkung in die Öffentlichkeit (UA S. 15). In solchen Fällen besteht der unmittelbar drohende Eingriff in einer Verletzung der Freiheit, die eigene Religion entsprechend den geltenden Glaubensregeln und dem religiösen Selbstverständnis des Gläubigen zu praktizieren, weil der Glaubensangehörige seine Entscheidung für oder gegen die öffentliche Religionsausübung nur unter dem Druck der ihm drohenden Verfolgungsgefahr treffen kann. Er liegt hingegen nicht in der Verletzung der erst im Fall der Praktizierung bedrohten Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben, persönliche Freiheit). Etwas anderes gilt dann, wenn der Betroffene seinen Glauben im Herkunftsland bereits praktiziert hat und ihm schon deshalb – unabhängig von einer willensgesteuerten Entscheidung über sein Verhalten in der Zukunft – unmittelbar die Gefahr z.B. einer Inhaftierung und Bestrafung droht. Eine derartige Vorverfolgung hat das Berufungsgericht hier jedoch nicht festgestellt.
Rz. 16
1.2 Das Berufungsgericht hat seiner Prognose, dass der Kläger im Fall einer Rückkehr nach Pakistan einer ihn kollektiv treffenden Verfolgungsgefahr ausgesetzt sei, einen fehlerhaften Wahrscheinlichkeitsmaßstab zugrunde gelegt und seine Prognoseentscheidung nicht auf einer hinreichend breiten Tatsachengrundlage getroffen. Darin liegt ein Verstoß gegen Bundesrecht.
Rz. 17
Zwar geht das Berufungsurteil zutreffend davon aus, dass schon das Verbot der Religionsausübung in der Öffentlichkeit eine hinreichend gravierende Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie darstellen kann (UA S. 15). Insoweit entspricht es der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) in seinem Urteil vom 5. September 2012 (Rs. C-71/11 und C-99/11 – NVwZ 2012, 1612 Rn. 69). Der Senat hat hierzu in seinem Urteil vom 20. Februar 2013 – BVerwG 10 C 23.12 – (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE vorgesehen – Rn. 26) weiter ausgeführt, dass ein hinreichend schwerer Eingriff in die Religionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 1 der Richtlinie nicht die Prognose voraussetzt, dass der Ausländer seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland tatsächlich in einer Weise ausübt, die ihn der Gefahr der Verfolgung aussetzt. Vielmehr kann bereits der unter dem Druck der Verfolgungsgefahr erzwungene Verzicht auf die Glaubensbetätigung die Qualität einer Verfolgung erreichen. Droht einem Ausländer im Fall eines bestimmten religiösen Verhaltens mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schwere Rechtsgutverletzung und ist dieses religiöse Verhalten zugleich subjektiv für die Wahrung der religiösen Identität des Ausländers besonders wichtig, sind die Voraussetzungen für eine Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie erfüllt, ohne dass es darauf ankommt, ob der Betroffene seinen Glauben nach Rückkehr in sein Herkunftsland in verfolgungsrelevanter Weise ausüben wird oder hierauf unter dem Druck der ihm drohenden Gefahren verzichtet (vgl. dazu Urteil vom 20. Februar 2013 a.a.O. Rn. 28 ff.).
Rz. 18
Das Berufungsgericht ist weiter in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gekommen, dass in den Sec. 298 B, 298 C und 295 C Pakistan Penal Code für Mitglieder der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft das strafrechtliche Verbot normiert wird, sich als Muslime zu begreifen und dieses Verständnis in die Öffentlichkeit zu tragen (UA S. 24), und ihnen im Fall des Zuwiderhandelns gegen das Verbot schwerwiegende Sanktionen drohen (UA S. 19 ff.). Der durch die Sanktionen ausgeübte Druck auf die willensgesteuerte Entscheidung des Klägers, seinen Glauben bei Rückkehr nach Pakistan in der verbotenen Weise öffentlich zu praktizieren oder darauf zu verzichten, ist grundsätzlich hinreichend schwer, um die objektive Voraussetzung einer Verletzungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie zu erfüllen. Allerdings hängt die Schwere des ausgeübten Drucks auch von der konkreten Strafverfolgungspraxis im Herkunftsland des Ausländers ab, denn ein Verbot, das erkennbar nicht durchgesetzt wird, begründet keine erhebliche Verfolgungsgefahr.
Rz. 19
Die Gefahr einer verfolgungserheblichen Verletzungshandlung muss dem Kläger dabei mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Der Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit setzt voraus, dass bei einer zusammenfassenden Würdigung des zur Prüfung gestellten Lebenssachverhalts die für eine Verfolgung sprechenden Umstände ein größeres Gewicht besitzen und deshalb gegenüber den dagegen sprechenden Tatsachen überwiegen. Dabei ist eine “qualifizierende” Betrachtungsweise im Sinne einer Gewichtung und Abwägung aller festgestellten Umstände und ihrer Bedeutung anzulegen. Es kommt darauf an, ob in Anbetracht dieser Umstände bei einem vernünftig denkenden, besonnenen Menschen in der Lage des Betroffenen Furcht vor Verfolgung hervorgerufen werden kann (vgl. Urteil vom 20. Februar 2013 a.a.O. Rn. 32). Im vorliegenden Fall kommt es für die Prognoseentscheidung, ob dem Kläger eine Verletzungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie droht, darauf an, ob er berechtigterweise befürchten muss, dass ihm im Fall einer strafrechtlich verbotenen öffentlichen Religionsausübung in Pakistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine schwere Rechtsgutverletzung droht, insbesondere die Gefahr, an Leib, Leben oder Freiheit verletzt, strafrechtlich verfolgt oder einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (vgl. Urteil vom 20. Februar 2013 a.a.O. Rn. 28). Eine solche Gefahrenprognose hat das Berufungsgericht nicht getroffen.
Rz. 20
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts besteht für pakistanische Staatsangehörige in ihrem Heimatland allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft noch keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungsgefahr. Eine solche droht vielmehr nur “dem Glauben eng und verpflichtend verbundenen” Ahmadis, zu deren Glaubensüberzeugungen “auch die Religionsausübung in der Öffentlichkeit gehört” (UA S. 15). Das Berufungsgericht hält zur Feststellung der Verfolgungswahrscheinlichkeit die für eine Gruppenverfolgung geltenden Maßstäbe insoweit mit Recht nicht für vollumfänglich übertragbar, als eine Vergleichsbetrachtung der Zahl der stattgefundenen Verfolgungsakte zur Gesamtzahl aller Ahmadis in Pakistan (etwa 4 Millionen) oder der bekennenden Ahmadis (500 000 bis 600 000) die unter Umständen hohe Zahl der Glaubensangehörigen unberücksichtigt ließe, die aus Furcht vor Verfolgung auf ein öffentliches Praktizieren ihrer Religion verzichten. Hängt die Verfolgungsgefahr aber von dem willensgesteuerten Verhalten des Einzelnen – der verbotenen Ausübung des Glaubens in der Öffentlichkeit – ab, ist für die Gefahrenprognose auf die Gruppe der ihren Glauben trotz der Verbote in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen abzustellen. Dabei ergibt sich aus den bisherigen Feststellungen nicht, dass die Ausübung religiöser Riten in einer Gebetsstätte der Ahmadis bereits als öffentliche Betätigung gewertet und strafrechtlich sanktioniert wird. Die Zahl der ihren Glauben in strafrechtlich verbotener Weise praktizierenden Ahmadis ist – bei allen damit verbundenen, auch dem Senat bekannten Schwierigkeiten – jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. In einem weiteren Schritt ist sodann festzustellen, wie viele Verfolgungsakte die Angehörigen dieser Gruppe treffen. Dabei ist insbesondere zu ermitteln, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ahmadi inhaftiert und bestraft wird, der entgegen den Vorschriften des Pakistan Penal Code bei seiner Glaubensausübung religiöse Begriffe und Riten des Islam benutzt, seinen Glauben öffentlich bekennt oder für ihn wirbt. Bei der Relationsbetrachtung, die die Zahl der ihren Glauben verbotswidrig in der Öffentlichkeit praktizierenden Ahmadis mit der Zahl der tatsächlichen Verfolgungsakte in Beziehung setzt, ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine wertende Betrachtung handelt, die auch eventuell bestehende Unsicherheiten und Unwägbarkeiten der staatlichen Strafverfolgungspraxis mit einzubeziehen hat. Besteht aufgrund einer solchen Prognose für die – möglicherweise zahlenmäßig nicht große – Gruppe der ihren Glauben in verbotener Weise in der Öffentlichkeit praktizierenden Glaubensangehörigen ein reales Verfolgungsrisiko, kann daraus der Schluss gezogen werden, dass auch die Gesamtgruppe der Ahmadis, für die diese öffentlichkeitswirksamen Glaubenspraktiken ein zentrales Element ihrer religiösen Identität darstellen und in diesem Sinne unverzichtbar sind, von den Einschränkungen ihrer Religionsfreiheit in flüchtlingsrechtlich beachtlicher Weise betroffen ist.
Rz. 21
Eine solche wertende Relationsbetrachtung hat das Berufungsgericht nicht vorgenommen. Es hat lediglich erkannt, dass bei der Risikoprognose zu berücksichtigen ist, dass es für Ahmadis der gesunde Menschenverstand nahelegt, aufgrund des Umfangs der Bedrohung alle öffentlichkeitswirksamen Glaubensbetätigungen zu unterlassen oder stark zu beschränken (UA S. 25). Statt in zutreffender Weise auf die Gruppe der ihren Glauben unter Verstoß gegen die strafrechtlichen Verbote praktizierenden Ahmadiyyas abzustellen, hat das Berufungsgericht auf jegliche Relationsbetrachtung verzichtet. Das verstößt gegen Bundesrecht. Zugleich fehlt für die Gefahrenprognose eine hinreichend breite Tatsachengrundlage, da das Berufungsgericht weder die Zahl der Ermittlungsverfahren und Verurteilungen von Ahmadis nach den Strafvorschriften der Sec. 298 B, 298 C und 295 C Pakistan Penal Code noch die Zahl der Ahmadis jedenfalls annäherungsweise ermittelt hat, die ihren Glauben unter Verstoß gegen strafrechtliche Verbote öffentlich praktizieren.
Rz. 22
Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, von einer solchen Verfolgungsprognose deshalb entbunden zu sein, weil die Voraussetzungen eines – bereits umgesetzten – staatlichen Verfolgungsprogramms vorlägen (UA S. 26). Voraussetzung für die Annahme eines solchen Verfolgungsprogramms ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass es hinreichend sichere Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Herkunftsstaat eines Ausländers die systematische Verfolgung einer nach asylerheblichen Merkmalen definierten Bevölkerungsgruppe eingeleitet hat (vgl. Urteil vom 5. Juli 1994 – BVerwG 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 ≪204≫ = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 174 S. 23). Bei einer derartigen Sachlage bedarf es nicht erst der Feststellung einzelner Verfolgungsschläge, um die beachtliche Wahrscheinlichkeit drohender Verfolgungsmaßnahmen anzunehmen. Dies wurde vom Bundesverwaltungsgericht für das gewaltsame Vorgehen der bosnischen Serben gegen Muslime in der von ihnen ausgerufenen “Serbischen Republik Bosna-Herzegowina” Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts bejaht, weil das Oberverwaltungsgerichts u.a. festgestellt hatte, dass von der ethnischen Säuberung, welche die Serben flächendeckend durch Bedrohung, Misshandlung und Tötung betrieben hatten, etwa neun Zehntel der in der Region lebenden Muslime in eigener Person betroffen waren (vgl. Urteil vom 6. August 1996 – BVerwG 9 C 172.95 – BVerwGE 101, 328 ≪330≫ = Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 190 S. 102). Vergleichbar sichere Anhaltspunkte für die Betroffenheit “bekennender Ahmadis” von den strafrechtlichen Verboten der Sec. 298 B, 298 C und 295 C Pakistan Penal Code hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Es hat zwar einzelne Zahlen über eingeleitete Strafverfahren nach den genannten drei Bestimmungen aus unterschiedlichen Quellen angeführt. So sollen etwa nach einer Auskunft des Auswärtigen Amtes von 1984 bis 1994 insgesamt 2 376 entsprechende Verfahren eingeleitet worden sein (UA S. 19). Aus diesen Zahlen ergeben sich aber im Verhältnis zur Zahl von 500 000 bis 600 000 bekennenden Ahmadis (UA S. 15) keine hinreichenden Anhaltspunkte für das Vorliegen eines jeden bekennenden Glaubensangehörigen erfassenden Verfolgungsprogramms.
