Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Verarbeitung personenbezogener Daten. Anwendungsbereich. Videoaufzeichnung von Polizeibeamten in einer Polizeidienststelle während der Vornahme von Verfahrenshandlungen. Veröffentlichung auf einer Video-Website. Verarbeitung personenbezogener Daten allein zu journalistischen Zwecken. Begriff. Freiheit der Meinungsäußerung. Schutz der Privatsphäre
Normenkette
Richtlinie 95/46/EG Art. 3, 9
Beteiligte
Tenor
1. Art. 3 der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr ist dahin auszulegen, dass die Aufzeichnung von Polizeibeamten in einer Polizeidienststelle auf Video während der Aufnahme einer Aussage und die Veröffentlichung des so aufgezeichneten Videos auf einer Video-Website, auf der die Nutzer Videos versenden, anschauen und teilen können, in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.
2. Art. 9 der Richtlinie 95/46 ist dahin auszulegen, dass ein Sachverhalt wie der des Ausgangsverfahrens, d. h. die Aufzeichnung von Polizeibeamten in einer Polizeidienststelle auf Video während der Aufnahme einer Aussage und die Veröffentlichung des so aufgezeichneten Videos auf einer Video-Website, auf der die Nutzer Videos versenden, anschauen und teilen können, eine Verarbeitung personenbezogener Daten allein zu journalistischen Zwecken im Sinne dieser Bestimmung darstellen kann, sofern aus diesem Video hervorgeht, dass diese Aufzeichnung und diese Veröffentlichung ausschließlich zum Ziel hatten, Informationen, Meinungen oder Ideen in der Öffentlichkeit zu verbreiten, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof, Lettland) mit Entscheidung vom 1. Juni 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Juni 2017, in dem Verfahren auf Betreiben des
Sergejs Buivids,
Beteiligte:
Datu valsts inspekcija,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer, der Richterinnen A. Prechal und C. Toader sowie der Richter A. Rosas (Berichterstatter) und M. Ilešič,
Generalanwältin: E. Sharpston,
Kanzler: M. Aleksejev, Referatsleiter
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juni 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von Herrn Buivids, vertreten durch sich selbst,
- der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kucina, G. Bambāne, E. Petrocka-Petrovska und E. Plaksins als Bevollmächtigte,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und O. Serdula als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Russo, avvocato dello Stato,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch G. Eberhard als Bevollmächtigten,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und C. Vieira Guerra als Bevollmächtigte,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk, C. Meyer-Seitz, P. Smith, H. Shev, L. Zettergren und A. Alriksson als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Nardi und I. Rubene als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 27. September 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 1995, L 281, S. 31), insbesondere von Art. 9 dieser Richtlinie.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits über die von Herrn Sergejs Buivids gegen die Datu valsts inspekcija (nationale Datenschutzbehörde, Lettland) erhobene Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Entscheidung dieser Behörde, wonach Herr Buivids gegen nationales Recht verstoßen haben soll, indem er auf der Website www.youtube.com ein von ihm selbst gefilmtes Video über die Aufnahme seiner Aussage in den Räumlichkeiten einer Dienststelle der lettischen nationalen Polizei im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitenverfahrens veröffentlicht habe.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Gegenstand der Richtlinie 95/46, die durch die Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. 2016, L 119, S. 1) aufgehoben wurde, war nach ihrem Art. 1 der Schutz der Grundrechte und Grundfreiheiten und insbesondere der Schutz der Privatsphäre natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten sowie die Beseitigung der Hemmnisse fü...