Entscheidungsstichwort (Thema)
Unternehmensrestitution. Teilbescheid. Berechtigtenfeststellung. Klagebefugnis des Verfügungsberechtigten
Leitsatz (amtlich)
Dem Verfügungsberechtigten steht die Klagebefugnis gegen einen Teilbescheid zu, in dem die Berechtigung des Anmelders festgestellt wird, da er dadurch in seinen Rechten nachteilig betroffen ist (wie Urteil vom 13. April 2000 – BVerwG 7 C 84.99 – BVerwGE 111, 129 ff.).
Normenkette
VermG § 2 Abs. 1 S. 1, § 6 Abs. 1a, 6a S. 1; VwGO § 42 Abs. 2
Verfahrensgang
VG Magdeburg (Entscheidung vom 23.06.1999; Aktenzeichen A 9 K 436/98) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 23. Juni 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt die teilweise Aufhebung eines Bescheids, mit dem der Beklagte die vermögensrechtliche Berechtigung des Unternehmensträgers an dem ehemaligen Unternehmen … (im Folgenden: „Kalkwerke”) festgestellt hat.
Die Firma „Kalkwerke” entstand aufgrund eines Gesellschafterbeschlusses vom 25. Oktober 1965 und des Beschlusses des Rates des Bezirks … vom 27. Januar 1966 aus drei anderen, in der Kalkgewinnung tätigen Unternehmen.
Die Firma „Kalkwerke” war Eigentümerin des im Grundbuch von … eingetragenen Grundstücks, Flur 1, Flurstück Nr. 579/1, mit einer Grundfläche von 24 228 qm und des Grundstücks Flur 3, Flurstück Nr. 96, mit einer Grundfläche von 5 306 qm. Die Grundstücke ordnete die Präsidentin der Treuhandanstalt mit Vermögenszuordnungsbescheid vom 20. Januar 1993 der Klägerin zu. Sie betrieb das Kalkwerk …, das 1990 stillgelegt wurde.
Laut Eintragung im Handelsregister wurde die Firma „Kalkwerke” mit Wirkung vom 1. Mai 1972 auf der Grundlage des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrats der DDR vom 9. Februar 1972 in das Eigentum des Volkes überführt. In einer zum 30. April 1972 erstellten Schlussbilanz wurden die Gewinnverrechnungskonten unter Berücksichtigung der jeweiligen prozentualen Gewinnbeteiligung und die Einlagen der insgesamt acht Gesellschafter zum 30. April 1972 ausgewiesen.
Das enteignete Unternehmen „Kalkwerke” ging in der Folgezeit auf verschiedene volkseigene Betriebe über, zuletzt auf den VE Kreisbaubetrieb …, der 1990 in vier selbständige volkseigene Betriebe aufgeteilt wurde. Aus einem dieser Betriebe ging der VEB … hervor, der offensichtlich mit der Klägerin identisch ist.
Die Klägerin geht zugleich auf die PGH … zurück, die ebenfalls auf der Grundlage des genannten Ministerratsbeschlusses vom 9. Februar 1972 enteignet wurde.
1990 wurden verschiedene Rückübertragungsansprüche hinsichtlich der Firma „Kalkwerke” und der auf diese übergegangenen Unternehmen angemeldet, u.a. seitens des Beigeladenen zu 1 und des Rechtsvorgängers des Beigeladenen zu 2.
Durch Teilbescheid vom 29. Mai 1998 stellte der Beklagte unter Ziff. 1 des Tenors fest, dass die vermögensrechtlichen Ansprüche aus der Überführung der Firma „Kalkwerke” der Berechtigten i.L. zu 100 % zustünden. Unter Nr. 2 des Ausspruchs heißt es, dass die Rückgabe der Firma ausgeschlossen sei. Weiterhin ist die Aussetzung des Verfahrens verfügt worden. Zur Begründung führte der Beklagte aus, es liege eine Schädigungsmaßnahme vor, da die Firma auf der Grundlage des genannten Ministerratsbeschlusses vom 9. Februar 1972 übergeleitet worden sei. Das für das Fortbestehen der Berechtigten unter ihrer Firma erforderliche Quorum sei erfüllt. Die Aussetzung des Verfahrens sei zum Zwecke der Erzielung einer gütlichen Einigung erfolgt.
Mit der fristgerecht erhobenen Klage hat die Klägerin die Aufhebung der Ziff. 1 des Bescheids begehrt. Sie meint, die Firma „Kalkwerke” i.L. sei fälschlicherweise im Verwaltungsverfahren beteiligt worden, da sie sich nicht durch ihren Liquidator als Unternehmensvertreter gemeldet habe. Als Verfügungsberechtigte über ehemals im Eigentum der enteigneten Firma stehende Grundstücke sei die Klägerin durch den angefochtenen Bescheid beschwert. Würde dieser bestandskräftig, könne sie sich nicht mehr darauf berufen, dass die „Kalkwerke” i.L. nicht berechtigt seien. Das erforderliche Quorum von 50 % sei nicht erreicht worden.
Der Beklagte hat demgegenüber die Klagebefugnis der Klägerin in Zweifel gezogen, da der angegriffene Bescheid sie noch nicht unmittelbar in ihren eigenen Rechten verletze.
Mit Urteil vom 23. Juni 1999 hat das Verwaltungsgericht Magdeburg die Klage wegen fehlender Klagebefugnis der Klägerin als unzulässig abgewiesen. Denn die Wirkung der Feststellung der Berechtigung erschöpfe sich darin, dass die Behörde dem Anmelder im weiteren Verfahren eine mangelnde Berechtigung des Unternehmensträgers nicht mehr entgegenhalten könne. Erstmals mit Erlass eines Restitutionsbescheids werde überhaupt ein materiell wirkendes Rechtsverhältnis zwischen dem Berechtigten und dem Verfügungsberechtigten begründet, das aber von dem Rechtsverhältnis zwischen dem Berechtigten und der Behörde zu unterscheiden sei. Auch das ggf. zum Zwecke der Nachprüfung des Restitutionsbescheids angerufene Gericht sei aus diesen Gründen an die Bestandskraft des Bescheids über die Berechtigtenfeststellung nicht gebunden, was es dem Verfügungsberechtigten erlauben würde, die Problematik der Berechtigung auch zum Gegenstand der gerichtlichen Prüfung zu machen. Lediglich im gerichtlichen Streitverfahren im Verhältnis zu dem festgestellten Berechtigten und der Behörde sei das Gericht ebenfalls an die bestandskräftige Feststellung der Berechtigung gebunden, deren Wirkung die Behörde lediglich gemäß §§ 48, 49 VwVfG beseitigen könne.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt,
die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Magdeburg sowie die Aufhebung der Ziff. 1 des Teilbescheids des Beklagten vom 29. Mai 1998.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das verwaltungsgerichtliche Urteil.
Die Beigeladenen zu 1 und 2 beantragen ebenfalls,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerin ist zulässig und mit dem Ergebnis der Zurückverweisung begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruht auf einer Verletzung von Bundesrecht. Die entscheidungstragende Ansicht des Verwaltungsgerichts, dass die Klage der Verfügungsberechtigten gegen die vom Beklagten gesondert ausgesprochene Berechtigtenfeststellung mangels Klagebefugnis unzulässig sei, verletzt Bundesrecht (1). Das angegriffene Urteil beruht auf diesem Rechtsfehler. Da die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu dem vom Beklagten angenommenen Zustandekommen des Quorums für das Wiederaufleben der Berechtigten (§ 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG) fehlen, kann der Senat nicht beurteilen, ob die Klage begründet ist. Das zwingt gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Verwaltungsgericht (2).
1. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht der Klägerin die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO abgesprochen. Die Klägerin kann nämlich als Verfügungsberechtigte durch die gesondert ausgesprochene Berechtigtenfeststellung in ihren Rechten verletzt sein (§ 42 Abs. 2 VwGO). Nach ständiger Rechtsprechung ist § 42 Abs. 2 VwGO dahin auszulegen, dass die Klägerseite geltend machen muss, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in eigenen Rechten verletzt zu sein und dass nach ihrem Vorbringen die Verletzung dieser Rechte möglich sein muss. Diese mögliche Verletzung eigener Rechte ist nur dann auszuschließen, wenn die von Klägerseite behaupteten Rechte offensichtlich nicht bestehen oder ihr nicht zustehen können (Urteile vom 26. Juli 1989 – BVerwG 4 C 35.88 – BVerwGE 82, 246 ≪249≫ und vom 30. März 1995 – BVerwG 3 C 8.94 – BVerwGE 98, 118 ≪120≫). Eine derartige Verletzung eigener Rechte der Klägerin erscheint ohne weiteres möglich. Die Berechtigtenfeststellung begründet nämlich als selbständiges Teilelement einen rechtlichen Nachteil für den Verfügungsberechtigten im Vorfeld der abschließenden Entscheidung über den vermögensrechtlichen Rückübertragungsanspruch. Daraus folgt, dass der Verfügungsberechtigte zur Vermeidung von Rechtsnachteilen grundsätzlich befugt ist, eine Teilentscheidung über die Berechtigung anzufechten. In der vermögensrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist anerkannt, dass der am Restitutionsverfahren beteiligte Verfügungsberechtigte einen bestandskräftigen Teilbescheid über die Berechtigung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 VermG) im Rahmen eines späteren Rechtsstreits über die Rückübertragung regelmäßig nicht mehr zur gerichtlichen Überprüfung stellen kann. Die mit einem derartigen Bescheid getroffene Feststellung, dass der beanspruchte Vermögenswert von einer Schädigungsmaßnahme im Sinne des § 1 VermG betroffen ist, entfaltet mithin auch ihm gegenüber Rechtswirkungen, die er nur durch Anfechtung beseitigen kann (Urteil vom 13. April 2000 – BVerwG 7 C 84.99 – BVerwGE 111, 129 ≪131 f.≫, = Buchholz 428 § 37 VermG Nr. 26, Urteile vom 24. August 2000 – BVerwG 7 C 5.00 – (bisher unveröffentlicht) und BVerwG 7 C 6.00 – VIZ 2000, 715). Diese Folge entspricht dem Zweck der abgeschichteten Teilentscheidung, den geregelten Teil des Streitgegenstandes für die weiteren Verfahrensabschnitte außer Streit zu stellen. Der Verfügungsberechtigte kann daher bei Bestandskraft des Feststellungsbescheids den Verlust des Vermögenswertes nur noch mit Gründen abwehren, die eine Rückübertragung an den Berechtigten ausschließen. Diese Folge ergibt sich nach der obigen Rechtsprechung daraus, dass die Berechtigtenfeststellung im Rahmen eines dreipoligen Rechtsverhältnisses in Bezug auf ein selbständig regelbares Element des Rückübertragungsanspruchs ergeht. Dementsprechend betrifft das festgestellte Rechtsverhältnis auch den Verfügungsberechtigten, der deshalb im Verwaltungsverfahren notwendigerweise zu beteiligen ist (§ 31 Abs. 2 Satz 1 VermG). Mit der ordnungsgemäßen Bekanntgabe des Bescheids wird die behördliche Berechtigtenfeststellung sowohl dem Anmelder als auch dem Verfügungsberechtigten gegenüber wirksam (§ 31 Abs. 7 VermG, § 43 VwVfG). Aus alldem folgt, dass der Verfügungsberechtigte grundsätzlich befugt ist, eine Teilentscheidung über die Berechtigtenfeststellung anzufechten.
