Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziale Sicherheit. Familienbeihilfen. Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentnern und für Waisen. Familienleistungen. Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Begriff ‚Rente’. Bezieherin einer Rente, die nach den deutschen Rechtsvorschriften für die Erziehung von Kindern nach dem Tod des geschiedenen Ehegatten dieser Rentenbezieherin vorgesehen ist (‚Erziehungsrente’)
Normenkette
EWGV 1408/71 Art. 77; EGV 883/2004 Art. 67
Beteiligte
Tenor
1. Art. 77 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in ihrer durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung Nr. 592/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008, ist dahin auszulegen, dass eine Leistung wie die in § 47 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs (Sechstes Buch) vorgesehene Erziehungsrente, die im Todesfall dem geschiedenen Ehegatten des Verstorbenen zum Zweck der Erziehung der Kinder dieses geschiedenen Ehegatten gewährt wird, „Alters- oder Invaliditätsrenten [sowie] Renten wegen eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit” im Sinne dieser Vorschrift der Verordnung nicht gleichgestellt werden kann.
2. Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit ist dahin auszulegen, dass eine Leistung wie die in § 47 Abs. 1 des Sozialgesetzbuchs (Sechstes Buch) vorgesehene Erziehungsrente unter den Begriff „Rente” im Sinne dieses Artikels fällt.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sozialgericht Nürnberg (Deutschland) mit Entscheidung vom 28. Dezember 2012, beim Gerichtshof eingegangen am 22. Januar 2013, in dem Verfahren
Petra Würker
gegen
Familienkasse Nürnberg
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, der Richter C. G. Fernlund und A. Ó Caoimh (Berichterstatter), der Richterin C. Toader und des Richters E. Jarašiūnas,
Generalanwalt: P. Mengozzi,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
- der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Möller als Bevollmächtigte,
- der Europäischen Kommission, vertreten durch V. Kreuschitz als Bevollmächtigten,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 77 und 78 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten und aktualisierten Fassung, geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 592/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 (ABl. L 177, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71), sowie von Art. 67 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. L 166, S. 1, berichtigt im ABl. 2004, L 200, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 988/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 (ABl. L 284, S. 43) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004).
Rz. 2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Frau Würker und der Familienkasse Nürnberg (im Folgenden: Familienkasse) wegen deren Weigerung, Frau Würker Kindergeld zu zahlen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 1408/71
Rz. 3
Die Verordnung Nr. 1408/71 sieht für ihre Anwendung in Art. 1 Buchst. u folgende Definitionen der nachstehenden Begriffe vor:
„i) ‚Familienleistungen’: alle Sach- oder Geldleistungen, die zum Ausgleich von Familienlasten im Rahmen der in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe h) genannten Rechtsvorschriften bestimmt sind, jedoch mit Ausnahme der in Anhang II aufgeführten besonderen Geburts- oder Adoptionsbeihilfen;
ii) ‚Familienbeihilfen’: regelmäßige Geldleistungen, die ausschließlich nach Maßgabe der Zahl und gegebenenfalls des Alters von Familienangehörigen gewährt werden”.
Rz. 4
Die Verordnung gilt gemäß ihrem Art. 4 Abs. 1 Buchst. h für „alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen Sicherheit, die … Familienleistungen betreffen”.
Rz. 5
In Titel III („Besondere Vorschriften für die einzelnen Leistungsarten”) der Verordnung umfasst Kapitel 3 („Alter und Tod [Renten]”) die Art. 44 bis 51a und Kapitel 8 („Leistungen für unterhaltsberechtigte Kinder von Rentne...