Entscheidungsstichwort (Thema)
Thermische Abfallbehandlung. Rauchgasreinigungsanlage. immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung. Erhöhung des Durchsatzes. Nebenbestimmung. Emissionsgrenzwert. Verschärfung. Tagesmittelwert. Halbstundenmittelwert. immissionsschutzrechtliches Vorsorgegebot. Konkretisierung. Stand der Technik. Dynamisierung. atypische Sachverhaltslage. ordnungsgemäßer Anlagenbetrieb. Genehmigungskonformität. Zielwert. Kontrollwert. Fehlfunktion. Einsatzstoff. Inhomogenität
Leitsatz (amtlich)
Die Emissionsgrenzwerte der 17. BImSchV stehen nicht der Festlegung niedrigerer Kontrollwerte entgegen, die den genehmigungskonformen Betrieb der Abfallbehandlungsanlage nachprüfbar machen.
Normenkette
BImSchG § 5 Abs. 1 Nr. 2, § 6 Abs. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 2, § 12 Abs. 1, § 16 Abs. 1, §§ 48, 51; VwGO § 137 Abs. 2; 17. BImSchV § 5 Abs. 1 Nrn. 1-2, § 11 Abs. 1 Nr. 1, § 16 Abs. 1 S. 3, § 20 Abs. 1; TA Luft Nr. 1.3, Nr. 5.1
Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Saarlandes vom 10. November 2006 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I
Die Klägerin, die seit Beginn der 1970er Jahre in Neunkirchen/Saarland eine thermische Abfallbehandlungsanlage für Hausmüll und hausmüllähnliche Gewerbeabfälle (Abfallheizkraftwerk – AHKW) mit einer genehmigten Durchsatzleistung von 120 000 t/a betreibt, wendet sich gegen eine Nebenbestimmung in dem immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigungsbescheid des Beklagten vom 15. Februar 2005, durch die erheblich unterhalb der Grenzwerte der 17. BImSchV liegende Halbstundenmittelwerte für Gesamtstaub, Schwefeldioxid und Stickstoffdioxid festgesetzt wurden.
Bereits im Zuge der Modernisierung der Rauchgasreinigungsanlage im Jahre 1993 hatte der Beklagte mit immissionsschutzrechtlichem Änderungsgenehmigungsbescheid vom 11. Februar 1994 – antragsgemäß – die Emissionsgrenzwerte der Tagesmittelwerte für Gesamtstaub, Schwefeldioxid und Stickstoffdioxid gegenüber den Vorgaben des § 5 Abs. 1 Nr. 1 der 17. BImSchV um ca. die Hälfte herabgesetzt. Mit der Erneuerung der Kessellinien I und II durch die Kessellinien III und IV in den Jahren 1997/1999 wurden die Verbrennungsbedingungen weiter verbessert.
Nach Durchführung eines Scooping-Verfahrens beantragte die Klägerin am 12. Juni 2003 die Erhöhung der Durchsatzleistung des AHKW Neunkirchen von 120 000 t/a auf 150 000 t/a. Infolge der Modernisierungsmaßnahmen stehe die Anlage für eine höhere Verbrennungsleistung zur Verfügung. Die bestehende, dreistufige Rauchgasreinigungsanlage ermögliche die Einhaltung der Emissionsgrenzwerte der 17. BImSchV bei kontinuierlicher Überwachung/Messung der maßgeblichen Schadstoffkomponenten. Weitere Parameter der 17. BImSchV würden diskontinuierlich überwacht. Die Immissionsprognose der Firma pro Terra vom 10. Juni 2003 erachte die Beiträge der Anlage zu den in Nr. 4.2 der TA Luft 1998 vorgegebenen Immissionswerten für Schwebestaub, Schwefeldioxid und Stickstoffdioxid auch bei Anhebung der Durchsatzleistung als irrelevant.
Mit Bescheid vom 15. Februar 2005 genehmigte der Beklagte die Erhöhung der jährlichen Abfall-Durchsatzmenge auf 150 000 t/a bei gleichzeitiger Erhöhung der stündlichen Abfall-Durchsatzmenge auf 21,2 t/h und der Feuerungswärmeleistung auf 55,6 MW. Ziffer 1.2.2 des Bescheides enthält Nebenbestimmungen, wonach im Abgas (nach dem Gewebefilter) kein Halbstundenmittelwert für die folgenden Massenkonzentrationen überschritten werden darf:
a) Gesamtstaub |
20 mg/m(3) |
… |
e) Schwefeldioxid |
150 mg/m(3) |
f) Stickstoffdioxid |
350 mg/m(3) |
… |
Ziffer 1.2.2 Buchst. d und g des Bescheides gaben ferner eine deutliche Unterschreitung der Emissionsgrenzwerte der 17. BImSchV für die Halbstundenmittelwerte von Fluorwasserstoff und Quecksilber auf.
Der Beklagte geht davon aus, dass die Verschärfung der Emissionsgrenzwerte zulässig sei. Die Anlage habe bisher schon die ebenfalls verschärften Emissionsgrenzwerte für den Tagesmittelwert dauerhaft sicher eingehalten und sei hierzu auch nach der verfahrensgegenständlichen Erweiterung der Anlage bezüglich der Halbstundenmittelwerte im Stande. An der konkret genehmigten Anlage der Klägerin habe sich der Stand der Technik im Sinne des Immissionsschutzrechts weiter verbessert, wobei diesbezüglich die Vorgaben der 17. BImSchV keine abschließende Konkretisierung enthielten. Die nunmehr festgelegten Grenzwerte würden bei Betrieb der Anlage nur im Promillebereich ausgeschöpft. Die Herabsetzung der Halbstundenmittelwerte für Gesamtstaub, Schwefeldioxid und Stickstoffdioxid sei notwendig im Hinblick auf die Betreiberpflichten nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG. Diese Verschärfungen seien auf die im AHKW Neunkirchen realisierte Abgasreinigungstechnik zurückzuführen. Bei der Absenkung der Halbstundenmittelwerte handele es sich zudem nicht um eine Verschärfung im eigentlichen Sinne, sondern lediglich um eine Anpassung der Halbstundenmittelwerte an die bereits 1994 genehmigten Tagesmittelwerte.
Die Klägerin hat hiergegen Klage zum Oberverwaltungsgericht erhoben mit dem Antrag, die Nebenbestimmungen in Ziffer 1.2.2 Buchst. a (Gesamtstaub), Buchst. e (Schwefeldioxid) und Buchst. f (Stickstoffdioxid) des immissionsschutzrechtlichen Änderungsgenehmigungsbescheides des Beklagten aufzuheben. Die Emissionsgrenzwerte der 17. BImSchV gäben den derzeitigen, aktuellen Stand der Technik für Müllverbrennungsanlagen wieder. Eine Fortentwicklung dieses Standes der Technik durch gesicherte Erkenntnisfortschritte sei nicht in der Weise eingetreten, dass sich der Verordnungsgeber im Rahmen der erst im Jahre 2003 erfolgten Novellierung der 17. BImSchV zu entsprechenden Verschärfungen veranlasst gesehen hätte. Eine atypische Situation, die eine Verschärfung rechtfertigen würde, liege nicht vor. Die streitgegenständlichen Auflagen seien somit nicht erforderlich, um die Genehmigungsvoraussetzungen entsprechend § 6 BImSchG im Hinblick auf die Halbstundenmittelwerte für Gesamtstaub, Schwefeldioxid und Stickstoffdioxid sicherzustellen.
