Leitsatz (amtlich)
Drittstaatsangehörige Seeleute, die nur über ein nicht zum Zweck der Erwerbstätigkeit in Deutschland erteiltes Schengen-Visum verfügen bzw. visumbefreit sind und als Besatzungsmitglieder auf einem fremdflaggigen Offshore-Supply-Schiff im deutschen Küstenmeer arbeiten wollen, benötigen einen Aufenthaltstitel, der zur Erwerbstätigkeit berechtigt.
Verfahrensgang
VG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 20.02.2019; Aktenzeichen 11 A 386/18) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts vom 20. Februar 2019 geändert, soweit es der Klage teilweise stattgegeben hat. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits in allen Rechtszügen zu je einem Drittel.
Tatbestand
Rz. 1
Die Kläger begehren die Feststellung, dass sie als Besatzungsmitglieder eines unter panamaischer Flagge fahrenden Seeschiffs bei Arbeitseinsätzen im deutschen Küstenmeer keinen Aufenthaltstitel zum Zweck der Erwerbstätigkeit benötigen.
Rz. 2
Die Kläger sind ukrainische Staatsangehörige und arbeiten als Seeleute. Im Herbst 2017 waren sie für den Einsatz an Bord des unter panamaischer Flagge fahrenden Offshore-Supply-Schiffs "Atlantic Tonjer" angemustert, das im Zusammenhang mit der Errichtung eines vor der deutschen Küste gelegenen Offshore-Windparks eingesetzt war. Der Kläger zu 1. war im Besitz eines gültigen biometrischen Reisepasses, die Kläger zu 2. und 3. verfügten jeweils über ein gültiges Schengen-Visum der Kategorie C, das in den Niederlanden bzw. in Litauen ausgestellt worden war.
Rz. 3
Nach einer Kontrolle des Offshore-Supply-Schiffs während des Einsatzes im deutschen Küstenmeer stellte die Bundespolizei mit an die Kläger gerichteten Bescheiden vom 23. Oktober 2017 fest, dass sie ausreisepflichtig seien, und setzte eine Ausreisefrist bis zum 25. Oktober 2017. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Kläger hätten sich am 18. Oktober 2017 der grenzpolizeilichen Ausreisekontrolle gestellt. Anstatt auszureisen, seien sie jedoch im Küstenmeer verblieben und ohne die hierfür erforderliche Erlaubnis einer Beschäftigung als Seemann auf einem Spezialschiff nachgegangen. Die Art und Verwendung des Schiffs zählten nicht mehr zur allgemeinen Seefahrt innerhalb des Seerechtsübereinkommens.
Rz. 4
Auf die hiergegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 20. Februar 2019 festgestellt, dass die Kläger bei ihren Einsätzen im deutschen Küstenmeer keinen über ein Schengen-Visum der Kategorie "C" hinausgehenden Aufenthaltstitel benötigen, weil sie vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels zu Erwerbszwecken nach § 26 Abs. 1 AufenthV befreit seien. Die Voraussetzungen dieser Bestimmung lägen vor, weil die Kläger nicht im Sinne des § 13 Abs. 2 AufenthG in das Bundesgebiet eingereist seien. Der Verordnungsgeber sei ausweislich der Begründung zu § 24 AufenhV davon ausgegangen, dass Personen, die ein internationales Schiff nicht verlassen, nicht einreisen. Mangels Absicht, das Schiff zu verlassen, greife auch nicht Nr. 13.2.6.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz, wonach Ausländer an Bord eines Schiffs, die beabsichtigen unter Umgehung der Grenzübergangsstelle an Land zu gehen, die Einreise bereits mit der Einfahrt in das Küstenmeer vollendet haben. Die Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels sei auch nicht lediglich an kurzfristige Aufenthalte - etwa zum Zweck der friedlichen Durchfahrt - geknüpft.
Rz. 5
Mit ihrer (Sprung-)Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 26 Abs. 1 AufenthV. Soweit § 24 AufenthV das Nicht-Verlassen eines Seeschiffs im grenzüberschreitenden Verkehr regele, sei die Situation eine völlig andere, als die des bestimmungsgemäßen Einsatzes von Seeschiffen, die Offshore-Arbeiten im Küstenmeer verrichteten. Im letzteren Fall diene die Tätigkeit an Bord nicht mehr dem Transport von Waren und Personen, für die eine Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels vorgesehen sei. Auch mit § 26 AufenthV habe der Verordnungsgeber ausschließlich Transitfälle regeln wollen. Für die Auslegung dieser Bestimmung seien im Übrigen die Vorschriften des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (SRÜ) heranzuziehen, das in Art. 17 SRÜ den Schiffen aller Staaten das Recht der friedlichen Durchfahrt durch das Küstenmeer gewähre. Die Einreise über die Seegrenze sei bereits mit dem Überfahren der Grenzlinie zum Küstenmeer vollendet, wenn durch ein Seeschiff keine Grenzübergangsstelle angelaufen werde und keine friedliche Durchfahrt gegeben sei.
Rz. 6
Die Kläger verteidigen das Urteil des Verwaltungsgerichts.
Rz. 7
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht beteiligt sich am Verfahren und schließt sich der Auffassung der Beklagten an.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.
Rz. 9
Die Klage ist zwar als reine Feststellungsklage zulässig (1.). Mit Bundesrecht unvereinbar (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) ist aber die seinem Feststellungsausspruch zugrunde liegende Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Kläger als drittstaatsangehörige Besatzungsmitglieder eines fremdflaggigen Seeschiffs, die Arbeiten im Zusammenhang mit der Errichtung eines im deutschen Küstenmeer gelegenen Offshore-Windparks verrichten, keinen über ein Schengen-Visum der Kategorie C hinausgehenden Aufenthaltstitel benötigen, der in Deutschland zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit berechtigt; vielmehr trifft die Rechtsauffassung der Beklagten zu, dass es in den zur Feststellung gestellten Konstellationen eines Aufenthaltstitels zur Erwerbstätigkeit bedarf (2.).
Rz. 10
1. Das Verwaltungsgericht hat die auf einen Feststellungsantrag umgestellte Klage im Einklang mit Bundesrecht als zulässig gesehen. Das für eine Feststellungsklage vorausgesetzte feststellungsfähige Rechtsverhältnis besteht (1.1), und zwar auch zwischen den Klägern und der Beklagten, im Verhältnis zu der die Kläger ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung haben (1.2); die Subsidiarität der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 VwGO) steht hier nicht entgegen (1.3).
Rz. 11
1.1 Die von den Klägern begehrte und von dem Verwaltungsgericht ausgesprochene Feststellung ist tauglicher Gegenstand einer negativen Feststellungsklage im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO. Die Kläger haben dabei ihr Begehren im Einklang mit § 142 VwGO in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat dahin klargestellt, dass die Feststellung, dass sie für eine beabsichtigte Arbeitstätigkeit auf einem unter panamaischer Flagge fahrenden Offshore-Supply-Schiff im deutschen Küstenmeer keinen über ein Schengen-Visum der Kategorie C hinausgehenden Aufenthaltstitel benötigen, unabhängig davon begehrt wird, ob die arbeitswillige Person ukrainischer Staatsangehörigkeit über ein - hier von einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestelltes - Schengen-Visum der Kategorie C verfügt oder von der Visumpflicht befreit ist und ob sie nach Einreise in das Bundesgebiet in einem deutschen Hafen auf das Seeschiff gelangt oder damit - aus internationalen Gewässern oder aus dem Küstenmeer eines Drittstaates - in das deutsche Küstenmeer eingefahren ist.
Rz. 12
Die Zulässigkeit einer negativen Feststellungsklage setzt voraus, dass sich das Klagebegehren auf ein bestimmtes ("konkretes") Rechtsverhältnis bezieht, dessen Bestehen vom Kläger geleugnet wird (BVerwG, Urteil vom 7. Mai 1987 - 3 C 1.86 - BVerwGE 77, 214 ≪215≫). Eine solche konkrete, zwischen den Beteiligten streitige und damit feststellungsfähige Rechtsbeziehung besteht hier. Während die Kläger davon ausgehen, dass sie als drittstaatsangehörige Besatzungsmitglieder für die von ihnen beabsichtigte Erwerbstätigkeit auf einem fremdflaggigen Seeschiff im deutschen Küstenmeer in den zur Feststellung gestellten Konstellationen nicht eines über ein (einfaches) Schengen-Visum der Kategorie C hinausgehenden Aufenthaltstitels bedürfen, vertritt die Beklagte die Rechtsauffassung, dass Schengen-Visa bzw. biometrische Reisepässe für die beabsichtigten Tätigkeiten nicht ausreichen. Diese unterschiedlichen Rechtsauffassungen beziehen sich auf eine der Art nach näher konkretisierte Arbeitstätigkeit an einem näher spezifizierten Ort (nämlich auf einem Offshore-Supply-Schiff im deutschen Küstenmeer), für die nicht von zentraler Bedeutung ist, auf welchem Wege die arbeitswilligen Personen auf das Schiff gelangt sind, und ist zudem weiter dadurch konkretisiert, dass das Schiff unter panamaischer Flagge fährt, so dass eine etwa abweichende Beurteilung bei einem unter der Flagge eines anderen Mitgliedstaates der EU oder eines anderen Drittstaates fahrenden Schiffs nicht in den Blick zu nehmen ist. Die Dauer der Tätigkeit, die dem Feststellungsbegehren zugrunde zu legen ist, wird zudem indirekt dadurch eingegrenzt, dass nur die Notwendigkeit eines zur Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltstitels aus der Ukraine stammender Besatzungsmitglieder eines Offshore-Supply-Schiffs im Streit steht, die über ein - hier in einem anderen EU-Mitgliedstaat ausgestelltes - gültiges Schengen Visum der Kategorie C verfügen bzw. wegen des Besitzes eines Passes mit biometrischen Merkmalen von der Visumpflicht befreit sind. Durch die von der Beklagten im Oktober 2017 gegenüber den Klägern getroffenen Maßnahmen liegt auch ein hinreichend konkreter und überschaubarer Anlasssachverhalt als Bezugsgegenstand des Feststellungsbegehrens vor.
Rz. 13
Da die Kläger mit der Klage zugleich zu verhindern suchen, dass erneut solche belastenden staatlichen Maßnahmen ergehen, handelt es sich der Sache nach um eine vorbeugende Feststellungsklage (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. September 2008 - 3 C 35.07 - BVerwGE 132, 64 ≪72≫; Beschluss vom 20. September 1989 - 9 B 165.89 - juris Rn. 3).
Rz. 14
1.2 Die Zulässigkeit der gegen die Beklagte gerichteten Feststellungsklage scheitert nicht daran, dass nicht diese, sondern vor einer Einreise die Auslandsvertretung (§ 71 Abs. 2 AufenthG) und nach Einreise das Ministerium für Inneres und Sport des Landes Mecklenburg-Vorpommern die für die Erteilung eines zur Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltstitels zuständige Behörde ist (§ 71 AufenthG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 Landesverordnung zur Bestimmung von Zuständigkeiten auf dem Gebiet der Zuwanderung und zur Durchführung des Flüchtlingsaufnahmegesetzes - Zuwanderungszuständigkeitslandesverordnung - ZuwZLVO M-V vom 10. Februar 2005 ≪GVOBl. M-V 2005 S. 68≫ und § 3 Landesverwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG Mecklenburg-Vorpommern - i.d.F. der Bekanntmachung vom 1. September 2014 ≪GVOBl. M-V 2014 S. 476, ber. 2015 S. 148≫, zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 2. Mai 2019 ≪GVOBl. M-V S. 158≫); denn das Küstenmeer fällt nicht (nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 ZuwZLVO-M-V, § 3 Abs. 1 Nr. 3. a) VwVfG M-V) in den Zuständigkeitsbereich eines Landkreises oder einer kreisfreien Stadt.
Rz. 15
Vorrangig besteht das Rechtsverhältnis bei umstrittener Erlaubnispflichtigkeit eines Vorgangs zwar zwischen demjenigen, der der Erlaubnis bedarf, und der für die Erteilung zuständigen Behörde (BVerwG, Urteil vom 14. April 2005 - 3 C 3.04 - NVwZ-RR 2005, 711 - juris Rn. 21), also zwischen Normadressat und Normanwender (vgl. Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 22). Besteht das Feststellungsinteresse - auch oder gerade - gegenüber einem beklagten Dritten (BVerwG, Urteile vom 27. Juni 1997 - 8 C 23.96 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 128 - juris Rn. 17 und vom 10. Oktober 2002 - 6 C 8.01 - BVerwGE 117, 93 ≪116 f.≫), kann aber (wenn die weiteren Voraussetzungen vorliegen) auch die Feststellung verlangt werden, dass zwischen diesem und dem Kläger ein Rechtsverhältnis besteht oder nicht besteht (BVerwG, Urteile vom 27. Juni 1997 - 8 C 23.96 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 128 - juris Rn. 17, vom 10. Oktober 2002 - 6 C 8.01 - BVerwGE 117, 93 ≪116≫ und vom 31. August 2011 - 8 C 8.10 - BVerwGE 140, 267, Rn. 14; Happ, in: Eyermann, VwGO 15. Aufl. 2019, § 43 Rn. 22 f.).
Rz. 16
Ein solch individuelles Feststellungsinteresse besteht hier gegenüber der Beklagten. Die Bundespolizei der Beklagten berühmt sich der Befugnis, in eigener (Eil-)Zuständigkeit im Küstenmeer zur Prüfung befugt zu sein, ob ein nach ihrer Rechtsauffassung in den zur Feststellung gestellten Konstellationen erforderlicher Aufenthaltstitel vorliegt, und bei Nichtvorliegen weitere Maßnahmen zu treffen. Die Bundespolizei hat in der Vergangenheit - nicht nur im Verhältnis zu den Klägern - in entsprechenden Fallkonstellationen aufenthaltsbeendende Maßnahmen ergriffen und erkennen lassen, dass sie auch zukünftig in gleicher Weise verfahren werde. Die damit verbundenen Rechtsfragen (s. dazu die Hinweisverfügung des Gerichts vom 19. November 2020) sind nicht zu vertiefen; denn für ein Feststellungsinteresse (auch) gegenüber der Beklagten hinreichend ist, dass - wie hier - eine Prüfungs- und Handlungsbefugnis der Bundespolizei der Beklagten jedenfalls nicht offenkundig ausgeschlossen ist. Das besondere Feststellungsinteresse im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO folgt aus der Wiederholungsgefahr, also der konkret absehbaren Möglichkeit, dass in naher Zukunft und unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen eine gleiche oder gleichartige Maßnahme des Beklagten zu erwarten ist, die die Kläger beschwert (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 21; Beschluss vom 14. Juni 2018 - 3 BN 1.17 - juris Rn. 19). Die Kläger haben auf eine nach ihrer Rechtsauffassung ohne zusätzlichen Aufenthaltstitel zur Erwerbstätigkeit zulässige Erwerbstätigkeit in der zur Feststellung gestellten Konstellation nicht verzichtet, die Beklagte geht davon aus, weiterhin zur Prüfung des nach ihrer Rechtsauffassung erforderlichen Vorhandenseins des erforderlichen Titels und - liegt dieser nicht vor - zu entsprechenden Maßnahmen befugt zu sein. Die gerichtliche Feststellung ist mithin geeignet, bei künftigen Einsätzen im deutschen Küstenmeer die Rechtslage zu klären und die Rechtsposition der Kläger zu verbessern (stRspr, BVerwG, Urteil vom 25. Oktober 2017 - 6 C 46.16 - BVerwGE 160, 169 Rn. 20; Beschluss vom 20. Dezember 2017 - 6 B 14.17 - NVwZ 2018, 739 - juris Rn. 13).
