Entscheidungsstichwort (Thema)
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats. Art. 43 EG und 49 EG. Rechtsanwälte. Verpflichtung zur Beachtung von Gebührenhöchstsätzen. Keine Behinderung des Marktzugangs
Beteiligte
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Europäische Kommission und die Italienische Republik tragen jeweils ihre eigenen Kosten.
Tatbestand
In der Rechtssache
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Art. 226 EG, eingereicht am 19. Dezember 2008,
Europäische Kommission, vertreten durch E. Traversa und L. Prete als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Italienische Republik, vertreten zunächst durch I. Bruni, dann durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Große Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer A. Tizzano in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten, der Kammerpräsidenten J. N. Cunha Rodrigues, K. Lenaerts und J.-C. Bonichot, der Richter A. Rosas, M. Ilešič, J. Malenovský, U. Lõhmus (Berichterstatter), E. Levits, A. Ó Caoimh und L. Bay Larsen sowie der Richterinnen P. Lindh und M. Berger,
Generalanwalt: J. Mazák,
Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. März 2010,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Juli 2010
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe
Rz. 1
Mit ihrer Klage beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 43 EG und 49 EG verstoßen hat, dass sie Bestimmungen vorgesehen hat, nach denen die Rechtsanwälte bei den Gebühren Obergrenzen beachten müssen.
Nationaler rechtlicher Rahmen
Rz. 2
Der Beruf des Rechtsanwalts ist in Italien im Königlichen Gesetzesdekret Nr. 1578 zur Regelung der Berufe des Rechtsanwalts und des „procuratore legale” (Regio decreto legge n. 1578 – Ordinamento delle professioni di avvocato e procuratore legale) vom 27. November 1933 (GURI Nr. 281 vom 5. Dezember 1933, S. 5521), das mit Gesetz Nr. 36 vom 22. Januar 1934 (GURI Nr. 24 vom 30. Januar 1934) nach Änderung in ein Gesetz umgewandelt wurde, in der geänderten Fassung (im Folgenden: Regio decreto legge) geregelt. Gemäß den Art. 52 bis 55 des Regio decreto legge ist der Consiglio nazionale forense (Nationaler Rat der Rechtsanwälte, im Folgenden: CNF) dem Justizminister zugeordnet und besteht aus Rechtsanwälten, die von den Angehörigen des Anwaltsstands gewählt werden, wobei auf den Gerichtsbezirk jeder Corte di appello ein Mitglied entfällt.
Rz. 3
Art. 57 des Regio decreto legge bestimmt, dass die Maßstäbe für die Festsetzung der Gebühren und Entgelte, die den Rechtsanwälten und den „procuratori” sowohl in Zivil- und Strafsachen als auch für außergerichtliche Tätigkeiten zustehen, alle zwei Jahre durch Beschluss des CNF festgelegt werden. Diese Maßstäbe müssen anschließend nach Einholung einer Stellungnahme des Comitato interministeriale dei prezzi (Interministerieller Preisausschuss) und eines Gutachtens des Consiglio di Stato (Staatsrat) vom Justizminister genehmigt werden.
Rz. 4
Gemäß Art. 58 des Regio decreto legge werden die in Art. 57 genannten Maßstäbe anhand des Streitwerts und der mit der Sache befassten gerichtlichen Instanz sowie – bei Strafverfahren – der Verfahrensdauer festgelegt. Für jede Handlung oder Abfolge von Handlungen ist eine Mindest- und eine Höchstgebühr festzulegen. Bei außergerichtlichen Tätigkeiten ist die Bedeutung der Sache zu berücksichtigen.
Rz. 5
Nach Art. 60 des Regio decreto legge werden die Gebühren anhand dieser Maßstäbe unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und der Anzahl der behandelten Probleme gerichtlich festgesetzt. Die Festsetzung muss sich im Rahmen der zuvor festgelegten Unter- und Obergrenze bewegen. Das Gericht kann die Obergrenze jedoch überschreiten, wenn die Sache wegen des besonderen Charakters der Streitigkeit außergewöhnliche Bedeutung hat und der eigentliche Wert der Leistung dies rechtfertigt. Umgekehrt kann es eine Gebühr unter der Untergrenze festsetzen, wenn die Sache einfach gelagert ist. In beiden Fällen muss das Gericht seine Entscheidung begründen.
Rz. 6
Gemäß Art. 61 Abs. 1 des Regio decreto legge werden die Gebühren, die der Rechtsanwalt seinem Mandanten in Rechnung stellt, sowohl bei gerichtlichen als auch bei außergerichtlichen Tätigkeiten – soweit keine besondere Vereinbarung getroffen wurde – unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und der Anzahl der behandelten Probleme auf der Grundlage der in Art. 57 genannten Maßstäbe festgesetzt. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift können die Gebühren diejenigen übersteigen, die zulasten der Partei, der die Kosten des Rechtsstreits auferlegt worden sind, festgesetzt worden sind, wenn der besondere Charakter des Rechtsstreits oder der Wert der Leistung dies rechtfertigen.
Rz. 7
Art. 24 des Ge...