Rz. 23
Dem Senat als Revisionsgericht ist es selbst nicht möglich, die erforderlichen Feststellungen zur Verfolgungswahrscheinlichkeit anhand des aufgezeigten Maßstabs zu treffen.
Rz. 24
1.3 Ein weiterer Verstoß gegen Bundesrecht liegt darin, dass das Berufungsurteil seine Feststellung der subjektiven Verfolgungsbetroffenheit des Klägers nicht unter Zugrundelegung des Maßstabs des EuGH getroffen hat, dass die Praktizierung des Glaubens in der Öffentlichkeit – wie sie in Pakistan gegen strafrechtliche Verbote verstoßen würde – für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig sein muss (EuGH a.a.O. Rn. 70).
Rz. 25
Der vom EuGH entwickelte Maßstab setzt nach dem Verständnis des Senats nicht voraus, dass der Betroffene innerlich zerbrechen oder jedenfalls schweren seelischen Schaden nehmen würde, wenn er auf eine entsprechende Praktizierung seines Glaubens verzichten müsste. Jedoch muss die konkrete Glaubenspraxis für den Einzelnen ein zentrales Element seiner religiösen Identität und in diesem Sinne für ihn unverzichtbar sein. Es reicht nicht aus, dass der Asylbewerber eine enge Verbundenheit mit seinem Glauben hat, wenn er diesen – jedenfalls im Aufnahmemitgliedstaat – nicht in einer Weise lebt, die ihn im Herkunftsstaat der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde. Jedenfalls muss er gewichtige Gründe dafür haben, warum er seinen Glauben in Deutschland nicht in einer von ihm als unverzichtbar empfundenen Weise ausübt. Maßgeblich für die Schwere der Verletzung der religiösen Identität ist die Intensität des Drucks auf die Willensentscheidung des Betroffenen, seinen Glauben in einer als verpflichtend empfundenen Weise auszuüben oder hierauf wegen der drohenden Sanktionen zu verzichten (vgl. hierzu das Urteil des Senats vom 20. Februar 2013 – BVerwG 10 C 23.12 – Rn. 30 f.). Dabei muss der Asylbewerber die Tatsache, dass er die unterdrückte religiöse Betätigung seines Glaubens für sich selbst als verpflichtend empfindet, um seine religiöse Identität zu wahren, zur vollen Überzeugung des Gerichts nachweisen.
Rz. 26
Die religiöse Identität als innere Tatsache lässt sich nur aus dem Vorbringen des Asylbewerbers sowie im Wege des Rückschlusses von äußeren Anhaltspunkten auf die innere Einstellung des Betroffenen feststellen. Dafür ist das religiöse Selbstverständnis eines Asylbewerbers grundsätzlich sowohl vor als auch nach der Ausreise aus dem Herkunftsland von Bedeutung. Bei Ahmadis aus Pakistan ist zunächst festzustellen, ob und seit wann sie der Ahmadiyya-Glaubensgemeinschaft angehören. Hierbei dürfte sich die Einholung einer Auskunft der Zentrale der Glaubensgemeinschaft in Deutschland anbieten, die ihrerseits auf die Erkenntnisse des Welt-Headquarters in London – insbesondere zur religiösen Betätigung des Betroffenen in Pakistan – zurückgreifen kann. Zusätzlich kommt die Befragung eines Vertreters der lokalen deutschen Ahmadi-Gemeinde in Betracht, der der Asylbewerber angehört. Schließlich erscheint im gerichtlichen Verfahren eine ausführliche Anhörung des Betroffenen im Rahmen einer mündlichen Verhandlung in aller Regel unverzichtbar. Wenn das Gericht zu dem Ergebnis kommt, dass der Kläger seinen Glauben in Pakistan nicht in einer in die Öffentlichkeit wirkenden Weise praktiziert hat, sind die Gründe hierfür aufzuklären. Denn der Verzicht auf eine verfolgungsrelevante Glaubensbetätigung im Herkunftsland kennzeichnet die religiöse Identität eines Gläubigen dann nicht, wenn er aus begründeter Furcht vor Verfolgung erfolgte. Ergibt die Prüfung, dass der Kläger seinen Glauben in Deutschland nicht in einer Weise praktiziert, die ihn in Pakistan der Gefahr der Verfolgung aussetzen würde, spricht dies regelmäßig dagegen, dass eine solche Glaubensbetätigung für seine religiöse Identität prägend ist, es sei denn, der Betroffene kann gewichtige Gründe hierfür vorbringen. Praktiziert er seinen Glauben hingegen in entsprechender Weise, ist weiter zu prüfen, ob diese Form der Glaubensausübung für den Kläger zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist und nicht etwa nur deshalb erfolgt, um die Anerkennung als Flüchtling zu erreichen.
Rz. 27
Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, welche Bedeutung bestimmte Formen der Religionsausübung für den Kläger haben, lediglich festgestellt, dass er “ein einfaches, aber gläubiges Mitglied der Glaubensgemeinschaft” sei (UA S. 28). Er sei bereits vor seiner Ausreise für die Glaubensgemeinschaft als Lehrer (Kayt) für die Kinder tätig gewesen, habe sie zum Gebet abgeholt und ihnen seinen Glauben vermittelt. Daraus ergibt sich zwar eine enge Verbundenheit mit seiner Glaubensgemeinschaft in Pakistan, aber keine innere Verpflichtung zur Praktizierung des Glaubens in einer strafrechtlich verbotenen Weise, denn das vom Kläger wahrgenommene Amt bezog sich auf eine gemeindeinterne Aufgabe. Die strafrechtlichen Verbote beziehen sich aber darauf, den Glauben in die Öffentlichkeit zu tragen (UA S. 24). Zur Glaubensbetätigung in Deutschland hat das Berufungsgericht lediglich ausgeführt, dass der Kläger entsprechend den Grundsätzen seiner Religion fünfmal am Tag bete. Es hat aber nicht festgestellt, dass es für ihn zur Wahrung seiner religiösen Identität besonders wichtig ist, seinen Glauben in der Öffentlichkeit zu leben und in diese zu tragen. Vielmehr hat der Kläger seinen Aufenthalt in Deutschland nach den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zu einer derartigen Glaubensbetätigung genutzt. Wenn ihm eine derartige Glaubenspraxis trotz seiner geübten Zurückhaltung in Deutschland besonders wichtig ist, muss er gewichtige Gründe dafür vorbringen, warum er sich insoweit bisher beschränkt hat. Im Übrigen besteht – entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts – keine Vermutung dafür, dass jeder bekennende Ahmadi seinen Glauben nach Rückkehr nach Pakistan auch in der Öffentlichkeit praktizieren wird (UA S. 27).
Rz. 28
Dem Senat als Revisionsgericht ist es selbst nicht möglich, die erforderlichen Feststellungen zur subjektiven Verfolgungsbetroffenheit anhand des vom EuGH entwickelten Maßstabs zu treffen.
Rz. 29
2. Wegen für eine abschließende Entscheidung des Senats fehlender ausreichender tatsächlicher Feststellungen zur Verfolgungswahrscheinlichkeit und zur subjektiven Verfolgungsbetroffenheit ist der Rechtsstreit gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur weiteren Aufklärung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Rz. 30
Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
2.1. Bei den zu treffenden Feststellungen zur jedenfalls ungefähren Größe der Gruppe der Ahmadis, die ihren Glauben unter Verstoß gegen die Strafvorschriften der Sec. 298 B, 298 C und 295 C des Pakistan Penal Code praktizieren, kann das Berufungsgericht u.a. auf die Erkenntnisse zurückgreifen, die das britische Upper Tribunal seinem Urteil vom 14. November 2012 zugrunde gelegt hat (a.a.O. – insbes. Rn. 26 – 72) – einschließlich der detaillierten Aufstellung des Ahmadiyya-Headquarters über die Verfolgungsschläge in den Jahren 1984 bis 2011 (verwertet im Urteil des Upper Tribunal Rn. 30 – dortige Fußnote 6 und Rn. 103 mit Würdigung der Zuverlässigkeit der Aufstellung – auch zugänglich unter: http://www.persecutionofahmadis.org/wp-content/uploads/2012/02/Persecution-of-Ahmadis-2011.pdf). Wenn die verfügbaren Erkenntnisse nicht ausreichen, wird das Berufungsgericht eigene Ermittlungen anzustellen haben und ggf. die Einholung eines Sachverständigengutachtens veranlassen müssen.
Rz. 31
2.2 Bei der Prüfung der subjektiven Verfolgungsbetroffenheit des Klägers am Maßstab des EuGH wird das Berufungsgericht insbesondere zu untersuchen haben, warum er seinen Glauben in Deutschland offenbar ohne Entfaltung von Glaubensaktivitäten praktiziert, die in die Öffentlichkeit wirken.
Rz. 32
2.3 Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis kommen, dass das staatliche Verbot einer in die Öffentlichkeit wirkenden Religionsausübung im vorliegenden Fall keine hinreichend schwere Verfolgungshandlung im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie begründet, wird es weiter zu prüfen haben, ob sich eine relevante Verfolgungsgefahr aufgrund einer Gesamtbetrachtung unterschiedlicher Menschenrechtsverletzungen und Diskriminierungen im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie ergibt (vgl. dazu das Urteil des Senats vom gleichen Tag – BVerwG 10 C 23.12 – Rn. 34 ff.). Hierbei wären zusätzlich zu den staatlichen Maßnahmen insbesondere die Übergriffe radikaler Moslems auf Ahmadis zu würdigen. Dabei bedarf es auch einer im Einzelnen begründeten und auf die Situation des Klägers bezogenen Bewertung, ob und ggf. warum die Summe der nach Buchstabe b berücksichtigten Eingriffshandlungen so gravierend ist, dass dieser davon in ähnlicher, d.h. vergleichbarer Weise wie von einer schwerwiegenden Verletzung der Religionsfreiheit im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie betroffen ist.
Rz. 33
2.4 Sollte weder eine Verfolgungshandlung nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. a noch nach Buchst. b der Richtlinie vorliegen, wird zu prüfen sein, ob dem Kläger unionsrechtlicher oder nationaler Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 ff. AufenthG zusteht. Nationalen Abschiebungsschutz könnte der Kläger nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG möglicherweise dann beanspruchen, wenn feststünde, dass er von den Verwandten der Ehefrau seines Cousins mit dem Tode bedroht wird und der pakistanische Staat ihm hiergegen keinen Schutz gewährt. Zwar hielten das Bundesamt und das Verwaltungsgericht das entsprechende Vorbringen des Klägers für unglaubhaft, die vorgebrachten Tatsachen sind vom Berufungsgericht bisher aber nicht aufgeklärt.
Rz. 34
2.5 Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Unterschriften
Prof. Dr. Berlit, Prof. Dr. Dörig, Prof. Dr. Kraft, Fricke, Dr. Maidowski
Fundstellen