Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorabentscheidungsersuchen. Systeme der sozialen Sicherheit. Leistungen bei Invalidität. Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Art. 40 Abs. 3. Je nach Mitgliedstaat unterschiedliche Entschädigungsregelungen. Nachteile für Wanderarbeitnehmer -Beiträge ohne Anspruch auf Gegenleistungen
Beteiligte
Institut national d'assurance maladie-invalidité (INAMI) |
Tenor
Art. 39 EG ist dahin gehend auszulegen, dass es den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats verwehrt ist, nationale Rechtsvorschriften anzuwenden, die im Einklang mit Art. 40 Abs. 3 Buchst. b der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 den Anspruch auf Invaliditätsleistungen vom Ablauf eines einjährigen Zeitraums primärer Arbeitsunfähigkeit abhängig machen, wenn eine solche Anwendung dazu führt, dass ein Wanderarbeitnehmer an das System der sozialen Sicherheit dieses Mitgliedstaats Beitragsleistungen ohne Anspruch auf Gegenleistungen erbracht hat und somit gegenüber einem sesshaften Arbeitnehmer benachteiligt wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Tribunal du travail de Nivelles (Belgien) mit Entscheidung vom 18. Dezember 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Januar 2008, in dem Verfahren
Ketty Leyman
gegen
Institut national d'assurance maladie-invalidité (INAMI)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, des Richters T. von Danwitz, der Richterin R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin) sowie der Richter G. Arestis und J. Malenovský,
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: M.-A. Gaudissart, Referatsleiter,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. Dezember 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Leyman, vertreten durch E. Piret, avocat,
- der belgischen Regierung, vertreten durch L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch C. Wissels und M. Noort als Bevollmächtigte,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch V. Jackson als Bevollmächtigte im Beistand von T. Ward, Barrister,
- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch M. Veiga und D. Canga Fano als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. van Hoof und V. Kreuschitz als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Februar 2009
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft Art. 40 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 647/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 2005 (ABl. L 117, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), und die Vereinbarkeit bestimmter Aspekte der belgischen Rechtsvorschriften über Leistungen bei Invalidität mit dem Gemeinschaftsrecht.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einer belgischen Staatsangehörigen, Frau Leyman, und dem Institut national d'assurance maladie-invalidité (INAMI) (Behörde für Kranken- und Invaliditätsversicherung) über den Zeitpunkt, ab dem sie Anspruch auf eine Invaliditätsentschädigung hat.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Art. 13 der Verordnung Nr. 1408/71 bestimmt:
„(1) Vorbehaltlich der Artikel 14c und 14f unterliegen Personen, für die diese Verordnung gilt, den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften diese sind, bestimmt sich nach diesem Titel.
(2) Soweit nicht die Artikel 14 bis 17 etwas anderes bestimmen, gilt Folgendes:
a) Eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt oder ihr Arbeitgeber oder das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Wohnsitz oder Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat.
…”
Rz. 4
Art. 37 der Verordnung Nr. 1408/71 sieht vor:
„(1) Ein Arbeitnehmer oder Selbständiger, für den nacheinander oder abwechselnd die Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten galten und der Versicherungszeiten ausschließlich unter solchen Rechtsvorschriften zurückgelegt hat, nach denen die Höhe der Leistungen bei Invalidität von der Dauer der Versicherungszeiten unabhängig ist, e...