Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorlage zur Vorabentscheidung. Übergang von Unternehmen. Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer. Öffentlicher Auftrag für Reinigungsleistungen. Vergabe der Lose des Auftrags an zwei neue Zuschlagsempfänger. Übernahme eines bei allen Losen des Auftrags eingesetzten Arbeitnehmers
Normenkette
Richtlinie 2001/23/EG Art. 3 Abs. 1
Beteiligte
Tenor
Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen ist im Fall eines Unternehmensübergangs, an dem mehrere Erwerber beteiligt sind, dahin auszulegen, dass die Rechte und Pflichten aus einem Arbeitsvertrag auf jeden der Erwerber anteilig entsprechend der vom betreffenden Arbeitnehmer wahrgenommenen Aufgaben übergehen, sofern die daraus folgende Aufspaltung des Arbeitsvertrags möglich ist und weder eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nach sich zieht noch die Wahrung der durch diese Richtlinie gewährleisteten Ansprüche berührt, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. Sollte sich eine solche Aufspaltung als unmöglich herausstellen oder die Ansprüche dieses Arbeitnehmers beeinträchtigen, wäre bei der etwaigen nachfolgenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Art. 4 dieser Richtlinie davon auszugehen, dass sie durch den oder die Erwerber erfolgt ist, auch wenn sie vom Arbeitnehmer ausgegangen sein sollte.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Arbeidshof te Gent (Arbeitsgerichtshof Gent, Belgien) mit Entscheidung vom 14. Mai 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 25. Mai 2018, in dem Verfahren
ISS Facility Services NV
gegen
Sonia Govaerts,
Atalian NV, vormals Euroclean NV,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras, der Richter S. Rodin und D. Šváby, der Richterin K. Jürimäe und des Richters N. Piçarra (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 8. Mai 2019,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der ISS Facility Services NV, vertreten durch J. Dubaere, avocat,
- von Frau S. Govaerts, vertreten durch S. De Beul,
- der Atalian NV, vertreten durch S. Diels und E. Carlier, advocaten,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch M. van Beek, M. Kellerbauer und B.-R. Killmann als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 26. November 2019
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/23/EG des Rates vom 12. März 2001 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen (ABl. 2001, L 82, S. 16).
Rz. 2
Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Sonia Govaerts auf der einen und der ISS Facility Services NV (im Folgenden: ISS) sowie der Atalian NV, vormals Euroclean NV, auf der anderen Seite über die Kündigung der Erstgenannten und deren Folgen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Rz. 3
Der dritte Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/23 lautet:
„Es sind Bestimmungen notwendig, die die Arbeitnehmer bei einem Inhaberwechsel schützen und insbesondere die Wahrung ihrer Ansprüche gewährleisten.”
Rz. 4
Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie sieht vor:
- „Diese Richtlinie ist auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- bzw. Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung anwendbar.
- Vorbehaltlich Buchstabe a) und der nachstehenden Bestimmungen dieses Artikels gilt als Übergang im Sinne dieser Richtlinie der Übergang einer ihre Identität bewahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinne einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit.
…”
Rz. 5
Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie bestimmt:
„Diese Richtlinie lässt das einzelstaatliche Recht in Bezug auf die Begriffsbestimmung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses unberührt.
Die Mitgliedstaaten können jedoch vom Anwendungsbereich der Richtlinie Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse nicht allein deshalb ausschließen, weil
a) nur eine bestimmte Anzahl von Arbeitsstunden geleistet wird oder zu leisten ist,
…”
Rz. 6
Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie lautet:
„Die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis gehen aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über.”
Rz. 7
Art. 4 der Richtlinie 2001/23 sieht vor:
„Der Übergang eines Unternehmens, Betriebs oder Unternehmens- bzw. Betriebsteils stellt als solcher für den Veräußerer oder den Erwerber keinen Gru...