Rz. 17
1.3 Der Grundsatz der Subsidiarität steht der Feststellungsklage hier nicht entgegen.
Rz. 18
a) Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO kann die Feststellung nicht begehrt werden, soweit der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Nach dem Zweck der Regelung, neben einer Umgehung der besonderen Sachentscheidungsvoraussetzungen der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage den Rückgriff auf die Feststellungsklage auszuschließen, wenn für die Rechtsverfolgung ein unmittelbareres, sachnäheres und wirksameres Verfahren zur Verfügung steht, greift die Subsidiaritätsklausel dann nicht, wenn die Feststellungsklage einen Rechtsschutz gewährleistet, der weiter reicht, als er mit der Gestaltungs- oder Leistungsklage erlangt werden kann, wenn sie also rechtsschutzintensiver ist (stRspr, BVerwG, Urteile vom 29. April 1997 - 1 C 2.95 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 127 S. 9, vom 24. Juni 2004 - 4 C 11.03 - BVerwGE 121, 152 ≪156≫, vom 26. März 2015 - 7 C 17.12 - BVerwGE 152, 1 Rn. 17 f. und vom 15. Juli 2016 - 9 A 16.15 - DVBl 2016, 1603 - juris Rn. 28) bzw. wirkungsvolleren Rechtsschutz bietet (vgl. BVerwG, Urteile vom 5. Dezember 2000 - 11 C 6.00 - BVerwGE 112, 253 ≪256≫, vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 Rn. 13; siehe auch Beschluss vom 17. Juli 2019 - 7 B 27.18 - juris Rn. 13; Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 43 VwGO Rn. 29). Als effektiver erweist sich eine Feststellungsklage insbesondere dann, wenn eine Vielzahl von Anfechtungsprozessen oder sonstiger Prozesse geführt werden müsste, es dem Kläger aber um die grundsätzliche Zulässigkeit eines bestimmten Verhaltens geht (Kopp/Schenke, VwGO, 25. Aufl. 2019, § 43 VwGO Rn. 29) und das Rechtsverhältnis über den Einzelfall hinaus in gleich gelagerten Fällen auch künftig wieder von Bedeutung ist (Happ, in: Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 43 VwGO Rn. 41).
Rz. 19
b) Nicht abschließend zu beurteilen ist, ob zumindest die am 23. Oktober 2017 getroffene Feststellung der Ausreisepflicht, welche die Notwendigkeit eines Aufenthaltstitels zur Erwerbstätigkeit für die umstrittene Tätigkeit auf dem Offshore-Supply-Schiff annimmt und voraussetzt, aber nicht selbstständig feststellt, entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts als - grundsätzlich mit der Anfechtungsklage anzugreifender - feststellender Verwaltungsakt zu qualifizieren ist. Hierfür mag Einiges sprechen (s.a. Hinweisverfügung des Gerichts vom 19. November 2020). Dieser Verwaltungsakt hätte sich indes bereits mit der Ausreise der Kläger erledigt.
Rz. 20
Der Senat braucht auch nicht zu vertiefen, inwieweit der Rechtsprechung zu folgen ist, nach der der Anwendungsbereich des § 43 Abs. 2 VwGO bei vor Ablauf der Widerspruchs- oder Klagefrist erledigtem Verwaltungsakt überhaupt nicht mehr eröffnet ist (so BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 2019 - 7 B 27.18 - juris Rn. 12) und eine Feststellungsklage dann auch nicht auf den Regelungsgegenstand des erledigten Verwaltungsaktes beschränkt wäre.
Rz. 21
c) Die nicht an den Regelungsinhalt der ergangenen Bescheide gebundene Feststellungsklage ist im vorliegenden Fall jedenfalls deshalb nicht gegenüber der Fortsetzungsfeststellungsklage subsidiär, weil erstere hier den zielgenaueren, wirkungsvolleren Rechtsschutz bietet.
Rz. 22
Den Klägern geht es - jedenfalls vorrangig - nicht retrospektiv um die Rechtmäßigkeit der an die strittige Notwendigkeit eines zur Erwerbstätigkeit berechtigenden Aufenthaltstitels anknüpfenden Folgemaßnahmen (zu den damit verbundenen Fragen im Vorfeld der zur Feststellung gestellten Rechtsfragen s. Hinweisverfügung des Gerichts vom 19. November 2020). Sie wollen im Einklang mit dem Aufenthaltsrecht auch künftig in vergleichbarer Situation ihrer Erwerbstätigkeit nachgehen und hierfür - prospektiv - geklärt wissen, ob sie für künftige Offshore-Arbeitseinsätze im deutschen Küstenmeer einen Aufenthaltstitel benötigen, der zur Erwerbstätigkeit berechtigt. Einen auf diese Rechtsfrage fokussierten Rechtsschutz bietet allein eine zielgenau hierauf bezogene Feststellungsklage.
Rz. 23
Bei einer auf die von der Beklagten am 23. Oktober 2017 erlassenen Bescheide bezogenen Fortsetzungsfeststellungsklage mit dem Ziel der Feststellung, dass der - als gegeben unterstellte - Verwaltungsakt (ganz oder teilweise) rechtswidrig gewesen ist, ist das auf den ergangenen Verwaltungsakt bezogene gerichtliche Prüfprogramm vergangenheitsbezogen. Es umschließt neben der - aus Sicht der Beteiligten umstrittenen - Vorfrage, ob überhaupt ein Verwaltungsakt vorgelegen hat, nicht nur die Frage der materiellen Rechtmäßigkeit, für deren Beantwortung zudem auf die Rechtslage im Oktober 2017 abzustellen wäre, sondern auch vielfältige Rechtsfragen der formellen Rechtmäßigkeit (s. dazu die Hinweisverfügung des Gerichts vom 19. November 2020). Die Kläger müssen besorgen, dass die Fortsetzungsfeststellungsklage aus Gründen Erfolg hat und zur Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes führt, die keinen Bezug zu den im Rahmen der Feststellungsklage zu prüfenden materiell-rechtlichen Gründen haben und ihnen keine Rechtssicherheit für ihr künftiges Erwerbsverhalten verschaffen.
Rz. 24
Demgegenüber begrenzt die hier direkt und zukunftsbezogen auf die Frage der Notwendigkeit eines Aufenthaltstitels zur Erwerbstätigkeit bezogene prospektive Feststellungsklage das gerichtliche Prüfprogramm zielgenau auf die Fragen, an deren Klärung neben den Klägern auch die Beklagte ein Interesse bekundet hat. Die Berücksichtigung der aktuellen Rechtslage stellt zudem sicher, dass die gerichtliche Feststellung den Beteiligten Orientierung für das jeweilige künftige Verhalten bieten. Wegen der hinreichenden Konkretisierung des zu klärenden Rechtsverhältnisses (s.o. II.1.1) wird hier auch gewährleistet, dass die erhobene allgemeine Feststellungsklage weiterhin dem Individualrechtsschutz zur Durchsetzung oder Klärung subjektiver Rechte dient und das Gericht nicht zur Klärung abstrakter Rechtsfragen angerufen ist. Damit ist die Feststellungsklage hier insgesamt rechtsschutzintensiver (ähnlich etwa BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2007 - 6 C 23.06 - BVerwGE 129, 42 Rn. 13; Beschluss vom 17. Juli 2019 - 7 B 27.18 - Rn. 14).
