Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Rechtsangleichung. Straßenverkehr. Steuerliche Vorschriften. Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge. Mautgebühr. Pflicht der Mitgliedstaaten, wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen festzulegen. Pauschale Geldbuße. Verhältnismäßigkeit
Normenkette
Richtlinie 1999/62/EG
Beteiligte
Budapest Rendőrfőkapitánya |
Tenor
1. Art. 9a der Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge in der durch die Richtlinie 2011/76/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2011 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das dort genannte Verhältnismäßigkeitserfordernis einer Sanktionsregelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, die bei allen Verstößen gegen die Vorschriften über die Pflicht, den Mautbetrag für die Nutzung eines Verkehrswegs im Vorhinein zu entrichten, unabhängig von Art und Schwere des Verstoßes die Verhängung einer Geldbuße in pauschaler Höhe vorsieht.
2. Art. 9a der Richtlinie 1999/62 in der durch die Richtlinie 2011/76 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass das dort genannte Verhältnismäßigkeitserfordernis einer Sanktionsregelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen, mit der eine objektive Verantwortlichkeit eingeführt wird, nicht entgegensteht. Dagegen ist er dahin auszulegen, dass er der in dieser Regelung vorgesehenen Sanktionshöhe entgegensteht.
Tatbestand
In den verbundenen Rechtssachen
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Szegedi Közigazgatási és Munkaügyi Bíróság (Verwaltungs- und Arbeitsgericht Szeged, Ungarn) mit Entscheidung vom 14. September 2015, beim Gerichtshof eingegangen am 22. September 2015, in den Verfahren
Euro-Team Kft. (C-497/15),
Spirál-Gép Kft. (C-498/15)
gegen
Budapest Rendőrfőkapitánya
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zehnte Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin M. Berger (Berichterstatterin) sowie der Richter A. Borg Barthet und F. Biltgen,
Generalanwalt: M. Bobek,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der ungarischen Regierung, vertreten durch M. Z. Fehér, G. Koós und A. Pálfy als Bevollmächtigte,
- der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Hottiaux und L. Havas als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 9a der Richtlinie 1999/62/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 1999 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung bestimmter Verkehrswege durch schwere Nutzfahrzeuge (ABl. 1999, L 187, S. 42) in der durch die Richtlinie 2011/76/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2011 (ABl. 2011, L 269, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 1999/62).
Rz. 2
Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen der Euro-Team Kft. (Rechtssache C-497/15) bzw. der Spirál-Gép Kft. (Rechtssache C-498/15) auf der einen und dem Budapest Rendőrfőkapitánya (Polizeipräsident von Budapest, Ungarn) auf der anderen Seite, in denen es um Geldbußen ging, die verhängt worden waren, weil ein Streckenabschnitt der Autobahn ohne Entrichtung des entsprechenden Mautbetrags benutzt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
In den Erwägungsgründen 1, 12 und 15 der Richtlinie 1999/62 heißt es:
„(1) Die Beseitigung der Wettbewerbsverzerrungen zwischen Verkehrsunternehmen aus den Mitgliedstaaten erfordert die Harmonisierung der Abgabesysteme und die Einführung gerechter Mechanismen für die Erhebung von Gebühren von den Verkehrsunternehmern.
…
(12) Die bestehenden Wettbewerbsverzerrungen können zwar nicht allein durch die Harmonisierung der Steuern oder der Verbrauchsabgaben auf Kraftstoffe beseitigt werden, sie können jedoch – solange es keine technisch und wirtschaftlich besseren Erhebungsformen gibt – dadurch gemildert werden, dass Maut- und/oder Autobahnbenutzungsgebühren beibehalten oder eingeführt werden. Ferner sollte den Mitgliedstaaten das Erheben von Gebühren für die Benutzung von Brücken, Tunnels und Gebirgspässen gestattet sein.
…
(15) Die Benutzungsgebühren sollten entsprechend der Dauer der Benutzung der betreffenden Verkehrswege festgelegt werden und unter Berücksichtigung der von den Straßenfahrzeugen verursachten Kosten differenziert werden.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 1999/62 bestimmt:
„Diese Richtlinie gilt für Kraftfahrzeugsteuern und für Maut- und Benutzungsgebühren, die von den in Artikel 2 definierten Fahrzeugen erhoben werden.”
Rz. 5
Art. 2 der Richtlinie 1999/62 sieht vor:
„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichn...