Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückgabe nach dem Unternehmensgesetz der DDR. Anpassungs- und Überprüfungsanspruch. Antragsberechtigung. Quorum. Berücksichtigung der Geschäftsanteile früherer Gesellschafter. Rückgabe von Geschäftsanteilen nach der Rückkehrerverordnung der DDR. Fehlen eines vermögensrechtlichen Rückübertragungsantrags. Ausschlussgründe. redlicher Erwerb nach dem Unternehmensgesetz der DDR. Umfang des Restitutionsanspruchs
Leitsatz (amtlich)
1. Antragsberechtigter bei der Geltendmachung des Anspruchs aus § 6 Abs. 8 VermG ist nicht der frühere Gesellschafter, sondern der durch die Umwandlung entstandene neue Rechtsträger des Unternehmens, wenn die Umwandlung rechtmäßig war.
2. Bei der Berechnung des Quorums (§ 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG) ist ein früherer Gesellschafter, der Geschäftsanteile nach der Rückkehrerverordnung der DDR vom 11. Juli 1953 zurückerhalten sollte, aber keinen vermögensrechtlichen Rückübertragungsantrag gestellt hat, nicht so zu behandeln, als sei er in seine Rechte wieder eingesetzt.
3. Das Ausschlussmerkmal der „Veräußerung” des Unternehmens in § 4 Abs. 1 Satz 3 VermG liegt auch dann vor, wenn die Rückgabe durch „Umwandlung” nach §§ 17 bis 19 des Unternehmensgesetzes der DDR vom 7. März 1990 erfolgt war.
Normenkette
VermG § 1 Abs. 1d, § 4 Abs. 1 S. 2 ff., Abs. 3, § 6 Abs. 1, 1a, 5 bis, Abs. 6, 8; URüV § 1 ff.; Unternehmensgesetz der DDR vom 7. März 1990 § 17 ff.; Rückkehrerverordnung der DDR vom 11. Juni 1953 § 1
Verfahrensgang
VG Gera (Urteil vom 25.07.2000; Aktenzeichen 6 K 879/95) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Gera vom 25. Juli 2000 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob den Klägerinnen ein Anspruch auf Rückgabe eines auf der Grundlage des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrats der DDR vom 9. Februar 1972 in das Eigentum des Volkes übergeleiteten Unternehmens zusteht, das nach dem Unternehmensgesetz der DDR reprivatisiert worden ist.
Die Klägerinnen sind Erbinnen des 1946 verschleppten und 1950 für tot erklärten Rudolf S., der zusammen mit seinen beiden Brüdern Hermann S. und Ernst S., dessen Erbe der Beigeladene zu 1 ist, zunächst eine OHG – die Firma S.-C.S.& Co. – in G. betrieben hatte, die Werkzeugmaschinen herstellte. Die Firmenanteile von Hermann S. und Rudolf S. betrugen jeweils 30 % und diejenigen von Ernst S. 40 %. Ernst S. flüchtete im Jahre 1953 aus der DDR. Sein Anteil wurde daraufhin aufgrund der Verordnung zur Sicherung von Vermögenswerten vom 17. Juli 1952 in Volkseigentum überführt. Rechtsträger war zunächst die Deutsche Investitionsbank (DIB).
Die Gesellschaft wurde aufgrund des Gesellschaftsvertrags vom 4. Februar zum 1. Juli 1956 in eine Kommanditgesellschaft (KG) mit staatlicher Beteiligung (BSB) umgewandelt. Komplementäre wurden Hermann S. mit einem Anteil, der mit 141 000 Mark berechnet wurde, und das Volkseigentum, verwaltet durch die DIB als Rechtsträger für den auf 170 000 Mark angewachsenen volkseigenen Anteil. Kommanditisten waren die Erben des Rudolf S., dessen Anteil die Klägerin zu 2 zu 1/4 und die Klägerin zu 1 zu 3/8 sowie ihr Bruder Klaus S. zu weiteren 3/8 hielten. Als weiterer Kommanditist trat die DIB mit einer staatlichen Beteiligung von damals 438 500 Mark ein, die bis zum Jahre 1972 durch ständige Erhöhung auf 4 159 800 Mark aufgestockt wurde.
Der Komplementär Hermann S. war ab 1. Januar 1960 durch Kündigung aus der KG ausgeschieden. Nachdem zunächst als Rechtsträger anstelle der DIB die Industrie- und Handelsbank der DDR (IHB) als Kommanditistin in das Unternehmen eingetreten war, übernahm ab 1. Januar 1969 der VEB Werkzeugmaschinenkombinat „F.H.” den in Volkseigentum geführten Kommanditanteil. Unter dem 29. Februar 1972 boten die Klägerinnen ihre Anteile den staatlichen Stellen zum Kauf an. Nach dem Feststellungsbescheid des Rates des Bezirks G. vom 5. Mai 1972 wurden nach Ausscheiden und Auszahlung aller privaten Gesellschafter die Grundmittel und materiellen Umlaufmittel der KG Volkseigentum und auf den VEB Werkzeugmaschinenfabrik G. übertragen. Am 1. Juni 1973 ist das Erlöschen der KG im Handelsregister und die Übernahme des Betriebes eingetragen worden. Die vorausgegangene Abschlussbilanz zum 31. März 1972 bezifferte die Einlagen der privaten Kommanditisten auf 1,56 % des Gesamtanteils und die Kommanditeinlage des staatlichen Gesellschafters auf 94,69 % und den volkseigenen Anteil auf 3,75 %.
Ernst S. stellte 1990 einen Antrag auf Umwandlung des volkseigenen Betriebes in eine Personengesellschaft nach dem Gesetz über die Gründung und Tätigkeit privater Unternehmen und über Unternehmensbeteiligungen vom 7. März 1990 (GBl DDR I Nr. 17 S. 141) – Unternehmensgesetz –, den er zurückzog, nachdem staatliche Stellen der DDR darauf hingewiesen hatten, dass er im Jahre 1972 an dem Unternehmen nicht beteiligt gewesen sei, so dass keine erzwungene Veräußerung aufgrund des Beschlusses des Präsidiums des Ministerrats vom 9. Februar 1972 bezüglich seiner Person vorliege. Stattdessen beantragte Ernst S. unter dem 14. Mai 1990 die Rückübertragung seines Vermögens nach der Verordnung über die in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und den demokratischen Sektor von Groß-Berlin zurückgekehrten Personen vom 11. Juni 1953 (GBl DDR I Nr. 78 S. 805) – Rückkehrerverordnung –. Das Landratsamt G. bestätigte ihm mit Schreiben vom 14. Juni 1990, dass er aufgrund seiner zwischenzeitlich erfolgten Wohnsitznahme in der DDR „ab heute wieder Miteigentümer (40 %)” an der Firma S.-C.S.& Co. sei.
Mit notariell beurkundeter Umwandlungserklärung vom 3. Juli 1990 vereinbarten der VEB Werkzeugmaschinenfabrik U.G., zu dem das frühere Unternehmen als Betriebsteil G. gehörte, sowie die Treuhandanstalt, der als Mitinhaber zu 40 % an der früheren Firma S.-C.S.& Co ausgewiesene Gesellschafter Ernst S., die als ehemalige Kommanditisten anerkannten Klägerinnen, der Beigeladene zu 1 und weitere drei Personen, die von der Treuhandanstalt Anteile in Höhe von 500 Mark erwerben sollten, auf der Grundlage des Unternehmensgesetzes der DDR die Ausgliederung des Betriebsteils G. und die Umwandlung und Errichtung unter der Firma S. Werkzeugmaschinenfabrik GmbH, der Beigeladenen zu 2. Zum Stichtag 1. Juli 1990 wurde das Vermögen aus der bisherigen Fondsinhaberschaft des genannten VEB auf den neuen Unternehmer gemäß einer Abschlussbilanz zum 30. Juni 1990 sowie einer Eröffnungsbilanz zum 1. Juli 1990 übertragen. Nach dem am 3. Juli 1990 notariell beurkundeten Gesellschaftervertrag verfügt die Treuhandanstalt über eine Stammeinlage von 58,37 %, Ernst S. über 39,97 % sowie die Klägerin zu 1, der zuvor die Klägerin zu 2 ihren Anteil übertragen hatte, über 1,6 % und die weiteren vier Gesellschafter über je 0,015 % an der Beigeladenen zu 2. Das Stammkapital der Gesellschaft wurde auf 3 208 000 Mark festgesetzt.
Den Antrag der Klägerinnen vom 28. Juli 1991 auf Überprüfung der Rückgabe des von der Beigeladenen zu 2 geführten Unternehmens lehnte das Thüringer Landesamt zur Regelung offener Vermögensfragen mit Bescheid vom 10. August 1995 ab.
Die Klage ist erfolglos geblieben. Zum Antrag der Klägerinnen auf Rückübertragung der ehemaligen Firma BSB S., auf Wiedereinräumung ihrer Gesellschaftsanteile nach den Verhältnissen im Schädigungszeitpunkt und auf Übertragung der von der Beigeladenen zu 3 gehaltenen ehemaligen staatlichen Anteile hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 25. Juli 2000 die Auffassung vertreten, dass die Klägerinnen zwar berechtigt seien, den Antrag auf Überprüfung der Umwandlung zu stellen, wobei offen bleiben könne, ob die Klage der Klägerin zu 2 unbegründet sei, weil sie das Unternehmen nicht zurückerhalten habe. Aber die Klägerinnen hätten keinen Anspruch, weil das Erfordernis des Quorums gemäß § 6 Abs. 1 a VermG nicht erfüllt sei. Zum maßgeblichen Schädigungszeitpunkt im Jahre 1972 sei neben den Klägerinnen als Gesellschafter auch Ernst S. zu berücksichtigen, auch wenn dieser schon im Jahre 1953 aus der Gesellschaft ausgeschieden sei. Denn er sei aufgrund der Rückkehrerverordnung der DDR wieder in seine Rechte an der Gesellschaft eingesetzt worden. Die Klägerinnen, die als einzige der ehemaligen Gesellschafter einen berücksichtigungsfähigen vermögensrechtlichen Antrag gestellt hätten, würden nicht mehr als 50 % der Anteile der Gesellschaft auf sich vereinigen. Der Anteil von Ernst S. sei höher.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision treten die Klägerinnen dem erstinstanzlichen Urteil entgegen und beantragen,
unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts Gera vom 25. Juli 2000 nach dem Klageantrag zu entscheiden.
Der Beklagte, der Beigeladene zu 1 und die Beigeladene zu 3 verteidigen die Entscheidung und beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Der Vertreter des Bundesinteresses tritt dem angefochtenen Urteil ebenfalls bei.
Entscheidungsgründe
II.
Die Revision der Klägerinnen hat mit dem Ergebnis der Zurückverweisung (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO) Erfolg. Das Urteil verletzt Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die Klägerinnen sind nicht berechtigt, im Sinne von § 6 Abs. 8 VermG verlangen zu können, dass die Rückgabe des Unternehmens nach den Vorschriften dieses Gesetzes überprüft und an dessen Bedingungen angepasst wird (1.). Ihr Klageantrag begründet sich vielmehr unmittelbar aus § 6 Abs. 6 Satz 1 VermG. Dabei verstößt das Verwaltungsgericht mit seiner Auffassung gegen Bundesrecht, dass die begehrte Fortführung des Unternehmens am Nichterreichen des erforderlichen Quorums gemäß § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG scheitere. Die Klägerinnen vereinigen auf sich mehr als 50 v.H. der berücksichtigungsfähigen Geschäftsanteile an der im Zeitpunkt der Schädigung vorhandenen Handelsgesellschaft (2.). Das Urteil des Verwaltungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig; denn der eingeklagte Anspruch auf Rückgabe ist gegeben (3.). Doch eine abschließende Entscheidung in der Sache ist dem Senat deshalb verwehrt, weil das Verwaltungsgericht das weitere Schicksal der staatlichen Beteiligung an der Gesellschaft nicht geprüft hat (§ 6 Abs. 5 c VermG). Es bedarf der Sachaufklärung, ob insoweit unlautere Machenschaften vorgelegen hatten (4.).
1. Das Verwaltungsgericht legt § 6 Abs. 8 VermG dahin gehend aus, dass derjenige berechtigt sei, die Überprüfung der Unternehmensrückgabe verlangen zu können, der früher privater Gesellschafter des Unternehmensträgers war, dessen Unternehmen jetzt aufgrund des Unternehmensgesetzes der DDR zurückgegeben worden ist. Für diese Auffassung nimmt die Vorinstanz zu Unrecht das Urteil des Senats vom 15. Dezember 1999 – BVerwG 8 C 27.98 – (Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 36) in Anspruch. Dort wird eine inhaltliche Festlegung der fraglichen Norm nicht vorgenommen. Die Ansicht des Verwaltungsgerichts steht vielmehr weder mit dem Wortlaut, der Stellung der Vorschrift im System noch dem Willen des Gesetzgebers in Einklang. Als Antragsberechtigter kommt nur der (neue) Unternehmensträger in Betracht, in den zum Zwecke der Rückübertragung des Unternehmens umgewandelt worden war. Zwar ergibt der Wortlaut von § 6 Abs. 8 VermG nicht eindeutig, wer die Überprüfung verlangen kann – er spricht nur vom „Berechtigten”. Doch der Anwendungsbereich dieser Vorschrift wird durch § 14 Abs. 1 der Unternehmensrückgabeverordnung (URüV) präzisiert, die aufgrund von § 6 Abs. 9 VermG die näheren Einzelheiten regelt (vgl. zu der weiten Regelungskompetenz Erläuterung der Bundesregierung zu § 6 Abs. 9 BTDrucks 11/7831 S. 8). Danach darf den Antrag stellen, wer das Unternehmen als Berechtigter zurückerhalten hat. Bereits dieser Wortlaut legt den Schluss nahe, dass damit nur der nach dem Unternehmensgesetz neu gegründete Unternehmensträger gemeint sein kann. Dieser muss nicht mit demjenigen identisch sein, der nach dem Unternehmensgesetz seinerzeit den Antrag stellten durfte; denn nach § 17 Abs. 1 Satz 2 Unternehmensgesetz war die Umwandlung auch in eine Kapitalgesellschaft zulässig (wie etwa in die zahlreich gegründeten Gesellschaften mit beschränkter Haftung). In solchen Fällen gehört der juristischen Person das Unternehmen. Der neue Rechtsträger hat das Unternehmen nicht nur „erhalten”, sondern im Sinne des insofern missglückten Wortlauts auch „zurückerhalten”, wenn seine Unternehmensform anstelle der Umwandlung des seit dem Jahre 1972 in Volkseigentum überführten Betriebes in die frühere Personengesellschaft oder das Einzelunternehmen gewählt worden ist.
Die am Wortlaut orientierte Auslegung wird ergänzt durch das Verständnis, welches der Verordnungsgeber der Norm beigegeben hat. Er hat deutlich zu verstehen gegeben, dass als Antragsteller für eine Überprüfung nur in Betracht kommt, wer bereits „Eigentümer des Unternehmens” geworden ist (BRDrucks 283/91 S. 48; so bereits die Erläuterung zu § 6 Abs. 8 VermG BTDrucks 11/7831 S. 8). Davon geht – systematisch betrachtet – auch § 14 Abs. 3 Satz 2 URüV aus. Hiernach ist bei Übergang zu einem Anspruch auf Entschädigung der Berechtigte wie ein Pächter zu behandeln. Das kann jedoch nur der Unternehmer sein; denn nur er kann das bei der Reprivatisierung übertragene Vermögen zurückgeben.
Die Stellung als neuer Rechtsträger genügt für § 6 Abs. 8 VermG allerdings nicht, sie muss auch berechtigt sein. Diese Einschränkung besagt, dass die Umwandlung nach dem Unternehmensgesetz der DDR rechtmäßig erfolgt sein muss.
Diese an dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte der Norm orientierte Auslegung führt nicht deshalb zu einem anderen Ergebnis, weil die formulierte Regelung etwa hinter dem zurückgeblieben sein könnte, was der Gesetzgeber eigentlich hat regeln wollen. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass nur die ehemaligen Gesellschafter oder Inhaber oder deren Erben die Überprüfung der Unternehmensrückgabe verlangen dürfen, die zwar die Umwandlung nach dem Unternehmensgesetz beantragt haben, aber nicht neue Eigentümer des Unternehmens geworden sind. Selbst wenn die geschädigten Gesellschafter an dem neuen Rechtsträger beteiligt sind und das Unternehmen dadurch mittelbar „zurückerhalten” haben, liegt kein zwingender Grund dafür vor, dass sie – insbesondere wenn sie sich in der Minderheit befinden – die Anpassung der Rückgabe gegen den Willen des Unternehmensträgers sollen durchsetzen können. Der Anpassungsanspruch ist mit dem zurückübertragenen Unternehmen verbunden (zutreffend Nolting, in: Kimme, Recht der offenen Vermögensfragen, § 6 VermG Rn. 477) und schon von daher gesehen nicht isoliert realisierbar. Ehemalige Gesellschafter sind gemäß § 6 Abs. 6 Satz 1 VermG berechtigt gewesen, den Antrag auf Rückgabe des Unternehmens nach dem Vermögensgesetz zu stellen und dies auch dann, wenn eine Rückgabe bereits nach dem Unternehmensgesetz der DDR stattgefunden hat (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1999 – BVerwG 8 C 27.99 – a.a.O.). Sie konnten auf diese Weise einen Anpassungsbedarf geltend machen. Der im Rahmen der Reprivatisierung neu gegründete Unternehmensträger hätte indes ohne eine zu seinen Gunsten verstandene Regelung keine Möglichkeit, die Überprüfung der Umwandlung anhand des Vermögensgesetzes vornehmen zu lassen. Auch dies spricht für die hier vorgenommene Auslegung von § 6 Abs. 8 VermG.
2. Der Antrag der Klägerinnen vom 28. Juli 1991 „auf Überprüfung aller Entscheidungen, die im Zusammenhang mit der Rückübertragung” des Unternehmens stehen, kann indes auch als solcher auf Rückgabe des Unternehmens nach dem Vermögensgesetz begriffen werden. Dieses Verständnis legt bereits § 14 Abs. 2 Satz 1 URüV nahe, wonach die Behörde den Antrag auf Überprüfung der Rückgabe „wie einen Antrag auf Rückgabe des Unternehmens” zu berücksichtigen hat, soweit der Antrag nicht auf eine Anpassung beschränkt ist. Die Klägerinnen haben ihr Begehren nicht auf bloße Anpassung an die Vorschriften des Vermögensgesetzes reduziert, und sie handeln mit ihrer Antragstellung nicht treuwidrig. Die Beigeladene zu 2, deren wirtschaftliche Zukunft dadurch in Frage gestellt wird, ist zwar von den Klägerinnen mit begründet worden und zählt die Klägerin zu 1 zu ihren Gesellschaftern. Aber Mitte des Jahres 1990 bestand in der DDR eine offene Rechtslage hinsichtlich Reprivatisierung und Restitution von Unternehmen. Schon deshalb handelte ein enteignungsbetroffener Gesellschafter in der Regel nicht widersprüchlich, wenn er zunächst die sich ihm bietende Möglichkeit der Rückgabe von Vermögenswerten nach dem Unternehmensgesetz der DDR wahrnahm, um dann später – nach Inkrafttreten des Vermögensgesetzes – die sich ihm hiernach neu eröffnenden weitergehenden Wiedergutmachungsansprüche geltend zu machen. Dem Interessenkonflikt, der sich daraus ergeben kann, hat der Gesetzgeber dadurch Rechnung getragen, dass er eine redliche Umwandlung nach dem Unternehmensgesetz der DDR unter Bestandsschutz gestellt hat (§ 4 Abs. 1 Sätze 3, 4 VermG). Das Verwaltungsgericht ist mithin zu Recht in eine materiellrechtliche Prüfung anhand des Vermögensgesetzes eingetreten. Dabei ist ihm jedoch der revisible Rechtsfehler unterlaufen, dass es das Restitutionsverlangen am Nichterreichen des gemäß § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG erforderlichen Quorums hat scheitern lassen. Der bereits im Jahre 1953 entzogene – stets größere – Gesellschaftsanteil von Ernst S. ist nicht zu berücksichtigen.
a) § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG fingiert das Wiederaufleben bzw. Fortbestehen eines früheren Unternehmensträgers als Liquidationsgesellschaft, wenn die im Zeitpunkt der Schädigung des Unternehmens vorhandenen Gesellschafter, die mehr als 50 % der Geschäftsanteile auf sich vereinen und namentlich bekannt sind, Rückgabeansprüche hinsichtlich des Unternehmens angemeldet haben. Bei der Berechnung des Quorums können gemäß § 17 Abs. 1 Satz 2 URüV auch Anteile früherer Gesellschafter, d.h. der Gesellschafter, deren Anteile an der Gesellschaft schon vor der Schädigung des Unternehmens entzogen wurden, berücksichtigt werden, wenn die Rückübertragung der entzogenen Geschäftsanteile geltend gemacht wird. Doch einen Restitutionsantrag für seinen Gesellschaftsanteil oder das entzogene Unternehmen hat Ernst S. nicht gestellt. Er und sein Rechtsnachfolger, der Beigeladene zu 1, haben es stets abgelehnt, solches zu beantragen.
b) Der Antrag nach dem Unternehmensgesetz der DDR bleibt bei der Ermittlung des Quorums unberücksichtigt, wenn sich der Antragsteller – wie hier im Falle von Ernst S. – ausdrücklich gegen die Rückübertragung nach dem Vermögensgesetz ausgesprochen hat (Urteil vom 15. Dezember 1999 – BVerwG 8 C 27.98 – a.a.O.).
c) Die Regelungen der Rückkehrerverordnung der DDR haben auf die Ermittlung des Quorums ebenfalls keinen Einfluss. Für eine Zurechnung fehlt es an einer gesetzlichen Anordnung und für eine ausnahmsweise Berücksichtigung an tragfähigen Gründen. Das ergibt die Verordnung selbst:
Nach § 1 sollen alle republikflüchtigen Personen, die in das Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik und den demokratischen Sektor von Groß-Berlin zurückkehren, beschlagnahmtes Eigentum zurückerhalten; ist in Einzelfällen eine Rückgabe des Eigentums nicht möglich, so ist Ersatz zu leisten. Der Bestimmung ist zunächst zu entnehmen, dass sie die bis dahin eingetretenen Verhältnisse nicht ungeschehen machen wollte. Die Wiedereinsetzung in das frühere Vermögen sollte keine auf dem Zeitpunkt der Schädigung zurückwirkende Rückenteignung beinhalten. Mit ihr wurde eben nicht der Zweck verfolgt, die wegen der Flucht vorgenommene Liquidation rechtlich zu korrigieren oder die dadurch eingetretene Vermögensverschiebung rechtsgrundlos zu machen. Es ging nicht um Wiedergutmachung, sondern lediglich darum, Anreize für eine Rückkehr in die DDR zu schaffen. Bereits das schließt aus, Ernst S. so zu behandeln, als sei er im Zeitpunkt der Unternehmensschädigung (1972) in seine alten Rechte wieder eingesetzt gewesen.
Die Verordnung vermittelte der heimgekehrten Person nur einen Eigentumsverschaffungsanspruch, der jedoch – wie sich aus § 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung ergibt – unter dem Vorbehalt rechtlicher Möglichkeiten stand. Diese Einschränkung kommt hier zum Tragen. Der betroffene Miteigentumsanteil bezieht sich auf den im Jahre 1953 als offene Handelsgesellschaft geführten Betrieb. Diese Gesellschaft wurde jedoch zunächst in eine Kommanditgesellschaft umgewandelt (1956), sonach im Jahre 1972 auf einen VEB übertragen und dann gelöscht. Zu einer Wiederbelebung der Gesellschaft, die gem. § 6 Abs. 1 a Satz 2 VermG in Nachliquidation ermöglicht wird, war es zunächst nicht gekommen. Die dafür erforderlichen Restitutionsanträge sind erst mit Schreiben vom 28. Juli 1991 gestellt worden. Zu diesem Zeitpunkt galt die Rückkehrerverordnung der DDR nicht mehr – sie ist durch § 39 Nr. 2 VermG zum 29. September 1990 außer Kraft getreten. Einem bis dahin nicht erfüllten Rückgabeanspruch ist damit die Rechtsgrundlage entzogen worden. Daran ändert vorliegend auch das Schreiben des Landratsamtes G. vom 14. Juni 1990 nichts. Es enthält keine eigenständige Regelung der Eigentumsverhältnisse, sondern will nur die Rechtsfolgen bestätigen, die sich aus der Rückkehrerverordnung ergeben sollen. Ferner – und unabhängig davon – ist erheblich, dass Ernst S. in Ansehung dieses Schreibens am Umwandlungsverfahren nach dem Unternehmensgesetz der DDR hat teilnehmen und Geschäftsanteile an der Beigeladenen zu 2 erlangen können. Hierin liegt eine ersatzweise Erfüllung des Rückgabeanspruchs gem. § 1 Abs. 1 Satz 2 Rückkehrerverordnung der DDR. Der Primäranspruch ist damit untergegangen.
d) Schließlich bleiben bei der prozentualen Berechnung des Quorums die staatlichen Beteiligungen am früheren Unternehmensträger außer Anwendung. Das hat das Verwaltungsgericht richtig erkannt. Gemeint ist nicht nur die als solche bezeichnete staatliche (Kommandit-)Beteiligung in Höhe von zuletzt 4 159 800 Mark (§ 17 Abs. 1 Satz 1 URüV), sondern auch der sog. volkseigene Anteil, der auf die frühere Beteiligung von Ernst S. entfiel. Denn auch für volkseigene Anteile, die durch den zwangsweisen Entzug von Mitgliedschaftsrechten entstanden sind und für die kein Rückübertragungsantrag des früheren Gesellschafters gestellt ist, muss dasselbe gelten. Sonst würde das staatliche Unrecht fortgesetzt, gäbe man dem Anteilsschädiger bestimmenden Einfluss auf die Restitutionsentscheidung (Urteil vom 11. Dezember 1997 – BVerwG 7 C 69.96 – BVerwGE 106, 51, 57 f. = Buchholz 428 § 6 VermG Nr. 31).
e) Folglich ist das Quorum gem. § 6 Abs. 1 a VermG erfüllt; denn bei seiner Berechnung entscheiden allein die Inhaber der privaten Beteiligung im Schädigungszeitpunkt des Jahres 1972, also beide Klägerinnen. Die geschädigte Gesellschaft lebt danach in Nachliquidation fort. Materiell rückgabeberechtigt ist deshalb der wiederbelebte Rechtsträger des entzogenen Unternehmens, die KG i.L. Die früheren Gesellschafter bzw. ihre Rechtsnachfolger haben die jeweiligen im Zeitpunkt der Schädigung bestehenden Anteile inne. Dazu gehört neben den Klägerinnen die Beigeladene zu 3 hinsichtlich des im Schädigungszeitpunkt bestehenden volkseigenen Anteils von seinerzeit 3,75 % sowie bezüglich des von ihr als Kommanditeinlage gehaltenen staatlichen Anteils mit 94,69 % des Unternehmensträgers. Eine vorangegangene Teilentziehung, wie etwa die im Jahre 1953 erfolgte Überführung des OHG-Anteils von Ernst S. in Volkseigentum, hat auf die Gesellschafterstellung keinen Einfluss. Anträge auf Rückgabe solcher Anteile (§ 6 Abs. 6 Satz 4 VermG), die im Rahmen von § 6 Abs. 5 b VermG Berücksichtigung finden könnten, liegen nicht vor, und ein eventuell aus der Rückkehrerverordnung der DDR vermittelter Anspruch auf Beteiligung an der KG i.L. ist bereits – wie ausgeführt – befriedigt.
Die Erfüllung des Quorums hat ferner zur Folge, dass die Klägerinnen kraft der ihnen von § 6 Abs. 6 Satz 1 VermG verliehenen Antragsberechtigung die Rückübertragung des Unternehmens auf die durch ihre Anmeldung entstandene Liquidationsgesellschaft verlangen können.
3. Das die Rückgabe des Unternehmens ablehnende Urteil erweist sich nicht selbst aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO); denn die Rückgabevoraussetzungen sind gegeben.
a) Das derzeit der Beigeladenen zu 2 gehörende Unternehmen ist im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 1 VermG, § 2 URüV mit dem im Zeitpunkt der Enteignung vergleichbar. Darüber besteht kein Streit.
b) Die Rückgabe ist nicht durch § 4 Abs. 1 Satz 3 Buchst. b, Satz 4 VermG ausgeschlossen. Danach scheidet eine Restitution bei Veräußerung aufgrund des Unternehmensgesetzes der DDR aus, wenn die Veräußerung redlich war. Das ist hier jedoch nicht der Fall.
Zwar hat eine „Veräußerung” in Gestalt einer Umwandlung stattgefunden. Zur Reprivatisierung ließ das Unternehmensgesetz der DDR sowohl den Verkauf (§ 5) als auch die Umwandlung in eine andere Unternehmensform (§§ 17 ff.) zu. Beide Formen stellen eine „Veräußerung” dar, hatten sie doch jeweils die Übertragung von Eigentum auf einen anderen Rechtsträger zum Gegenstand. Der Gesetzgeber will auch die Umwandlung als eine „Veräußerung” verstanden wissen, wie sich aus Art. 231 § 7 Abs. 4 EGBGB ergibt. Dort wird im Zusammenhang mit den die Umwandlung regelnden §§ 17 bis 19 des Unternehmensgesetzes der DDR von einer „Veräußerung” gesprochen (so auch der „Leitfaden Unternehmensrückübertragung” des Bundesministeriums der Justiz, 2. überarbeitete Auflage vom 8. Dezember 1992, Rn. 9.4 Abs. 1, abgedruckt unter 100.6 D im Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR).
Aber die Umwandlung ist unredlich im Sinne von § 4 Abs. 3 Buchst. a VermG gewesen und daher nicht restitutionsfest (§ 4 Abs. 1 Satz 4 VermG). An der nach § 19 Abs. 5 Unternehmensgesetz der DDR neu gegründeten GmbH waren nur die Beteiligungsverhältnisse wiederherzustellen, welche an dem enteigneten Unternehmen „nach dem Stand von 1972” (§ 5 Abs. 5 der Ersten Durchführungsverordnung zum Unternehmensgesetz der DDR vom 8. März 1990, GBl DDR Nr. 17 S. 144) bestanden hatten. Daran konnten auch die Rechtsfolgen der Rückkehrerverordnung der DDR nichts ändern. Zwar hatte das Kreisgericht G. der Treuhandanstalt mit einstweiliger Anordnung vom 29. Juni 1990 – Z 63/90 – untersagt, über den Geschäftsanteil von Ernst S. an der ehemaligen Firma S. zu verfügen. Aber deshalb vermochte die danach vorgenommene Umwandlung nicht dem Eigentumsverschaffungsanspruch zu entsprechen, der aus der Verordnung allenfalls hätte erwachsen können. Dieser ging auf Beteiligung an der im Jahre 1953 existenten Personengesellschaft, während Ernst S. und sein Bevollmächtigter, der Beigeladene zu 1, eine Umwandlung in eine Kapitalgesellschaft betrieben haben. Dass die Beteiligung von Ernst S. an der Umwandlung nicht dem Unternehmensgesetz der DDR entsprochen hat, muss dem Beigeladenen zu 1 in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der neuen Gesellschaft und damit der Beigeladenen zu 2 bewusst gewesen sein, hatte doch das Landratsamt G. den Antrag von Ernst S. auf Reprivatisierung aus diesem Grund abgelehnt (Bescheid vom 19. April 1990). Einfache Fahrlässigkeit genügt, um Unredlichkeit anzunehmen.
c) Hinsichtlich der Erfüllung des Anspruchs auf Rückgabe des Unternehmens kann die KG i.L. nur durch ihre zur Abwicklung berufenen Organe handeln (§ 161 Abs. 2, § 146 HGB). Da die Rückgabe in drei Formen möglich ist (vgl. § 6 Abs. 5 a VermG, §§ 9 f. URüV), haben die Liquidatoren der Behörde deutlich zu machen, auf welche Weise die Abwicklung stattfinden soll. Der Willensbildung der hier unbekannten Liquidatoren kann der Senat nicht vorgreifen. Der Beklagte hat in dem von ihm noch zu erlassenden Rückübertragungsbescheid auch darüber zu befinden, ob und in welcher Höhe Ausgleichsforderungen oder -verbindlichkeiten wegen im Zeitpunkt der Rückgabe festzustellender wesentlicher Verschlechterungen oder Verbesserungen der Vermögens- oder Ertragslage gem. § 6 Abs. 1 Satz 2 VermG bestehen.
4. Eine abschließende Sachentscheidung ist dem Senat verwehrt, weil ohne weitere Sachaufklärung nicht darüber befunden werden kann, wie die von der Beigeladenen zu 3 gehaltene ehemalige staatliche Beteiligung an der geschädigten Gesellschaft zu behandeln ist. § 6 Abs. 5 c VermG räumt den Gesellschaftern oder deren Rechtsnachfolgern das Recht ein, die Löschung einer staatlichen Beteiligung oder deren Übertragung zu verlangen, doch darf die nach dem Gesetz bestehende Vermutung des Machtmissbrauchs gem. § 1 Abs. 3 VermG im Zeitpunkt der Einräumung der Beteiligung nicht widerlegt sein. Dem Beigeladenen zu 3 muss daher noch die Möglichkeit bleiben, den Nachweis führen zu können, dass die Gründe nicht unlauter waren, die damals zum Erwerb und zur Erhöhung der staatlichen Beteiligung geführt hatten. Die Einlassung des Beigeladenen zu 1 im Revisionsverfahren, es sei alles mit rechten Dingen zugegangen, ist zu pauschal, um in tatsächlicher Hinsicht ungeprüft übernommen werden zu können.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Sailer, Krauß, Postier
Fundstellen
NJW 2002, 3041 |
BVerwGE, 277 |
VIZ 2002, 563 |