Rz. 25
1.4 Eine Konsequenz der Zulässigkeit der (allgemeinen), prospektiv auf die Notwendigkeit eines Aufenthaltstitels zur Erwerbstätigkeit bezogenen Feststellungsklage ist, dass maßgeblich für die Beurteilung der Begründetheit der Feststellungsklage die Sach- und Rechtslage nicht bei Erlass der Bescheide vom 23. Oktober 2017, sondern im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bzw. der Entscheidung in der Tatsacheninstanz ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sind indes während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen zu berücksichtigen, wenn das Tatsachengericht - entschiede es anstelle des Bundesverwaltungsgerichts - sie zu berücksichtigen hätte (vgl. BVerwG, Urteile vom 26. Mai 2016 - 1 C 15.15 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 83 Rn. 9 und vom 5. Juli 2018 - 3 C 21.16 - NVwZ 2019, 69 Rn. 25). Der revisionsgerichtlichen Beurteilung zugrunde zu legen ist daher das Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Artikel 10 des Gesetzes vom 9. Dezember 2020 (BGBl. I S. 2855) und die von der Bundesregierung und dem Bundesministerium des Innern mit Zustimmung des Bundesrats beschlossene Aufenthaltsverordnung (AufenthV) in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. November 2004 (BGBl. I S. 2945), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 18. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3046) sowie die Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (Beschäftigungsverordnung - BeschV) vom 6. Juni 2013 (BGBl. I S. 1499), zuletzt geändert durch Artikel 1 der Verordnung vom 18. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3046).
Rz. 26
2. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Kläger als drittstaatsangehörige Besatzungsmitglieder eines fremdflaggigen Offshore-Supply-Schiffs, die eine Erwerbstätigkeit im Zusammenhang mit der Errichtung eines im deutschen Küstenmeer gelegenen Offshore-Windparks ausüben, keinen über ein Schengen-Visum (Typ C) hinausgehenden Aufenthaltstitel benötigen, der zur Ausübung der Erwerbstätigkeit berechtigt, verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). An dem Arbeitsort im deutschen Küstenmeer findet deutsches Aufenthaltsrecht Anwendung (2.1). Für einen Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland zur Erwerbstätigkeit bedarf es grundsätzlich eines Aufenthaltstitels, bei dem diese nicht durch Gesetz ausgeschlossen oder beschränkt ist (2.2 a); ein durch einen anderen EU-Mitgliedstaat ausgestelltes Schengen-Visum der Kategorie C oder die Befreiung davon, sich ein solches Visum ausstellen lassen zu müssen, umfasst nicht die Befugnis, eine Erwerbstätigkeit auszuüben (2.2 b). Die von den Klägern ausgeübte bzw. erstrebte Tätigkeit gilt auch nicht fiktiv als Nichtbeschäftigung (2.3).
Rz. 27
2.1 Das deutsche Küstenmeer gehört zum deutschen Hoheitsgebiet, in dem grundsätzlich deutsches Recht und damit auch das nationale Aufenthaltsrecht anzuwenden ist (Vitzthum, in: Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts, 2006, Kap. 2 Rn. 41); dort gilt die Territorialhoheit des jeweiligen Küsten- bzw. Hafenstaates. Nach Art. 2 Abs. 1 SRÜ (Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982, ratifiziert von Deutschland mit Vertragsgesetz vom 2. September 1994 ≪BGBl. II S. 1798≫) erstreckt sich die Souveränität eines Küstenstaates uneingeschränkt auf seine inneren Gewässer sowie eingeschränkt auf das Küstenmeer (vgl. Art. 2 Abs. 3 SRÜ).
Rz. 28
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht dahin erkannt, dass die Anwendbarkeit des deutschen Aufenthaltsrechts nicht kraft Völkerrechts, insbesondere wegen des sogenannten Flaggenstaatsprinzips, ausgeschlossen ist. Nach dem Flaggenstaatsprinzip hat jeder Staat das Recht, Schiffe unter seiner Flagge auf Hoher See fahren zu lassen. Die Flagge indiziert völkerrechtlich die Staatszugehörigkeit von Schiffen (Art. 90 und 91 SRÜ) und bestimmt, dass der Flaggenstaat auf Hoher See, also in internationalen Gewässern, die Hoheitsgewalt über das unter seiner Flagge fahrende Schiff hat (Art. 92 Abs. 1 und Art. 94 Abs. 2 Buchst. b). Nach Art. 86 Satz 1 SRÜ gelten die Bestimmungen des Teils VII des Seerechtsübereinkommens und somit insbesondere auch die Bestimmungen über das Flaggenstaatsprinzip indes ausdrücklich nicht für das Küstenmeer und die inneren Gewässer. Hiervon gibt es lediglich gewohnheitsrechtliche Ausnahmen. So gilt zum Beispiel für das Personal an Bord weiter das Disziplinar-, Dienst- und Arbeitsrecht des Flaggenstaats und nicht das des jeweiligen Küstenstaats (Vitzthum, in: ders., a.a.O., Kap. 2 Rn. 75; Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom 30. Januar 2014 - WD 2-3000-013/14, S. 6). Im Küstenmeer sind die territorialen Kompetenzen des Küstenstaats gegenüber Schiffen unter fremder Flagge durch das Recht der friedlichen Durchfahrt (Art. 17 ff., 21 SRÜ) beschränkt. Das Recht der friedlichen Durchfahrt (Art. 17 SRÜ) setzt der Ausübung küstenstaatlicher Hoheitsgewalt seevölkerrechtliche Grenzen, die vor allem dem Zweck dienen, die für die globale Wirtschaft unverzichtbare internationale Schifffahrt so wenig wie möglich zu beeinträchtigen (Ipsen, Völkerrecht, 6. Aufl. 2014, § 41 Rn. 16). Dieses völkergewohnheitsrechtliche Recht umfasst sowohl die bloße Passage der Küstenmeergewässer als auch die Durchfahrt mit dem Ziel, die inneren Gewässer des Küstenstaates anzulaufen bzw. aus ihnen auszulaufen. Gleiches gilt mit Blick auf das An- bzw. Auslaufen von Häfen und Reeden (Vitzthum, in: Vitzthum (Hrsg.), Handbuch des Seerechts, 2006, Kap. 2 Rn. 120).
Rz. 29
Das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen nimmt indes vom Recht der friedlichen Durchfahrt, die überdies gemäß Art. 18 Abs. 2 Satz 1 SRÜ "ohne Unterbrechung und zügig" erfolgen muss, "eine andere Tätigkeit, die nicht unmittelbar mit der Durchfahrt zusammenhängt" (Art. 19 Abs. 2 Buchst. l SRÜ), aus. Die Durchfahrt schließt zwar das Anhalten und Ankern ein, aber nur insoweit, als dies zur "normalen" Schifffahrt gehört oder infolge Gewalt oder eines Notfalls oder zur Hilfeleistung für Personen, Schiffe oder Luftfahrzeuge in Gefahr oder Not erforderlich wird. Ein beabsichtigter Aufenthalt von Besatzungsmitgliedern eines Offshore-Supply-Schiffs zum Zwecke der Verrichtung von Offshore-Arbeiten im Küstenmeer dient nicht diesen privilegierten schifffahrtsbedingten Erwerbszwecken und ist nicht mehr vom Recht der friedlichen Durchfahrt gedeckt.
Rz. 30
2.2 Ein Ausländer, der im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausüben will, bedarf grundsätzlich eines entsprechenden Aufenthaltstitels (a.), der über ein Schengen-Visum der Kategorie C hinausgeht (b.) bzw. auch in Fällen erforderlich ist, in denen der Betroffene davon befreit ist, ein Schengen-Visum einzuholen (c.).
Rz. 31
a) Nach § 4 Abs. 1 Satz 1 AufenthG bedürfen Ausländer für die Einreise und den Aufenthalt im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, sofern nicht durch Recht der Europäischen Union oder durch Rechtsverordnung etwas anderes bestimmt ist oder aufgrund des Assoziationsabkommens EWG/Türkei ein Aufenthaltsrecht besteht. Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG werden Aufenthaltstitel u.a. als Schengen-Visa erteilt.
Rz. 32
Nach § 4a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 AufenthG (eingeführt durch Art. 1 Nr. 4 des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes vom 15. August 2019 ≪BGBl. I S. 1307≫, in Kraft getreten am 1. März 2020) dürfen Ausländer, die einen Aufenthaltstitel besitzen, eine Erwerbstätigkeit ausüben, es sei denn, ein Gesetz bestimmt ein Verbot (§ 4a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AufenthG) (generelle Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt). Der Gesetzgeber hat zwar mit dem Fachkräfteeinwanderungsgesetz das bisherige Regel-Ausnahme-Verhältnis umgekehrt (vgl. BT-Drs. 19/8285 S. 87 zu Abs. 1), indem das bisherige Verbot mit Erlaubnisvorbehalt in eine Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt umgewandelt wurde. Er hat dies aber mit § 4a Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2, Satz 2 AufenthG dahin eingeschränkt, dass Gesetze (im materiellen Sinne, in der Regel das Aufenthaltsgesetz, vgl. BT-Drs. 19/8285 S. 86 f.) für Inhaber eines Aufenthaltstitels weiterhin ein Verbot der Erwerbstätigkeit vorsehen können oder die Erwerbstätigkeit beschränkt sein kann (Satz 2).
Rz. 33
b) Ein durch einen anderen EU-Staat ausgestelltes Schengen-Visum der Kategorie C - wie es hier den Klägern zu 2. und 3. erteilt worden war - ist nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 AufenthG zwar ein Aufenthaltstitel. Nach § 6 Abs. 2a AufenthG berechtigt ein Schengen-Visum indes grundsätzlich nicht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit; etwas anderes gilt nur, wenn es zum Zwecke der Erwerbstätigkeit erteilt wurde. Die Einfügung des Abs. 2a in § 6 AufenthG durch das Fachkräfteeinwanderungsgesetz war als Folgeregelung angesichts der Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses bei der Ausübung einer Erwerbstätigkeit für Inhaber eines Aufenthaltstitels erforderlich, um klarzustellen, dass Inhabern eines Schengen-Visums nur aufgrund einer besonderen Rechtsgrundlage ein Aufenthalt zum Zweck der Erwerbstätigkeit gestattet ist (Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Juni 2020, § 6 AufenthG Rn. 36). Dies schließt die jeweils einschlägigen Vorschriften der Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (Beschäftigungsverordnung - BeschV) vom 6. Juni 2013 (BGBl. I S. 1499), zuletzt geändert durch Art. 1 der Verordnung vom 18. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3046), sowie eine etwaig erforderliche Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit nach § 39 AufenthG ein (BT-Drs. 19/8285 S. 88). An den vor Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes bekannten Steuerungsmitteln, wonach bestimmte Tätigkeiten nicht als Erwerbstätigkeit gelten oder von der Zustimmung durch die Bundesagentur für Arbeit freigestellt sein können, hat der Gesetzgeber somit grundsätzlich festgehalten (Nusser, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 4a AufenthG Rn. 23).
Rz. 34
Zum Ausschluss der Erwerbstätigkeit in § 6 Abs. 2a AufenthG war der nationale Gesetzgeber nach dem Unionsrecht auch befugt. Das Schengen-Visum berechtigt zwar zu dem vorgesehenen kurzfristigen Aufenthalt in allen Schengen-Vertragsstaaten (Art. 19 SDÜ), ohne dass es der Zustimmung des jeweils anderen Staates bedarf (einheitliches Visum, Art. 2 Nr. 3 Visakodex); der Berechtigungsinhalt bezüglich der Erwerbstätigkeit kann indes je nach Aufenthaltsstaat variieren (vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Juni 2020, § 6 AufenthG Rn. 36a). Das Schengen-Visum hat grenzüberschreitende Wirkung, umfasst aber nicht kraft Unionsrechts das Recht zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit. Hierüber entscheidet allein der Mitgliedstaat, in dem die Erwerbstätigkeit ausgeübt werden soll (Winkelmann/Kolber, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Aufl. 2020, § 6 AufenthG Rn. 31). Insoweit hat der Gesetzgeber in § 4a Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 2a AufenthG klarstellend von dem ihm unionsrechtlich belassenen Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht.
Rz. 35
Das Schengen-Visum der Kategorie C, das den Klägern zu 2. und 3. als ukrainischen Staatsangehörigen ohne biometrischen Reisepass, die der unionsrechtlichen Visumpflicht für Kurzaufenthalte unterliegen (Umkehrschluss aus Anhang II der Verordnung ≪EU≫ 2018/1806 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. November 2018 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind ≪ABl. L 303 S. 39≫ - EU-Visa-VO -, geändert durch Art. 1 ÄndVO (EU) 2019/592 vom 10.04.2019 ≪ABl. L 103 I S. 1≫), erteilt worden war, berechtigt daher nicht zu einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet, weil es jedenfalls nicht zum Zwecke der Erwerbstätigkeit erteilt worden war. Hier nicht zu vertiefen ist, dass bei der Ausstellung eines Schengen-Visums durch einen Drittstaat dieser nicht mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland auf der Grundlage des § 6 Abs. 2a Halbs. 2 AufenthG eine Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet gestatten darf. Offenbleiben kann auch, wie im Einzelnen die Erteilung "zum Zwecke der Erwerbstätigkeit" im nationalen Raum zu gestalten ist. Ein durch die Bundesrepublik Deutschland ausgestelltes Schengen-Visum, das ausdrücklich zur Erwerbstätigkeit berechtigt, erfüllt nach nationalem Aufenthaltsrecht jedenfalls die Voraussetzungen des § 6 Abs. 2a AufenthG.
Rz. 36
c) Im Ergebnis nichts anderes gilt in Fällen, in denen - wie hier der Kläger zu 1. - ein sogenannter Positivstaater nach Art. 4 Abs. 1 EU-Visa-VO in Verbindung mit der Liste in Anhang II von der Visumpflicht für einen Aufenthalt, der 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen nicht überschreitet, grundsätzlich befreit ist, weil er Inhaber eines biometrischen Reisepasses ist, der von der Ukraine im Einklang mit den Normen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) ausgestellt worden ist.
Rz. 37
Auch diese Personen bedürfen für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet eines Aufenthaltstitels, der zur Erwerbstätigkeit berechtigt (§ 4a Abs. 1, 2 und 3 AufenthG).
