Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Selbständige Handelsvertreter. Kündigung des Handelsvertretervertrags durch den Unternehmer. Entschädigung des Handelsvertreters. Verbot der Kumulierung des Systems der Ausgleichszahlung für Kunden und des Schadensersatzsystems. Anspruch des Handelsvertreters auf Schadensersatz zusätzlich zur Ausgleichszahlung für Kunden. Voraussetzungen
Normenkette
Richtlinie 86/653/EWG Art. 17 Abs. 2
Beteiligte
Tenor
1. Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung, nach der ein Handelsvertreter bei Beendigung des Handelsvertretervertrags sowohl Anspruch auf eine Ausgleichszahlung für Kunden, die auf höchstens eine Jahresvergütung beschränkt ist, als auch, sofern dieser Ausgleich den tatsächlich erlittenen Schaden nicht vollständig deckt, auf zusätzlichen Schadensersatz hat, nicht entgegensteht, soweit eine solche Regelung nicht zu einer doppelten Entschädigung des Handelsvertreters für den Verlust der Provisionen infolge der Beendigung des Handelsvertretervertrags führt.
2. Art. 17 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 86/653 ist dahin auszulegen, dass er die Zuerkennung von Schadensersatz nicht vom Nachweis des Vorliegens eines dem Unternehmer zuzurechnenden Verschuldens, das in kausalem Zusammenhang mit dem angegebenen Schaden steht, abhängig macht, aber verlangt, dass sich der angegebene Schaden von demjenigen unterscheidet, der durch die Ausgleichszahlung für Kunden abgedeckt wird.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Cour d'appel de Bruxelles (Berufungsgericht Brüssel, Belgien) mit Entscheidung vom 27. Juni 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 14. Juli 2014, in dem Verfahren
Quenon K. SPRL
gegen
Beobank SA, vormals Citibank Belgium SA,
Metlife Insurance SA, vormals Citilife SA,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Dritten Kammer L. Bay Larsen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richter J. Malenovský und M. Safjan sowie der Richterinnen A. Prechal und K. Jürimäe (Berichterstatterin),
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Quenon K. SPRL, vertreten durch P. Demolin und M. Rigo, avocats,
- der Beobank SA, vertreten durch A. de Schoutheete und A. Viggria, avocats,
- der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Hottiaux und E. Montaguti als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Juli 2015
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 17 Abs. 2 der Richtlinie 86/653/EWG des Rates vom 18. Dezember 1986 zur Koordinierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die selbständigen Handelsvertreter (ABl. L 382, S. 17, im Folgenden: Richtlinie).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Quenon K. SPRL (im Folgenden: Quenon) auf der einen und der Beobank SA, vormals Citibank Belgium SA (im Folgenden: Citibank), sowie der Metlife Insurance SA, vormals Citilife SA (im Folgenden: Citilife), auf der anderen Seite wegen Zahlung des von Quenon aufgrund der Auflösung ihres Handelsvertretervertrags durch die letztgenannten Gesellschaften geforderten Ausgleichs und Schadensersatzes.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Die Erwägungsgründe 2 und 3 der Richtlinie lauten:
„Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Handelsvertretungen beeinflussen die Wettbewerbsbedingungen und die Berufsausübung innerhalb der Gemeinschaft spürbar und beeinträchtigen den Umfang des Schutzes der Handelsvertreter in ihren Beziehungen zu ihren Unternehmen sowie die Sicherheit im Handelsverkehr. Diese Unterschiede erschweren im Übrigen auch erheblich den Abschluss und die Durchführung von Handelsvertreterverträgen zwischen einem Unternehmer und einem Handelsvertreter, die in verschiedenen Mitgliedstaaten niedergelassen sind.
Der Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten muss unter Bedingungen erfolgen, die denen eines Binnenmarktes entsprechen, weswegen die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten in dem zum guten Funktionieren des Gemeinsamen Marktes erforderlichen Umfang angeglichen werden müssen. Selbst vereinheitlichte Kollisionsnormen auf dem Gebiet der Handelsvertretung können die erwähnten Nachteile nicht beseitigen und lassen daher einen Verzicht auf die vorgeschlagene Harmonisierung nicht zu”.
Rz. 4
Art. 1 der Richtlinie bestimmt:
- „Die durch diese Richtlinie vorgeschriebenen Harmo...