Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. Grundsatz der ‚Rechtmäßigkeit‘. Erforderlichkeit der Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten. Recht auf Löschung im Fall der unrechtmäßigen Verarbeitung personenbezogener Daten. Verhaltensregeln. Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen eine Aufsichtsbehörde. Beschluss der Aufsichtsbehörde über eine Beschwerde. Umfang der gerichtlichen Überprüfung dieses Beschlusses. Wirtschaftsauskunfteien. Speicherung von Daten aus einem öffentlichen Register im Zusammenhang mit der Restschuldbefreiung zugunsten einer Person. Speicherdauer

 

Normenkette

EUVO 679/2016 Art. 5 Abs. 1 Buchst. a, Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f., Art. 17 Abs. 1 Buchst. d, Art. 40, 78 Abs. 1

 

Beteiligte

SCHUFA Holding (Libération de reliquat de dette)

UF

AB

Land Hessen

 

Tenor

1.Art. 78 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung)

ist dahin auszulegen, dass

ein rechtsverbindlicher Beschluss einer Aufsichtsbehörde einer vollständigen inhaltlichen Überprüfung durch ein Gericht unterliegt.

2.Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2016/679 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f dieser Verordnung

ist dahin auszulegen, dass

er einer Praxis privater Wirtschaftsauskunfteien entgegensteht, die darin besteht, in ihren eigenen Datenbanken aus einem öffentlichen Register stammende Informationen über die Erteilung einer Restschuldbefreiung zugunsten natürlicher Personen zum Zweck der Lieferung von Auskünften über die Kreditwürdigkeit dieser Personen für einen Zeitraum zu speichern, der über die Speicherdauer der Daten im öffentlichen Register hinausgeht.

3.Art. 17 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung 2016/679

ist dahin auszulegen, dass

die betroffene Person das Recht hat, vom Verantwortlichen die unverzügliche Löschung der sie betreffenden personenbezogenen Daten zu verlangen, wenn sie gemäß Art. 21 Abs. 1 dieser Verordnung Widerspruch gegen die Verarbeitung einlegt und keine zwingenden schutzwürdigen Gründe vorliegen, die ausnahmsweise die betreffende Verarbeitung rechtfertigen.

4.Art. 17 Abs. 1 Buchst. d der Verordnung 2016/679

ist dahin auszulegen, dass

der Verantwortliche verpflichtet ist, personenbezogene Daten, die unrechtmäßig verarbeitet wurden, unverzüglich zu löschen.

 

Tatbestand

In den verbundenen Rechtssachen C-26/22 und C-64/22

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Verwaltungsgericht Wiesbaden (Deutschland) mit Beschlüssen vom 23. Dezember 2021 und 31. Januar 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 11. Januar 2022 und am 2. Februar 2022, in den Verfahren

UF(C-26/22),

AB(C-64/22)

gegen

Land Hessen,

Beteiligte:

SCHUFA Holding AG,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin (Berichterstatter) sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: K. Hötzel, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Januar 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • –        von UF und AB, vertreten durch Rechtsanwälte R. Rohrmoser und S. Tintemann,
  • –        des Landes Hessen, vertreten durch Rechtsanwälte M. Kottmann und G. Ziegenhorn,
  • –        der SCHUFA Holding AG, vertreten durch G. Thüsing und Rechtsanwalt U. Wuermeling,
  • –        der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und P.-L. Krüger als Bevollmächtigte,
  • –        der portugiesischen Regierung, vertreten durch P. Barros da Costa, M. J. Ramos und C. Vieira Guerra als Bevollmächtigte,
  • –        der Europäischen Kommission, vertreten durch A. Bouchagiar, F. Erlbacher, H. Kranenborg und W. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. März 2023

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 7 und 8 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie von Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 Buchst. f, Art. 17 Abs. 1 Buchst. d, Art. 40, Art. 77 Abs. 1 und Art. 78 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) (ABl. 2016, L 119, S. 1, berichtigt in ABl. 2018, L 127, S. 2, im Folgenden: DSGVO).

Rz. 2

Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen UF (Rechtssache C-26/22) und AB (Rechtssache C-64/22) auf der einen Seite und dem Land Hessen (Deutschland) auf der anderen Seite über die Weigerung des Hessischen Beauftragten für Datenschu...

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