Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufrechnung. Billigkeitsentscheidung. Disziplinarmaßnahme. Gehaltskürzung. Minderung der Besoldung durch Disziplinarurteil. Rückforderung überzahlter Dienstbezüge. Kenntnis der Nichtschuld
Leitsatz (amtlich)
1. Dienstbezüge, die dem Beamten im Widerspruch zu einer Gehaltskürzung durch ein Disziplinarurteil ausgezahlt wurden, können auf besoldungsrechtlicher Grundlage zurückgefordert werden.
2. § 814 BGB gilt nicht bei der Rückforderung überzahlter Dienstbezüge gemäß § 12 BBesG.
Normenkette
BBesG § 12; BGB § 814; DO NW § 9 Abs. 1 (= § 9 Abs. 1 S. 1 BDO); DO NW § 117 Abs. 4 (§ 117 Abs. 4 BDO); DO NW §§ 89-90
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 16.06.2000) |
OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 16.06.2000; Aktenzeichen 12 A 1364/99) |
VG Köln (Entscheidung vom 22.02.1999; Aktenzeichen 3 K 7298/95) |
Tenor
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Juni 2000 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Der Kläger ist Stadtamtmann im Dienst der Beklagten. Mit am 6. Juli 1994 verkündetem Urteil verhängte das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen gegen ihn wegen eines Dienstvergehens eine Gehaltskürzung von 10 v.H. für die Dauer eines Jahres. Ab September 1994 zahlte die Beklagte die Bezüge in gemindertem Umfang aus und behielt im April 1995 zusätzlich den Kürzungsbetrag für August 1994 in Höhe von 543,58 DM ein.
Die Klage auf Zahlung von 543,58 DM hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt (vgl. RiA 2001, 197):
Der Kläger könne sein Begehren im Verwaltungsrechtsweg verfolgen, da es sich nicht um eine disziplinarrechtliche, sondern um eine besoldungsrechtliche Streitigkeit handele. Der Besoldungsanspruch für April 1995 sei in Höhe des streitigen Betrages durch Aufrechnung mit einem Rückforderungsanspruch erloschen. Für den Monat August 1994 seien dem Kläger Bezüge in Höhe des streitigen Betrages zu viel, d.h. ohne Rechtsgrund gezahlt worden, da aufgrund des Disziplinarurteils der Besoldungsanspruch für diesen Monat in dem entsprechenden Umfang verringert gewesen sei. Dem Kläger sei aufgrund der ihm geläufigen Wirkung der Verkündung des Urteils des Disziplinarsenats bekannt gewesen, dass er insoweit keinen Anspruch auf Dienstbezüge gehabt habe. Die auch bei der Aufrechnung erforderliche Billigkeitsentscheidung habe die Beklagte jedenfalls der Sache nach in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht und damit noch rechtzeitig getroffen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts und beantragt,
die Urteile des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 16. Juni 2000 und des Verwaltungsgerichts Köln vom 22. Februar 1999 sowie den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 25. September 1995 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Dienstbezüge in Höhe von 543,58 DM nachzuzahlen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Mit seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat unterstützt der Vertreter des Bundesinteresses die Revision.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision ist unbegründet. Der Kläger kann die Zahlung von 543,58 DM nicht verlangen, da sein Besoldungsanspruch für April 1995 in diesem Umfang aufgrund der Aufrechnung der Beklagten mit einem Rückzahlungsanspruch erloschen ist.
In den Monaten August 1994 bis Juli 1995 hatte der Kläger infolge des Disziplinarurteils des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 6. Juli 1994 nur Anspruch auf Dienstbezüge, die um 10 v.H. gegenüber den gesetzlich festgelegten Beträgen gemindert waren.
Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 DO NW besteht die Disziplinarmaßnahme der Gehaltskürzung in der bruchteilmäßigen Verminderung der jeweiligen Dienstbezüge um höchstens ein Fünftel und auf längstens fünf Jahre. Die Gehaltskürzung beginnt gemäß § 117 Abs. 4 DO NW mit dem der Rechtskraft des Urteils folgenden Monat. Nach diesen Vorschriften bewirkt die Gehaltskürzung einen „befristeten Rechtsverlust” (vgl. Urteile vom 2. Dezember 1970 – BVerwG 1 D 19.70 – BVerwGE 43, 146 ≪147≫ und vom 26. Februar 1986 – BVerwG 1 D 118.85 – BVerwGE 83, 125 ≪130≫) ab dem auf die Rechtskraft des Urteils (vgl. §§ 89, 90 DO NW) folgenden Monat in dem Umfang und für den Zeitraum, der durch das Disziplinarurteil festgelegt wird. Die disziplinargerichtliche Entscheidung hat unmittelbar eine Minderung des gesetzlichen Anspruchs auf Besoldung zur Folge und modifiziert den Grundsatz, dass die Besoldung ausschließlich durch Gesetz bestimmt wird (vgl. § 2 Abs. 1 BBesG).
Die Gestaltungswirkung des Disziplinarurteils tritt ohne weiteres mit der Rechtskraft ein. Einer Vollstreckung oder Vollziehung im technischen Sinne bedarf es nicht. Die für die Besoldung zuständige Stelle hat das Disziplinarurteil ab dem gesetzlich bestimmten Zeitpunkt, in dem vom Gericht bestimmten Umfang und für den vom Gericht bestimmten Zeitraum zu beachten. Sie „vollzieht” die Gehaltskürzung, indem sie den Kürzungsbetrag berechnet und die Dienstbezüge nur in dem geminderten Umfang auszahlt (vgl. Urteil vom 26. Februar 1986 a.a.O. S. 130).
Aufgrund des am 6. Juli 1994 verkündeten Disziplinarurteils hatte der Kläger nur Anspruch auf Dienstbezüge, die im Jahre 1994 um 543,58 DM und im Jahre 1995 um 554,45 DM pro Monat unter der gesetzlich bestimmten Höhe lagen. Gemäß § 90 DO NW wurde das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen mit der Verkündung rechtskräftig, so dass der Anspruchsverlust gemäß § 117 Abs. 4 Satz 1 DO NW erstmals im August 1994 eintrat.
Der Beginn des Kürzungszeitraumes ist in § 117 Abs. 4 Satz 1 DO NW zwingend festgelegt und kann nicht auf einen späteren Termin verschoben werden (vgl. Urteil vom 2. Dezember 1970 a.a.O. und Beschluss vom 9. April 1991 – BVerwG 1 DB 3.91 – BVerwGE 93, 61 ≪67≫). Nach den disziplinarrechtlichen Vorschriften ist es der für die Besoldung zuständigen Stelle nicht freigestellt, während des Kürzungszeitraumes in einem oder mehreren Monaten die Bezüge unvermindert und in einem oder mehreren Monaten mehrfach gekürzt auszuzahlen. Vielmehr hat auch der von der Disziplinarmaßnahme betroffene Beamte ein Recht auf die Dienstbezüge, die ihm nach der Gehaltskürzung allmonatlich zustehen. Ob etwas anderes gilt, wenn die Gehaltskürzung aus Rechtsgründen nicht durchgeführt werden kann, etwa weil der Beamte ohne Bezüge beurlaubt ist (vgl. Urteile vom 26. Februar 1986 a.a.O. S. 125 ff. und 13. Oktober 1992 – BVerwG 1 D 51.91 – DokBer B 1993, 25); Beschluss vom 9. April 1991 a.a.O. S. 61 ff., braucht nicht vertieft zu werden, weil der Besoldungsanspruch des Klägers im August 1994 nicht suspendiert war.
Der Kläger ist gemäß § 12 Abs. 2 BBesG zur Rückzahlung der im August 1994 überzahlten Dienstbezüge verpflichtet, weil er in diesem Monat aufgrund der Gestaltungswirkung des Disziplinarurteils nur einen Anspruch auf um 543,58 DM gekürzte Dienstbezüge hatte.
Die Anwendung des § 12 Abs. 2 BBesG wird von den Bestimmungen der Disziplinarordnung nicht ausgeschlossen. Gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG können zu viel gezahlte Bezüge nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung zurückgefordert werden, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. Das Disziplinarrecht regelt die Voraussetzungen, den zulässigen Umfang und die Wirkung einer Gehaltskürzung. Es lässt jedoch offen, welche Folgen eine die Gehaltskürzung kraft Richterspruchs nicht berücksichtigende Zahlung hat. Insoweit verbleibt es bei den allgemeinen besoldungsrechtlichen Regelungen.
Die Rückforderung im Umfang der Gehaltskürzung zu viel gezahlter Bezüge wie auch die Durchsetzung dieser Forderung verstoßen nicht gegen Sinn und Zweck der disziplinarrechtlichen Regelungen, wonach die „pflichtenmahnende Einwirkung der Disziplinarmaßnahme” mit ihrem Ausspruch in engem zeitlichen Zusammenhang spürbar sein soll. Die Rückforderung im Kürzungszeitraum überzahlter Bezüge ist keine disziplinarrechtliche, sondern eine besoldungsrechtliche Maßnahme. Jedenfalls genügt die im Kürzungszeitraum geltend gemachte und abgewickelte Rückforderung der vom Disziplinarrecht vorgegebenen Zielsetzung.
Der Rückforderung steht § 814 BGB nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war. Zwar regelt sich die Rückforderung gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches über die Herausgabe einer ungerechtfertigten Bereicherung, zu denen auch § 814 BGB gehört. § 12 Abs. 2 BBesG verweist aber nur insoweit auf die Vorschriften des BGB, als es um die Rechtsfolgen des Rückzahlungsanspruches geht. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Rückforderung bezeichnet § 12 BBesG mit der Wendung „zu viel gezahlt” eigenständig und abschließend. § 814 BGB regelt nicht den „Umfang der Erstattung” (vgl. § 49 a Abs. 2 Satz 1 VwVfG), sondern schließt den Bereicherungsanspruch dem Grunde nach aus. Eine solche Ergänzung des Rechtsgrundes lässt § 12 Abs. 2 BBesG nicht zu.
Nach den das Revisionsgericht bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) wusste der Kläger, dass er in dem der Verkündung des Disziplinarurteils folgenden Monat keinen Anspruch auf ungekürzte Dienstbezüge hatte. Er kann sich deshalb nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen.
Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist auch die von der Beklagten getroffene Billigkeitsentscheidung gemäß § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG nicht zu beanstanden. Nach dieser Vorschrift kann von der Rückforderung aus Billigkeitsgründen mit Zustimmung der obersten Dienstbehörde oder der von ihr bestimmten Stelle ganz oder teilweise abgesehen werden.
Da eine Billigkeitsentscheidung zugunsten des Schuldners den Rückzahlungsanspruch modifiziert, beurteilt sich deren Rechtmäßigkeit nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung. Die Billigkeitsentscheidung ist nicht nur bei Erlass eines Leistungsbescheides, sondern auch dann zu treffen, wenn der Erstattungsanspruch im Wege der Leistungsklage oder im Wege der Aufrechnung geltend gemacht wird (vgl. Urteil vom 27. Januar 1994 – BVerwG 2 C 19.92 – BVerwGE 95, 94 ≪96≫ m.w.N.). Im Falle der Leistungsklage oder der Aufrechnung kann die Billigkeitsentscheidung noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren bis zum Sachantrag beim Tatsachengericht nachgeholt werden (Urteile vom 19. Dezember 1995 – BVerwG 10 A 1.94 – BVerwGE 100, 206 ≪214≫ m.w.N. und vom 21. Oktober 1999 – BVerwG 2 C 27.98 – BVerwGE 109, 357 ≪361 f.≫).
Eine solche Billigkeitsentscheidung hat die Beklagte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht getroffen. Sie hat die ihr eingeräumten Möglichkeiten bedacht und ist zu dem Ergebnis gelangt, die Rückforderung angesichts der geringen Summe in einem Betrage geltend zu machen. Dies ist nicht zu beanstanden.
Wie das Oberverwaltungsgericht im Weiteren ebenfalls zutreffend ausgeführt hat, durfte die Beklagte die Rückforderung im Wege der Aufrechnung geltend machen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Dawin, Dr. Kugele, Groepper, Dr. Bayer
Fundstellen
BVerwGE, 74 |
NVwZ 2002, 854 |
ZAP 2002, 746 |
ZBR 2003, 44 |
ZTR 2002, 351 |
DÖD 2002, 171 |
DÖV 2002, 867 |
PersV 2003, 271 |
RiA 2003, 246 |
BayVBl. 2003, 182 |
DVBl. 2002, 1221 |
IÖD 2002, 127 |
NPA 2002, 0 |
GK/Bay 2002, 488 |
NWVBl. 2002, 424 |