Rz. 38
Die Ausübung einer Erwerbstätigkeit wird durch die EU-Visa-Verordnung zwar nicht eingeschränkt, denn für die Regelung der Beschäftigung steht der Europäischen Union keine Kompetenz zu (Rossi, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 77 Rn. 14). Die Visumbefreiung greift in diesen Fällen jedoch aufgrund - zulässigen - nationalen Rechts nicht ein. Nach Art. 6 Abs. 3 EU-Visa-VO können die Mitgliedstaaten für Drittstaatsangehörige, die während ihres Aufenthalts einer Erwerbstätigkeit nachgehen, Ausnahmen von der Befreiung von der Visumpflicht nach Art. 4 EU-Visa-VO vorsehen. Eine solche Regelung hat der nationale Gesetzgeber in § 17 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) vom 25. November 2004 (BGBl. I S. 2945), zuletzt geändert durch Art. 2 der Verordnung vom 18. Dezember 2020 (BGBl. I S. 3046) vorgesehen. Nach § 17 Abs. 1 AufenthV besteht auch während eines Kurzaufenthalts keine Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels, sofern im Bundesgebiet eine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Mit der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit entfällt somit die Befreiung von der Visumpflicht nach Art. 4 Abs. 1 EU-Visa-VO (vgl. Zeitler, in: HTK-AuslR, Stand: 03.07.2020, § 6 Abs. 1 und 2 AufenthG Rn. 38).
Rz. 39
Eine (Rück-)Ausnahme zu § 17 Abs. 1 AufenthV gilt zwar nach § 17 Abs. 2 AufenthV bei kurzfristigen (selbstständigen oder unselbstständigen) Tätigkeiten, die nach § 30 Nr. 2 und 3 BeschV nicht als Beschäftigung gelten (zu § 30 Nr. 4 BeschV i.V.m. §§ 23 bis 30 AufenthV s.u. II.2.3). Die Voraussetzungen dieser Bestimmung liegen hier aber nicht vor. Die von den Klägern angestrebte Tätigkeit fällt weder unter die Tatbestände der §§ 5, 14, 15, 17, 18, 19 Abs. 1, §§ 20, 22 und 23 BeschV (§ 30 Nr. 2 BeschV) noch unter § 21 BeschV (sogenanntes Vander Elst Visum), weil hier nicht der Fall der grenzüberschreitenden Dienstleistungserbringung innerhalb der EU vorliegt (§ 30 Nr. 3 BeschV).
Rz. 40
2.3 Von dem Erfordernis eines Aufenthaltstitels, der zur Erwerbstätigkeit berechtigt, ist auch nicht ausnahmsweise abzusehen. Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden "Nichtbeschäftigungsfiktion" des § 30 Nr. 4 BeschV i.V.m. §§ 23 bis 30 AufenthV (a) liegen im Ergebnis nicht vor (b und c).
Rz. 41
a) Ausnahmen von dem Grundsatz, dass jede Art von Erwerbstätigkeit nur ausgeübt werden darf, soweit ein Aufenthaltstitel dazu berechtigt, enthält die Verordnung über die Beschäftigung von Ausländerinnen und Ausländern (BeschV). In Betracht kommt hier allein die sogenannte "Nichtbeschäftigungsfiktion" (§ 30 BeschV). Sie benennt Tätigkeiten, die nicht als Beschäftigung im Sinne des Aufenthaltsgesetzes anzusehen sind (Werner, in: Offer/Mävers, BeschV, 1. Aufl. 2016, § 30 Rn. 2) und nimmt diese per definitionem aus der Begriffsbestimmung der Erwerbstätigkeit im Sinne der § 2 Abs. 2, § 4a AufenthG heraus. Neben den in § 17 Abs. 2 AufenthV genannten "Nichtbeschäftigungen" nach § 30 Nr. 2 und 3 BeschV, die für die hier zur Prüfung gestellten Tätigkeiten ebenso wenig erfüllt sind (s.o. II.2.2) wie die Tätigkeiten nach § 30 Nr. 1 BeschV, bestimmt § 30 Nr. 4 BeschV, dass Tätigkeiten von Personen, die nach den §§ 23 bis 30 Aufenthaltsverordnung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels befreit sind, nicht als Beschäftigung im Sinne des Aufenthaltsgesetzes gelten.
Rz. 42
b) Im Einklang mit Bundesrecht steht die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Tatbestandsvoraussetzungen einer Befreiung vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels gemäß § 24 Abs. 2 AufenthV nicht vorliegen. § 24 Abs. 2 Satz 1 AufenthV regelt lediglich den Aufenthalt von zivilem Schiffspersonal eines in der See- und Küstenschifffahrt oder in der Rhein-Seeschifffahrt verkehrenden Schiffs für den Aufenthalt im Hafenort. Unabhängig von der Frage, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen Arbeitsschiffe unter die in der See- oder Küstenschifffahrt verkehrenden Schiffe im Sinne des § 24 Abs. 2 AufenthV fallen (vgl. dazu: Offer/Mävers, BeschV, 1. Aufl. 2016, § 24 Rn. 9), erfasst das zur Prüfung gestellte Feststellungsbegehren nicht die in dieser Regelung angeordnete Befreiung vom Titelerfordernis für den Landgang im Hafenort. § 24 Abs. 2 AufenthV, der eine Befreiung nur für den Landgang vorsieht, setzt allerdings denklogisch voraus, dass das Schiffspersonal für den Aufenthalt an Bord keinen Aufenthaltstitel benötigt. Selbst dies ist für die Auslegung der weiteren Ausnahmeregelungen aber nur und erst dann von Bedeutung, wenn die Vorschriften der §§ 24, 26 AufenthV überhaupt auf die hier zur Prüfung gestellte Tätigkeit von Seeleuten auf Offshore-Supply-Schiffen anwendbar sind. Dies ist indes nicht der Fall (siehe nachfolgend c).
Rz. 43
c) Drittstaatsangehörige Ausländer, die sich zu Arbeitseinsätzen auf Offshore-Supply-Schiffen unter panamaischer Flagge im deutschen Küstenmeer aufhalten, sind im Ergebnis auch nicht nach § 26 Abs. 1 AufenthV vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels, der zur Erwerbstätigkeit berechtigt, befreit; diese Regelung befreit Ausländer vom Erfordernis eines Aufenthaltstitels, die sich im Bundesgebiet befinden, ohne im Sinne des § 13 Abs. 2 AufenthG einzureisen. Dies gilt sowohl für den Fall, dass die Kläger als Besatzungsmitglieder nach einer Einreise in das Bundesgebiet in einem deutschen Hafen auf das Schiff gelangen (aa), als auch für die Einfahrt in das deutsche Küstenmeer auf dem Seeweg (bb).
Rz. 44
aa) Gelangt ein Besatzungsmitglied eines Offshore-Supply-Schiffs - wie hier im Herbst 2017 wohl die Kläger zu 1. und 2. - nach Einreise auf dem Land- oder Luftweg in das Bundesgebiet in einem deutschen Hafen auf das Schiff und fährt dann zur Erledigung der vorgesehenen Arbeiten in das deutsche Küstenmeer aus, ist der Befreiungstatbestand des § 26 Abs. 1 AufenthV von vornherein nicht erfüllt. Denn diese Person ist jedenfalls in das Bundesgebiet eingereist, aber nicht ausgereist.
Rz. 45
In dieser Fallkonstellation kommt es für die Aufenthaltserlaubnispflicht darauf an, ob der unstreitig eingereiste Drittstaatsangehörige mit dem Verlassen des Hafens und/oder einem Ausreisestempel in den Ausweispapieren, die eine Ausreise aus dem Bundesgebiet bescheinigen, im Rechtssinne bereits wieder ausgereist ist, wenn das Schiff (und damit er selbst) tatsächlich das zum Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland gehörende Küstenmeer nicht verlassen hat. Dies ist nicht der Fall.