Mit Urteil vom 10. November 2006 hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Der als Anfechtungsantrag gestellte Hauptantrag sei unzulässig. Immissionsschutzrechtliche Auflagen seien einer selbstständigen Anfechtung nicht zugänglich. Das begehrte “Mehr” an Genehmigung sei – in Übereinstimmung mit dem hilfsweise gestellten Antrag – nur durch eine Verpflichtungsklage erreichbar. Diese erweise sich als unbegründet. Die Emissionsgrenzwerte der 17. BImSchV seien keine Mindeststandards, die von der Behörde nach ihrem Gutdünken verschärft werden könnten. Diese Emissionsgrenzwerte entsprächen auch dem Stand der Technik, wobei hierunter nicht der (schmale) Stand des fortschrittlichsten Verfahrens und damit der besten Technologie zu verstehen sei. Entscheidend für die Rechtsanwendung sei nämlich, dass der Stand der Technik sich zusätzlich auch an wirtschaftlichen Kriterien ausrichte. Dies ergebe sich aus dem Anhang zu § 3 Abs. 6 BImSchG. Nach europarechtlichen Vorgaben müssten die besten Techniken verfügbar sein, wobei dies wiederum unter Berücksichtigung des Kosten/Nutzen-Verhältnisses insbesondere wirtschaftlich vertretbare Verhältnisse einschließe. Die anspruchsvolle Technik in der Anlage der Klägerin könne somit nicht als Indiz für eine Überholung der Emissionsgrenzwerte der 17. BImSchV verstanden werden. Der Beklagte könne die Verschärfung der Emissionsgrenzwerte auch nicht auf § 20 Abs. 1 der 17. BImSchV stützen. Diese Bestimmung betreffe nur das Vorliegen eines atypischen, von der 17. BImSchV nicht erfassten Sachverhalts; dies wäre etwa der Fall bei einer lokal erhöhten Vorbelastung. Hieran fehle es. Gemäß dem “Zementwerkurteil” des Bundesverwaltungsgerichts dienten Emissionsgrenzwerte aber auch als bloße Kontrollwerte. Werde eine Anlagentechnik auf dem fortschrittlichsten Stand zum Einsatz gebracht, dürften die behördlich festgesetzten Grenzwerte diesem fortschrittlichsten Stand alsbald mit Kontrollwerten folgen. Einen vorgegebene Werte überschreitenden und damit nicht ordnungsgemäßen Anlagenbetrieb müsse die Behörde nicht dulden. Die Klägerin könne sich nicht auf die größere Inhomogenität des zu verbrennenden Abfalls berufen; diesem Umstand werde durch größere Schwankungsaufschläge (als etwa gegenüber der 13. BImSchV) entsprochen. Hierauf bezogen seien die Halbstundenmittelwerte in ausreichendem Maße festgesetzt worden.
Gegen dieses Urteil hat die Klägerin die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision eingelegt.
Die Klägerin hält die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts zur Verschärfung der Emissionsgrenzwerte der 17. BImSchV für bundesrechtswidrig. Die streitgegenständlichen Nebenbestimmungen könnten sich auf keine nach § 12 BImSchG erforderliche Rechtsgrundlage stützen; der 17. BImSchV lasse sich eine solche für die Verschärfung von Emissionsgrenzwerten nicht entnehmen. Die 17. BImSchV konkretisiere den derzeitigen, immissionsschutzrechtlich relevanten Stand der Technik in Bezug auf die durch § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG gebotene Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen; diese Grenzwerte seien unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt als überholt anzusehen. Bei den die Pflichten des Anlagenbetreibers zur Emissionsminderung konkretisierenden Grenzwerten handele es sich unabhängig von den tatsächlich gegebenen Emissionsminderungspotenzialen der zu beurteilenden Anlage um keine der Dispositionsbefugnis der Behörde unterliegenden Werte. Die Emissionsgrenzwerte der 17. BImSchV seien auch nicht durch Europarecht überholt; diejenigen der Abfallverbrennungsrichtlinie seien identisch mit denen der 17. BImSchV. Der Verordnungsgeber habe auch im Jahre 2003 trotz Kenntnis der erreichbaren und erreichten Emissionswerte von Verbrennungsanlagen keine Verschärfung der Emissionsgrenzwerte vorgenommen oder eine Kontrollwert-Ebene als Ausdruck eines verfolgten Risikosteuerungsziels eingeführt. Vielmehr seien die bisherigen Grenzwerte bewusst bestätigt worden. Das Ergebnis der “Zementwerkentscheidung” des Bundesverwaltungsgerichts sei auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Das Emissionsverhalten einer Abfallverbrennungsanlage bemesse sich nicht nach der TA Luft, sondern nach den deutlich verschärften Vorgaben der 17. BImSchV. Anders als die 17. BImSchV eröffne die TA Luft der Behörde einen Ermessensspielraum. Eine Abfallverbrennungsanlage sei im Gegensatz zu einem Zementwerk wegen der unterschiedlichen Einsatzstoffe weniger beherrschbar. Zudem würden die von einem Zementwerk einzuhaltenden Emissionsgrenzwerte im Rahmen vorangekündigter Einzelmessungen überprüft, währenddessen die Anlage der Klägerin im Rahmen kontinuierlicher, permanent aufgezeichneter und insoweit nicht optimierbarer Messungen der Emissionsgrenzwerte überwacht werde. Das Motiv des Beklagten für die Reduzierung der Emissionsgrenzwerte liege in der Einführung so genannter Kontrollwerte, die einen ordnungsgemäßen Betrieb der Anlage gewährleisten sollten. Die Überschreitung der zu diesem Zweck reduzierten Emissionsgrenzwerte führe jedoch nicht zur Anlagenkontrolle im Sinne einer Alarmschwelle, sondern habe unmittelbar immissionsschutzrechtliche und strafrechtliche Sanktionen zur Folge. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Änderungsgenehmigung ohne die Verschärfung von Emissionsgrenzwerten.
