Entscheidungsstichwort (Thema)
Staatliche Beihilfen. Artikel 87 EG und 88 EG. Begriff der Beihilfe. Beteiligung eines öffentlichen Unternehmens am Kapital eines privaten Unternehmens. Befugnis zum Austritt unter Verzicht auf alle Rechte am Gesellschaftsvermögen
Beteiligte
Tenor
Eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, mit der den Gesellschaftern einer vom Staat kontrollierten Gesellschaft eine vom allgemeinen Recht abweichende Befugnis zum Austritt aus dieser Gesellschaft eingeräumt wird, sofern sie auf alle Rechte am Gesellschaftsvermögen verzichten, kann nicht als eine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 EG angesehen werden.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Tribunale Cagliari (Italien) mit Entscheidung vom 14. Mai 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Juni 2004, in dem Verfahren
Enirisorse SpA
gegen
Sotacarbo SpA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, des Richters R. Schintgen (Berichterstatter), der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter P. Kuūris und G. Arestis,
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der Enirisorse SpA, vertreten durch G. Dore und C. Dore, avvocati,
- der Sotacarbo SpA, vertreten durch F. Angioni, D. Scano, G. M. Roberti und I. Perego, avvocati,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Di Bucci und E. Righini als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 12. Januar 2006
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 43 EG, 44 EG, 48 EG und 49 EG ff. über die Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit sowie Artikel 87 EG.
2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Enirisorse SpA (im Folgenden: Enirisorse) und der Sotacarbo SpA (im Folgenden: Sotacarbo) über deren Weigerung, Enirisorse den Gegenwert der von dieser bei ihrem Rückzug aus der Beteiligung an Sotacarbo gehaltenen Aktien zu erstatten.
Nationale Rechtsvorschriften
3 Artikel 2437 des italienischen Zivilgesetzbuchs lautet:
„Die Gesellschafter, die mit den Beschlüssen über die Abänderung des Zwecks oder der Form der Gesellschaft oder über die Verlegung des Gesellschaftssitzes ins Ausland nicht einverstanden sind, sind berechtigt, aus der Gesellschaft auszutreten und die Einlösung ihrer Aktien zu verlangen und zwar bei Aktien, die an der Börse notiert werden, zum Mittelkurs des letzten Halbjahres oder andernfalls im Verhältnis zum Gesellschaftsvermögen, das sich aus der Bilanz des letzten Geschäftsjahres ergibt.
Die Gesellschafter, die an der Gesellschafterversammlung teilgenommen haben, müssen spätestens drei Tage nach ihrem Abschluss und die Gesellschafter, die nicht daran teilgenommen haben, spätestens fünfzehn Tage ab dem Tag der Eintragung des Beschlusses ins Handelsregister die Austrittserklärung mit Einschreiben mitteilen.
Jede Abmachung, die das Austrittsrecht ausschließt oder seine Ausübung erschwert, ist nichtig.”
4 Artikel 5 des Gesetzes Nr. 351 vom 27. Juni 1985 (GURI Nr. 166 vom 16. Juli 1985, S. 5019, im Folgenden: Gesetz Nr. 351/1985) bestimmt:
„1. ENI, ENEL und ENEA werden ermächtigt, eine Aktiengesellschaft zur Entwicklung innovativer und fortschrittlicher Technologien für den Einsatz von Kohle (Anreicherung, Verbrennungstechniken, Verflüssigung, Vergasung, Kohlechemie usw.) zu gründen und zu diesem Zweck
- das in Artikel 1 Buchstabe m des Gesetzes Nr. 110 vom 9. März 1985 genannte Forschungszentrum auf Sardinien zu errichten;
- Anlagen zur Demonstration technologischer Innovation im Einsatz von Kohle zu planen und zu errichten;
- Industrieanlagen für den Einsatz von Kohle zu anderen Zwecken als der Verbrennung zu errichten.
2. Die Kosten für die Gründung der Aktiengesellschaft nach Absatz 1 gehen zu Lasten der in Artikel 6 dieses Gesetzes vorgesehenen Mittel.
…
4. Die in Absatz 1 dieses Artikels genannten Einheiten werden ermächtigt, sich mit eigenen Mitteln oder mit den ihnen durch die Gesetze des Staates zugewiesenen Mitteln an den Investitionen zu beteiligen, die für die Durchführung der industriellen Phase des Vorhabens der Entwicklung fortschrittlicher Technologien für den Kohleeinsatz notwendig sind.
…”
5 Artikel 6 des Gesetzes Nr. 351/1985 sieht vor: „Die sich aus der Anwendung des vorliegenden Gesetzes ergebenden Kosten werden in Höhe von 80 Milliarden ITL für das Jahr 1985, 90 Milliarden ITL für das Jahr 1986 und 100 Milliarden ITL für das Jahr 1987 durch eine entsprechende Verringerung der für den Dreijahresetat 1985-1987 im Kapitel 9001 des Voranschlags des Fin...