Entscheidungsstichwort (Thema)
Deutscher Volkszugehöriger, Ausschluss vom Erwerb des Status eines Spätaussiedlers bei Ausübung einer Funktion, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt bzw. bei mindestens dreijährigem Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft mit einem derartigen Funktionsträger;. Spätaussiedler, Ausschluss vom Erwerb des Status eines – bei Ausübung einer Funktion, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt bzw. bei mindestens dreijährigem Zusammenleben in häuslicher Gemeinschaft mit einem derartigen Funktionsträger
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Statusausschlussvorschriften des § 5 Nr. 2 Buchstabe b und c BVFG (wie Urteil vom 29. März 2001 – BVerwG 5 C 17.00 – zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt).
2. Politische Offiziere der Sowjetarmee (hier: zuletzt im Rang eines Oberst) sind, da sie für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems als bedeutsam galten, nach § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG vom Erwerb des Spätaussiedlerstatus ausgeschlossen.
Normenkette
BVFG 2000 § 5 Nr. 2 Buchst. b, c
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Entscheidung vom 14.06.2000; Aktenzeichen 2 A 3773/98) |
VG Köln (Entscheidung vom 27.05.1998; Aktenzeichen 9 K 914/95) |
Tenor
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Juni 2000 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Revisionsverfahrens.
Tatbestand
I.
Die Kläger begehren die Aufnahme als Spätaussiedler bzw. die Einbeziehung in einen Aufnahmebescheid.
Der Kläger zu 1 wurde am 22. Februar 1941 im Gebiet Saratow in der ehemaligen Sowjetunion als Sohn deutscher Volkszugehöriger geboren, die ebenfalls von deutschen Eltern abstammende Klägerin zu 2 am 18. September 1946 im Gebiet Nowosibirsk; die Kläger sind seit 1966 miteinander verheiratet.
Der unter dem 20. März 1992 gestellte Antrag auf Aufnahme in das Bundesgebiet wurde am 6. August 1993 vom Bundesverwaltungsamt nach § 5 Nr. 1 Buchstabe d BVFG a.F. abgelehnt, weil der Kläger zu 1, der von 1962 bis 1991 Mitglied der KPdSU gewesen war, nach Abschluss des Studiums an der Militärschule im Jahre 1963 Erziehungsoffizier und Instrukteur in den sowjetischen Streitkräften geworden und bis zu seiner Entlassung aus dem Militärdienst aus Gesundheitsgründen im Jahre 1988 in der sowjetischen Armee als Berufssoldat – zuletzt im Range eines Oberst – tätig gewesen war. Der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen Klage, mit der der Kläger zu 1 nach Rücknahme seines Antrages auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nur noch die Einbeziehung in den der Klägerin zu 2 zu erteilenden Aufnahmebescheid begehrte, hat das Verwaltungsgericht stattgegeben. Das Oberverwaltungsgericht dagegen hat die Klage abgewiesen, und zwar im Wesentlichen aus folgenden Gründen:
Die Klägerin zu 2 habe keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG, in den der Kläger zu 1 einbezogen werden könnte. Dem stehe § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG entgegen. Diese Vorschrift sei mangels Überleitungsvorschriften des Haushaltssanierungsgesetzes das nach den materiellrechtlichen Vorschriften des Bundesvertriebenengesetzes zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgebende Recht zur Beurteilung des von den Klägern geltend gemachten Aufnahmeanspruches. Die Klägerin zu 2 könne sich insoweit auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Jedenfalls die Funktionen, die der Kläger zu 1 ab 1970 ausgeübt habe, nämlich seine Tätigkeit als Propagandachef des Regiments, als Oberinstrukteur für Agitation und Propaganda, als Inspekteur der Abteilung für Organisation der Parteiarbeit und als stellvertretender Leiter dieser Abteilung, seien alle als bedeutsam im Sinne des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG anzusehen, weil sie alleine die Aufgabe gehabt hätten, das Monopol der Partei und deren Einflussnahme im militärischen Bereich zu festigen und zu sichern. Sie seien von ihrer Funktion und Bedeutung vergleichbar der Tätigkeit von hauptberuflichen Parteifunktionären, die ihrerseits den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG erfüllten. Nach der die politischen Verhältnisse im fraglichen Zeitraum regelnden sowjetischen Verfassung habe das kommunistische Herrschaftssystem in der früheren Sowjetunion in der Herrschaft der KPdSU als „führende und lenkende Kraft der sowjetischen Gesellschaft” und „Kern ihres politischen Systems” bestanden. Demgemäß sei eine Funktion dann für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam anzusehen, wenn die ausgeübte Funktion dazu gedient habe, dem Willen der Partei in dem jeweiligen Tätigkeitsbereich Geltung zu verschaffen und ihn durchzusetzen, um den Machtanspruch der Partei auf Dauer zu sichern. Eine derartige Aufgabe sei insbesondere auch den politischen Offizieren der Sowjetarmee zugekommen.
Gegen dieses Urteil haben die Kläger Revision eingelegt, mit der sie ihren Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides bzw. Einbeziehung weiter verfolgen. Sie rügen Verletzung des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG. Unter Funktion im Sinne des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG sei der konkrete Tätigkeitsbereich zu verstehen; das Berufungsgericht berücksichtige nicht, dass der Kläger zu 1 eine Bescheinigung des Verteidigungsministeriums der Republik Usbekistan vom 15. November 1999 vorgelegt habe, in der seine konkreten Tätigkeiten dargestellt seien. Danach sei er zuletzt Kommandeur eines Militärbautrupps gewesen. Auch sei nicht jede hauptamtliche Tätigkeit für die Partei für die Aufrechterhaltung des Systems bedeutsam, vielmehr müssten mit der konkreten Funktion weitreichende Wirkungen und Machtbefugnisse verbunden sein, die Auswirkungen auf das gesamte System der ehemaligen Sowjetunion gehabt hätten. Solche Machtbefugnisse seien erst ab den höchsten Offiziersrängen gegeben und lägen jedenfalls bei der Funktion des Klägers zu 1 nicht vor. Zwar sei in der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung die Tätigkeit als Berufsoffizier der Streitkräfte – jedenfalls ab der Stellung eines Oberstleutnants – als Beispiel für eine Stellung des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG genannt, doch trage der konkrete Wortlaut des Gesetzes den vom Gesetzgeber gewollten Ausschluss schon für Angehörige der mittleren Funktionsebene des Systems nicht. Auch die systematische Stellung des § 5 Nr. 2 BVFG spreche für eine einschränkende Auslegung. Da Möglichkeiten der beruflichen Entfaltung auch den deutschen Volkszugehörigen zugestanden werden müssten und eine Anpassung an das System in Verbindung mit dem Ausnutzen der eigenen Begabung noch nicht die Annahme rechtfertigte, das vermutete Kriegsfolgenschicksal sei widerlegt, sei § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG dahingehend auszulegen, dass die erreichte Position nur dann für die Aufrechterhaltung des Systems gewöhnlich als bedeutsam geltend anzusehen sei, wenn damit Entscheidungsbefugnisse auf höchster Ebene der Sowjetunion verbunden gewesen seien.
Die Beklagte, das beigeladene Land Baden-Württemberg und der Oberbundesanwalt verteidigen das angefochtene Urteil. Der Oberbundesanwalt trägt vor: Sachgrund für den Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG sei eine vom Gesetzgeber typisierend unterstellte besondere Begünstigung aufgrund einer hervorgehobenen Funktion im früheren kommunistischen Herrschaftssystem, die nicht nur dem Funktionsinhaber allein, sondern bei lebensnaher Betrachtung in aller Regel auch seinen nächsten Familienangehörigen zugute kommen dürfte. Tatbestandlicher Anknüpfungspunkt des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG sei nicht mehr die Unwürdigkeit wie in § 5 Nr. 1 Buchstabe a bis c BVFG a.F., sondern das fehlende Kriegsfolgenschicksal der Antragsteller. Eine Übergangsregelung, auf die der Gesetzgeber bewusst verzichtet habe, sei von Verfassungs wegen nicht geboten. Denn der von den Klägern geltend gemachte Anspruch beziehe sich auf einen hypothetischen, in der Zukunft liegenden Statuserwerb.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Kläger ist unbegründet, so dass sie zurückzuweisen ist (§ 144 Abs. 2 VwGO). Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen Bundesrecht entschieden, dass der Klägerin zu 2 kein Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheides nach den §§ 26, 27 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Juni 1993 (BGBl I S. 829), zuletzt geändert durch das Gesetz zur Sanierung des Bundeshaushalts (Haushaltssanierungsgesetz – HSanG –) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2534), zusteht, in den der Kläger zu 1 einbezogen werden könnte.
Zu Recht hat das Berufungsgericht dem Aufnahmebegehren der Klägerin zu 2 die am 1. Januar 2000 in Kraft getretene Regelung des § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG i.d.F. des Art. 6 Nr. 1 Buchstabe b HSanG entgegengehalten. Diese Vorschrift gilt in Ermangelung einer gesetzlichen Überleitungsvorschrift auch für noch nicht abgeschlossene Aufnahmeverfahren (vgl. BVerwGE 99, 133 ≪135 ff.≫). Nach § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG erwirbt den Status als Spätaussiedler nach § 4 Abs. 1 oder 2 BVFG nicht, wer für mindestens drei Jahre mit dem Inhaber einer Funktion im Sinne von § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG, d.h. einer Funktion, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt oder aufgrund der Umstände des Einzelfalles war, in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat. Die Vorschriften knüpfen an das fehlende Kriegsfolgenschicksal des Funktionsinhabers bzw. der Personen an, die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebten (BTDrucks 14/1523, S. 172 f.; 14/1636, S. 175). § 5 Nr. 2 Buchstabe b macht den Statusausschluss jedoch – ebenso wie die Vorgängervorschrift in § 5 Nr. 1 Buchstabe d BVFG a.F. – nicht an dem Erreichen einer bestimmten beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen wirtschaftlichen Privilegierung in der Gesellschaft des Herkunftslandes fest. Das Gesetz billigt damit dem deutschen Volkszugehörigen nach wie vor zu, nach seinen Kräften und Fähigkeiten auch eine herausgehobene berufliche Stellung zu erreichen, und zwar auch innerhalb der Staatsverwaltung, der Armee und der staatlich gelenkten Wirtschaftsverwaltung in der früheren Sowjetunion (vgl. BVerwGE 108, 340 ≪343 f.≫ zur Vorgängervorschrift). § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG geht vielmehr davon aus, dass das für deutsche Volkszugehörige sonst (möglicherweise) bestehende Kriegsfolgenschicksal nicht mehr fortbestand, wenn der deutsche Volkszugehörige im Aussiedlungsgebiet eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt, weil er damit den Schutz dieses Systems genoss.
Nicht verkannt wird, dass auch diese Gruppe deutscher Volkszugehöriger nach dem Ende ihrer Funktionsausübung und insbesondere nach dem Untergang des kommunistischen Herrschaftssystems gegebenenfalls mit Nachteilen wegen ihrer deutschen Volkszugehörigkeit rechnen muss. Das für die Rechtsstellung als Spätaussiedler nach § 4 BVFG maßgebliche Kriegsfolgenschicksal knüpft aber nicht nur an die Benachteiligung als deutscher Volkszugehöriger oder deren Nachwirkungen an, sondern setzt weiter einen örtlichen und zeitlichen Bezug, den ständigen Aufenthalt bzw. Wohnsitz im Aussiedlungsgebiet seit den in § 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BVFG genannten Stichtagen, voraus. Damit stellt § 4 BVFG für die Rechtsstellung als Spätaussiedler mit den sich daraus ergebenden Rechten wesentlich auf eine in den Aussiedlungsgebieten entstandene und fortdauernde Gefahrenlage ab. Fehlt sie, z.B. bei späterer Einreise in das Aussiedlungsgebiet, z.B. zur Heirat, oder ist sie unterbrochen, z.B. bei Aus- und späterer Wiedereinreise, so sind spätere Benachteiligungen aufgrund deutscher Volkszugehörigkeit kein die Rechtsstellung als Spätaussiedler nach § 4 BVFG begründendes Kriegsfolgenschicksal. Entsprechend betrifft auch der Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG einen Fall, in dem die ursprünglich für den deutschen Volkszugehörigen bestehende Gefahrenlage entfallen ist. Das Gesetz geht davon aus, dass derjenige, der in den Aussiedlungsgebieten eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt, den Schutz dieses Systems genoss, für ihn also die für Volksdeutsche sonst bestehende Gefahrenlage nicht fortbestand. Wenn dieser Volksdeutsche dann später doch Benachteiligungen unterliegen sollte, z.B. nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion als Volksdeutscher in einer dann selbständigen Republik der ehemaligen Sowjetunion, so ist doch die ursprüngliche für die Rechtsstellung als Spätaussiedler maßgebliche Gefahrenlage unterbrochen gewesen und vermag eine neu entstehende Gefahrenlage nicht mehr die Rechtsstellung als Spätaussiedler zu begründen.
Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass sich die Frage, welche Funktionen i.S. des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG gewöhnlich als bedeutsam galten, nach den zur Zeit des kommunistischen Herrschaftssystems herrschenden politischen und rechtlichen Auffassungen im Aussiedlungsgebiet beantwortet. Diese waren – wie der Senat bereits zur Vorgängervorschrift hervorgehoben hat (BVerwGE 108, 340 ≪345 f.≫) – in der früheren Sowjetunion geprägt durch die führende Rolle, die der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) in Staat und Gesellschaft zukam. Art. 6 Abs. 1 Satz 1 der sowjetischen Verfassung vom 7. Oktober 1977 bezeichnete die KPdSU als die „führende und lenkende Kraft der sowjetischen Gesellschaft” und den „Kern ihres politischen Systems, der staatlichen und gesellschaftlichen Organisationen”. Dem entsprach auch die Verfassungswirklichkeit und die politische Doktrin in der Sowjetunion (vgl. Meissner, in: Handbuch der Sowjetverfassung, redigiert von Martin Fincke, 2. Aufl. 1983, Art. 6 Rn. 8 ff.). Folgerichtig war die KPdSU auch auf allen territorialen Ebenen der Unionsrepubliken (vgl. Art. 79, 145 Sowjetverfassung 1977) bis hinunter zu den Rayons und den ländlichen Ortschaften, Siedlungen, Stadtbezirken und Kleinstädten mit Parteikomitees, Büros und Sekretariaten vertreten, um ihren Führungsanspruch bis auf die unterste staatliche Ebene hinab zur Geltung zu bringen. Zur Durchsetzung ihrer führenden Rolle hatte sich die Partei einen mit hauptamtlich tätigen Funktionären besetzten Apparat geschaffen, der zusammen mit den Parteiorganen das Herzstück des kommunistischen Herrschaftssystems bildete (vgl. Voslensky, Nomenklatura, 3. Aufl. 1987, S. 171 f.). Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass eine derartige Aufgabe insbesondere auch den politischen Offizieren der Sowjetarmee zukam.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts war der Kläger zu 1 Mitglied der KPdSU und zuletzt im Rang eines Oberst als Propagandachef eines Armeeregiments, als Oberinstrukteur für Agitation und Propaganda, als Inspekteur der Abteilung für Organisation der Parteiarbeit und als stellvertretender Leiter dieser Abteilung tätig. Die Tätigkeit als politischer Offizier im Rang eines Oberst war nach den Ausführungen des Gutachtens des Instituts für Ostrecht, auf das sich das angefochtene Urteil bezieht, nicht nur beruflich, sondern auch politisch eine herausgehobene Stellung. Wegen der unmittelbaren Anbindung und Unterstellung der politischen Verwaltung der sowjetischen Streitkräfte an die zuständigen Parteiorgane und der spezifischen, zum Großteil ideologischen Arbeitsinhalte war die Tätigkeit als politischer Offizier, insbesondere als hochrangiger, eine für die Aufrechterhaltung des sowjetischen Herrschaftssystems bedeutsame Funktion. Dies ergibt sich auch aus den Anforderungen an politische Offiziere gemäß Nr. 65 und 66 der Satzung der KPdSU von 1956 betreffend das Erfordernis der Parteizugehörigkeit und die Verpflichtung zur ständigen Mitarbeit in den örtlichen Parteikomitees, auf die das angefochtene Urteil im Anschluss an das Gutachten hinweist. Es bestehen somit keine Zweifel daran, dass die Position des Klägers zu 1 als bedeutsam für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems galt; gerade die Gewährleistung des Einflusses der KPdSU auf die Streitkräfte der Sowjetunion stellte ein wesentliches Element der Sicherung des kommunistischen Herrschaftssystems dar. Der Umstand, dass der Kläger zu 1 ausweislich der Bescheinigung des Verteidigungsministeriums der Republik Usbekistan vom 15. November 1999 von 1968 bis 1988 durchgehend nicht in der „kämpfenden Truppe”, sondern im technischen Bereich (Militärbautrupp, Bauverwaltung, Militärbauabteilung) tätig war, ändert nichts an der Bedeutsamkeit seiner Funktion für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems.
Die Rechtsansicht der Revision, der Ausschlusstatbestand sei mit der Maßgabe einschränkend auszulegen, dass nur bei Machtbefugnissen mit Auswirkungen auf das gesamte System der ehemaligen Sowjetunion und bei Entscheidungsbefugnissen auf höchster Ebene eine für die Aufrechterhaltung des Systems bedeutsame bzw. als bedeutsam geltende Funktion vorliege, trifft nicht zu; die vom Gesetzgeber angenommene Widerlegung eines fortdauernden Vertreibungsschicksals durch Innehabung einer für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsamen Funktion greift nicht erst bei Spitzenfunktionen, sondern jedenfalls auch schon auf der Funktionsebene des Klägers zu 1 ein. Die Vorinstanz hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Tätigkeiten des Klägers zu 1 als politischer Offizier ihrer Funktion und Bedeutung nach der Tätigkeit eines hauptberuflichen Parteifunktionärs vergleichbar sind.
Auch der Umstand, dass der Kläger zu 1 im Mai 1988 aus gesundheitlichen Gründen aus dem Militärdienst entlassen und danach in ein ziviles Angestelltenverhältnis übernommen wurde, berührt das Eingreifen des Ausschlusstatbestandes des § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG nicht. Denn § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG verlangt nur, dass der Ausgeschlossene in den Aussiedlungsgebieten eine entsprechende Funktion „ausgeübt hat”, schreibt aber – anders als § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG – weder eine Mindestdauer vor noch, dass diese Funktionsausübung bis zum Zusammenbruch des kommunistischen Herrschaftssystems angedauert haben muss. Zeitliche Mindestanforderungen an die Dauer der Funktionsausübung ließen sich deshalb allenfalls aus dem Zweck des Ausschlusstatbestandes gewinnen, wenn die Funktionsausübung von so kurzer Dauer war, dass sie die gesetzliche Annahme, das fortwirkende Kriegsfolgenschicksal sei unterbrochen, offensichtlich und eindeutig nicht zu rechtfertigen vermochte; eine solche möglicherweise unter teleologischen Gesichtspunkten unbedeutende kurzfristige Funktionsausübung liegt aber bei der über zwanzigjährigen Dauer der Tätigkeit des Klägers zu 1 als Erziehungsoffizier offensichtlich nicht vor.
Nicht zu beanstanden ist schließlich die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass der Anspruch der Klägerin zu 2 auf Erteilung eines Aufnahmebescheides an § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG scheitert, weil sie seit ihrer Heirat im Jahre 1966 mit dem Kläger zu 1 mindestens drei Jahre in häuslicher Gemeinschaft gelebt habe. Auch bei diesem Personenkreis deutscher Volkszugehöriger konnte der Gesetzgeber davon ausgehen, dass sie jedenfalls in der Zeit der häuslichen Gemeinschaft mit den Funktionsträgern nach Nummer 2 Buchstabe b den Schutz des Herrschaftssystems genossen, eine Gefahrenlage für sie also nicht fortbestand, vielmehr das fortwirkende Kriegsfolgenschicksal unterbrochen war.
Gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Vorschrift bestehen keine Bedenken. Sie knüpft nicht an der verwandtschaftlichen oder familiären Beziehung der ausgeschlossenen Person zu dem Funktionsträger im Sinne von § 5 Nr. 2 Buchstabe b BVFG an, sondern an das Zusammenleben mit diesem in häuslicher Gemeinschaft. Die nachteiligen Rechtsfolgen der Norm treffen also Nichtfamilienmitglieder in gleicher Weise wie Familienmitglieder, so dass eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG in seiner Funktion als Benachteiligungsverbot ausscheidet (vgl. BVerfGE 28, 104 ≪112≫). § 5 Nr. 2 Buchstabe c BVFG übt auch keinen verfassungsrechtlich unzulässigen Zwang zur Auflösung des Familienverbandes aus. Denn die Vorschrift knüpft an in der Vergangenheit liegenden abgeschlossenen Sachverhalten an und besitzt deshalb keine verhaltenssteuernde Wirkung.
Auch Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht verletzt. Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet es, eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders zu behandeln, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie eine ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 95, 143 ≪154 f.≫; stRspr). Dabei ist der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers weiter bemessen, wenn Regelungen zur Beseitigung von Kriegsfolgelasten betroffen sind (vgl. BVerfGE 95, 143 ≪155≫). Die Gewährung des Spätaussiedlerstatus ist mit weitreichenden finanziellen und sozialpolitischen Vorteilen verbunden. Wenn sich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, diesen Status deutschen Volkszugehörigen vorzuenthalten, die zu den Stützen des kommunistischen Herrschaftssystems gehörten oder die mit derartigen Funktionsträgern über längere Zeit hinweg in häuslicher Gemeinschaft lebten, so ist die hierin liegende Ungleichbehandlung gegenüber der Gruppe der nicht in das kommunistische Herrschaftssystem integrierten deutschen Volkszugehörigen sachlich gerechtfertigt. Denn bei der benachteiligten Gruppe der für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems bedeutsamen Funktionsträger und der mit ihnen in häuslicher Gemeinschaft Lebenden durfte der Gesetzgeber bei typisierender Betrachtungsweise davon ausgehen, dass sie anders als die Mehrzahl der in den Aussiedlungsgebieten lebenden deutschen Volkszugehörigen nicht mehr von den Spätfolgen des Krieges und den damit verbundenen Nachteilen betroffen waren, vielmehr das fortwirkende Kriegsfolgenschicksal unterbrochen war.
Die Kosten des Revisionsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Aufwendungen des Beigeladenen tragen die Kläger (§ 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO).
Unterschriften
Dr. Säcker, Prof. Dr. Pietzner, Schmidt, Dr. Franke, Dr. Jannasch
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 29.03.2001 durch Stoffenberger Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
DÖV 2002, 440 |
DVBl. 2001, 1546 |