Entscheidungsstichwort (Thema)
Geistiges Eigentum. Richtlinie 91/250/EWG. Rechtsschutz von Computerprogrammen. Begriff ‚alle Ausdrucksformen von Computerprogrammen’. Frage, ob die grafische Benutzeroberfläche eines Programms unter diesen Begriff fällt. Urheberrecht. Richtlinie 2001/29/EG. Urheberrecht und verwandte Schutzrechte in der Informationsgesellschaft. Fernsehausstrahlung einer grafischen Benutzeroberfläche. Öffentliche Wiedergabe eines Werks
Beteiligte
Bezpečnostní softwarová asociace |
Bezpečnostní softwarová asociace – Svaz softwarové ochrany |
Tenor
1. Eine grafische Benutzeroberfläche stellt keine Ausdrucksform eines Computerprogramms im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen dar, und sie kann nicht den urheberrechtlichen Schutz für Computerprogramme nach dieser Richtlinie genießen. Eine solche Schnittstelle kann jedoch nach der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft urheberrechtlich als Werk geschützt sein, wenn sie eine eigene geistige Schöpfung ihres Urhebers darstellt.
2. Die Ausstrahlung einer grafischen Benutzeroberfläche im Fernsehen stellt keine öffentliche Wiedergabe eines urheberrechtlich geschützten Werkes im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 dar.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom Nejvyšší správní soud (Tschechische Republik) mit Entscheidung vom 16. September 2009, beim Gerichtshof eingegangen am 5. Oktober 2009, in dem Verfahren
Bezpečnostní softwarová asociace – Svaz softwarové ochrany
gegen
Ministerstvo kultury
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten K. Lenaerts, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter G. Arestis (Berichterstatter), J. Malenovský und T. von Danwitz,
Generalanwalt: Y. Bot,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 2. September 2010,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Bezpečnostní softwarová asociace – Svaz softwarové ochrany, vertreten durch I. Juřena, advokát,
- der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und D. Hadroušek als Bevollmächtigte,
- der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Krämer und P. Ondrůšek als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 14. Oktober 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen (ABl. L 122, S. 42) und von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. L 167, S. 10).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Bezpečnostní softwarová asociace – Svaz softwarové ochrany (Softwareschutzvereinigung, im Folgenden: BSA) gegen das Ministerstvo kultury (Kulturministerium), in dem es um die Weigerung des Kulturministeriums geht, der BSA die Erlaubnis für die kollektive Verwaltung der vermögenswerten Urheberrechte an Computerprogrammen zu erteilen.
Rechtlicher Rahmen
Internationales Recht
Rz. 3
Art. 10 Abs. 1 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums, das Anhang 1 C des Übereinkommens zur Errichtung der Welthandelsorganisation, unterzeichnet in Marrakesch am 15. April 1994, bildet und durch den Beschluss 94/800/EG des Rates vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986-1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche (ABl. L 336, S. 1, im Folgenden: TRIPS-Übereinkommen) genehmigt wurde, lautet:
„Computerprogramme, gleichviel, ob sie in Quellcode oder in Maschinenprogrammcode ausgedrückt sind, werden als Werke der Literatur nach der Berner Übereinkunft ([Akte von Paris vom 24. Juli 1971] in der Fassung aufgrund der Änderung vom 28. September 1979 [im Folgenden: Berner Übereinkunft]) geschützt.”
Unionsrecht
Richtlinie 91/250
Rz. 4
Die Erwägungsgründe 7, 10 und 11 der Richtlinie 91/250 lauten:
„Für die Zwecke dieser Richtlinie soll der Begriff ‚Computerprogramm’ Programme in jeder Form umfassen, auch solche, die in die Hardware integriert sind; dieser Begriff umfasst auch Entwurfsmaterial zur Entwicklung eines Computerprogramms, sofern die Art der vorbereitenden Arbeit die spätere Entstehung eines Computerprogramms zulässt.
…
Die Funktion von Computerprogrammen besteht darin, mit den anderen Komponenten eines Computersy...