Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialpolitik. Gleichbehandlung von Männern und Frauen. Vor dem Beitritt des Mitgliedstaats geschlossener befristeter Arbeitsvertrag. Vertragsablauf nach dem Beitritt. Dienstordnung, die den Zeitpunkt des Vertragsablaufs auf den letzten Tag des Jahres festsetzt, in dem das Pensionsantrittsalter erreicht wird. Unterschiedliches Alter für Männer und Frauen
Normenkette
Richtlinie 76/207/EWG
Beteiligte
Niederösterreichische Landes-Landwirtschaftskammer |
Tenor
Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die in einer Dienstordnung besteht, die Bestandteil eines vor Beitritt des betreffenden Mitgliedstaats zur Europäischen Union geschlossenen Arbeitsvertrags ist und vorsieht, dass das Arbeitsverhältnis durch Erreichen des Pensionsantrittsalters endet, das nach dem Geschlecht des Arbeitnehmers unterschiedlich festgesetzt ist, eine nach der Richtlinie verbotene unmittelbare Diskriminierung begründet, wenn der betreffende Arbeitnehmer das Pensionsantrittsalter nach diesem Beitritt erreicht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 25. Oktober 2011, beim Gerichtshof eingegangen am 30. November 2011, in dem Verfahren
Niederösterreichische Landes-Landwirtschaftskammer
gegen
Anneliese Kuso
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter), E. Juhász, D. Šváby und C. Vajda,
Generalanwalt: N. Wahl,
Kanzler: A. Impellizzeri, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 31. Januar 2013,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Niederösterreichischen Landes-Landwirtschaftskammer, vertreten durch Rechtsanwalt B. Hainz,
- von Frau Kuso, vertreten durch die Rechtsanwälte C. Henseler, H. Pflaum, P. Karlberger und W. Opetnik sowie Rechtsanwältin P. Rindler,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz und C. Gheorghiu als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. L 39, S. 40) in der durch die Richtlinie 2002/73/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. September 2002 (ABl. L 269, S. 15) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 76/207).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Niederösterreichischen Landes-Landwirtschaftskammer (im Folgenden: NÖ-LLWK) und Frau Kuso über die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 2 der Richtlinie 76/207 bestimmt:
„(1) Der Grundsatz der Gleichbehandlung im Sinne der nachstehenden Bestimmungen beinhaltet, dass keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts – insbesondere unter Bezugnahme auf den Ehe- oder Familienstand – erfolgen darf.
(2) Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
– ‚unmittelbare Diskriminierung’: wenn eine Person aufgrund ihres Geschlechts in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;
…”
Rz. 4
In Art. 3 der Richtlinie heißt es:
„(1) Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bedeutet, dass es im öffentlichen und privaten Bereich einschließlich öffentlicher Stellen in Bezug auf folgende Punkte keinerlei unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts geben darf:
a) die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, einschließlich des beruflichen Aufstiegs;
…
c) die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen einschließlich der Entlassungsbedingungen sowie das Arbeitsentgelt nach Maßgabe der Richtlinie 75/117/EWG;
…”
Rz. 5
Die Richtlinie 76/207 wurde durch die Richtlinie 2006/54/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juli 2006 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Chancengleichheit und Gleichbehandlung von Männern und Frauen in Arbeits- u...