Entscheidungsstichwort (Thema)
Effektiver gerichtlicher Schutz der Rechte aus dem Unionsrecht. Recht auf ein Gericht. Prozesskostenhilfe. Nationale Regelung, die juristischen Personen bei fehlenden ‚allgemeinen Interessen’ die Prozesskostenhilfe verweigert
Beteiligte
DEB Deutsche Energiehandels- und Beratungsgesellschaft |
DEB Deutsche Energiehandels- und Beratungsgesellschaft mbH |
Bundesrepublik Deutschland |
Tenor
Der in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist dahin auszulegen, dass seine Geltendmachung durch juristische Personen nicht ausgeschlossen ist und dass er u. a. die Befreiung von der Zahlung des Gerichtskostenvorschusses und/oder der Gebühren für den Beistand eines Rechtsanwalts umfassen kann.
Der nationale Richter hat insoweit zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozesskostenhilfe eine Beschränkung des Rechts auf Zugang zu den Gerichten darstellen, die dieses Recht in seinem Wesensgehalt selbst beeinträchtigen, ob sie einem legitimen Zweck dienen und ob die angewandten Mittel in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Ziel stehen.
Im Rahmen dieser Würdigung kann der nationale Richter den Streitgegenstand, die begründeten Erfolgsaussichten des Klägers, die Bedeutung des Rechtsstreits für diesen, die Komplexität des geltenden Rechts und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeit des Klägers berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu verteidigen. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit kann der nationale Richter auch der Höhe der vorzuschießenden Gerichtskosten sowie dem Umstand Rechnung tragen, ob sie für den Zugang zum Recht gegebenenfalls ein unüberwindliches Hindernis darstellen oder nicht.
Insbesondere bei juristischen Personen kann der nationale Richter deren Verhältnisse in Betracht ziehen. So kann er u. a. die Gesellschaftsform der in Rede stehenden juristischen Person, das Bestehen oder Fehlen von Gewinnerzielungsabsicht sowie die Finanzkraft ihrer Gesellschafter oder Anteilseigner und deren Möglichkeit berücksichtigen, sich die zur Einleitung der Rechtsverfolgung erforderlichen Beträge zu beschaffen.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Kammergericht (Deutschland) mit Entscheidung vom 30. Juni 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Juli 2009, in dem Verfahren
DEB Deutsche Energiehandels- und Beratungsgesellschaft mbH
gegen
Bundesrepublik Deutschland
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, der Richter A. Rosas (Berichterstatter), U. Lõhmus und A. Ó Caoimh sowie der Richterin P. Lindh,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: B. Fülöp, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Juni 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der DEB Deutsche Energiehandels- und Beratungsgesellschaft mbH, vertreten durch Rechtsanwältin L. Schwarz,
- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma und J. Kemper als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch V. Pasternak Jørgensen und R. Holdgaard als Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, S. Menez und B. Beaupère-Manokha als Bevollmächtigte,
- der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Aiello, avvocato dello Stato,
- der polnischen Regierung, vertreten durch M. Dowgielewicz als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch J.-P. Keppenne und F. Hoffmeister als Bevollmächtigte,
- der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch F. Simonetti, I. Hauger und L. Armati als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. September 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung des in der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union verankerten Effektivitätsgrundsatzes im Hinblick auf die Frage, ob dieser Grundsatz es gebietet, juristischen Personen Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der DEB Deutsche Energiehandels- und Beratungsgesellschaft mbH (im Folgenden: DEB) und der Bundesrepublik Deutschland über einen von dieser Gesellschaft vor deutschen Gerichten gestellten Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der fünfte und der elfte Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/8/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Verbesserung des Zugangs zum Recht bei Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug durch Festlegung gemeinsamer Mindestvorschriften für die Prozesskostenhilfe in derartigen Streitsachen (ABl. L 26, S. 41; Berichtigung ABl. L 32, S. 15) lauten:
„(5) Diese Richtlinie zielt darauf ab, die Anwendung der Prozesskostenhilfe in Streitsachen mit grenzüberschreitendem Bezug für Personen zu fördern, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um...