Entscheidungsstichwort (Thema)
Deutschkenntnisse, ausreichende. Einbürgerung, Zusicherung auf -. Schriftsprache, Kenntnisse. Sprache, ausreichende Kenntnisse der deutschen -. Zusicherung der Einbürgerung
Leitsatz (amtlich)
1. Für eine Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG „ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” i.S.d. § 11 StAG erfordern neben mündlichen grundsätzlich auch gewisse schriftliche Kenntnisse der deutschen Sprache.
2. Der Einbürgerungsbewerber muss sich nicht eigenhändig schriftlich ausdrücken können.
3. Ein Einbürgerungsbewerber, der selbst nicht deutsch schreiben kann, muss deutschsprachige Texte des täglichen Lebens lesen und diktieren sowie das von Dritten oder mit technischen Hilfsmitteln Geschriebene auf seine Richtigkeit überprüfen und so die schriftliche Äußerung als seine „tragen” können (wie Urteil vom 20. Oktober 2005 – BVerwG 5 C 8.05 –).
Normenkette
StAG §§ 10-11; AuslG (F. 1999) §§ 85-86
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 25.01.2005; Aktenzeichen 7 A 11481/04) |
VG Koblenz (Entscheidung vom 21.06.2004; Aktenzeichen 8 K 2970/03.KO) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 25. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt seine Einbürgerung. In der Sache streiten die Beteiligten über die Frage, ob der Kläger, der Analphabet ist und weder in seiner Muttersprache noch in der deutschen Sprache Texte lesen oder schreiben kann, über „ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfügt.
Der Kläger ist im Jahre 1946 geboren und besitzt nach Auffassung des Beklagten die libanesische Staatsangehörigkeit. Er lebt seit 1985 im Bundesgebiet. Nach erfolglosem Asylverfahren erhielt er zunächst eine Aufenthaltsbefugnis. Seit April 1997 ist er im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis. Der Kläger ist mit einer libanesischen Staatsangehörigen verheiratet und bestreitet seinen Lebensunterhalt durch den Handel mit gebrauchten Kraftfahrzeugen.
Im September 1999 beantragte der Kläger seine Einbürgerung in den deutschen Staatsverband. Bei zweimaligen Sprachtests ergab sich, dass der Kläger nicht in der Lage war, einen in deutscher Sprache verfassten Zeitungsartikel zu lesen. Mit Bescheid vom 3. Juli 2002 lehnte der Beklagte die Einbürgerung des Klägers ab, weil dieser nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge. Mit der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 16. September 2003) erhobenen Klage machte der Kläger geltend, er könne Deutsch verstehen und sprechen, jedoch nicht lesen. Er sei Analphabet und könne auch in seiner arabischen Muttersprache weder lesen noch schreiben. Angesichts der großen Zahl in Deutschland lebender Analphabeten dürfe ihm dies nicht zum Nachteil geraten. Aufgrund seines Alters sei ihm nicht abzuverlangen, einen mehrjährigen Schulbesuch zu absolvieren; während eines solchen Schulbesuchs könne er sein Gewerbe nicht ausüben und verliere dadurch seine Lebensgrundlage.
Die gegen das klageabweisende Urteil des Verwaltungsgerichts (Urteil vom 21. Juni 2004) gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen (Urteil vom 25. Januar 2005) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
§ 11 Satz 1 Nr. 1 StAG sei dahin auszulegen, dass das Erfordernis, einen alltäglichen deutschsprachigen Text lesen, verstehen und seinen Inhalt mündlich wiedergeben zu können, in der Regel unverzichtbar sei und die bloße Fähigkeit, sich mündlich zu verständigen, nicht ausreiche, um das Vorliegen der vom Gesetz geforderten ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse zu bejahen. Die Regelung des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG sei im Gesamtkontext der umfassenden Novellierung des Zuwanderungsrechts durch das Gesetz zur Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung und zur Regelung des Aufenthalts und der Integration von Unionsbürgern und Ausländern (BGBl I 2004 S. 1950 ff.) zu sehen. Das in wesentlichen Teilen zum 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz verwende den Begriff „ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” nicht nur bei den Regelungen des Staatsangehörigkeitsrechts, sondern beispielsweise auch in dem in Art. 1 des Zuwanderungsgesetzes enthaltenen Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz – AufenthG –), hier vor allem bei den Bestimmungen über die Erteilung einer Niederlassungserlaubnis (§ 9 AufenthG). Eine solche dürfe nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG nur erteilt werden, wenn der Ausländer über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfüge. Dieser Nachweis werde gemäß § 9 Abs. 2 Satz 2 AufenthG durch eine erfolgreiche Teilnahme an einem Integrationskurs geführt. Nach Satz 3 der erwähnten Norm könne von diesen Voraussetzungen abgesehen werden, wenn der Ausländer sie wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder einer Behinderung nicht erfüllen könne, oder nach Satz 4 zur Vermeidung einer Härte; ferner werde von dem Erfordernis der erfolgreichen Absolvierung eines Integrationskurses unter den in Satz 5 der Vorschrift genannten Voraussetzungen abgesehen mit der Folge, dass es in diesem Fall ausreiche, wenn der Ausländer sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich verständigen könne. Aus dieser Regelung sei im Umkehrschluss zu folgern, dass der Gesetzgeber für die Annahme ausreichender deutscher Sprachkenntnisse deshalb im Regelfall Lesefähigkeiten im oben beschriebenen Sinne verlange. Andernfalls wäre die Ausnahmeregelung des § 9 Abs. 2 Satz 5 AufenthG entbehrlich. Gestützt werde dieses Normverständnis durch die Begründung zu § 9 AufenthG (BTDrucks 15/420 S. 72).
Das Verwaltungsgericht habe auch schon zur bisherigen Rechtslage nach § 86 Nr. 1 AuslG zutreffend ausgeführt, dass die Fähigkeit zu mündlicher Verständigung nicht ausgereicht habe. Ohne die Fähigkeit, hiesige Medien zu verstehen und mit der deutschen Bevölkerung zu kommunizieren, seien Integration und auch die Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess nicht möglich (BTDrucks 14/533); die Fähigkeit, hiesige Medien zu verstehen, setze aber auch das Lesenkönnen zumindest einfacher Texte voraus. Auch habe das Ausländergesetz zwischen ausreichenden Kenntnissen der deutschen Sprache (§ 26 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AuslG) und der Fähigkeit, sich auf einfache Art in deutscher Sprache mündlich zu verständigen (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 AuslG), unterschieden; die Verwendung unterschiedlicher Begriffe bei der Umschreibung der jeweils tatbestandlich geforderten Sprachkenntnisse lasse aber nur den Schluss zu, dass der Gesetzgeber schon unter der alten Rechtslage mit dem Begriff der ausreichenden deutschen Sprachkenntnisse einen bestimmten Grad an Integration verbunden habe, der über die mündlichen Sprachkenntnisse hinausgehend auch das Grundverständnis der Schriftsprache erfasse. Vereinzelten Gegenstimmen im Schrifttum sei nicht zu folgen.
Bei dem Kläger könne auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht vom Lesenkönnen eines deutschsprachigen Textes des alltäglichen Lebens abgesehen und stattdessen seine Fähigkeit, sich mündlich zu verständigen, als ausreichend erachtet werden. Der Kläger leide nicht an körperlichen oder geistigen Gebrechen, die ihn am ausreichenden Erlernen der deutschen Sprache hinderten bzw. in der Vergangenheit gehindert hätten. Der Kläger lebe seit 1985 im Bundesgebiet und habe in den vergangenen zwei Jahrzehnten hinreichend Zeit gehabt, sich auf die deutsche Sprache einzustellen, sie insbesondere auch schriftlich zu erlernen. Hierzu sei auch nicht notwendige Voraussetzung, dass er zunächst in seiner arabischen Muttersprache lesen und schreiben lernen müsse. Arabisch sei der deutschen Sprache so wesensverschieden, dass ihr Erlernen nicht zwangsläufig dem Erwerb deutscher Sprachkenntnisse vorausgehen müsse. Stattdessen hätte der Kläger bereits vor Jahren seinen Analphabetismus durch die Inanspruchnahme besonderer Schulungskurse beheben können. Er könne dies ungeachtet seines Alters auch heute noch, und er könne die Teilnahme an diesen Kursen so einrichten, dass er daneben sein Geschäft weiterführen könne.
Mit seiner Revision verfolgt der Kläger sein Begehren, in den deutschen Staatsverbund eingebürgert zu werden, weiter und rügt der Sache nach eine Verletzung des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG.
Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung.
Der Vertreter des Bundesinteresses bei dem Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich an dem Verfahren und macht geltend, dass dem Kläger zwar kein Anspruch auf Einbürgerung nach den §§ 10, 11 StAG zustehe, aber noch eine Ermessenseinbürgerung nach § 8 StAG zu prüfen sei.
Entscheidungsgründe
II.
Die zulässige Revision des Klägers, über die das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Berufungsgericht hat im Einklang mit dem Bundesrecht (vgl. § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) dahin erkannt, dass der Kläger nicht i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG über „ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” verfügt.
1. Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch auf Zusicherung der Einbürgerung ist nach den §§ 10, 11 StAG in der ab dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung des Art. 5 des Zuwanderungsgesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl I S. 1950) zu beurteilen. Wird mit der Verpflichtungsklage der Erlass eines Verwaltungsakts begehrt, darf die Behörde zu dessen Erlass nur verpflichtet werden, wenn sie dazu nach der geltenden Rechtslage verpflichtet bzw. befugt ist; ändern sich die maßgeblichen Rechtsvorschriften, ist die neue Rechtslage vorbehaltlich abweichender Übergangsregelungen auch dann zu berücksichtigen, wenn sie dem Kläger nachteilig ist (BVerwG, Beschluss vom 19. August 1996 – BVerwG 1 B 82.95 – InfAuslR 1996, 399 m.w.N.; zur Einbürgerung s.a. BayVGH, Urteil vom 17. Februar 2005 – 5 BV 04.1225 – NVwZ-RR 2005, 856; Urteil vom 14. April 2005 – 5 BV 03.3089 –). Die im Zeitpunkt der Antragstellung und der Entscheidung des Verwaltungsgerichts für die Beurteilung des streitgegenständlichen Einbürgerungsanspruchs maßgeblichen Regelungen der §§ 85 ff. AuslG sind zum 1. Januar 2005 in dem hier entscheidungserheblichen Kern dem Wortlaut nach unverändert in das Staatsangehörigkeitsgesetz eingegliedert worden (§§ 10 ff. StAG) und der Beurteilung des Begehrens des Klägers zu Grunde zu legen. Eine entgegenstehende Übergangsvorschrift, welche insoweit die Fortgeltung des bisherigen Rechts für anhängige Einbürgerungsanträge anordnete, enthält das Zuwanderungsgesetz nicht; da der Kläger seine Einbürgerung erst am 27. September 1999 beantragt hatte, unterfällt er auch nicht der Übergangsregelung des § 40c StAG (s. Art. 5 Nr. 18 Zuwanderungsgesetz). § 104 Abs. 2 AufenthG ist eine Übergangsregelung allein zu § 9 Abs. 2 AufenthG und auf § 11 StAG weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden.
2. Zwischen den Beteiligten steht im Streit, ob dem Anspruch des Klägers auf Einbürgerung der Anspruchsausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG entgegensteht, da er „nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt”. Dies ist der Fall.
2.1 Mit der Voraussetzung „ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache” bezeichnet § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG das für die Anspruchseinbürgerung erforderliche Sprachniveau durch einen auslegungsbedürftigen und auslegungsfähigen unbestimmten Rechtsbegriff. Für die Auslegung dieses Ausschlussgrundes kommt es entscheidend auf eine Abgrenzung der „ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache” gegenüber einem geringeren Sprachniveau an. Der vorliegende Fall gibt dabei keinen Anlass zu näheren Ausführungen zur Frage, welche Anforderungen an die Kenntnisse der deutschen Sprache hinsichtlich der Fähigkeit zu mündlicher Kommunikation zu stellen sind; zu beurteilen ist allein, ob bzw. in welchem Umfang „ausreichende Sprachkenntnisse” auch Kenntnisse der deutschen Schriftsprache, mithin die Fähigkeit voraussetzen, einen Text in deutscher Sprache zu lesen und zu schreiben.
Der Wortlaut erlaubt allerdings noch keinen sicheren Aufschluss, ob die für die Einbürgerung nach § 10 StAG zu verlangenden Sprachkenntnisse auch Kenntnisse und Fähigkeiten der deutschen Schriftsprache umfassen. Der Begriff der Sprache als Mittel der Kommunikation kann gegebenenfalls lediglich die gesprochene bzw. gehörte Sprache und nicht auch die Schriftsprache bezeichnen; dass das Staatsangehörigkeitsgesetz – anders als z.B. § 6 Abs. 2 des Bundesvertriebenengesetzes für die Spätaussiedlereigenschaft – nicht die Fähigkeit zu einem einfachen Gespräch auf Deutsch genügen lässt, weist allerdings darauf, dass der Gesetzgeber neben mündlichen grundsätzlich auch gewisse schriftliche Kenntnisse der deutschen Sprache als erforderlich sieht. Auch die Entstehungsgeschichte erlaubt keinen klaren Rückschluss. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG übernimmt insoweit wortgleich § 86 Nr. 1 AuslG in der Fassung, die diese Regelung zum 1. Januar 2000 durch Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts (vom 15. Juli 1999, BGBl I S. 1618) erhalten hatte. Bereits zu § 86 Nr. 1 AuslG war umstritten, ob bzw. in welchem Umfang „ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” auch Kenntnisse der deutschen Schriftsprache umfassten (s. etwa VG Stuttgart, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 7 K 2494/01 – InfAuslR 2003, 164; HessVGH, Urteil vom 19. August 2002 – 12 UE 1473/02 – NVwZ 2003, 762, aufgehoben durch BVerwG, Urteil vom 20. April 2004 – BVerwG 1 C 16.03 – BVerwGE 120, 305; s.a. GK-StAR, § 11 StAG Rn. 23 ff.; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, 4. Aufl., § 11 StAG Rn. 3, 5, § 8 StAG Rn. 54a ff.; Renner, ZAR 2002, 339; Meireis, StAZ 2003, 1; Göbel-Zimmermann, ZAR 2003, 65 ≪72 f.≫). Die Begründung der Bundesregierung zu dem Entwurf eines Zuwanderungsgesetzes, durch dessen Art. 5 Nr. 8 die Vorschriften des Siebten Abschnitts des bisherigen Ausländergesetzes über einen Einbürgerungsanspruch für Ausländer mit längerem Aufenthalt im Bundesgebiet in das Staatsangehörigkeitsgesetz eingegliedert wurden, verhält sich nicht zur Frage der nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG zu stellenden Sprachanforderungen (BTDrucks 15/420 S. 116) und weist für § 11 StAG lediglich redaktionelle Änderungen aus; die weiteren Änderungen des § 11 StAG im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens haben nicht die in Nr. 1 übernommene Regelung betroffen.
Eine an Sinn und Zweck des Ausschlussgrundes orientierte Auslegung ergibt, dass nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG gewisse Kenntnisse der deutschen Schriftsprache erforderlich sind. Die Regelung ist bezogen auf den in § 10 StAG geregelten Einbürgerungsanspruch und soll sicherstellen, dass Personen, die sich auf diesen Einbürgerungsanspruch berufen, auch sprachlich hinreichend in die Lebensverhältnisse im Bundesgebiet allgemein und in ihre Lebens-, Berufs- und Wohnumgebung integriert sind. Ausreichende Möglichkeiten sprachlich vermittelter Kommunikation auf der Grundlage der deutschen Sprache sind typischerweise Voraussetzung für die Integration in die grundlegenden Bereiche der Bildung, der Beschäftigung und der Teilhabe am politischen Leben und damit für die soziale, politische und gesellschaftliche Integration; ohne die Fähigkeit, hiesige Medien zu verstehen und mit der deutschen Bevölkerung zu kommunizieren, ist eine Integration wie auch die Beteiligung am politischen Willensbildungsprozess nicht möglich (s. BTDrucks 14/533 S. 18). Wegen der Bedeutung, welche im Arbeits- und Berufsleben, aber auch bei der Kommunikation mit der gesellschaftlichen Umwelt einschließlich der Kontakte mit Behörden und Institutionen der schriftlichen Kommunikation zukommt, erfordert dies auch gewisse Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache. Keine andere Beurteilung rechtfertigt der Umstand, dass in der Bundesrepublik Deutschland als deutsche Staatsangehörige geborene und aufgewachsene Personen leben, arbeiten und am gesellschaftlichen sowie sozialen Leben teilnehmen, die des Lesens oder Schreibens nicht (hinreichend) kundig sind; nach den Angaben des Bundesverbands Alphabetisierung e.V. können über vier Millionen Menschen in Deutschland nicht richtig lesen und schreiben. Ungeachtet der Personen, die (absolute und funktionale) Analphabeten sind, ist eine hinreichende Schriftsprachenbeherrschung jedoch gleichwohl der gesellschaftliche Regelfall und bildet Analphabetismus ein Integrationshindernis; der Gesetzgeber, dem für die Ausgestaltung der Einbürgerungsanspruchsvoraussetzungen ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen ist, kann für die typisierende Festlegung der an einen Einbürgerungsbewerber zu stellenden Sprachanforderungen diesen gesellschaftlichen Regelfall zu Grunde legen. Die nach dem Integrationszweck zu fordernden Kenntnisse der deutschen Schriftsprache müssen den Einbürgerungsbewerber in die Lage versetzen, im familiär-persönlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden und Ämtern in deutscher Sprache schriftlich zu verkehren. Dies setzt – jedenfalls bei geschäftsfähigen Einbürgerungsbewerbern – die Fähigkeit voraus, selbständig in deutscher Sprache verfasste Schreiben, Formulare und sonstige Schriftstücke zu lesen und – nach Maßgabe von Alter und Bildungsstand – den sachlichen Gehalt zumindest von Texten einfacheren Inhalts aufgrund der Lektüre auch so zu erfassen, dass hierauf zielgerichtet und verständig reagiert werden kann. Hinsichtlich der Fähigkeit, sich in deutscher Schriftsprache auszudrücken, kann nicht verlangt werden, dass der Einbürgerungsbewerber einen Diktattext in deutscher Sprache selbst und eigenhändig im Wesentlichen fehlerfrei schreiben kann. Allerdings muss es dem Einbürgerungsbewerber möglich sein, sich eigenverantwortlich und eigenverantwortet im familiär-persönlichen, beruflichen und geschäftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden und Ämtern aktiv schriftlich in deutscher Sprache zu verständigen. Bei schriftlicher Kommunikation, bei der nach dem heutigen Stand der Technik zumindest im beruflich-geschäftlichen Umfeld sowie im Umgang mit Behörden und Ämtern für die Texterstellung Hilfsmittel (Computer; Schreibmaschine; Diktiergerät) genutzt werden, ist es regelmäßig weder erkennbar noch entscheidend, ob ein Text eigenhändig geschrieben ist; entscheidend ist die durch die Schriftform sichergestellte Authentifizierung und Identifikationsfunktion, die durch eine Unterschrift bzw. eine elektronische Signatur gewährleistet wird, sowie der hierdurch dokumentierte Umstand, dass sich der Unterzeichnende den Inhalt des Textes zu Eigen macht. Hierfür muss der Einbürgerungsbewerber sich nicht selbst schriftlich ausdrücken können, wenn und solange er in eigener Verantwortung eine schriftliche Kommunikation sicherzustellen vermag, ohne diese vollständig und ohne eigene Kontrollmöglichkeit auf Dritte zu übertragen. Kann der Einbürgerungsbewerber nicht selbst ausreichend deutsch schreiben, ist es erforderlich, aber auch ausreichend, wenn er deutschsprachige Texte des täglichen Lebens lesen und diktieren sowie das von Dritten oder mit technischen Hilfsmitteln (z.B. unter Nutzung elektronisch verfügbarer Mustertexte oder von Spracherkennungsprogrammen) Geschriebene auf seine Richtigkeit überprüfen kann und somit die schriftliche Äußerung als seine „trägt”.
Weitergehende Anforderungen an das staatsangehörigkeitsrechtlich durch § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG für die Anspruchseinbürgerung vorausgesetzte Sprachniveau folgen nicht aus dem Umstand, dass der Rechtsbegriff „ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” bereits in § 24 Abs. 1 Nr. 4, § 27 Abs. 2 Nr. 5 i.V.m. § 24 Abs. 1 Nr. 4 AuslG genutzt worden war, dass seit dem In-Kraft-Treten des Aufenthaltsgesetzes zum 1. Januar 2005 „ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” u.a. Voraussetzung für die Erteilung der Niederlassungserlaubnis (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG), das eigenständige, unbefristete Aufenthaltsrecht noch minderjähriger Kinder (§ 35 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AufenthG) und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis für einen ehemaligen Deutschen, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hat (§ 38 Abs. 2 AufenthG), sind oder daraus, dass der nach § 43 AufenthG zu schaffende Integrationskurs zur Heranführung u.a. an die Sprache in Deutschland auch einen Basis- und einen Aufbausprachkurs „zur Erlangung ausreichender Sprachkenntnisse” umfasst (§ 43 Abs. 3 Satz 1 AufenthG), wobei der Anspruch auf Teilnahme an einem Integrationskurs nicht besteht, wenn der Ausländer bereits über „ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” verfügt (§ 44 Abs. 3 Nr. 3 AufenthG) und gemäß § 3 Abs. 2 der Verordnung über die Durchführung von Integrationskursen für Ausländer und Spätaussiedler (Integrationskursverordnung – IntV) (vom 13. Dezember 2004) das Kursziel, ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache nach § 43 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes und § 9 Abs. 1 Satz 1 des Bundesvertriebenengesetzes zu erwerben, erreicht ist, wenn sich ein Kursteilnehmer im täglichen Leben in seiner Umgebung selbständig sprachlich zurechtfinden und entsprechend seinem Alter und Bildungsstand ein Gespräch führen und sich schriftlich ausdrücken kann, wobei § 17 Abs. 1 IntV für den am Ende des Integrationskurses durchzuführenden Abschlusstest zum Nachweis der Kenntnisse nach § 3 Abs. 2 IntV auf die Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B 1) verweist. Der Senat kann offen lassen, ob der Begriff der „ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache” in § 11 StAG denselben Bedeutungsinhalt hat wie im Aufenthaltsrecht im Allgemeinen oder in der Regelung zur Niederlassungserlaubnis (§ 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AufenthG) im Besonderen oder er etwa wegen des unterschiedlichen Regelungskontextes einschließlich der Regelungen zur Frage, unter welchen Voraussetzungen es „ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache” übergangsweise (§ 104 Abs. 2 AufenthG) oder dauerhaft (§ 9 Abs. 2 Satz 3 bis 5 AufenthG) nicht bedarf oder von ihnen abgesehen werden kann, sowie des Umstandes, dass nach § 10 StAG der erfolgreiche Abschluss eines Integrationskurses lediglich die erforderliche Inlandsaufenthaltsdauer verkürzt, nicht aber Einbürgerungsanspruchsvoraussetzung ist, staatsangehörigkeitsrechtlich eigenständig auszulegen ist. Der Senat hat auch nicht zu entscheiden, ob im Aufenthaltsrecht der unbestimmte Gesetzesbegriff der „ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache” durchweg durch § 3 Abs. 2 IntV auszufüllen ist, ob diese Bestimmung in der von dem Berufungsgericht gefundenen Auslegung die Grenzen der dem Verordnungsgeber erteilten Ermächtigung wahrt oder ob sie – ggf. i.V.m. der in § 17 IntV in Bezug genommenen „Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B 1)” – dahin auszulegen ist, dass die Fähigkeit vorausgesetzt wird, sich eigenhändig schriftlich auszudrücken. Denn die Fähigkeit, sich schriftlich auszudrücken (§ 3 Abs. 2 IntV), und der gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 IntV durch die Sprachprüfung zum Zertifikat Deutsch (B 1) geführte Nachweis der Kenntnisse nach § 3 Abs. 2 IntV bezeichnen, unter welchen Voraussetzungen ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache (positiv) vorliegen und hinreichend nachgewiesen sind. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts legen diese Regelungen nicht fest, dass die Fähigkeit, sich eigenhändig schriftlich auszudrücken, oder gar damit die Fähigkeit, einen fremden Text nach Diktat zu schreiben oder fremde Gedanken schriftlich in deutscher Sprache wiederzugeben, nicht nur hinreichende, sondern notwendige Voraussetzung ausreichender Kenntnisse der deutschen Sprache bildeten. Für die Festlegung eines zu beachtenden Mindestniveaus fehlen hinreichende Anhaltspunkte.
2.2 Nach diesen Grundsätzen steht § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG dem Begehren des Klägers auf Einbürgerung entgegen. Der Kläger ist nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zwar in der Lage, ein seinem Alter und Bildungsstand entsprechendes Gespräch in deutscher Sprache zu führen, er ist jedoch des Lesens und Schreibens nicht kundig und verfügt mithin nicht über die erforderlichen Mindestkenntnisse der deutschen Schriftsprache. Für die Anwendung des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist dabei unerheblich, aus welchen Gründen der Kläger nicht über Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache verfügt, ob er auch in seiner Muttersprache Analphabet ist und ob im Bundesgebiet hinreichende und für den Kläger zumutbare Möglichkeiten angeboten werden, die es auch einem Analphabeten ermöglichen, i.S.d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG „ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache” zu erwerben.
Der Kläger kann sich in Bezug auf seinen aus § 10 StAG hergeleiteten Anspruch auf Einbürgerung auch nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner mündlichen Sprachbeherrschung für eine Integration hinreichende Sprachkenntnisse habe, er durch seine geschäftliche Tätigkeit bewiesen habe, dass er tatsächlich in das soziale und gesellschaftliche Leben integriert sei bzw. einen geringen Integrationsbedarf aufweise, es für ihn nach Alter und Einbindung in das Berufs- bzw. Geschäftsleben nicht zumutbar sei, die nach Vorstehendem nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG erforderlichen Grundkenntnisse der deutschen Schriftsprache noch zu erwerben, oder dass sein Analphabetismus einer Krankheit bzw. Behinderung gleichstehe, die insoweit gebiete, von den Sprachanforderungen abzusehen. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut schließt § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG den Anspruch auf Einbürgerung nach § 10 StAG stets und ohne Ausnahme aus, wenn der Einbürgerungsbewerber nicht über ausreichende Kenntnisse der deutschen Sprache verfügt; insbesondere hat der Gesetzgeber keine § 9 Abs. 2 Satz 3 bis 5 AufenthG, die auf die Anspruchseinbürgerung nach § 10 StAG weder unmittelbar noch entsprechend anzuwenden sind, vergleichbaren Regelungen geschaffen. Der Verzicht auf eine solche Regelung ist von dem Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt, der mangels eines verfassungsrechtlichen Anspruchs auf Einbürgerung auch ohne Eingriff in die Rechte eines Einbürgerungsbewerbers festlegen kann, von welchen Anforderungen an die Sprachbeherrschung ein Anspruch auf Einbürgerung abhängig sein soll; die rechts- und integrationspolitische Stimmigkeit des Verzichts auf Ausnahme- oder Übergangsregelungen hat der Senat nicht zu beurteilen.
3. Der Kläger kann seinen Anspruch auf Einbürgerung gegen den Beklagten auch nicht auf § 8 StAG stützen. Ein Einbürgerungsbegehren ist allerdings grundsätzlich hinsichtlich aller in Betracht kommender Einbürgerungsgrundlagen zu prüfen (s.a. BVerwG, Urteil vom 17. März 2004 – BVerwG 1 C 5.03 – NVwZ 2004, 997; Urteil vom 20. April 2004 – BVerwG 1 C 16.03 – BVerwGE 120, 305). Es kann indes offen bleiben, welche Anforderungen an die Kenntnisse der deutschen Sprache bei einer auf § 8 StAG gestützten Ermessenseinbürgerung zu stellen sind und welches Gewicht bei der nach § 8 StAG zu treffenden, die Belange des Einbürgerungsbewerbers berücksichtigenden Ermessensentscheidung einem tatsächlich etwa geringeren Integrationsbedarf oder den vom Gesetzgeber im Aufenthaltsrecht für die Niederlassungserlaubnis geregelten Ausnahmen vom Erfordernis der ausreichenden Kenntnisse der deutschen Sprache beizumessen ist. Denn gemäß § 2 Abs. 1 der Landesverordnung über die Zuständigkeiten in Staatsangehörigkeitsangelegenheiten (vom 10. Dezember 1999, GVBl Rheinland-Pfalz 1999 S. 447) ist zuständige Behörde für Einbürgerungen nach § 8 StAG die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion und damit eine Landesbehörde, nicht der Beklagte. Der Streitgegenstand des im vorliegenden Verfahren allein gegen den Beklagten geltend gemachten Anspruchs auf Einbürgerung umfasst bei verständiger Auslegung des Begehrens (§ 88 VwGO) nicht ein auf § 8 StAG gestütztes Einbürgerungsbegehren (s.a. BayVGH, Urteil vom 17. Februar 2005 – 5 BV 04.1225 – NVwZ-RR 2005, 856); einem solchen Begehren gegen den Beklagten müsste mangels Zuständigkeit der Erfolg versagt bleiben.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Rothkegel, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen
ZAP 2006, 1177 |
DVBl. 2006, 922 |