Entscheidungsstichwort (Thema)
Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen. Übergang einer Einheit auf eine privatrechtliche Gesellschaft, deren Kapital in öffentlicher Hand ist. Betrieb einer Einheit von einer in die staatliche Verwaltung eingegliederten öffentlichen Einrichtung. Berücksichtigung des gesamten Dienstalters der Arbeitnehmer durch den Erwerber
Normenkette
Richtlinie 77/187/EWG; EGV a.F. Art. 177
Beteiligte
Tenor
1. Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen ist dahin auszulegen, dass die Richtlinie auf einen Fall Anwendung finden kann, in dem eine Stelle, die öffentliche Telekommunikationsdienste betreibt und von einer in die staatliche Verwaltung eingegliederten Einrichtung verwaltet wird, aufgrund von Entscheidungen staatlicher Stellen entgeltlich in Form einer Verwaltungskonzession auf eine privatrechtliche Gesellschaft übergeht, die von einer anderen öffentlichen Einrichtung gegründet worden ist, die alle Aktien dieser Gesellschaft hält. Die durch einen solchen Übergang betroffenen Personen müssen jedoch ursprünglich als Arbeitnehmer nach nationalem Arbeitsrecht geschützt gewesen sein.
2. Artikel 3 Absatz 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie ist dahin auszulegen, dass der Erwerber bei der Berechnung von finanziellen Ansprüchen, die bei ihm an das Dienstalter der Arbeitnehmer geknüpft sind, wie von Abfindungen bei Vertragsende oder Lohnerhöhungen, alle von dem übergegangenen Personal sowohl in seinem Dienst als auch im Dienst des Veräußerers geleisteten Jahre insoweit zu berücksichtigen hat, als diese Verpflichtung sich aus dem Arbeitsverhältnis zwischen diesem Personal und dem Veräußerer ergab, und gemäß den im Rahmen dieses Verhältnisses vereinbarten Modalitäten. Die Richtlinie verwehrt dem Erwerber jedoch nicht, die Bedingungen dieses Arbeitsverhältnisses insoweit zu ändern, als das nationale Recht eine solche Änderung unabhängig vom Fall des Unternehmensübergangs zulässt.
Gründe
1.
Die Pretura Pinerola hat mit Beschluss vom 3. September 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 21. September 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S. 26; im Folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Renato Collino und Luisella Chiappero (im Folgenden: Kläger) und der Telecom Italia SpA (im Folgenden: Telecom Italia oder Beklagte).
Die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften
3.
Gemäß Artikel 1 Absatz 1 ist die Richtlinie auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.
4.
Nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.
Die nationalen Rechtsvorschriften
5.
Die Durchführung der Richtlinie wird in Italien durch Artikel 2112 des Codice civile sichergestellt, der u. a. bestimmt, dass bei einem Unternehmensübergang das Arbeitsverhältnis mit dem Erwerber fortgesetzt wird und dass der Arbeitnehmer alle sich daraus ergebenden Rechte behält.
6.
Nach Artikel 34 des Decreto legislativo (gesetzesvertretende Verordnung) Nr. 29 vom 3. Februar 1993 über die Rationalisierung der Organisation der öffentlichen Verwaltung und die Änderung der Regelung über die Beschäftigung im öffentlichen Dienst (GURI Nr. 30 vom 3. Februar 1993, Supplemento ordinario; im Folgenden: gesetzesvertretende Verordnung Nr. 29/93) in ihrer geänderten Fassung gilt Artikel 2112 des Codice civile beim Übergang oder der Übertragung von Tätigkeiten, die von öffentlichen Verwaltungen, öffentlichen Körperschaften oder deren Betrieben oder Einrichtungen wahrgenommen werden, auf andere öffentliche oder private Rechtssubjekte – vorbehaltlich besonderer Bestimmungen – für das Personal, das auf diese Rechtssubjekte übergeht.
7.
Durch Artikel 1 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 58 vom 29. Januar 1992 über die Reform des Telekommunikationssektors (GURI Nr. 29 vom 5. Februar 1992; im Folgenden: Gesetz Nr. 58/92) wurde der Minister für Post und Telekommunikation ermächtigt, die bis dahin von der Amministrazione delle Poste e Telecomunicazioni und der Azienda di Stato per i servizi telefonici (im Folgenden: ASST) erbrachten öffentlichen Telekommunikations-Dienstleistungen ausschließlich einer Gesellschaft zu übertragen, die zu diesem Zweck von...