Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitnahme von Wertgegenständen durch einen Stasi-Bediensteten bei einer strafprozessualen Wohnungsdurchsuchung. faktische Enteignung. Verlust beweglicher Sachen. staatlicher Charakter einer schädigenden Maßnahme. Beweisnot und zeitnahe schriftliche Belege aus dem Umkreis des Geschädigten
Leitsatz (amtlich)
Eine schädigende Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG liegt vor, wenn der Leiter eines Stasi-Durchsuchungstrupps anlässlich einer strafprozessualen Wohnungsdurchsuchung Wertgegenstände zum Zwecke der Devisenbeschaffung in Besitz genommen oder sich selbst eigennützig zugeeignet hat, da die Handlung im engen inneren und äußeren Zusammenhang mit dem staatlichen Durchsuchungsakt steht.
Ein zeitnaher schriftlicher Beleg i.S.v. § 5 a Abs. 5 EntschG für den Verlust beweglicher Sachen kann auch in Schriftstücken des Geschädigten oder aus seinem Umkreis liegen, sofern sie im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Schädigung erstellt wurden.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 3, § 2 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 1 S. 1; EntschG § 5a Abs. 5
Verfahrensgang
VG Weimar (Entscheidung vom 19.04.2000; Aktenzeichen 1 K 713/97) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 19. April 2000 wird insoweit aufgehoben, als es den Anspruch des Klägers auf Feststellung seiner Entschädigungsberechtigung hinsichtlich des Verlustes eines Siegelringes, von zwei Goldmünzen (Krüger-Rand) und eines Bargeldbetrages in Höhe von 4 650 DM betrifft. Insoweit wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Der Kläger begehrt die Rückübertragung von verschiedenen Gegenständen, die 1984 die Organe der Staatssicherheit anlässlich einer Durchsuchung in seiner Wohnung an sich gebracht haben.
Der 1965 geborene Kläger eröffnete mit dem Bayerischen Ministerpräsidenten Franz-Josef Strauß bzw. mit einem Mitarbeiter aus der Bayerischen Staatskanzlei einen Briefwechsel, der sich u.a. auch auf die Lebensbedingungen in der damaligen DDR bezog. Nach der Festnahme des Klägers wegen des Verdachts der ungesetzlichen Verbindungsaufnahme (§ 219 Abs. 2 Ziff. 1, § 16 Abs. 1 StGB der DDR) am 30. März 1984 wurde am folgenden Tage die vom Kläger und seiner Mutter … genutzte Wohnung von Bediensteten der Staatssicherheit durchsucht. Ausweislich des Durchsuchungsprotokolls wurden insgesamt 77 Positionen von Gegenständen beschlagnahmt. Jede Seite des Protokolls trägt u.a. die Unterschrift der Mutter des Klägers, wobei sich auf der letzten Seite der Zusatz befindet: „Durch Unterschrift bestätigt, dass nur die Gegenstände aus der Wohnung entnommen wurden, die auf dem Protokoll aufgeführt sind. Die Anordnung des Staatsanwalts lag vor. Das Protokoll endet mit Position 77.”
Nach Angaben der Mutter und weiterer Verwandten des Klägers sollen weitere Gegenstände, darunter ein 585-Gold-Siegelring mit dem Monogram „T.K.”, zwei Goldmünzen (Feingold „Krügerrand”) sowie ein Bargeldbetrag in „Fremdwährung” über 4 650 DM, beschlagnahmt worden sein. Darüber habe der Leiter des Stasitrupps eine weitere separate Liste „persönlich” angelegt, die die Mutter des Klägers ebenfalls unterschrieben habe.
Mit Urteil des Kreisgerichts Erfurt-Mitte vom 13. August 1984 ist der Kläger wegen ungesetzlicher Verbindungsaufnahme zu 10 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Verschiedene Gegenstände, wie u.a. die Taschenkalender des Klägers der Jahrgänge 1979 bis 1984 sind durch das Strafurteil eingezogen worden. Noch während der Verbüßung der Strafhaft ist der Kläger am 22. November 1984 im Rahmen des Häftlingsfreikaufs in die Bundesrepublik Deutschland überstellt worden. Mit Beschluss vom 9. Februar 1993 hob das Bezirksgericht Erfurt das Strafurteil auf und rehabilitierte den Kläger wegen unschuldig erlittener Untersuchungs- und Strafhaft. Die gerichtliche Vermögenseinziehung wurde nicht aufgehoben. Aufgrund des strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes erhielt er für die Haftzeit einen Entschädigungsbetrag in Höhe von 2 430 DM zuerkannt.
Mit Schreiben vom 25. September 1990 meldete der Kläger Vermögensansprüche nach der Verordnung über die Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche vom Juli 1990 an und führte neben einem Grundstück die bei der Hausdurchsuchung „beschlagnahmten” Wertgegenstände (den DM-Betrag, die Goldmünzen und den Siegelring) an. Die Rückübertragung der vom Beschlagnahmeprotokoll erfassten 77 Positionen meldete er erst im Juli 1996 bzw. mit der Klageschrift an. Mit Bescheid vom 15. März 1996 lehnte das Amt zur Regelung offener Vermögensfragen den Antrag im Wesentlichen mit der Begründung ab, die Einziehung der genannten Wertgegenstände habe nicht festgestellt werden können. Der Widerspruch des Klägers vom 26. März 1996 blieb erfolglos. Im Widerspruchsbescheid des Thüringer Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen vom 14. März 1997 ist zur Begründung der Zurückweisung u.a. ausgeführt, dass ein Anspruch auf die Rückgabe der Wertgegenstände auch dann nicht bestehen würde, wenn die Vermögenseinziehung im Rehabilitierungsbeschluss aufgehoben worden wäre. Der Kläger habe keinen Nachweis über den Verbleib der beanspruchten Gegenstände führen können. Anhaltspunkte für eine Beweislastumkehrung gebe es nicht.
Mit der am 17. April 1997 erhobenen Klage hat der Kläger, soweit sie noch Gegenstand des Revisionsverfahrens ist, beantragt, unter Aufhebung der genannten Bescheide den Beklagten zu verpflichten, ihm die bei der Hausdurchsuchung weggenommenen 77 Gegenstände nebst Siegelring, zwei Krüger-Rand-Münzen und des Bargeldes in Höhe von 4 650 DM zurückzuübertragen, hilfsweise, ihn zu verpflichten, dem Kläger für den Verlust der Gegenstände eine Entschädigung zu zahlen. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass eine Rückübertragung schon wegen des Ausschlussgrundes des § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG nicht in Betracht komme, da von der Natur der Sache her die Rückübertragung nicht möglich sei. Der Verbleib der beschlagnahmten Gegenstände sei nämlich nicht mehr aufklärbar. Auch der Entschädigungsantrag habe keinen Erfolg. Mit Ausnahme der gerichtlich eingezogenen Gegenstände sei der Kläger nämlich nicht Berechtigter nach § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG. Von einer unlauteren Machenschaft sei nicht auszugehen. Hinsichtlich der durch den Leiter der Stasitruppe „beschlagnahmten” Gegenstände „dürfte es bereits an einem Erwerb fehlen”. Denn der Erwerb sei schon nicht nach den Bestimmungen des DDR-Rechts wirksam gewesen. Die Auszüge aus den Unterlagen der Staatssicherheit und die Erklärung der Verwandten des Klägers ließen den Schluss zu, dass die genannten Wertgegenstände nicht im Rahmen der staatlicherseits beauftragten Hausdurchsuchung im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren beschlagnahmt worden seien. Vielmehr deute alles darauf hin, dass sich der Leiter der Stasitruppe die Situation zu Nutze gemacht und die Gegenstände rechtswidrig an sich gebracht habe. Dadurch habe er jedoch auch nach DDR-Recht kein wirksames Eigentum erwerben können. Zudem mangele es an der erforderlichen Beteiligung staatlicher Stellen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die vom Leiter der Stasitruppe ausgeübte Täuschung staatlicherseits gestützt gewesen sei. Die Wegnahme sei vielmehr „privat motiviert”, quasi als Exzess begangen worden. Auch die Beschlagnahme der weiteren Gegenstände habe nicht zu einem endgültigen Vermögensverlust geführt und stelle keine unlautere Machenschaft dar.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung sachlichen Rechts und vertieft seinen bisherigen Rechtsstandpunkt.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Weimar vom 19. April 2000 und des Bescheides des Amtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. März 1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Thüringer Landesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 14. März 1997 zu verpflichten, ihm die bei der Hausdurchsuchung weggenommenen 77 Gegenstände nebst Siegelring, zwei Krüger-Rand-Münzen und des Bargeldes in Höhe von 4 650 DM zurückzuübertragen, hilfsweise den Beklagten zu verpflichten, ihm für diese Gegenstände eine Entschädigung zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil und sieht keine Verletzung des Bundesrechts, da die zurückverlangten Gegenstände keiner schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 VermG unterlegen hätten.
Der Oberbundesanwalt beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren und tritt im Ergebnis der Revision bei.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die Revision des Klägers ist zulässig, aber nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Was den Hauptantrag – die Rückgabe der aus der Wohnung entfernten Gegenstände – betrifft, so hat das Verwaltungsgericht in der Sache richtig entschieden. Unabhängig vom Vorliegen eines Schädigungstatbestandes im Sinne des § 1 VermG greift nämlich der Restitutionsausschluss des § 4 Abs. 1 Satz 1 VermG ein. Danach ist eine Rückübertragung des Eigentumsrechts an Vermögenswerten ausgeschlossen, wenn dies von der Natur der Sache her nicht mehr möglich ist. Das ist bei beweglichen Sachen etwa im Falle des Untergangs des Vermögenswertes aber auch dann gegeben, wenn mangels natürlicher Unterscheidbarkeit oder einer besonderen Kennzeichnung die Sache einem Berechtigten nicht mehr zuzuordnen ist oder wenn die Vermögenswerte durch Verbindung oder Vermischung zum wesentlichen Bestandteil einer anderen Sache geworden oder die Gegenstände nicht mehr auffindbar sind. Den Verbleib der aus der Wohnung des Klägers entfernten Gegenstände hat das Verwaltungsgericht zu Recht für nicht mehr aufklärbar gehalten, was der tatsächlichen Unmöglichkeit der Rückgabe gleichsteht. Der Kläger hat diese Feststellung des Verwaltungsgerichts nicht mit Verfahrensrügen angegriffen, so dass sie für den Senat bindend ist. Soweit es zudem um die Rückübertragung von Bargeld geht, ist sie schon aus Rechtsgründen nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unmöglich, wenn die konkreten Banknoten nicht mehr vorhanden sind oder mit anderem Geld untrennbar vermischt sind (Urteil vom 22. Oktober 1998 – BVerwG 7 C 1.98 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 58 ≪S. 132≫). Anhaltspunkte dafür, dass die dem Kläger entwendeten Zahlungsmittel noch vorhanden sind oder nicht mit anderem Geld untrennbar vermischt sind, sind nicht ersichtlich.
2. Was den Hilfsantrag des Klägers auf Feststellung seiner Entschädigungsberechtigung betrifft, ist das angefochtene Urteil insoweit jedenfalls im Ergebnis richtig, als es die Feststellung einer Entschädigungsberechtigung im Hinblick auf die in der Beschlagnahmeliste vermerkten 77 Posten abgelehnt hat. Denn unabhängig von der Frage des Vorliegens eines Schädigungstatbestandes greift hier der Ausschlusstatbestand des § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG ein. Rückübertragungsansprüche und damit auch Entschädigungsansprüche können danach für bewegliche Sachen nach dem 30. Juni 1993 nicht mehr angemeldet werden. Diese Ausschlussfrist hat der Kläger jedoch versäumt, da er die Rückübertragung der 77 Gegenstände bzw. die diesbezügliche hilfsweise Entschädigung erst im Juli 1996 bezüglich der Positionen 55 bis 58 des Durchsuchungsprotokolls und die weiteren Positionen erst in der Klageschrift geltend gemacht, mithin die gesetzliche Ausschlussfrist versäumt hat.
3. Soweit der Kläger hilfsweise die Feststellung der Entschädigung bezüglich der Wertsachen begehrt, die nach dem vom Verwaltungsgericht unterstellten Sachverhalt aus der Wohnung entfernt worden sein sollen, verletzt das Urteil des Verwaltungsgerichts Bundesrecht. Es verstößt gegen § 1 Abs. 3 VermG. Denn auf der Grundlage des vom Verwaltungsgericht unterstellten Sachverhalts ist es nicht ausgeschlossen, dass die Wertgegenstände einer schädigenden Maßnahme im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG unterlagen.
Zunächst ist das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass es schon an einem Erwerb durch die Dienststellen der Staatssicherheit deshalb fehle, weil nach dem DDR-Recht eine – vom Verwaltungsgericht unterstellte – eigennützige Wegnahme durch den Leiter des Untersuchungstrupps nicht zu einem Eigentumserwerb führen könne. Damit verkennt das Verwaltungsgericht den maßgeblichen faktischen Enteignungsbegriff des Vermögensgesetzes, der grundsätzlich nicht auf die zivilrechtliche Wirksamkeit, sondern nur auf die objektive dauerhafte Verdrängung aus dem Eigentum abstellt.
In ständiger Rechtsprechung hat das Bundesverwaltungsgericht es als einen das gesamte Vermögensrecht prägenden Rechtsgedanken bezeichnet, dass ein wiedergutzumachendes staatliches Unrecht nicht erst dann anzunehmen ist, wenn der staatliche Zugriff auf das Vermögen nach der maßgeblichen Rechtslage in jeder Beziehung einwandfrei erfolgt ist. Denn für viele als wiedergutmachungsbedürftig anzuerkennende Sachverhalte ist es gerade typisch, dass die Vermögenswerte nicht rechtswirksam entzogen worden sind. Eine Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes ist damit immer dann anzunehmen, wenn der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig aus seinem Eigentum verdrängt wurde, wobei keine bestimmte Form der Enteignung vorausgesetzt ist (stRspr, Urteile vom 17. April 1997 – BVerwG 7 C 15.96 – BVerwGE 104, 276 = Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 26 und vom 13. Februar 1997 – BVerwG 7 C 50.95 – BVerwGE 104, 84 ≪87≫ und vom 18. Oktober 2000 – BVerwG 8 C 23.99 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 19 und zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung vorgesehen).
Nach dem vom Verwaltungsgericht unterstellten Sachverhalt ist von einer solchen vollständigen und endgültigen Verdrängung des Klägers aus seinem Eigentum an den genannten Wertsachen auszugehen. Entweder liegt nämlich eine eigennützige private Wegnahme dieser Sachen durch den Leiter des Durchsuchungstrupps vor, die zu einem endgültigen Verlust der Eigentümerbefugnisse geführt hat, oder es kommt eine konspirativ verschleierte Wegnahmeaktion der Stasidienststelle in Betracht, die zum Zwecke der wirtschaftlichen Verwertung der genannten Wertgegenstände durch DDR-Dienststellen erfolgte (vgl. im Einzelnen hierzu Urteil des Senats vom 18. Oktober 2000 – BVerwG 8 C 23.99 – a.a.O.). Eine Weiterleitung an die zuständige Stasi-Bezirksverwaltung – Abteilung Finanzen – ist ebenso wenig ausgeschlossen wie eine Weiterleitung an den zum Zwecke der Devisenbeschaffung beim Ministerium für Außenhandel eingerichteten Bereich „kommerzielle Koordinierung”, dessen Leiter Schalck-Golodkowski sowie andere führende Personen dieses Bereichs als „Offiziere im besonderen Einsatz” der Staatssicherheit geführt wurden (vgl. Urteil vom 18. Oktober 2000 – BVerwG 8 C 23.99 – a.a.O.). Auch in diesem Falle stünde das Eigentumsrecht des Klägers nur noch auf dem Papier.
