Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs. Antwort, die klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann. Steuern. Mehrwertsteuer. Recht auf Vorsteuerabzug. Einzelheiten der Ausübung. Verspätete Erstattung. Verspätung als Folge der Anwendung einer nationalen Bestimmung. Wirkung eines Vorabentscheidungsurteils, das der Gerichtshof nach diesen Vorgängen erlässt. Verzugszinsen. Verjährung. Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der steuerlichen Neutralität
Normenkette
Richtlinie 2006/112/EG Art. 183
Beteiligte
Lear Corporation Hungary Autóipari Gyártó Kft. |
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága |
Tenor
1.Art. 183 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem
ist im Licht der Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen, dass
er – in einem Fall, in dem ein Steuerpflichtiger die Erstattung der Mehrwertsteuer, die er zuvor aufgrund einer vom Gerichtshof für mit diesem Artikel unvereinbar befundenen rechtlichen Bedingung nicht beanspruchen konnte – dem nicht entgegensteht, dass dieser Erstattungsantrag unter den im Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Bedingungen in Anbetracht des Zwecks der Zahlung von Zinsen auf von einem Mitgliedstaat unter Verstoß gegen die Vorschriften des Unionsrechts einbehaltene Mehrwertsteuerüberschüsse, nämlich des Ausgleichs der zum Nachteil des Steuerpflichtigen durch die Nichtverfügbarkeit der betreffenden Beträge entstandenen finanziellen Verluste, dahin angesehen werden kann, dass er auch einen Antrag auf Zahlung von Verzugszinsen umfasst.
2.Die Grundsätze der Effektivität und der steuerlichen Neutralität
sind dahin auszulegen, dass
sie einer Praxis eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, wonach dessen Steuerverwaltung nicht verpflichtet ist, im Stadium eines innerhalb der Verjährungsfrist gestellten Antrags auf Zahlung von Verzugszinsen, der sich auf von diesem Staat unter Verstoß gegen das Unionsrecht einbehaltene Mehrwertsteuerbeträge bezieht, Zinsen zu gewähren, die in diesem Antrag nicht genannt werden, dass sie jedoch diesen Behörden verwehren, einen späteren Antrag auf Zahlung von Verzugszinsen, der einen Zeitraum nennt, der nicht Gegenstand des zunächst gestellten Antrags war, mit der Folge der Verjährung als neuen Antrag einzustufen, wenn der später gestellte Antrag Verzugszinsen auf Mehrwertsteuerbeträge betrifft, die aufgrund desselben Verstoßes gegen das Unionsrecht einbehalten wurden, der dem ersten Antrag zugrunde lag, und der Steuerpflichtige von der Möglichkeit, den zeitlichen Umfang seines ersten Antrags auszuweiten, erst nach Erlass einer nationalen Gerichtsentscheidung, die im Anschluss an eine vom Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV erlassene Entscheidung erging, Kenntnis erlangte.
3.Die Grundsätze der Effektivität und der steuerlichen Neutralität
sind dahin auszulegen, dass
ein später gestellter Antrag auf Zahlung von Verzugszinsen, der sich auf einen Zeitraum bezieht, der nicht Gegenstand des zunächst gestellten Antrags auf Zahlung solcher Zinsen war, nach den Modalitäten, die jeder Mitgliedstaat im Hinblick auf sein nationales Recht festzulegen hat, als Ergänzung des zunächst gestellten Antrags anzusehen ist, wenn der später gestellte Antrag Verzugszinsen auf Mehrwertsteuerbeträge betrifft, die aufgrund desselben Verstoßes gegen das Unionsrecht einbehalten wurden, der dem ersten Antrag zugrunde lag, und der Steuerpflichtige von der Möglichkeit, den zeitlichen Umfang seines ersten Antrags auszuweiten, erst nach Erlass einer nationalen Gerichtsentscheidung, die im Anschluss an eine vom Gerichtshof in Ausübung seiner Befugnisse aus Art. 267 AEUV erlassene Entscheidung erging, Kenntnis erlangte.
Tatbestand
In der Rechtssache C-532/23
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Fővárosi Törvényszék (Hauptstädtisches Stuhlgericht, Ungarn) mit Entscheidung vom 10. Juli 2023, beim Gerichtshof eingegangen am 18. August 2023, in dem Verfahren
Lear Corporation Hungary Autóipari Gyártó Kft.
gegen
Nemzeti Adó- és Vámhivatal Fellebbviteli Igazgatósága
erlässt
DER GERICHTSHOF (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten F. Biltgen sowie der Richter N. Wahl (Berichterstatter) und J. Passer,
Generalanwältin: T. Ćapeta,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund der nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,
folgenden
Beschluss
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 183 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. 2006, L 347, S. 1) sowie der Grundsätze der Äquivalenz, der Effektivität und der steuerlichen Neutralität.
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Lear...