Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Freizügigkeit. Gleichbehandlung. Soziale Vergünstigungen. Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums in einem anderen Mitgliedstaat. Wohnsitzerfordernis. Alternative Voraussetzung einer sozialen Eingliederung für gebietsfremde Studierende. Situation eines Studierenden, der die Staatsangehörigkeit des die Unterstützung gewährenden Staates hat, aber von Geburt an in dem Staat wohnt, in dem er studiert
Normenkette
AEUV Art. 45; Verordnung (EU) Nr. 492/2011 Art. 7 Abs. 2
Beteiligte
Centrala studiestödsnämnden |
Tenor
Art. 45 AEUV und Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union
sind dahin auszulegen, dass
diese Bestimmungen den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, wonach für das Kind einer Person, die in einem Aufnahmemitgliedstaat gearbeitet, diesen aber verlassen hat, um wieder in dem Mitgliedstaat zu wohnen, dessen Staatsangehöriger sie ist, eine Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums im Aufnahmemitgliedstaat nur unter der Voraussetzung gewährt wird, dass beim Kind eine Anbindung an den Herkunftsmitgliedstaat vorliegt, wenn zum einen das Kind seit seiner Geburt im Aufnahmemitgliedstaat wohnt und zum anderen der Herkunftsmitgliedstaat die Gewährung einer Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums in einem anderen Mitgliedstaat auch für seine anderen Staatsangehörigen, die das Wohnsitzerfordernis nicht erfüllen und eine solche Beihilfe beantragen, von einer Anbindung abhängig macht.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Överklagandenämnd för studiestöd (Beschwerdestelle für Studienbeihilfen, Schweden) mit Entscheidung vom 14. Oktober 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 25. November 2020, in dem Verfahren
MCM
gegen
Centrala studiestödsnämnden
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal, der Richterin M. L. Arastey Sahún sowie der Richter F. Biltgen (Berichterstatter), N. Wahl und J. Passer,
Generalanwältin: L. Medina,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- von MCM,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch H. Eklinder, C. Meyer-Seitz, A. Runeskjöld, M. Salborn Hodgson, R. Shahsavan Eriksson, H. Shev, J. Lundberg und O. Simonsson als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Nymann-Lindegren und M. Søndahl Wolff als Bevollmächtigte,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, E. Samoilova und J. Schmoll als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Carlin und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
- der norwegischen Regierung, vertreten durch E. S. Eikeland und T. H. Aarthun als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 7. April 2022
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 45 AEUV und von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union (ABl. 2011, L 141, S. 1).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen MCM und dem Centrala studiestödsnämnd (Zentralstelle für Studienbeihilfen, Schweden, im Folgenden: Zentralstelle) wegen des Anspruchs von MCM auf eine vom schwedischen Staat gewährte finanzielle Unterstützung für ein Studium in Spanien.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Art. 7 der Verordnung Nr. 492/2011 sieht in seinen Abs. 1 und 2 vor:
„(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.
(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer.”
Rz. 4
Art. 10 Abs. 1 dieser Verordnung lautet:
„Die Kinder eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, der im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats beschäftigt ist oder beschäftigt gewesen ist, können, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats wohnen, unter den gleichen Bedingungen wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats am allgemeinen Unterricht sowie an der Lehrlings- und Berufsausbildung teilnehmen.”
Schwedisches Recht
Rz. 5
Gemäß Kapitel 3 § 23 Abs. 1 Studiestödslagen (1999:1395) (Gesetz [1999:1395] über Studienbeihilfen) hängt der Anspruch von Studierenden auf die Gewährung einer Beihilfe zur Finanzierung eines Studiums außerhalb Schwedens davon ab, dass er/sie in den letzten fünf Jahren vor Beantragung der Beihilfe für mindestens zwei Jahre ununterbrochen in Schwe...