Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Unionsbürgerschaft. In einem Mitgliedstaat wohnhafter Staatsangehöriger des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. Aktives und passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im Wohnmitgliedstaat. Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft. Folgen des Austritts eines Mitgliedstaats aus der Union. Streichung in den Wahlverzeichnissen im Wohnmitgliedstaat. Beschluss (EU) 2020/135
Normenkette
AEUV Art. 20, 22; EUV Art. 50; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 39
Beteiligte
Préfet du Gers und Institut national de la statistique und des études économiques II |
Institut national de la statistique et des études économiques (INSEE) |
Tenor
1.Das am 17. Oktober 2019 angenommene und am 1. Februar 2020 in Kraft getretene Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft ist im Licht der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass seit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union am 1. Februar 2020 Staatsangehörige dieses Staates, die ihr Recht auf Aufenthalt in einem Mitgliedstaat vor Ende des Übergangszeitraums ausgeübt haben, nicht mehr das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament in ihrem Wohnmitgliedstaat besitzen.
2.Die Prüfung der ersten Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit des Beschlusses (EU) 2020/135 des Rates vom 30. Januar 2020 über den Abschluss des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft berühren könnte.
Tatbestand
In der Rechtssache C-716/22
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal judiciaire d’Auch (Gericht erster Instanz Auch, Frankreich) mit Entscheidung vom 15. November 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 23. November 2022, in dem Verfahren
EP
gegen
Préfet du Gers,
Institut national de la statistique et des études économiques (INSEE),
Beteiligte:
Commune de Thoux,vertreten durch den Maire de Thoux,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten N. Piçarra sowie der Richter N. Jääskinen (Berichterstatter) und M. Gavalec,
Generalanwalt: A. M. Collins,
Kanzler: N. Mundhenke, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2023,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- – von EP, vertreten durch J.-N. Caubet-Hilloutou und J. Fouchet, Avocats,
- – der französischen Regierung, vertreten durch B. Fodda, J. Illouz, E. Leclerc und S. Royon als Bevollmächtigte,
- – der rumänischen Regierung, vertreten durch E. Gane, O.-C. Ichim und A. Wellman als Bevollmächtigte,
- – des Rates der Europäischen Union, vertreten durch M. Bauer, J. Ciantar und R. Meyer als Bevollmächtigte,
- – der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Krämer, E. Montaguti und A. Spina als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Gültigkeit des Beschlusses (EU) 2020/135 des Rates vom 30. Januar 2020 über den Abschluss des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 1) sowie die Auslegung dieses Beschlusses, des am 17. Oktober 2019 angenommenen und am 1. Februar 2020 in Kraft getretenen Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft (ABl. 2020, L 29, S. 7, im Folgenden: Austrittsabkommen), von Art. 6 Abs. 3 EUV und Art. 1 des Akts zur Einführung allgemeiner unmittelbarer Wahlen der Mitglieder des Europäischen Parlaments im Anhang des Beschlusses 76/787/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 20. September 1976 (ABl. 1976, L 278, S. 1) in der durch den Beschluss 2002/772/EG geänderten Fassung, Euratom des Rates vom 25. Juni 2002 und 23. September 2002 (ABl. 2002, L 283, S. 1, im Folgenden: Wahlakt), der Art. 1, 7, 11, 21, 39, 41 und 52 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie der Urteile vom 12. September 2006, Spanien/Vereinigtes Königreich (C-145/04, EU:C:2006:543), und vom 9. Juni 2022, Préfet du Gers und Institut national de la statistique et des études économiques (C-673/20, im Folgenden: Urteil Préfet du Gers I, EU:C:2022:449).
Rz. 2
Das Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen EP, einer Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs, die seit 1984 in Frankreich wohnt, auf der einen Seite und dem Préfet du Gers (Präfekt des ...