Der Beklagte tritt der Revision entgegen. Die Verschärfung der drei streitgegenständlichen Emissionsgrenzwerte sei mit keiner strengeren Zielvorgabe für die bestmögliche Technologie verbunden, es gehe lediglich um die Anpassung des Wertes an die bereits bestehende Technik. Damit solle sichergestellt werden, dass die dem Stand der Technik entsprechende Anlage auch ordnungsgemäß betrieben werde. Mit dem letztgenannten Gesichtspunkt gehe es um einen bloßen Kontrollwert. Auch eine Anlage mit deutlich besseren Emissionswerten, als sie durch die 17. BImSchV gefordert würden, müsse ordnungsgemäß betrieben werden. Der von der Klägerin reklamierte “Sicherheitspuffer” sei vom Bundesverwaltungsgericht in der “Zementwerkentscheidung” ausdrücklich verworfen worden. Eine mögliche Inhomogenität der Inputstoffe ändere daran nichts. Diesbezügliche Überlegungen wären gegebenenfalls aufzugreifen, wenn es etwa um Schwermetalle ginge. Bei diesen könnte es durch Fehlwürfe im Hausmüll zu einem so genannten “Peak” im Schwermetallausstoß kommen. Nicht vorstellbar sei dies bei den in Rede stehenden Parametern. Im Normalbetrieb der Anlage würden Schwefeldioxid nur zu 13,3 % und Stickstoffdioxid nur zu 17,1 % der nunmehr reduziert festgesetzten Halbstundenmittelwerte emittiert. Die Klägerin könne kein Szenario darstellen, in dem es in Zukunft einmal zu einer Erhöhung von Schwefel oder Stickstoff im Hausmüll kommen werde. Erhöhter Ausstoß von Schwefeldioxid und Stickstoffdioxid könne daher nur als Fehlverhalten der Anlage verstanden werden.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist unbegründet. Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die 17. BImSchV mit den Grenzwerten in § 5 Abs. 1 Nr. 2 nicht lediglich Mindestanforderungen bezeichnet (1.) und die streitgegenständlichen Nebenbestimmungen auch nicht auf § 20 Abs. 1 der 17. BImSchV gestützt werden können (2.). Seine Einstufung der durch den Beklagten verschärften Grenzwerte als aus der Vorsorgepflicht gebotene Kontrollwerte verletzt nicht Bundesrecht (3.).