Rz. 46
Der unionsrechtliche Begriff der "Ausreise" aus dem Schengenraum (und damit auch dem Bundesgebiet) ist nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 4. Mai 2017 - C-17/16 [ECLI:EU:C:2017:341], El Dakkak und Intercontinental - Rn. 19 bis 21 und vom 5. Februar 2020 - C-341/18 [ECLI:EU:C:2020:76], J. u.a. - Rn. 43) dahin zu verstehen, dass er sich auf die physische Handlung einer Person bezieht, sich von einem Ort, der zum Hoheitsgebiet des Schengenraums gehört, an einen Ort, der nicht zum Hoheitsgebiet gehört, zu begeben. Der bloße Umstand, dass eine Person eine Grenzübergangsstelle im Sinne von Art. 2 Nr. 8 Schengener Grenzkodex (SGK) überschritten hat, an der die Überwachung der Außengrenzen erfolgt, bedeutet nicht, dass diese Person den Schengenraum verlassen hat, wenn sie sich noch in einem Teil des zum Schengenraum gehörenden Hoheitsgebietes eines Staates aufhält (EuGH, Urteil vom 5. Februar 2020 - C-341/18 - Rn. 45). Die Ausreisestempel werden nach Art. 11 Abs. 1 SGK "bei der Ausreise" aus dem Schengenraum angebracht, wobei die Ausreise dem Überschreiten einer Außengrenze entspricht (EuGH, Urteil vom 5. Februar 2020 - C-341/18 - Rn. 68 f.). Hiernach sind Personen, die auf dem Luft- oder Landweg einreisen, aber das Hoheitsgebiet des deutschen Staates trotz erfolgter Ausreisekontrolle nicht verlassen, nicht (wieder) ausgereist; sie halten sich vielmehr nach wie vor nach Einreise im Bundesgebiet auf.
Rz. 47
bb) § 26 AufenthV ist im Ergebnis aber auch dann nicht anzuwenden, wenn die Einfahrt in das deutsche Küstenmeer auf dem Seeweg erfolgt ist.
Rz. 48
(1) Bei der Einfahrt auf dem Seeweg zum Zwecke der Arbeitstätigkeit im Küstenmeer dürfte - ohne dass dies abschließend zu entscheiden ist - bereits das Tatbestandsmerkmal des § 26 Abs. 1 AufenthV "ohne im Sinne des § 13 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes einzureisen" nicht erfüllt sein. Wenn eine "Ausreise" im Sinne des Schengener Grenzkodex dem Überschreiten einer Außengrenze des Schengenraums entspricht (vgl. EuGH, Urteil vom 5. Februar 2020 - C-341/18 - Rn. 43 ff., 69), liegt nahe, dass Gleiches spiegelbildlich auch für den Begriff der "Einreise" gilt - mit der Folge, dass bei einer Anreise mit einem Seeschiff von einem Ort außerhalb des Schengenraums die Einreise grundsätzlich bereits mit der Einfahrt in das Küstenmeer erfolgt. Bei unionsrechtskonformer Auslegung des § 13 Abs. 2 AufenthG erfolgte die Einreise jedenfalls dann bereits mit dem tatsächlichen (physischen) Überschreiten der (See-)Außengrenze, wenn sie nicht durch das völkerrechtlich garantierte Recht der friedlichen Durchfahrt (Art. 17 SRÜ) gedeckt ist und auch keine Absicht besteht, zeitnah eine Grenzübergangsstelle aufzusuchen. Dem steht nicht die Nr. 13.2.6.2. der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift vom 26. Oktober 2009 (GMBl. S. 878) zu § 13 AufenthG entgegen, wonach bei einer Umgehung der Grenzübergangsstelle die Einreise bereits mit der Einfahrt in das Küstenmeer vollendet ist. Hieraus folgt nicht, dass bei fehlender Absicht, unter Umgehung einer Grenzübergangsstelle an Land zu gehen, generell keine Einreise im Sinne des § 13 Abs. 2 AufenthG vorliegt. Dieser Schluss ist vielmehr lediglich dann gerechtfertigt, wenn die Einfahrt vom Recht der friedlichen Durchfahrt gedeckt ist.
Rz. 49
(2) § 26 Abs. 1 AufenthV ist jedenfalls dahin auszulegen, dass der Anwendungsbereich dieser Norm nicht eröffnet ist, wenn drittstaatsangehörige Seeleute als Besatzungsmitglieder auf einem Offshore-Supply-Schiff im deutschen Küstenmeer verbleiben, um dort einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. § 26 Abs. 1 AufenthV zielt ungeachtet seines auslegungsbedürftigen Wortlauts im Falle der Einfahrt eines Seeschiffs in das Küstenmeer lediglich auf den grenzüberschreitenden Durchgangsverkehr, der - in Realisierung des Rechts der friedlichen Durchfahrt (Art. 17 SRÜ) - dem Transit von Personen und Waren dient. Dies erfasst nicht das Verbleiben von Besatzungsmitgliedern eines Offshore-Supply-Schiffs zum Zweck von Offshore-Arbeiten im Küstenmeer, die vom Recht auf friedliche Durchfahrt gerade nicht erfasst sind (s.o. II.2.1).
Rz. 50
Auf ein entsprechendes Normverständnis weist bereits die amtliche Überschrift des § 26 AufenthV hin ("Transit ohne Einreise; Flughafentransitvisum"). Sie bringt zum Ausdruck, dass von der Vorschrift nur "Transitfälle" erfasst werden, d.h. nur solche Personen unter den Befreiungstatbestand fallen, die sich lediglich kurzzeitig zwecks Durchreise auf deutschem Staatsgebiet aufhalten.
Rz. 51
Bestätigt wird dies durch die systematische Auslegung. Denn die Überschrift des Kapitels 2, Abschnitt 2, Unterabschnitt 3 der AufenthV ("Befreiungen im grenzüberschreitenden Beförderungswesen") bekräftigt, dass die Befreiungstatbestände nur auf Personal oder Benutzer bestimmter Beförderungsmittel (Flugzeuge und Schiffe) anwendbar sind und der grenzüberschreitenden Beförderung von Personen oder Waren dienen sollen, aber nicht dem Verbleiben von Besatzungsmitgliedern eines Seeschiffs zur Verrichtung von Offshore-Arbeiten (ähnlich zu den Ausnahmebestimmungen des Schengener Grenzkodexes EuGH, Urteil vom 5. Februar 2020 - C-341/18 - Rn. 65 f.). Die korrespondierende Vorschrift des § 24 Nr. 1 BeschV, wonach es für die Erteilung eines Aufenthaltstitels an die Mitglieder von Besatzungen im internationalen Verkehr keiner Zustimmung der Bundesagentur für Arbeit bedarf, weist mit dem Begriff des "internationalen Verkehrs" ebenfalls darauf hin, dass nur der grenzüberschreitende Personen- und Güterverkehr Regelungsinhalt ist (vgl. Werner, in: Offer/Mävers, BeschV, 1. Aufl. 2016, § 24 Rn. 11).
Rz. 52
Sinn und Zweck des § 26 AufenthV schließen es aus, die Vorschrift in Fällen anzuwenden, in denen ausländische Besatzungsmitglieder eines Seeschiffs über mehrere Wochen oder Monate zwecks Erwerbstätigkeit auf einem Offshore-Supply-Schiff innerhalb des deutschen Küstenmeers verbleiben. Der Verordnungsgeber hat in der Begründung zur Aufenthaltsverordnung (BR-Drs. 731/04 S. 171) aufgeführt, welche Fallgruppen typischerweise von § 26 Abs. 1 AufenthV erfasst sind. Danach bedürfen Fahrgäste oder Besatzungsmitglieder von Schiffen keines Aufenthaltstitels, solange sie nur auf dem Schiff verbleiben oder sonst keine Grenzübergangsstelle (etwa in Freihäfen) passieren (bislang § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 DVAuslG), sowie Personen, die deutsche Küstengewässer nur durchfahren.
