Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. EAG-Vertrag. Geltungsbereich. Richtlinie 89/618/Euratom. Gesundheitsschutz. Ionisierende Strahlungen. Nutzung der Kernenergie für militärische Zwecke. Instandsetzung eines Unterseebootes mit Nuklearantrieb
Beteiligte
Kommission / Vereinigtes Königreich |
Kommission der Europäischen Gemeinschaften |
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland |
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Die Französische Republik trägt ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 141 EA, eingereicht am 13. Februar 2004,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch L. Ström van Lier und J. Grunwald als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland, vertreten durch C. Jackson und C. Gibbs als Bevollmächtigte im Beistand von D. Wyatt, QC, und S. Tromans, Barrister, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagter,
unterstützt durch
Französische Republik, vertreten durch R. Abraham, G. de Bergues, E. Puisais und C. Jurgensen als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Streithelferin,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, der Richterin N. Colneric sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter), K. Lenaerts und E. Levits,
Generalanwalt: L. A. Geelhoed,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Oktober 2005,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 1. Dezember 2005
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beantragt mit ihrer Klage die Feststellung, dass das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 5 Absatz 3 der Richtlinie 89/618/Euratom des Rates vom 27. November 1989 über die Unterrichtung der Bevölkerung über die bei einer radiologischen Notstandssituation geltenden Verhaltensmaßregeln und zu ergreifenden Gesundheitsschutzmaßnahmen (ABl. L 357, S. 31, im Folgenden: Richtlinie) verstoßen hat, dass es die Bevölkerung, die im Falle einer radiologischen Notstandssituation betroffen sein könnte, nicht vorher über den in Gibraltar bestehenden örtlichen Notfallplan unterrichtet hat.
Rechtlicher Rahmen
2 Die Artikel 30 EA und 31 EA sehen die Festsetzung von Grundnormen für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung und der Arbeitskräfte gegen die Gefahren ionisierender Strahlungen in der Europäischen Gemeinschaft vor.
3 Mit der auf der Grundlage von Artikel 31 EAG-Vertrag erlassenen Richtlinie sollen nach ihrem Artikel 1 „gemeinschaftsweit gemeinsame Ziele im Hinblick auf die Maßnahmen und Verfahren zur Unterrichtung der Bevölkerung festgelegt werden, um deren Gesundheitsschutz bei einer radiologischen Notstandssituation wirksam zu verbessern”.
4 In Artikel 5 der Richtlinie heißt es:
„(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die Bevölkerung, die bei einer radiologischen Notstandssituation betroffen sein könnte, über die für sie geltenden Gesundheitsschutzmaßnahmen sowie über die entsprechenden Verhaltensmaßregeln im Fall einer radiologischen Notstandssituation unterrichtet wird.
…
(3) Die Informationen werden der in Absatz 1 bezeichneten Bevölkerung unaufgefordert übermittelt.
…”
Das Vorverfahren
5 Im Laufe des Jahres 2000 gingen bei der Kommission mehrere Beschwerden im Zusammenhang mit Instandsetzungsarbeiten ein, die seit Mai 2000 im Hafen von Gibraltar an dem Atom-U-Boot „HMS Tireless” der Royal Navy des Vereinigten Königreichs nach einem Störfall durchgeführt wurden, der den Reaktor des Bootes beschädigt hatte.
6 Mit Schreiben vom 10. Oktober 2000 forderte die Kommission das Vereinigte Königreich auf, ihr mitzuteilen, wie es die Bevölkerung über die für sie geltenden Gesundheitsschutzmaßnahmen sowie die von ihr zu beachtenden Verhaltensmaßregeln bei einer radiologischen Notstandssituation unterrichtet habe.
7 In ihrer Antwort vom 14. November 2000 vertraten die Behörden des Vereinigten Königreichs die Meinung, dass der EAG-Vertrag nicht auf die militärische Nutzung der Kernenergie anwendbar sei. Gleichwohl verwiesen sie auf das Vorliegen eines Einsatzplans für das Gebiet von Gibraltar, das Gibraltar Public Safety Scheme (im Folgenden: Gibpubsafe), der in der öffentlichen Bibliothek von Gibraltar eingesehen werden könne.
8 Da die Kommission der Ansicht war, dass das Gibpubsafe nicht der Richtlinie entspreche, richtete sie am 21. März 2002 ein Mahnschreiben an das Vereinigte Königreich. Zu den Modalitäten der vorherigen Unterrichtung der Bevölkerung, die im Falle einer radiologischen Notstandssituation betroffen sein könnte, führte sie darin u. a. aus, dass die bloße Bereitstellung des Gibpubsafe in einer öffentlichen Bibliothek nicht als eine zufrieden stellende Umsetzung der Richtlinie ...