Entscheidungsstichwort (Thema)
Umwelt. Richtlinie 2000/76/EG. Verbrennung von Abfällen. Einstufung einer Anlage zur Erzeugung von Wärme und Elektrizität. Begriffe ‚Verbrennungsanlage’ und ‚Mitverbrennungsanlage’
Beteiligte
Länsstyrelsen i Gävleborgs län |
Tenor
1. Besteht eine Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage aus mehreren Kesseln, so sind für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2000/76/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2000 über die Verbrennung von Abfällen jeder Kessel und die jeweils mit ihm zusammenhängenden Ausrüstungsgegenstände als gesonderte Anlage anzusehen.
2. Die Einstufung einer Anlage als „Verbrennungsanlage” oder als „Mitverbrennungsanlage” im Sinne von Art. 3 Nrn. 4 und 5 der Richtlinie 2000/76 ist nach ihrem Hauptzweck vorzunehmen. Es ist Sache der zuständigen Behörden, diesen Hauptzweck aufgrund einer Beurteilung der tatsächlichen Umstände festzustellen, die zum Zeitpunkt dieser Beurteilung vorliegen. Im Rahmen einer solchen Beurteilung sind insbesondere die Menge der von der betreffenden Anlage erzeugten Energie oder produzierten stofflichen Erzeugnisse im Vergleich zur Menge der in dieser Anlage verbrannten Abfälle sowie die Gesichtspunkte der Stabilität oder der Kontinuität dieser Produktion zu berücksichtigen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Högsta domstol (Oberster Gerichtshof Schwedens) mit Entscheidung vom 7. Mai 2007, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Mai 2007, in dem Verfahren
Gävle Kraftvärme AB
gegen
Länsstyrelsen i Gävleborgs län
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter E. Juhász (Berichterstatter), J. Malenovský und T. von Danwitz,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. April 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch E. Riedl als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J.-B. Laignelot und P. Dejmek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 22. Mai 2008
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2000/76/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Dezember 2000 über die Verbrennung von Abfällen (ABl. L 332, S. 91).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der Gävle Kraftvärme AB (im Folgenden: Gävle Kraftvärme) und dem Länsstyrelsen i Gävleborgs län (Präfektur von Gävleborg, im Folgenden: Präfektur) über einen Genehmigungsantrag für den Betrieb einer Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage (im Folgenden KWK-Anlage).
Rechtlicher Rahmen
Rz. 3
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (ABl. L 194, S. 39) in ihrer durch die Entscheidung 96/350/EG der Kommission vom 24. Mai 1996 (ABl. L 135, S. 32) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 75/442) bestimmt:
„Die Mitgliedstaaten treffen Maßnahmen, um Folgendes zu fördern:
in erster Linie die Verhütung oder Verringerung der Erzeugung von Abfällen und ihrer Gefährlichkeit …
…
in zweiter Linie
i) die Verwertung der Abfälle im Wege der Rückführung, der Wiederverwendung, des Wiedereinsatzes oder anderer Verwertungsvorgänge im Hinblick auf die Gewinnung von sekundären Rohstoffen oder
ii) die Nutzung von Abfällen zur Gewinnung von Energie.”
Rz. 4
Die Richtlinie 75/442 wurde mit Wirkung vom 17. Mai 2006 durch die Richtlinie 2006/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2006 über Abfälle (ABl. L 114, S. 9) aufgehoben und kodifiziert. Der Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 75/442 wurde im Wesentlichen gleichlautend in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2006/12 übernommen.
Rz. 5
Die Erwägungsgründe 7, 13 und 24 der Richtlinie 2000/76 lauten:
„(7) Im Hinblick auf ein hohes Umweltschutz- und Gesundheitsschutzniveau müssen … für Verbrennungs- und Mitverbrennungsanlagen in der Gemeinschaft strenge Betriebsbedingungen, technische Anforderungen und Emissionsgrenzwerte festgelegt und aufrechterhalten werden. Die Grenzwerte sollten negative Auswirkungen auf die Umwelt und hierdurch bedingte Gefahren für die menschliche Gesundheit verhindern oder, soweit es praktikabel ist, begrenzen.
…
(13) Die Einhaltung der in dieser Richtlinie festgelegten Emissionsgrenzwerte sollte als notwendige, jedoch nicht hinreichende Bedingung für die Einhaltung der Anforderungen der Richtlinie 96/61/EG [des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (ABl. L 257, S. 26)] betrachtet werden. Hierzu könnte die Einhaltung strengerer Emissionsgrenzwerte für die unter diese Richtlinie fallenden Schadstoffe, von Emissionsgrenzwerten für andere Stoffe oder Me...