Rz. 53
Diese in der Verordnungsbegründung genannten Fallgruppen unterstreichen, dass der Verordnungsgeber das Recht der friedlichen Durchfahrt (Art. 17 SRÜ) im Blick hatte und aufenthaltsrechtlich erleichtern bzw. umsetzen wollte. Denn umschrieben wird der Sache nach u.a. die Situation von Fahrgästen oder Besatzungsmitgliedern von Seeschiffen, die (im Rahmen des Rechts der friedlichen Durchfahrt) deutsche Küstengewässer in der internationalen Schifffahrt befahren und so lange als nicht eingereist im Sinne des § 13 Abs. 2 AufenthG gelten, wie sie auf dem Schiff verbleiben oder sonst keine Grenzübergangsstelle passieren.
Rz. 54
Zu Unrecht folgert das Verwaltungsgericht aus den in der Verordnungsbegründung genannten Fallgruppen, insbesondere der Benennung "der Personen, die deutsche Küstengewässer nur durchfahren", dass es der separaten Benennung von Besatzungsmitgliedern, die auf dem Schiff verbleiben, nicht bedurft hätte, wenn die Vorschrift des § 26 Abs. 1 AufenthV von vornherein nur Transitaufenthalte umfasste. Dies vernachlässigt, dass der Verordnungsgeber nicht nur allgemein die Durchfahrt von Personen in Küstengewässern, sondern speziell auch kurzfristige Aufenthalte von Fahrgästen bzw. Besatzungsmitgliedern von Schiffen im regulären, dem Tourismus oder sonstigen wirtschaftlichen Zwecken dienenden internationalen Schiffsverkehr regeln wollte. Allen in der Verordnungsbegründung genannten Varianten ist gemeinsam, dass es sich um nur sehr kurzfristige Aufenthalte auf bzw. in deutschem Staatsgebiet handelt. Dass der Verordnungsgeber durch § 26 AufenthV lediglich solche Aufenthalte regeln wollte, ergibt sich zudem daraus, dass er im Zusammenhang mit der Frage der Passpflicht der durchreisenden Ausländer ausgeführt hat (BR-Drs. 731/04 S. 171): "Eine Befreiung von der Passpflicht ist in den Transitfällen nicht vorgesehen". § 26 AufenthV kann daher als aufenthaltsrechtliche "De-minimis-Regelung" verstanden werden, die aufenthaltsrechtlich irrelevante Aufenthalte definiert (vgl. Maor, ZAR 2005, 185 ≪188≫), damit nicht jeder visumpflichtige Drittstaatsangehörige, der sich im Transit (etwa im Transitbereich des Flughafens), bei der Durchfahrt in Küstengewässern oder bei bloßen Aufenthalten auf einem Schiff in Freihäfen befindet, der Aufenthaltstitelpflicht unterliegt.
Rz. 55
Eine historisch-genetische Auslegung bestätigt, dass Aufenthalte, die nicht dem Transit von Personen oder Waren dienen, sondern der (nicht nur kurzfristigen), mit der Durchfahrt (einschließlich der völkerrechtlich zugelassenen Unterbrechungen) verbundenen Erwerbstätigkeit im deutschen Küstenmeer, nicht vom Anwendungsbereich des § 26 Abs. 1 AufenthV erfasst sind. Die Regelung des § 26 Abs. 1 AufenthV gibt ein allgemeines Grundprinzip wieder, das in der bisherigen Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes (DVAuslG) nur lückenhaft und mit Bezug auf einige Sonderfälle erfasst war (vgl. BR-Drs. 731/04 S. 170). Die von dem Verordnungsgeber nunmehr beispielhaft genannte Fallgruppe der Besatzungsmitglieder (oder Fahrgäste) von Schiffen, die auf dem Schiff verbleiben oder sonst keine Grenzübergangsstelle passieren, war zuvor in § 8 Abs. 1 Nr. 1 und 2 DVAuslG (Verordnung zur Durchführung des Ausländergesetzes vom 18. Dezember 1990 ≪BGBl. I S. 2983≫, zuletzt geändert durch Art. 32 des Gesetzes für moderne Dienstleistung am Arbeitsmarkt vom 23. Dezember 2003 ≪BGBl. I S. 2848≫) geregelt. Danach waren vom Erfordernis der Aufenthaltsgenehmigung und von der Passpflicht befreit Fahrgäste eines Schiffs der See- oder Küstenschifffahrt im Durchgangsverkehr vom Ausland über deutsche Häfen ins Ausland, wenn sie das Schiff nicht verlassen, und Besatzungsmitglieder eines Schiffs der See- oder Küstenschifffahrt, das nicht berechtigt ist, die Bundesflagge zu führen, im Durchgangsverkehr vom Ausland über deutsche Häfen ins Ausland, wenn sie das Schiff nicht verlassen.
Rz. 56
Bereits die Vorgängerregelung des § 26 AufenthV, an die letztere Vorschrift anknüpft, ging mithin davon aus, dass eine Befreiung von der Aufenthaltsgenehmigungspflicht für Besatzungsmitglieder eines Seeschiffs nur im grenzüberschreitenden Durchgangsverkehr in Betracht kam und nicht, wenn sich die Besatzungsmitglieder auf dem Schiff aufhalten, um von dort aus eine Erwerbstätigkeit im Küstenmeer auszuüben. Die von dem Verwaltungsgericht zur Begründung seiner Auffassung herangezogene Passage der Verordnungsbegründung zu § 24 AufenthV (BR-Drs. 731/04 S. 169: "Personen, die ein internationales Seeschiff nicht verlassen, reisen nicht im Sinne des § 13 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes ein. Die entsprechende Befreiung ist in § 26 Abs. 1 enthalten.") bezieht sich folglich ebenfalls nur auf Fahrgäste und Besatzungsmitglieder von Seeschiffen im Durchgangsverkehr, die mit einer grenzüberschreitenden Beförderung betraut sind.
Rz. 57
Die Aufhebung der Aufenthaltstitelpflicht für ausländische Besatzungsmitglieder von Seeschiffen, die zur Führung der Bundesflagge berechtigt sind (vgl. § 4 Abs. 4 AufenthG a.F.), durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechte von international Schutzberechtigten und ausländischen Arbeitnehmern (AufenthGuaÄndG) vom 29. August 2013 (BGBl. I S. 3484, 3899), erlaubt nicht den Schluss, der nationale Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass generell kein Erlaubnisvorbehalt für Drittstaatsangehörige an Bord von Seeschiffen unter fremder Flagge besteht. Vielmehr wollte der Gesetzgeber mit der Aufhebung des § 4 Abs. 4 AufenthG a.F. lediglich die Rechtslage für ausländische Besatzungsmitglieder auf deutschflaggigen Schiffen derjenigen für ausländische Besatzungsmitglieder auf fremdflaggigen Schiffen anpassen. Aus der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/13022 S. 18 f.) geht die Annahme des Gesetzgebers hervor, dass Seeleute auf fremdflaggigen Schiffen meist nicht über in Deutschland gültige Aufenthaltstitel verfügen, beim Verlassen des Schiffs aber ausländerrechtlich überprüft werden. Der Verweis in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17/13022 S. 19) auf § 24 Abs. 2 AufenthV macht deutlich, dass der Gesetzgeber nur die Fallgruppe des zivilen Schiffspersonals eines im grenzüberschreitenden Beförderungswesen verkehrenden Schiffs im Auge hatte, aber nicht die der Besatzungsmitglieder eines im deutschen Küstenmeer zwecks Arbeitseinsatzes verweilenden Offshore-Supply-Schiffs.
Rz. 58
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Fundstellen
InfAuslR 2021, 374 |
VR 2021, 359 |
ZAR 2021, 306 |
ZAR 2022, 31 |