1. Entgegen der Revision können die vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 21. Juni 2001 – BVerwG 7 C 21.00 – (BVerwGE 114, 342) entwickelten Grundsätze zur Verbindlichkeit der in der TA Luft enthaltenen Emissionsgrenzwerte auch auf die normativen Grenzwertbestimmungen in § 5 Abs. 1 Nr. 2 der 17. BImSchV übertragen werden. Die hier durch Rechtssatz niedergelegten Grenzwerte für Gesamtstaub (Buchst. a), Schwefeldioxid (Buchst. e) und Stickstoffdioxid (Buchst. f) stellen in Bezug auf Halbstundenmittelwerte echte Grenzwerte und nicht lediglich “Mindeststandards” oder “Mindestanforderungen” dar, über die im Einzelfall zu befinden und die gegebenenfalls zu verschärfen der Dispositionsbefugnis der Genehmigungsbehörde unterliegt. Ein derartiges Verständnis würde weder dem Inhalt der Ermächtigungsnorm des § 7 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG gerecht, noch entspräche dies den in hohem Maße wissenschaftlich-technischen Sachverstand verkörpernden und gleichzeitig auf abstrakt generellen Abwägungen beruhenden Wertungen des Normgebers (stRspr – vgl. zur TA Luft Urteil vom 20. Dezember 1999 – BVerwG 7 C 15.98 – BVerwGE 110, 216 ≪219≫), die in einer Konkretisierung unbestimmter Rechtssätze des Bundes-Immissionsschutzgesetzes aufgehen und die so gewonnenen generellen Standards normativ auch für das gerichtliche Verfahren verbindlich machen.
Nach Anhörung der beteiligten Kreise (§ 51 BImSchG) kann gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG durch Rechtsverordnung bestimmt werden, dass die Errichtung und der Betrieb einer genehmigungsbedürftigen Anlage zur Erfüllung der aus § 5 BImSchG sich ergebenden Pflichten bestimmten Anforderungen genügen müssen und die von der Anlage ausgehenden Emissionen bestimmte Grenzwerte nicht überschreiten dürfen. Mit dieser unmittelbar an die Genehmigungsvoraussetzungen des § 6 BImSchG sich anschließenden und in § 6 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG in Bezug genommenen Verordnungsermächtigung bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zu erteilen ist, wenn eine geplante thermische Abfallbehandlungsanlage in ihrem Betrieb die Grenzwerte der 17. BImSchV einhält. Mit der als gebundene Entscheidung ergehenden immissionsschutzrechtlichen Genehmigung (Jarass, BImSchG, 6. Auflage, § 6 Rn. 26 m.w.N.) nicht vereinbar wäre es, wollte man der Behörde über die festgesetzten Grenzwerte hinaus einen Entscheidungsspielraum zuerkennen. Auch ein gleichmäßiger und berechenbarer Gesetzesvollzug verbindet sich mit dieser normativen Festlegung der Grenzwerte. Die Rechtssicherheit vermittelnde Funktion der 17. BImSchV würde weitgehend entwertet, wollte man der Behörde generell die Möglichkeit einer Verschärfung der Grenzwerte einräumen.
Eine Verschärfung der Emissionsgrenzwerte aufgrund einer im Bereich der Vorsorge vorgeschalteten planerischen Entscheidung scheidet aus. Die 17. BImSchV konkretisiert mit ihren baulichen und betrieblichen Anforderungen an die Anlage sowie mit der Festlegung der Emissionsgrenzwerte insoweit die Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG abschließend. Im Kontext des § 7 Abs. 1 BImSchG ist der Begriff Emissionswert jedenfalls so zu verstehen, dass diese Werte unmittelbar geltende Grenze der zulässigen Emissionen und damit unmittelbar geltendes Recht sein sollen (Roßnagel, in: GK-BImSchG, § 7 Rn. 104). Zwar stünde es dem Verordnungsgeber offen, für bestimmte Stoffe einen genau bestimmten Emissionsgrenzwert verbindlich festzusetzen und im Übrigen anzuordnen, dass die Möglichkeiten auszuschöpfen sind, die Emissionen durch dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen weiter zu reduzieren (vgl. § 5 Nr. 1 Satz 2, § 19 Abs. 1 Satz 1 der 13. BImSchV – i.d.F. vom 22. Juni 1983, BGBl I S. 719 – oder außerhalb normativer Festsetzungen Nr. 5.4.1.4, 5.4.1.11, 5.4.2.3 TA Luft 2002). Derartige Dynamisierungsklauseln im Sinne eines Verminderungsgebots (Beschluss vom 30. August 1996 – BVerwG 7 VR 2.96 – Buchholz 406.25 § 5 BImSchG Nr. 22) enthält die 17. BImSchV jedoch nicht. Dass diese Verordnung in § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 nicht lediglich dispositive Anforderungen festlegt, folgt im Umkehrschluss auch aus Nr. 1 Abs. 3 TA Luft 2002, wonach deren das Vorsorgegebot konkretisierende Vorgaben zur Emissionsbegrenzung (Urteil vom 21. Juni 2001 a.a.O.) nicht für genehmigungsbedürftige Anlagen gelten, soweit in Rechtsverordnungen Anforderungen zur Vorsorge und zur Ermittlung von Emissionen an luftverunreinigenden Stoffen getroffen werden, wie sie in der 17. BImSchV niedergelegt sind. Werden aber bereits durch normkonkretisierende Festlegungen der TA Luft bindende Vorgaben für den Umfang der Vorsorgepflichten, aber auch im Hinblick auf ein einheitliches Vorsorgekonzept (Beschluss vom 10. Juni 1998 – BVerwG 7 B 25.98 – Buchholz 406.25 § 5 BImSchG Nr. 24; vgl. auch Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, BImSchG, Dezember 2006, § 7 Rn. 25) getroffen, so kann für die die Standards der TA Luft verschärfenden Regelungen der 17. BImSchV nichts anderes gelten.
2. Zu Recht geht das Oberverwaltungsgericht davon aus, dass die streitgegenständliche Festsetzung der Emissionsgrenzwerte auch keine Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 1 der 17. BImSchV findet. Diese Bestimmung enthält – wie bereits aus der Bezugnahme auf § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG sich ergibt – keine eigenständige Handlungsermächtigung, sondern stellt lediglich klar, dass die auf Rechtsgrundlagen außerhalb der 17. BImSchV beruhenden Befugnisse der Behörden durch diese Verordnung nicht verdrängt werden. Zudem kommt aufgrund des erklärten Regelungsanspruchs der 17. BImSchV eine Anordnung, die die Einhaltung niedrigerer Emissionsgrenzwerte verbindlich vorschreiben will, nur im Einzelfall bei atypischen Sachverhaltslagen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in Betracht (Beschluss vom 30. August 1996 a.a.O.; Beschluss vom 10. Juni 1998 a.a.O.). Dass ein derartiger Sachverhalt in Bezug auf die streitgegenständlichen Parameter dem vorliegenden Rechtsstreit nicht zugrunde liegt, hat das Oberverwaltungsgericht für das Revisionsgericht bindend festgestellt (§ 137 Abs. 2 VwGO).
3. Zu Recht betrachtet das Oberverwaltungsgericht die vom Beklagten festgesetzten Grenzwerte für Gesamtstaub, Schwefeldioxid und Kohlendioxid jedoch als Kontrollwerte mit hinreichendem Bezug zum Emissionsverhalten der nunmehr mit einer höheren Durchsatzleistung genehmigten Anlage. Der Beklagte hat zuletzt im Revisionsverfahren deutlich gemacht, dass die verschärften Festsetzungen nicht als generelle Zielwerte zu verstehen sind, sondern konkret der jeweiligen Prüfung dienen, ob die Anlage auch “dem Stand der Technik entsprechend ordnungsgemäß funktioniert”. Soweit der Beklagte im Verwaltungsverfahren ausschließlich von einer Grenzwertfestsetzung ausgegangen ist, ist dies als falsa demonstratio jederzeit korrigierbar (Urteil vom 20. Juni 2002 – BVerwG 3 C 1.02 – Buchholz 427.3 § 349 LAG Nr. 9).
Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass im Zusammenhang mit der Neuerrichtung der Rauchgasreinigungsanlage im Jahre 1993/94 die Gesamtanlage auf einen neuen technischen Stand gebracht worden ist und diese nunmehr über ein technisches Leistungsvermögen verfügt, welches im Normalbetrieb emissionsseitig ein Unterschreiten der Grenzwerte der 17. BImSchV um das 10-fache und mehr ermöglicht. Mit diesem Standard ist die Änderung der Anlage im Jahre 1994 genehmigt worden mit der Folge, dass die Rauchgasreinigungsanlage als Bestandteil der Gesamtanlage mit den genehmigten Vorgaben zu betreiben ist und allein auf dieser Grundlage ein ordnungsgemäßer Betrieb erfolgen kann. Dabei gehören zur gebotenen emissionsbezogenen Vorsorge gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG nicht nur technische, das Emissionsverhalten der Anlage bestimmende Maßnahmen, sondern auch nicht technische Regelungen und Vorgaben (Roßnagel, a.a.O. § 5 Rn. 607 ff.), die der Behörde gegebenenfalls technische Fehlfunktionen der Anlage anzeigen. Hierzu zählt auch die Festsetzung von Kontrollwerten. Deren Überschreitung kann ein Indiz dafür sein, dass die Anlage nicht mehr genehmigungskonform betrieben wird. Die Festlegung derartiger Kontrollwerte, durch den Beklagten stellt folglich das ordnungsgemäße “Funktionieren” der Anlage im Sinne der gebotenen Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen sicher, ohne die eventuell deutlich höher liegenden Emissionsgrenzwerte i.S.v. § 5 Abs. 1 Nr. 2 der 17. BImSchV in Frage zu stellen. Dass eine derartige Kontrollfunktion nicht mit in § 5 Abs. 1 Nr. 2 der 17. BImSchV vorgegebenen Grenzwerten sichergestellt werden kann, die 10-fach und mehr über dem genehmigten Emissionsverhalten der Anlage liegen, versteht sich von selbst.
Die Festsetzung von Kontrollwerten für die streitgegenständlichen Parameter legt auch der Umstand nahe, dass diese als die “klassischen”, mengenmäßig bedeutsamen Luftschadstoffe kontinuierlichen Messungen unterliegen, (§ 11 Abs. 1 Nr. 1 der 17. BImSchV). Werden die so gewonnenen Messergebnisse der zuständigen Behörde per Telefax zur Kenntnis gebracht oder ist eine telemetrische Übermittlung angeordnet, setzt dies die Behörde in die Lage, durch Vergleich mit den Kontrollwerten ihr Handeln zu bestimmen und damit bestmöglich ihrer Pflicht nach § 16 Abs. 1 Satz 3 der 17. BImSchV nachzukommen.
Entgegen der Ansicht der Revision konnte der Beklagte die Änderungsgenehmigung gemäß § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG zum Anlass nehmen, diese mit den streitgegenständlichen Nebenbestimmungen zu verbinden, um so die Genehmigungsvoraussetzungen sicherzustellen (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG). Für den Erlass von Nebenbestimmungen findet sich in § 12 Abs. 1 Satz 1 BImSchG eine ausreichende Rechtsgrundlage, wobei nicht zu erkennen ist, dass der Beklagte insoweit gegen ein ihm zur Seite stehendes Ermessen – sollte ein derartiges überhaupt gegeben sein (verneinend Storost, in: Ule/Laubinger, BImSchG, § 12 D 10 m.w.N.) – verstoßen hat. Dem weiteren Einwand der Revision, dass das Abfallheizkraftwerk der Klägerin im Gegensatz zu anderen, der TA Luft unterfallenden Anlagen wegen der Inhomogenität der Einsatzstoffe weniger beherrschbar sei, ist das Oberverwaltungsgericht zu Recht mit dem Hinweis auf die größeren Schwankungsbreiten der 17. BImSchV entgegengetreten. Eine Überschreitung der Kontrollwerte wird ausschließlich behördliche Anordnungen, nicht aber strafrechtliche Sanktionen zur Folge haben. Da die Festsetzung von Kontrollwerten bereits in der Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ihre Rechtsgrundlage findet, kommt es auf die weitere Frage nicht mehr an, ob die Absenkung der Halbstundenmittelwerte auch als bloße Anpassung an die bereits 1994 in verringertem Umfang bestandskräftig festgesetzten Tagesmittelwerte für Gesamtstaub, Schwefeldioxid und Kohlendioxid gerechtfertigt war.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Sailer, Herbert, Krauß, Neumann, Guttenberger
Fundstellen
Haufe-Index 1772108 |
DÖV 2007, 881 |
VR 2007, 357 |
ZUR 2007, 536 |
AbfallR 2007, 189 |
BayVBl. 2007, 665 |
DVBl. 2007, 979 |
UPR 2007, 391 |
FuBW 2008, 304 |