Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitszeit der Bundesbeamten im Beitrittsgebiet. dynamische Verweisung. Übergangsregelung des Einigungsvertrags. Verordnungsermächtigung
Leitsatz (amtlich)
Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Bundesbeamten beträgt seit 1. Oktober 1992 auch im Beitrittsgebiet durchschnittlich 38,5 Stunden.
Normenkette
EV Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschn. III Nr. 4; BBG § 72 Abs. 4; AZV § 1 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
VG Berlin (Entscheidung vom 02.11.1999; Aktenzeichen 28 A 134.96) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. November 1999 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die als Beamtin der Beklagten im Beitrittsgebiet verwendete Klägerin beantragte 1996, ihre wöchentliche Arbeitszeit auf 38,5 Stunden zu verringern. Der nach erfolglosem Vorverfahren erhobenen Klage mit dem Antrag festzustellen, dass ihre wöchentliche Arbeitszeit seit April 1996 38,5 Stunden betrage, hat das Verwaltungsgericht stattgegeben und zur Begründung ausgeführt: Nach der für alle Bundesbeamte geltenden Arbeitszeitverordnung betrage die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit seit dem 1. Oktober 1992 durchschnittlich 38,5 Stunden. Die im Einigungsvertrag getroffene Übergangsbestimmung, nach der sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der im Beitrittsgebiet tätigen Beamten nach der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer derselben Dienststelle richte, sei mit Ablauf des 30. September 1992 gegenstandslos geworden, weil die Bundesregierung die in der Vorschrift vorgesehene Verordnung nicht erlassen habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom Verwaltungsgericht zugelassene Sprungrevision der Beklagten. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 2. November 1999 aufzuheben, soweit es der Klage stattgibt, und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin tritt der Revision entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Oberbundesanwalt unterstützt die Auffassung der Beklagten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Ohne Verstoß gegen revisibles Recht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin 38,5 Stunden beträgt.
Die Klägerin ist Beamtin im Dienst des Bundes. Für Bundesbeamte beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 38,5 Stunden (vgl. § 72 Abs. 4 BBG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Arbeitszeit der Bundesbeamten ≪Arbeitszeitverordnung – AZV –≫ in der Fassung, in der sie seit In-Kraft-Treten der Achten Verordnung zur Änderung der Arbeitszeitverordnung vom 9. Februar 1989 ≪BGBl I S. 227≫ gilt). Aus den Bestimmungen des Einigungsvertrages ergibt sich für den im Streit befindlichen Zeitraum nichts anderes.
Nach Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 4 des Einigungsvertrages (künftig: Abschnitt III Nr. 4 EV) tritt in dem in Artikel 3 des Vertrages genannten Gebiet des beigetretenen Teils Deutschlands die bundesrechtliche Arbeitszeitverordnung mit folgender Maßgabe in Kraft: Die Bundesregierung kann durch Rechtsverordnung bis zum 30. September 1992 die Dauer der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit entsprechend den allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnissen im Beitrittsgebiet und seiner Entwicklung abweichend von der Arbeitszeitverordnung festsetzen und regelmäßig anpassen. Bis zum In-Kraft-Treten einer Rechtsverordnung richtet sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Beamten nach der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer derselben Dienststelle.
Von der bis zum 30. September 1992 befristeten Ermächtigung, durch Rechtsverordnung die Arbeitszeit der Bundesbeamten im Beitrittsgebiet abweichend von der Arbeitszeitverordnung zu regeln, hat die Bundesregierung keinen Gebrauch gemacht. Die Frist ist verstrichen. Dies hat zur Folge, dass mit Ablauf des 30. September 1992 die Arbeitszeitverordnung ohne Einschränkungen oder Modifizierungen auch im Beitrittsgebiet in Kraft getreten ist. Das ergibt sich aus einer Auslegung der Übergangsregelung des Abschnitts III Nr. 4 EV nach Wortlaut, Sinnzusammenhang und erkennbarem Zweck.
Abschnitt III Nr. 4 letzter Satz EV weicht ab von § 72 Abs. 4 BBG, wonach die Bundesregierung „das Nähere” der Arbeitszeit von Beamten durch Rechtsverordnung regelt. Der Verzicht auf eine rechtssatzförmige Festlegung der Arbeitszeit der Bundesbeamten im Beitrittsgebiet nach dem Einigungsvertrag diente der Überbrückung von Anfangsschwierigkeiten nach dem 3. Oktober 1990 und der Anpassung an die besonderen Verhältnisse. Sie galt, solange die Länder das Beamtenrecht nicht eigenständig geregelt hatten, gleichermaßen für die Beamten im Bund und in den Ländern (vgl. Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 1 EV). Als „Übergangsregelung” im Sinne der Grundsatzbestimmung des Art. 20 Abs. 1 EV war sie nach dem Willen des Gesetzgebers nur kurzzeitig – längstens bis zum 30. September 1992 – hinzunehmen, weil sie im Widerspruch zu dem Grundsatz stand, dass die Rechtsverhältnisse der Beamten durch Gesetz bestimmt werden. Eine derartige normative Regelung fehlt, solange sich die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Beamten nach der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit der Arbeitnehmer derselben Dienststelle richtet. Deshalb steht nach Abschnitt III Nr. 4 EV die Übergangsregelung in einem Stufenverhältnis zu der Verordnungsermächtigung. Diese hat nicht vorrangig den Sinn, Rechtsgrundlage für den Erlass einer Rechtsverordnung gemäß Art. 80 Abs. 1 GG zu sein, die die Bundesregierung nach eigenen Zweckmäßigkeitsvorstellungen in Anspruch nehmen kann, sondern den Zweck, die Geltung des Abschnitt III Nr. 4 letzter Satz EV zeitlich zu beschränken.
Für die Auffassung der Beklagten gibt auch die Entstehungsgeschichte der Übergangsregelung nicht genügend her. Die Anknüpfung an die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer sollte die Aufstellung von Dienstplänen auf der Grundlage einer einheitlichen Arbeitszeit für Beamte und Arbeitnehmer in Bundesdienststellen ermöglichen (vgl. die amtl. Begr., BTDrucks 11/7817 S. 181). Dieses nachweislich angestrebte Ziel rechtfertigt nicht die Annahme einer zeitlich unbeschränkten Geltung der Übergangsregelung, zumal es in den alten Bundesländern uneinheitliche Arbeitszeiten gab und gibt.
Die an die Arbeitszeit der Arbeitnehmer anknüpfende Übergangsregelung kann auch deswegen nicht als Dauerrecht angesehen werden, weil dies das Gebot verfassungskonformer Auslegung verletzte. Die Festsetzung der regelmäßig zu leistenden Arbeitszeit obliegt dem Gesetzgeber. Das hat in § 72 BBG und der aufgrund dessen Ermächtigung erlassenen Arbeitszeitverordnung seinen Niederschlag gefunden. Die Übergangsregelung des Einigungsvertrages genügt nur ihrer Rechtsqualität, nicht ihrem Regelungsinhalt nach diesem Prinzip. Die für die Beamten geltende Arbeitszeit hängt infolge ihrer Bindung an die Arbeitszeit der in derselben Behörde beschäftigten Arbeitnehmer davon ab, ob in derselben Dienststelle überhaupt Arbeitnehmer beschäftigt sind und welche Arbeitszeit für diese Arbeitnehmer jeweils tarifvertraglich vereinbart ist. Die Vorschrift enthält somit eine dynamische Verweisung auf tarifvertragliche Regelungen. Auch als Verweisungsnorm unterliegt sie der verfassungskonformen Auslegung (vgl. etwa BVerfGE 64, 208 ≪214, 216≫; BVerwGE 27, 239 ≪243 f.≫).
Einer Bezugnahme auf außerstaatliches Recht sind verfassungsrechtlich enge Grenzen gezogen. Der Gesetzgeber darf seine Normsetzungsbefugnis nicht schrankenlos außerstaatlichen Stellen überlassen; er würde dadurch unzulässig auf seine Rechtssetzungsbefugnis verzichten. Nur wenn der Inhalt der Bezugsregelungen, auf die die staatlichen Rechtsnormen verweisen, hier also die einschlägigen tarifvertraglichen Bestimmungen, im Wesentlichen feststeht, ist der Verzicht des Gesetzgebers auf seine Rechtssetzungsbefugnis zulässig (vgl. BVerfGE 26, 338 ≪366 f.≫; 44, 322 ≪348≫; 64, 208 ≪215≫; 78, 32 ≪36≫). Nur dann genügt die verweisende Norm auch den Anforderungen, die sich aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaats- und Demokratiegebot ergeben (vgl. BVerfGE 64, 208 ≪214 f.≫; 78, 32 ≪36≫).
Die Annahme der Beklagten, die Arbeitszeitregelung des Einigungsvertrages für Beamte knüpfe dauerhaft an die tarifvertraglich vereinbarte regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Arbeitnehmer an, wird diesen Maßstäben nicht gerecht. Die Bundesregierung begäbe sich auf nicht absehbare Zeit der ihr durch § 72 Abs. 4 BBG eingeräumten Befugnis und normgeberischen Verantwortung, die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Bundesbeamten im Beitrittsgebiet durch Rechtsverordnung zu regeln. Dies hätte zur Folge, dass die Arbeitszeit eines Teils der Bundesbeamten in der Entscheidungskompetenz der Tarifvertragsparteien läge, die ihnen gegenüber weder staatlich-demokratisch noch mitgliedschaftlich legitimiert sind. Mag zwar der Umfang der tarifrechtlichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit durch den Bundes-Angestelltentarifvertrag für die jeweilige Laufzeit feststehen, so bleibt ungewiss, welche Vereinbarungen die Tarifpartner jeweils treffen. Vor allem aber ist ungewiss, ob in einer Dienststelle tarifvertraglich gebundene Arbeitnehmer überhaupt beschäftigt werden und ob für diese der Bundes–Angestelltentarifvertrag Ost oder West anzuwenden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 21.12.2000 durch Grubert Justizamtsinspektor als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
Fundstellen