Entscheidungsstichwort (Thema)
Begriff des ‚Arbeitnehmers’. Gemeinnützige nichtstaatliche Organisation. Doktorandenstipendium. Arbeitsvertrag. Voraussetzungen
Normenkette
EG Art. 39
Beteiligte
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V |
Tenor
1. Ein Forscher, der sich in einer Lage wie derjenigen des Klägers des Ausgangsverfahrens befindet, also auf der Grundlage eines mit der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. geschlossenen Stipendienvertrags eine Promotion vorbereitet, ist nur dann als Arbeitnehmer im Sinne des Art. 39 EG anzusehen, wenn er seine Tätigkeit während einer bestimmten Zeit nach der Weisung eines zu diesem Verein gehörenden Instituts ausübt und als Gegenleistung für diese Tätigkeit eine Vergütung erhält. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die tatsächlichen Prüfungen vorzunehmen, deren es zur Beurteilung der Frage bedarf, ob dies in der bei ihm anhängigen Rechtssache der Fall ist.
2. Ein privatrechtlicher Verein wie die Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. muss gegenüber Arbeitnehmern im Sinne des Art. 39 EG das Diskriminierungsverbot beachten. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Ungleichbehandlung von inländischen und ausländischen Doktoranden stattgefunden hat.
3. Sollte der Kläger des Ausgangsverfahrens mit der Berufung auf einen durch seine etwaige Diskriminierung entstandenen Schaden durchdringen, wäre es Sache des vorlegenden Gerichts, in Ansehung der anwendbaren innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der außervertraglichen Haftung zu beurteilen, welche Art von Wiedergutmachung er beanspruchen könnte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Arbeitsgericht Bonn (Deutschland) mit Entscheidung vom 4. November 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 20. Februar 2007, in dem Verfahren
Andrea Raccanelli
gegen
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter A. Borg Barthet und E. Levits (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. April 2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V., vertreten durch Rechtsanwalt A. Schülzchen,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz und G. Rozet als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 39 EG und Art. 7 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Raccanelli und der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. (im Folgenden: MPG) über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Herrn Raccanelli und dem zur MPG gehörenden Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn (im Folgenden: MPI).
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
Rz. 3
Art. 1 der Verordnung Nr. 1612/68, der in deren Titel I („Zugang zur Beschäftigung”) steht, lautet:
„(1) Jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats ist ungeachtet seines Wohnorts berechtigt, eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften aufzunehmen und auszuüben.
(2) Er hat insbesondere im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats mit dem gleichen Vorrang Anspruch auf Zugang zu den verfügbaren Stellen wie die Staatsangehörigen dieses Staates.”
Rz. 4
In Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68, der in deren Titel II („Ausübung der Beschäftigung und Gleichbehandlung”) steht, heißt es:
„(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.
(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.
…
(4) Alle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Beschäftigung, Entlohnung und alle übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen sind von Rechts wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer...