Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freizügigkeit. Arbeitnehmer. Senior Lecturers/Postdocs. Begrenzte Anrechnung der in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegten einschlägigen Vordienstzeiten. Entlohnungssystem, das eine höhere Entlohnung an die Beschäftigungsdauer beim aktuellen Arbeitgeber knüpft
Normenkette
AEUV Art. 45; Verordnung (EU) Nr. 492/2011 Art. 7 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
Art. 45 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass er einer Regelung einer Universität eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, nach der, wenn es um die Festlegung der Gehaltseinstufung eines Arbeitnehmers als Senior Lecturer/Postdoc an dieser Universität geht, dessen in einem anderen Mitgliedstaat zurückgelegte Vordienstzeiten nur im Ausmaß von insgesamt höchstens vier Jahren angerechnet werden, entgegensteht, wenn die betreffende Betätigung gleichwertig oder gar identisch mit derjenigen war, zu der der Arbeitnehmer im Rahmen dieser Tätigkeit als Senior Lecturer/Postdoc gehalten ist.
Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union sind dahin auszulegen, dass sie einer solchen Regelung nicht entgegenstehen, wenn die frühere Betätigung in diesem anderen Mitgliedstaat nicht gleichwertig war, sondern für die Ausübung der fraglichen Tätigkeit eines Senior Lecturers/Postdocs schlicht nützlich ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Oberlandesgericht Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 7. Dezember 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 15. Dezember 2017, in dem Verfahren
Adelheid Krah
gegen
Universität Wien
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Zweiten Kammer (Berichterstatter) und des Richters C. Vajda,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Frau Krah, vertreten durch S. Jöchtl,
- der Universität Wien, vertreten durch Rechtsanwältin A. Potz,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch J. Schmoll als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Martin und M. Kellerbauer als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. Mai 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1) sowie der Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Adelheid Krah und der Universität Wien (Österreich) über die teilweise Anrechnung der von Ersterer an der Universität München (Deutschland) und an der Universität Wien zurückgelegten einschlägigen Vordienstzeiten bei der Festsetzung der Höhe ihrer Entlohnung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 492/2011 lautet:
„Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.”
Österreichisches Recht
Rz. 4
Der Rahmenkollektivvertrag für ArbeitnehmerInnen an Universitäten vom 15. Februar 2011 (im Folgenden: Kollektivvertrag) gilt für alle dem Dachverband mit derzeit 21 Universitäten angehörenden österreichischen Universitäten gemäß § 6 des Universitätsgesetzes 2002 (BGBl. I Nr. 120/2002) als Arbeitgeber.
Rz. 5
Nach § 26 Abs. 3 und § 48 des Kollektivvertrags in seiner im Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung ist Frau Krah in Gehaltsgruppe B1 einzureihen.
Rz. 6
§ 49 Abs. 3 des Kollektivvertrags sieht vor:
„Der monatliche Bruttobezug in der Gehaltsgruppe B1 beträgt [2 696,50 Euro].
Dieser Betrag erhöht sich
- nach dreijähriger Tätigkeit auf [3 203,30 Euro]. Die Dreijahresfrist verkürzt sich um Zeiträume, für die tätigkeitsbezogene Vorerfahrungen nachgewiesen werden;
- nach achtjähriger Tätigkeit in der Einstufung nach lit. a) oder bei Vorliegen eines Doktorats, das Voraussetzung für die Begründung des Arbeitsverhältnisses war ([P]ostdoc-Stelle) auf [3 590,70 Euro];
- nach achtjähriger Tätigkeit in der Einstufung nach lit. b) auf [3 978,30 Euro];
- nach achtjähriger Tätigkeit in der Einstufung nach lit. c) auf [4 186,90 Euro].”
Ausgangsrec...