Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Sozialpolitik. Leiharbeit. Anwendungsbereich. Begriffe ‚öffentliches Unternehmen’. und ‚Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit’. Agenturen der Europäischen Union. Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) als ‚entleihendes Unternehmen’. im Sinne von Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie. Grundsatz der Gleichbehandlung. Wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen. Begriff ‚gleicher Arbeitsplatz’. Grundsatz der Verwaltungsautonomie der Unionsorgane. Statut der Beamten der Europäischen Union und Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Union
Normenkette
AEUV Art. 335-336; Richtlinie 2008/104/EG Art. 1, 5 Abs. 1; Verordnung (EG) Nr. 1922/2006
Beteiligte
Tenor
1. Art. 1 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit ist dahin auszulegen, dass die von einem Leiharbeitsunternehmen an das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) erfolgende Überlassung von Personen, die mit diesem Unternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben, um Arbeitsleistungen für das EIGE zu erbringen, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.
2. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104 ist dahin auszulegen, dass die mit einem dem Europäischen Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE) überlassenen Leiharbeitnehmer besetzte Stelle im Sinne dieser Bestimmung als der „gleiche Arbeitsplatz” angesehen werden kann, selbst wenn alle Stellen, für die Arbeitnehmer unmittelbar vom EIGE eingestellt werden, Aufgaben umfassen, die nur von Personen wahrgenommen werden können, für die das Statut der Beamten der Europäischen Union gilt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberster Gerichtshof Litauens) mit Entscheidung vom 30. Dezember 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Dezember 2019, in dem Verfahren
UAB „Manpower Lit”
gegen
E. S.,
M. L.,
M. P.,
V. V.,
R. V.,
Beteiligter:
Europäisches Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE),
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer A. Arabadjiev in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer, der Richterin I. Ziemele sowie der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin (Berichterstatter),
Generalanwalt: E. Tanchev,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von E. S., M. L., M. P., V. V. und R. V., vertreten durch R. Rudzinskas, advokatas,
- der litauischen Regierung, vertreten durch V. Kazlauskaitė-Švenčionienė und V. Vasiliauskienė als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, zunächst vertreten durch J. Jokubauskaitė, B. Mongin und M. van Beek, dann durch J. Jokubauskaitė, C. Valero und B. Mongin und schließlich durch J. Jokubauskaitė, D. Recchia und B. Mongin als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli 2021
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 und 3 sowie Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. 2008, L 327, S. 9).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der UAB „Manpower Lit” und E. S., M. L., M. P., V. V. und R. V. wegen des Arbeitsentgelts, das gemäß den zwischen Manpower Lit und den Beklagten des Ausgangsverfahrens geschlossenen Arbeitsverträgen gezahlt wird.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Richtlinie 2008/104
Rz. 3
Art. 1 der Richtlinie 2008/104 bestimmt:
„(1) Diese Richtlinie gilt für Arbeitnehmer, die mit einem Leiharbeitsunternehmen einen Arbeitsvertrag geschlossen haben oder ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sind und die entleihenden Unternehmen zur Verfügung gestellt werden, um vorübergehend unter deren Aufsicht und Leitung zu arbeiten.
(2) Diese Richtlinie gilt für öffentliche und private Unternehmen, bei denen es sich um Leiharbeitsunternehmen oder entleihende Unternehmen handelt, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, unabhängig davon, ob sie Erwerbszwecke verfolgen oder nicht.
(3) Die Mitgliedstaaten können nach Anhörung der Sozialpartner vorsehen, dass diese Richtlinie nicht für Arbeitsverträge oder Beschäftigungsverhältnisse gilt, die im Rahmen eines spezifischen öffentlichen oder von öffentlichen Stellen geförderten beruflichen Ausbildungs-, Eingliederungs- und Umschulungsprogramms geschlossen wurden.”
Rz. 4
In Art. 3 dieser Richtlinie heißt es:
„(1) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
…
d) ‚entleihendes Unternehmen’ eine natürliche oder juristische Person, in deren Auftrag und unter deren Aufsicht und Leitung ein Leiharbeitnehmer vorübergehend arbeitet;
…
f) ‚wesentliche Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen’ die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die durch Gesetz, Verordnung, Verwaltungsvorschrift, T...