Entscheidungsstichwort (Thema)
Verbandsklage. Naturschutzverband. Rückwirkung. Klagebefugnis. Planfeststellungsbeschluss. Klagefrist. Bestandskraft
Leitsatz (amtlich)
§ 69 Abs. 5 Nr. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften (BNatSchGNeuregG) vom 25. März 2002 (BGBl I S. 1193) eröffnet rückwirkend die Klagebefugnis für solche anerkannten Naturschutzverbände, die eine im Übrigen zulässige Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluss erhoben haben, der nach dem 1. Juli 2000 erlassen wurde.
Normenkette
BNatSchG n.F. § 61 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, § 69 Abs. 5 Nr. 2; FStrG § 17 Abs. 1
Tenor
Die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss für den Neubau der Bundesautobahn A 17, Dresden – Bundesgrenze D/CZ – Planfeststellungsabschnitt 2, B 170 bis AS Pirna, von Bau-km 12+450 bis 25+300 vom 14. September 2001 ist zulässig.
Tatbestand
I.
1. Der Kläger ist ein im Freistaat Sachsen anerkannter Naturschutzverband. Er hat gegen den Planfeststellungsbeschluss des Regierungspräsidiums Dresden für den Neubau der Bundesautobahn A 17, Dresden – Bundesgrenze D/CZ – Planfeststellungsabschnitt 2, B 170 bis AS Pirna, von Bau-km 12+450 bis 25+300 vom 14. September 2001 am 24. Oktober 2001 Klage erhoben. Mit ihr macht der Kläger im Wesentlichen geltend, der Planfeststellungsbeschluss verletze gemeinschaftsrechtliches Naturschutzrecht.
Der Kläger hat sich im Aufstellungsverfahren beteiligt. Er hat dort Einwendungen mit Schreiben vom 31. Mai 2000 und zur Tekturplanung mit Schreiben vom 18. Juli 2001 erhoben. Der Beklagte hat diesen Einwendungen nicht entsprochen.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Regierungspräsidiums Dresden vom 14. September 2001 zur Feststellung des Plans zum Neubau der Bundesautobahn A 17 Dresden – Bundesgrenze D/CZ, Planfeststellungsabschnitt 2, B 170 bis Anschlussstelle Pirna von Bau-km 12+450 bis Bau-km 25+300 mit den Nebenbestimmungen und Tekturen aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit der Klage. Der Kläger hat seine Klagebefugnis bei Klageerhebung auf § 58 Abs. 1 Nr. 1 SächsNatSchG gestützt. Nach In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften (BNatSchGNeuregG) vom 25. März 2002 (BGBl I S. 1193) hat er zur Begründung der Klagebefugnis auf § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 69 Abs. 5 Nr. 2 BNatSchG n.F. verwiesen. Der Beklagte hat dem widersprochen. Er meint, der angegriffene Planfeststellungsbeschluss sei bereits vor In-Kraft-Treten des Gesetzes vom 25. März 2002 bestandskräftig geworden. Die erhobene Klage sei angesichts der seinerzeit nicht gegebenen Klagebefugnis nicht geeignet gewesen, den Eintritt der Bestandskraft zu verhindern.
Der Vertreter des Bundesinteresses beteiligt sich am Verfahren. Nach seiner Auffassung ist die Klagebefugnis des Klägers gemäß § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 69 Abs. 5 Nr. 2 BNatSchG n.F. gegeben.
2. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 27. Juni 2002 gemäß § 173 VwGO, § 280 ZPO abgesonderte Verhandlung und Entscheidung über die Frage der Zulässigkeit der Klage angeordnet. Die Beteiligten haben übereinstimmend für die zu klärende Frage der Zulässigkeit der Klage auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
II.
Das Gericht entscheidet über die Zulässigkeit der erhobenen Klage vorab durch Zwischenurteil (§ 109 VwGO) und ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO). Die Beteiligten haben dieser Verfahrensweise zugestimmt.
1. Das Bundesverwaltungsgericht ist als Gericht der Hauptsache zuständig. Das angegriffene Planvorhaben wird von § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Beschleunigung der Planung für Verkehrswege in den neuen Ländern sowie im Land Berlin (Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz) – VerkPBG – vom 16. Dezember 1991 (BGBl I S. 2174) erfasst. Der Planfeststellungsbeschluss betrifft eine im Gebiet der neuen Bundesländer liegende Bundesfernstraße im Sinne der §§ 1, 17 Abs. 1 des Bundesfernstraßengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 19. April 1994 (BGBl I S. 854).
2. Die Klage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist der Kläger mit seinem gegen den Planfeststellungsbeschluss des Beklagten vom 14. September 2001 gerichteten Vorbringen im Grundsatz klagebefugt. Diese Feststellung genügt, um im Wege des Zwischenurteils die Zulässigkeit der Klage aussprechen zu können.
2.1 Die Klagebefugnis ergibt sich nicht bereits aus § 58 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SächsNatSchG. Dieser Vorschrift liegt ein formeller Biotop- und Flächenschutz zugrunde (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 1996 – BVerwG 4 A 16.95 – Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 10 = NVwZ 1997, 491). Die Verletzung eines formell unter Naturschutz gestellten Gebietes liegt nach dem klägerischen Vorbringen nicht vor. Einer weiteren Vertiefung dieser Frage bedarf es hier nicht, da sich die Klagebefugnis aufgrund neuer Rechtslage ergibt.
2.2 Die Klagebefugnis des Klägers als einem im Freistaat Sachsen anerkannten Naturschutzverband folgt aus § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. der Überleitungsvorschrift des § 69 Abs. 5 Nr. 2 BNatSchG n.F. Deren Voraussetzungen sind gegeben.
Der angegriffene Planfeststellungsbeschluss vom 14. September 2001 wurde nach dem 1. Juli 2000 erlassen. Im Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften (BNatSchGNeuregG) vom 25. März 2002 (BGBl I S. 1193) war der Planfeststellungsbeschluss noch nicht bestandskräftig. Gegen ihn sind mehrere weitere Klagen erhoben worden. Das Neuregelungsgesetz trat nach seinem Art. 5 Halbsatz 1 am Tage nach der Verkündung in Kraft. Dies war der 4. April 2002. Zu diesem Zeitpunkt war ferner die vorliegende Klage anhängig. Sie war – aus der Sicht des angegriffenen Planfeststellungsbeschlusses – rechtzeitig, nämlich nach Maßgabe der erteilten Rechtsbehelfsbelehrung gemäß § 74 VwGO fristgerecht erhoben worden. Allerdings war die Klage wegen fehlender Klagebefugnis unzulässig. Es mag zweifelhaft sein, ob und unter welchen Voraussetzungen eine unzulässige, insbesondere unstatthafte Klage den Eintritt der Bestandskraft verhindern kann. So wird etwa angenommen, dass die aufschiebende Wirkung jedenfalls die Widerspruchs- oder Klagebefugnis bedingt (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 1992 – BVerwG 7 C 24.92 – Buchholz 310 § 137 VwGO Nr. 175 = NJW 1993, 1610 ≪1611≫ = DVBl 1993, 256). Auch bei offensichtlicher Unzulässigkeit eines Rechtsbehelfs soll die aufschiebende Wirkung nicht eintreten. Dies bedarf hier indes keiner näheren Erörterung. Maßgebend ist die Zielsetzung der Überleitungsvorschrift des § 69 Abs. 5 Nr. 2 BNatSchG n.F. selbst. Sie setzt gerade in der Anordnung der Rückwirkung einen noch sinnvollen Anwendungsbereich voraus. Das ist nur gegeben, wenn § 69 Abs. 5 Nr. 2 BNatSchG n.F. eine bislang fehlende Klagebefugnis substituiert. Die Vorschrift ordnet die Rückwirkung des Gesetzes gerade hinsichtlich der bundesrechtlich normierten Klagebefugnis der anerkannten Naturschutzverbände an. Es ist dieser Zusammenhang, der den Anwendungsbereich des § 69 Abs. 5 Nr. 2 BNatSchG n.F. konstituiert. Zwar wollte das Gesetz mit dem Merkmal der Bestandskraft ersichtlich ausschließen, dass bereits nach der früheren Rechtslage unanfechtbar gewordene Verwaltungsakte nunmehr einem Klageverfahren mit den Möglichkeiten des § 61 BNatSchG n.F. unterzogen werden konnten. Damit nahm das Gesetz es einerseits hin, dass ein Naturschutzverband unter dem Eindruck der früheren Rechtslage eine fristgerechte Klageerhebung unterlassen hatte. Andererseits sollte den Naturschutzverbänden rückwirkend die Klagebefugnis des § 61 Abs. 1 BNatSchG n.F. eröffnet werden und damit eine bislang gerade nicht bestehende Rechtsposition begründet werden. Der Wortlaut des § 69 Abs. 5 Nr. 2 BNatSchG n.F. steht dieser Auslegung erkennbar nicht entgegen. Diese wird durch den systematischen Zusammenhang, in den die Vorschrift gestellt ist, bestätigt. Das Gesetz will offenkundig verschiedene Fallgruppen von noch nicht abgeschlossenen Verfahren erfassen und dazu die Anwendbarkeit des neuen Rechts regeln. Das gilt auch für § 69 Abs. 5 BNatSchG n.F. selbst. Auch § 69 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG n.F. mit der Bezugnahme auf § 61 BNatSchG n.F. deutet dies an. Die Entstehungsgeschichte rechtfertigt gleichfalls die hier zugrunde gelegte Auslegung. Die Bundesregierung hat in ihrer Gegenäußerung im Verfahren nach Art. 77 Abs. 2 GG vom 5. September 2001 dargelegt, dass sich die Rückwirkung im rechtlich möglichen Maße auch auf noch nicht bestandskräftige Verwaltungsakte erstrecken solle. Im Übrigen sei die Erhebung der Klage nur unter den sonstigen allgemeinen Voraussetzungen möglich (vgl. BTDrucks 14/6878 – Anlage 3 S. 25 zu Art. 1 § 68 Abs. 5 Nr. 2). Mit dieser Begründung hat die Bundesregierung dem Begehren des Bundesrates, eine Rückwirkung ganz allgemein auszuschließen (vgl. BRDrucks 411/01 (Beschluss) S. 32 zu Art. 1 § 68 Abs. 5 Nr. 2), widersprochen.
Der Kläger hat auch an dem Verwaltungsverfahren, das zu dem angegriffenen Planfeststellungsbeschluss geführt hat, als anerkannter Verband mitgewirkt. Diese Mitwirkung war jedenfalls gemäß § 29 Abs. 1 BNatSchG a.F. vorgeschrieben.
2.3 Auch die weiteren Voraussetzungen des § 61 BNatSchG n.F. sind – soweit sie die Zulässigkeit der Klage betreffen – gegeben. Nach § 61 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG n.F. kann sich die Klage zulässig gegen einen Planfeststellungsbeschluss richten. Mit dem Vorhaben, das Gegenstand des Planfeststellungsbeschlusses ist, sind Eingriffe in Natur und Landschaft verbunden. Es genügt für die Annahme der Klagebefugnis, dass eine naturfachlich erhebliche Beeinträchtigung gegeben ist.
Der Kläger macht auch eine Rechtsverletzung im Sinne des § 61 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG n.F. geltend. Aus seinem Vorbringen ergibt sich, dass er eine Verletzung der sich aus der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (79/409/EWG) – Vogelschutz-RL (VRL) – (ABl EG Nr. L 103 S. 1 ff. vom 25. April 1979) und der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (92/43/EWG) – Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie (FFH-RL) – (ABl EG Nr. L 206 S. 7 ff. vom 22. Juli 1992) ergebenden Anforderungen hinreichend substantiiert geltend macht. Auf weiteres kommt es in diesem Zusammenhang nicht an. Dass die genannten EG-Richtlinien im Sinne des § 61 Abs. 2 Nr. 1 BNatSchG n.F. den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind, ist im Hinblick auf §§ 33 ff. BNatSchG n.F. offenkundig.
Die weiteren Voraussetzungen des § 61 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 BNatSchG n.F. sind gegeben. Der Kläger handelt innerhalb seines Satzungszwecks. Er war im Aufstellungsverfahren zur Mitwirkung berechtigt. Er hat davon auch Gebrauch gemacht (vgl. auch § 69 Abs. 7 Satz 1 BNatSchG n.F.). Die näheren Voraussetzungen des § 61 Abs. 3 BNatSchG n.F. betreffen nicht die Zulässigkeit der Klage.
2.4 Die Klage ist fristgerecht erhoben und begründet worden. Die Klageform der Anfechtung ist zulässig. Die in § 17 Abs. 6 c FStrG vorgesehenen Rechtsfolgen stellen dies nicht in Zweifel. Bedenken, die im Übrigen gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen könnten, sind nicht ersichtlich.
Unterschriften
Berkemann, Lemmel, Rojahn, Gatz, Jannasch
Fundstellen
NuR 2003, 93 |
DVBl. 2002, 1500 |
UPR 2002, 458 |