Zu Unrecht hat das Verwaltungsgericht ferner den staatlichen Charakter der schädigenden Maßnahme verneint und auch insoweit gegen § 1 Abs. 3 VermG verstoßen. Dieser Entschädigungstatbestand betrifft u.a. Ansprüche an Vermögenswerten, die auf Grund unlauterer Machenschaften, wie durch Machtmissbrauch, Korruption, Nötigung oder Täuschung von Seiten des Erwerbers, staatlicher Stellen oder Dritter erworben worden sind. Ein Handeln einer staatlichen Stelle beim Erwerbsvorgang liegt auf der Grundlage des vom Verwaltungsgericht unterstellten Sachverhalts vor. Die Wertgegenstände sind nämlich durch eine dem Staat zurechenbare Handlung durch einen Bediensteten der Staatssicherheit entzogen worden. Die Entziehung geschah während einer strafprozessualen Durchsuchung und Beschlagnahmeaktion, für die die Dienststellen des MfS als „Untersuchungsorgan” im Sinne des § 88 Abs. 2 Nr. 2 der StPO DDR zuständig waren. Im Rahmen der staatlichen Strafverfolgungsmaßnahme sind unter Zugrundelegung der Unterstellung des Verwaltungsgerichts die Wertsachen aus der Wohnung entfernt worden. Dabei sind die Wertsachen entweder in konspirativer Weise zur Devisenbeschaffung und zur Sicherung des Staatshaushaltes verwandt oder vom Leiter des Durchsuchungstrupps durch eine getarnte, eigennützige kriminelle Handlung sich selbst zugeeignet worden. Im ersten Fall besteht kein Zweifel an dem staatlichen Charakter der Maßnahme. Diese Handlung steht aber auch dann in dem für den staatlichen Charakter ausreichenden engen äußeren und inneren Zusammenhang mit der staatlich angeordneten Durchsuchung, wenn sich die zweite Sachverhaltsvariante als wahr erweisen sollte. Denn aus der Sicht des Betroffenen stellte sich die gesamte Aktion – wie insbesondere die Einhaltung ihrer spezifischen Förmlichkeiten (wie die Hinzuziehung von unbeteiligten Personen, Anlegung eines Protokolls etc.) belegt – als eine einheitliche strafprozessuale Maßnahme dar.
Nach dem vom Verwaltungsgericht unterstellten Sachverhalt liegt auch das für § 1 Abs. 3 VermG notwendige qualifizierte Einzelfallunrecht vor. Denn bei dem Erwerbsvorgang – gemessen an den in der DDR gültigen Rechtsvorschriften und den sie tragenden ideologischen Grundvorstellungen – ging bei Vorliegen des unterstellten Sachverhalts „nicht alles mit rechten Dingen zu” (vgl. hierzu stRspr des BVerwG, Urteile vom 29. Februar 1996 – BVerwG 7 C 59.94 – BVerwGE 100, 310, 312 und vom 18. Oktober 2000 – BVerwG 8 C 23.99 – a.a.O.). Die Entfernung der Wertsachen hat hier nach beiden Alternativen zielgerichtet den Verlust des zu restituierenden Vermögenswerts bezweckt. Die Rechtsordnung der DDR gewährte auch kein Recht auf Aneignung der Wertsachen weder für den Leiter des Durchsuchungstrupps in persönlicher Eigenschaft noch für die zuständigen Stasidienststellen im Falle einer wirtschaftlichen Verwertung der Wertsachen (vgl. zur Bewertung der wirtschaftlichen Verwertung von Luxusgütern und Embargoware: Urteil des Senats vom 18. Oktober 2000 – BVerwG 8 C 23.99 – a.a.O.). Auch eine bloße Beschlagnahme im Rahmen einer strafprozessualen Ermittlung konnte die dauerhafte Entziehung des Eigentums an den Wertsachen nicht decken. Es hätte allenfalls eine Einziehung nach § 56 StGB DDR in Betracht kommen können, die jedoch nicht ersichtlich ist.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts stellt sich auch im Ergebnis nicht als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Denn es steht nicht schon jetzt aus anderen Gründen fest, dass die begehrte Feststellung der Entschädigungsberechtigung ausgeschlossen ist. Die nach Erlass des erstinstanzlichen Urteils ergangene Regelung des § 5 a Abs. 5 EntschG kommt als ein solcher Ausschlussgrund derzeit nicht in Betracht. Danach wird eine Entschädigung nur gewährt, wenn der Verlust der beweglichen Sachen durch einen im zeitlichen Zusammenhang mit der Schädigung erstellten schriftlichen Beleg nachgewiesen wird. Nach ihrem Wortlaut und ihrem Sinn und Zweck dient diese Beweisregel der Abwehr von Missbräuchen. Es sollen nicht im Nachhinein etwa durch später erstellte Belege oder Zeugenaussagen Entschädigungsfälle konstruiert werden (vgl. hierzu die Gesetzesbegründung in BTDrucks 14/1932 S. 15 sowie Senatsurteil vom 18. Oktober 2000 – BVerwG 8 C 23.99 – a.a.O. S. 13). Um eine Beweisnot des Geschädigten zu verhindern, kommen auch andere schriftliche Belege als die in der Gesetzesbegründung (BTDrucks 14/1932 S. 15) genannten Einziehungs- oder Beschlagnahmeprotokolle, Asservatenakten, Akten des Beauftragten der Bundesregierung für die Unterlagen der ehemaligen Staatssicherheit der DDR etc. in Betracht. Auch Schriftstücke des Geschädigten selbst oder aus seinem Umkreis – wie beispielsweise Briefe –, die im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Schädigung erstellt sind, können als Beweismittel herangezogen werden.
Der in der mündlichen Verhandlung seitens der Revision erhobene Einwand einer unzulässigen Rückwirkung der Regelung des § 5 a Abs. 5 EntschG greift schon deshalb nicht, weil es bis zur Schaffung dieser Norm überhaupt keine gesetzliche Regelung hinsichtlich der Schädigung für den Verlust beweglicher Sachen gegeben hatte.
Das Verwaltungsgericht, das bisher noch nicht festgestellt hat, auf welche Weise die streitigen Gegenstände entzogen worden sind, wird im Rahmen der noch anzustellenden Sachverhaltsermittlungen in erster Linie zu klären haben, ob zeitnahe schriftliche Belege über deren Verlust vorhanden sind. Einmal kann möglicherweise der Kläger selbst solche Schriftstücke noch beibringen. Zum anderen besteht die Möglichkeit, dass es noch weitere Vorgänge anderer Stasidienststellen gibt, etwa der zuständigen Bezirksverwaltung, Abteilung Finanzen, falls es um eine Maßnahme zur Devisenbeschaffung gegangen sein sollte. Ferner wird das Verwaltungsgericht die „Dokumentation zur Einziehung, Verwertung und Entschädigung von beweglichen Sachen” (Stand: November 2000) des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen heranziehen müssen, die zahlreiche Ermittlungs- und Recherchemöglichkeiten für beschlagnahmte bewegliche Gegenstände aufzeigt. Gegebenenfalls wird das Verwaltungsgericht auch mit den sachkundigen Bediensteten dieser Dienststelle in Kontakt treten müssen.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Sailer, Krauß, Postier
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 26.09.2001 durch Jesert Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen