Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung. Begriff ‚Benutzung eines Fahrzeugs’. Unfall, an dem zwei auf einem Parkplatz geparkte Fahrzeuge beteiligt waren. Materieller Schaden, der an einem Fahrzeug durch einen Mitfahrer des Nachbarfahrzeugs beim Öffnen der Tür dieses Fahrzeugs verursacht wurde
Normenkette
Richtlinie 72/166/EWG Art. 3 Abs. 1
Beteiligte
BTA Baltic Insurance Company |
„BTA Baltic Insurance Company”AS |
„Baltijas Apdrošināšanas Nams” AS |
Tenor
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht ist dahin auszulegen, dass ein Fall, in dem der Mitfahrer eines auf einem Parkplatz geparkten Fahrzeugs beim Öffnen der Tür dieses Fahrzeugs an das daneben geparkte Fahrzeug stößt und es beschädigt, unter den Begriff „Benutzung eines Fahrzeugs” im Sinne dieser Vorschrift fällt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof, Lettland) mit Entscheidung vom 13. November 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 20. November 2017, in dem Verfahren
”BTA Baltic Insurance Company”AS, vormals „Balcia Insurance” SE,
gegen
”Baltijas Apdrošināšanas Nams” AS
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Zweiten Kammer A. Arabadjiev (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer sowie der Richter C. G. Fernlund und S. Rodin,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der „BTA Baltic Insurance Company” AS, vertreten durch E. Matveja und W. Stockmeyer,
- der „Baltijas Apdrošināšanas Nams” AS, vertreten durch A. Pečerica,
- der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kucina und V. Soņeca als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Garofoli, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch K.-P. Wojcik und A. Sauka als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. 1972, L 103, S. 1, im Folgenden: Erste Richtlinie).
Rz. 2
Es ergeht in einem Rechtsstreit zwischen der „BTA Baltic Insurance Company” AS, vormals „Balcia Insurance” SE, (im Folgenden: BTA) und der „Baltijas Apdrošināšanas Nams” AS (im Folgenden: BAN) über die Erstattung einer von BTA an einen ihrer Kunden gezahlten Versicherungsleistung.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Mit der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. 2009, L 263, S. 11) wurden u. a. die Erste Richtlinie und die Zweite Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. 1984, L 8, S. 17, im Folgenden: Zweite Richtlinie) aufgehoben. Angesichts des für den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgeblichen Zeitpunkts unterliegt dieses gleichwohl den aufgehobenen Richtlinien.
Rz. 4
Art. 1 der Ersten Richtlinie bestimmte:
„Im Sinne dieser Richtlinie ist zu verstehen unter:
…
2. Geschädigter: jede Person, die ein Recht auf Ersatz eines von einem Fahrzeug verursachten Schadens hat;
…”
Rz. 5
Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie lautete:
„Jeder Mitgliedstaat trifft vorbehaltlich der Anwendung des Artikels 4 alle zweckdienlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist. Die Schadensdeckung sowie die Modalitäten dieser Versicherung werden im Rahmen dieser Maßnahmen bestimmt.”
Rz. 6
Art. 2 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie sah vor:
„Jeder Mitgliedstaat trifft zweckdienliche Maßnahmen, damit jede Rechtsvorschrift oder Vertragsklausel in einer nach Artikel 3 Absatz 1 der [Ersten Richtlinie] ausgestellten Versicherungspolice, mit der die Nutzung oder Führung von Fahrzeugen durch
- hierzu weder ausdrücklich noch stillschweigend ermächtigte Personen oder
- Personen, die keinen Führerschein für das betreffende Fahrzeug besitzen, oder
- Personen, die den gesetzlichen Verpflichtungen in Bezug auf Zustand und Sicherheit des betreffenden Fahrzeugs nicht nachgekommen sind
von der Versicheru...