Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Öffentliche Aufträge. Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge. Öffentlicher Auftraggeber. Einrichtungen des öffentlichen Rechts. Begriff. Nationaler Sportverband. Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben. Aufsicht über die Leitung des Verbands durch eine Einrichtung des öffentlichen Rechts
Normenkette
Richtlinie 2014/24/EU Art. 2 Abs. 1 Nr. 4
Beteiligte
FIGC und Consorzio Ge.Se.Av |
Federazione Italiana Giuoco Calcio (FIGC) |
Consorzio Ge.Se.Av. S. c. arl |
De Vellis Servizi Globali Srl |
Tenor
1. Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG ist dahin auszulegen, dass bei einer Einrichtung, die mit im nationalen Recht abschließend festgelegten öffentlichen Aufgaben betraut ist, auch dann angenommen werden kann, dass sie im Sinne dieser Bestimmung zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen, wenn sie nicht in der Form einer öffentlichen Verwaltungsstelle, sondern in der Form eines privatrechtlichen Vereins gegründet wurde und bestimmte ihrer Tätigkeiten, hinsichtlich deren sie über Eigenfinanzierungskapazität verfügt, keinen öffentlichen Charakter haben.
2. Die zweite der in Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. c der Richtlinie 2014/24 aufgeführten Tatbestandsvarianten ist dahin auszulegen, dass in dem Fall, dass ein nationaler Sportverband nach dem nationalen Recht über Leitungsautonomie verfügt, nur dann anzunehmen ist, dass die Leitung dieses Verbands der Aufsicht einer öffentlichen Einrichtung untersteht, wenn sich aus einer Gesamtwürdigung der Befugnisse dieser Einrichtung gegenüber dem Verband ergibt, dass eine aktive Aufsicht über die Leitung vorliegt, die diese Autonomie faktisch so sehr in Frage stellt, dass sie es der Einrichtung ermöglicht, die Entscheidungen des Verbands im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge zu beeinflussen. Der Umstand, dass die verschiedenen nationalen Sportverbände die Tätigkeit der betreffenden öffentlichen Einrichtung dadurch beeinflussen, dass sie mehrheitlich an deren wichtigsten beratenden Kollegialorganen beteiligt sind, ist nur dann maßgeblich, wenn sich feststellen lässt, dass jeder dieser Verbände für sich genommen in der Lage ist, einen so erheblichen Einfluss auf die von dieser Einrichtung ihm gegenüber geführte öffentliche Aufsicht auszuüben, dass diese Aufsicht neutralisiert und er damit die Entscheidungshoheit über seine Leitung wiedererlangen würde, und zwar ungeachtet des Einflusses der anderen nationalen Sportverbände, die sich in einer ähnlichen Lage befinden.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien), mit Entscheidungen vom 17. Januar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Februar 2019, in den Verfahren
Federazione Italiana Giuoco Calcio (FIGC),
Consorzio Ge.Se.Av. S. c. arl
gegen
De Vellis Servizi Globali Srl,
Beteiligte:
Consorzio Ge.Se.Av. S. c. arl,
Comitato Olimpico Nazionale Italiano (CONI),
Federazione Italiana Giuoco Calcio (FIGC),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter N. Piçarra, D. Šváby (Berichterstatter) und S. Rodin sowie der Richterin K. Jürimäe,
Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,
Kanzler: R. Schiano, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. Juli 2020,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Federazione Italiana Giuoco Calcio (FIGC), vertreten durch L. Medugno und L. Mazzarelli, avvocati,
- der Consorzio Ge.Se.Av. S. c. arl, vertreten durch V. Di Martino, avvocato,
- der De Vellis Servizi Globali Srl, vertreten durch D. Lipani, A. Catricalà, F. Sbrana und S. Grillo, avvocati,
- des Comitato Olimpico Nazionale Italiano (CONI), vertreten durch S. Fidanzia und A. Gigliola, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von D. Del Gaizo, avvocato dello Stato,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara, P. Ondrůšek und L. Haasbeek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. Oktober 2020
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a und c der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).
Rz. 2
Die Ersuchen ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der Federazione Italiana Giuoco Calcio (Italienischer Fußballverband, im Folgenden: FIGC) und der Consorzio Ge.Se.Av. S. c. arl (im Folgenden: Consorzio) auf der einen und der De Vellis Servizi Globali Srl auf der anderen Seite wegen der Ver...