Anders verhält es sich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur, wenn dem Verfügungsberechtigten für die Anfechtung der Berechtigtenfeststellung ausnahmsweise das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Davon ist auszugehen, wenn mit der Feststellung der Berechtigung zugleich der Rückübertragungsanspruch abgelehnt worden ist und darum nachteilige Wirkungen für den Verfügungsberechtigten nicht erkennbar sind, weil die in der Berechtigtenfeststellung enthaltene Beschwer durch den gleichzeitigen Ausspruch des Restitutionsausschlusses der Sache nach überholt wird (Urteil vom 13. April 2000 – BVerwG 7 C 84.99 – a.a.O.; Urteil vom 24. August 2000 – BVerwG 7 C 6.00 – a.a.O.). In derartigen Sonderlagen hat der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts, dessen Rechtsprechung sich der erkennende Senat anschließt, eine Anfechtungslast des Verfügungsberechtigten verneint und ihm für den Fall, dass der Berechtigte sein Begehren auf Rückübertragung weiterverfolgt, die einem Anschlussrechtsmittel vergleichbare Befugnis zuerkannt, die Feststellung der Berechtigung im Rahmen der auf Rückübertragung des Vermögenswerts gerichteten Klage erstmals anzufechten. Die Voraussetzungen für eine derartige, das Rechtsschutzbedürfnis ausschließende Sonderlage sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Denn die beklagte Behörde hat, wie sich aus dem zweiten Ausspruch des Bescheids ergibt, mit der angefochtenen Teilentscheidung nur die Rückgabe des der Berechtigten entzogenen Unternehmens selbst ausgeschlossen und das Verfahren im Übrigen zwecks einer gütlichen Einigung ausgesetzt. Mit Erlass des Teilbescheids war daher die Klägerin zur Vermeidung von Rechtsnachteilen gezwungen, gegen diesen Bescheid Klage zu erheben. Denn sie ist Eigentümerin mehrerer ihr durch Vermögenszuordnungsbescheide zugeordneter Grundstücke, die im Zeitpunkt der Schädigung zum Unternehmen der Berechtigten gehörten, was sich aus dem Gesamtinhalt der Verwaltungsvorgänge ergibt.
2. Mangels ausreichender Tatsachenfeststellung durch die Vorinstanz ist es dem Senat verwehrt, in der Sache selbst und damit über die Begründetheit der Klage zu entscheiden. Das Verwaltungsgericht hat – folgerichtig von seinem Rechtsstandpunkt ausgehend – keine Feststellungen darüber getroffen, ob das zum Wiederaufleben der Berechtigten erforderliche Quorum des § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG zustande gekommen ist. Auch der Akteninhalt lässt keine Schlüsse auf das Bestehen eines insoweit offenkundigen Sachverhalts zu. Das Verwaltungsgericht wird insbesondere zu prüfen haben, ob die im angefochtenen Bescheid erörterten vier Anmeldungen seitens Wolfgang M. und nach Helga K., nach Paul S. sowie nach Lucie J. ausreichen, um das Quorum zu bilden. Nur die Anmeldung seitens Wolfgang M. ist im Tatbestand des verwaltungsgerichtlichen Urteils in einer den Senat mangels Vorliegens entsprechender Verfahrensrügen bindenden Weise (§ 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt worden. Sie repräsentiert jedoch nur 23,7 % der in Betracht kommenden Gesellschaftsanteile.
Die Zurückverweisung ist auch nicht deshalb entbehrlich, weil etwa überhaupt kein Schädigungstatbestand im Sinne des § 1 VermG vorliegt. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts ist vielmehr ohne weiteres vom Eingreifen des Schädigungtatbestands des § 1 Abs. 1 Buchst. d VermG auszugehen. Denn die Firma „Kalkwerke” ist erkennbar auf der Grundlage des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrats der DDR vom 9. Februar 1972 enteignet worden.
Umgekehrt ergibt sich die Begründetheit der Klage auch nicht daraus, dass der Beklagte in ermessensfehlerhafter Weise von der Befugnis zur Teilentscheidung Gebrauch gemacht hätte. Der Beklagte war vielmehr befugt, über den geltend gemachten Rückübertragungsanspruch eine Teilentscheidung zu erlassen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann im vermögensrechtlichen Verfahren die Berechtigung des Anmelders durch Teilentscheidung festgestellt werden (Urteil vom 13. April 2000 – BVerwG 7 C 84.99 – a.a.O.). Frei von Ermessensfehlern hat der Beklagte diese Möglichkeit ergriffen. Aus den Gründen des angefochtenen Bescheids ergibt sich, dass der Beklagte von der Möglichkeit einer gütlichen Einigung ausging. Dass diese Möglichkeit zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses in diesem komplexen Fall nicht bestand, haben die Beteiligten nicht dargelegt. Eine Teilentscheidung lag vielmehr auch deshalb nahe, weil die nur in Betracht kommende „Trümmerrestitution” weitere Aufklärung darüber erforderte, ob die streitbefangenen Grundstücke zum Betriebe notwendig waren.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Sailer, Krauß, Golze
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 25.04.2001 durch Sieber Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen