Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Eilvorabentscheidungsverfahren. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen. Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung. Internationale Kindesentführung. Antrag auf Rückgabe. Haager Übereinkommen vom 25. Oktober 1980. Antrag auf Vollstreckbarerklärung. Rechtsbehelf. Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Frist für die Einlegung des Rechtsbehelfs. Exequaturbeschluss. Vollstreckung vor Zustellung
Normenkette
Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 Art. 11; Charta der Grundrechte der Europäischen Union Art. 47
Beteiligte
Tenor
1. Die allgemeinen Vorschriften von Kapitel III der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 sind dahin auszulegen, dass, wenn geltend gemacht wird, dass Kinder widerrechtlich verbracht wurden, die Entscheidung eines Gerichts des Mitgliedstaats, in dem die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten, mit der die Rückgabe dieser Kinder angeordnet wird und die auf eine Entscheidung betreffend die elterliche Verantwortung folgt, im Aufnahmemitgliedstaat gemäß diesen allgemeinen Vorschriften für vollstreckbar erklärt werden kann.
2. Art. 33 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 ist im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass er in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens der Vollstreckung einer Entscheidung eines Gerichts eines Mitgliedstaats entgegensteht, mit der die Vormundschaft für Kinder sowie die Rückgabe dieser Kinder angeordnet wird und die im ersuchten Mitgliedstaat für vollstreckbar erklärt wurde, bevor die Zustellung der Vollstreckbarerklärung dieser Entscheidung an die betroffenen Eltern vorgenommen wurde. Art. 33 Abs. 5 der Verordnung Nr. 2201/2003 ist dahin auszulegen, dass die in dieser Vorschrift vorgesehene Rechtsbehelfsfrist nicht vom angerufenen Gericht verlängert werden kann.
3. Die Verordnung Nr. 2201/2003 ist dahin auszulegen, dass sie in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens dem nicht entgegensteht, dass ein Gericht eines Mitgliedstaats Schutzmaßnahmen in Form einer Anordnung gegen eine Behörde eines anderen Mitgliedstaats erlässt, mit denen dieser Behörde untersagt wird, vor den Gerichten dieses anderen Mitgliedstaats ein Verfahren zur Adoption von Kindern, die sich dort aufhalten, einzuleiten oder fortzuführen.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Court of Appeal (Berufungsgericht, Irland) mit Entscheidungen vom 17. Mai 2018 (C-325/18 PPU) und vom 7. Juni 2018 (C-375/18 PPU), beim Gerichtshof eingegangen am 17. Mai 2018 und am 7. Juni 2018, in den Verfahren
Hampshire County Council
gegen
C.E.,
N.E.,
Beteiligte:
Child and Family Agency,
Attorney General,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten R. Silva de Lapuerta sowie der Richter C. G. Fernlund, J.-C. Bonichot, A. Arabadjiev (Berichterstatter) und S. Rodin,
Generalanwältin: J. Kokott,
Kanzler: Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund der Anträge des vorlegenden Gerichts vom 17. Mai 2018 (C-325/18 PPU) und vom 7. Juni 2018 (C-375/18 PPU), beim Gerichtshof eingegangen am 17. Mai 2018 und am 7. Juni 2018, die Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 107 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs dem Eilverfahren zu unterwerfen,
aufgrund der Entscheidung der Ersten Kammer vom 11. Juni 2018, diesen Anträgen stattzugeben,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juli 2018,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- des Hampshire County Council, vertreten durch D. Day, Barrister, im Auftrag von V. Pearce, Solicitor,
- von N.E. und C.E., vertreten durch N. Jackson, SC, B. Shipsey, SC, B. McKeever, BL, und K. Smyth, Solicitor,
- des Attorney General, vertreten durch M. Browne, J. McCann und A. Joyce als Bevollmächtigte im Beistand von A. Finn, BL, und G. Durcan, SC,
- Irlands, vertreten durch J. McCann als Bevollmächtigte im Beistand von G. Durcan, SC, und A. Finn, BL,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Fadoju und C. Brodie als Bevollmächtigte im Beistand von E. Devereux, QC,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch J. Vláčil als Bevollmächtigten,
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Nowak als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 7. August 2018
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie von Art. 11 und Art. 33 Abs. 5 der Verord...