Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Gemeinsames Mehrwertsteuersystem. Recht auf Vorsteuerabzug. Modalitäten der Ausübung. Löschung und spätere Wiedererteilung der Steuer-Identifikationsnummer eines Steuerpflichtigen. Verlust des Rechts auf Vorsteuerabzug im Hinblick auf die Umsätze, die im Zeitraum vor der Löschung getätigt wurden. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
Normenkette
Richtlinie 2006/112/EG
Beteiligte
Megatherm-Csillaghegy Kft |
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága |
Tenor
Die Art. 63, 167 und 168, 178 bis 180, 182 und 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 geänderten Fassung sowie die Grundsätze der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Verhältnismäßigkeit sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Maßnahme entgegenstehen, nach der einem Mehrwertsteuerpflichtigen, dessen Steuer-Identifikationsnummer mit der Begründung gelöscht wurde, dass er es unterlassen hatte, seinen Jahresabschluss einzureichen und zu veröffentlichen, und die wieder erteilt wurde, nachdem diesem Versäumnis abgeholfen worden war, sein Recht auf Abzug der im Zeitraum vor dieser Löschung entrichteten Vorsteuer entzogen wird, obwohl die materiellen Anforderungen für die Begründung eines solchen Abzugsrechts erfüllt sind und der Steuerpflichtige weder in betrügerischer noch in missbräuchlicher Weise gehandelt hat, um dieses Recht in Anspruch nehmen zu können.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) mit Entscheidung vom 25. Februar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 25. März 2021, in dem Verfahren
Megatherm-Csillaghegy Kft.
gegen
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. Passer, des Richters F. Biltgen und der Richterin M. L. Arastey Sahún (Berichterstatterin),
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér und R. Kissné Berta als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Béres und J. Jokubauskaitė als Bevollmächtigte,
aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 63, 167 und 168, 178 bis 180, 182 und 273 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2010/45/EU des Rates vom 13. Juli 2010 (ABl. 2010, L 189, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) sowie des Grundsatzes der Neutralität der Mehrwertsteuer.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Megatherm-Csillaghegy Kft. und der Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága (Rechtsbehelfsdirektion der nationalen Steuer- und Zollverwaltung, Ungarn) wegen deren Entscheidung, Megatherm-Csillaghegy das Recht auf Abzug der vor der Löschung und der späteren Wiedererteilung ihrer Mehrwertsteuer-Identifikationsnummer entrichteten Vorsteuer zu entziehen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der 30. Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet: „Um die Neutralität der Mehrwertsteuer zu erhalten, sollten die von den Mitgliedstaaten angewandten Steuersätze den normalen Abzug der Steuerbelastung der vorausgehenden Umsatzstufe ermöglichen.”
Rz. 4
Art. 63 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Steuertatbestand und Steueranspruch treten zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird.”
Rz. 5
Art. 167 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht.”
Rz. 6
In Art. 168 dieser Richtlinie heißt es:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden, ist der Steuerpflichtige berechtigt, in dem Mitgliedstaat, in dem er diese Umsätze bewirkt, vom Betrag der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
- die in diesem Mitgliedstaat geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert bzw. erbracht wurden oder werden;
- die Mehrwertsteuer, die für Umsätze geschuldet wird, die der Lieferung von Gegenständen beziehungsweise dem Erbringen von Dienstleistungen gemäß Artikel 18 Buchstabe a sowie Artikel 27 gleichgestellt sind;
…”
Rz. 7
Art. 178 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige folgende Bedingungen erfüllen:
- für den Vorsteuerabzug n...